Spotlight aus: Ein Rückblick und Ausblick zur AGENDA 2025

Spotlight aus: Ein Rückblick und Ausblick zur AGENDA 2025

Nach fünf Monaten und knapp 20 Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis in unserer Reihe D’Kart Spotlights: AGENDA 2025 schalten wir den Scheinwerfer aus. Anlass für dieses Beleuchtungsprojekt war die AGENDA 2025, mit der das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen Aufschlag für die Reform des Kartellrechts vorgelegt hatte. Der Referentenentwurf des Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes (11. GWB-Novelle) liegt seit gestern vor und geht in die Ressortabstimmung. In dem Entwurf finden sich neben der Stärkung von Sektoruntersuchungen und der erleichterten Gewinnabschöpfung auch Maßnahmen zur Durchsetzung des DMA. Der Großteil der Agenda 2025 wird aber in die 12. GWB-Novelle verschoben. Was können die D’Kart-Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis dem BMWK für diese anstehende Reform des Kartellrechts mitgeben? Alexander KirkPhilipp Offergeld und Tristan Rohner ziehen ein erstes Fazit.

Ordnungspolitik ernst nehmen

Die Agenda beginnt mit einem Bekenntnis zur Ordnungspolitik (Punkt 1). Das nimmt Rupprecht Podszun zum Anlass, an die Grundlagen des Ordoliberalismus zu erinnern. Die Grundideen von Walter Eucken, Franz Böhm & Co. gehen weit über ein Effizienzdenken hinaus. Die Menschenwürde sei Ausgangspunkt der Wirtschaftsverfassung. Wirtschaftspolitik müssen stets im Dienst der Menschenwürde erfolgen. Das lässt sich als vorsichtige Sensibilisierung der Wettbewerbspolitik für die aktuellen Herausforderungen im Klimaschutz und in der Sozialpolitik deuten. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der kurz nach der Veröffentlichung der Agenda erfolgte, beschäftigt ihn: „Walter Eucken wusste, was Krieg bedeutet. Er hat seine Prinzipien im vollen Bewusstsein konzipiert, dass der Mensch fähig ist, anderen Menschen ein Wolf zu sein. Seine Wettbewerbsordnung ist eine Friedensordnung.“

Zeitgemäße Wettbewerbspolitik

Das BMWK sieht die Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung als wichtigen Bestandteil einer zeitgemäßen Ordnungs- und Wettbewerbspolitik (Punkt 2). Daher nahm uns Christian Kersting mit auf einen Streifzug durch die Baustellen der Kartellschadensersatzrichtlinie mitsamt umfassenden Lösungsvorschlägen. Der Kronzeugenschutz müsse ausgebaut werden, um eine effektive Kartellverfolgung zu ermöglichen. Dazu sollten Kronzeugen einen vollständigen Regressanspruch im Innenverhältnis gegen ihre Mitkartellanten erhalten. Daneben seien Sammelklagen, Schadensvermutungen in der Höhe und Zuständigkeitskonzentrationen sinnvolle Instrumente zur Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung. Gerhard Klumpe knöpft sich die Offenlegungsansprüche im GWB vor und zeigt deren Schwächen auf, insbesondere die Probleme bei der gerichtlichen Durchsetzung. Auch er machte sich für eine Schadensvermutung stark. Die Beiträge legen den Fokus auf die aktuellen Probleme, die das BMWK anzugehen hat und präsentieren zugleich Lösungsvorschläge. Hier müssen die Referentinnen und Referenten im Wettbewerbsreferat des BMWK bei einer geplanten Reform nur abschreiben.

Ein weiterer Eckpunkt der zeitgemäßen Wettbewerbspolitik ist die Reform der seit jeher umstrittenen Ministererlaubnis nach § 42 GWB. Wie soll diese aussehen? Auf dem Plan des BMWK stehen Klagemöglichkeiten Dritter und eine Beteiligung des Bundestages. Unsere Experten gehen einen Schritt weiter. Hans Jürgen Meyer-Lindemann unterstützt das BMWK zwar in dem Vorhaben, angemessene Klagemöglichkeiten Dritter wiederherzustellen, doch die Beteiligung des Bundestags sieht er kritisch. Das eigentliche Problem der Ministererlaubnis seien deren materielle Voraussetzungen. Marktbezogene Kriterien eigneten sich nicht als Korrektiv für eine wettbewerbliche Prüfung. Hier müsse nachgeschärft werden. Das könne der Bundestag leisten – nicht aber die Entscheidung im Einzelfall. Gleichzeitig hebt er die positiven Aspekte der Ministererlaubnis hervor: Sie verschaffe dem BKartA die Möglichkeit, die Fusionskontrolle frei von politischen Einflüssen rein aus wettbewerblicher Sicht auszuüben. Auch Maximilian Konrad kritisiert die Abwägungskriterien der Ministererlaubnis. Der Begriff des „Gemeinwohls“ sei nichtssagend und nicht konsistent zu bestimmen. Eine Beteiligung des Bundestags könne zwar mehr Transparenz schaffen, das grundlegende Problem aber nicht beseitigen. Es sei ohnehin unwahrscheinlich, dass der Bundestag sich mit der Koalitionsmehrheit über die Pläne des Bundeswirtschaftsministers hinwegsetzt. Eine parteiübergreifende Willensbildung wäre nur dann gegeben, wenn eine 2/3 Mehrheit nötig ist.

Obwohl in der Agenda keine Rede davon ist, dass die materiellen Kriterien überarbeitet werden sollen, sind sich unsere Experten sind sich hier einig: Das BMWK sollte sich nicht allein auf eine Verfahrenslösung verlassen, sondern auch die Voraussetzungen der Erlaubnis auf den Prüfstand stellen.

Nachhaltigkeit und Transformation der Wirtschaft

Zentrales Thema der Agenda ist die Nachhaltigkeit (Punkte 3-5, 7) in der Wettbewerbspolitik. Entsprechend viele Wortmeldung fanden sich hierzu in den Spotlights wieder. Elena Wiese verdeutlicht die Rechtsunsicherheit bei Nachhaltigkeitskooperationen in der Praxis. Sie wünscht sich Leitlinien, die klar kommunizieren, wie negative externe Effekte im Rahmen der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu berücksichtigen sind. Allerdings könne man nicht jede Abwägung den Kartellbehörden überlassen, vielmehr müsse auch der Gesetzgeber tätig werden. Auch Patrick Hauser spricht sich für eine Neuausrichtung von Art. 101 Abs. 3 AEUV aus. Eine vollständige Kompensation der Verbraucher sei in Fällen negativer externer Effekte nicht erforderlich. Felix Rhiel und Frank Schlütter erweiterten die juristischen Beiträge um ökonomische Erkenntnisse. Aus ihrer Sicht sind Nachhaltigkeitskooperationen nur in Ausnahmefällen notwendig, in anderen Fällen seien diese eher schädlich. Es bestehe stets die Gefahr, dass die vermeintlich nachhaltigen Kooperationen verdeckte Preisabsprachen ermöglichen. Mariya Serafimova betonte, dass eine einheitliche Vorgehensweise innerhalb des European Competition Network (ECN) nötig sei. „Bis dahin wird die Last der anhaltenden Nachhaltigkeitsbemühungen wahrscheinlich bei den Unternehmen und vor allem bei den “nachdenklichen” Verbrauchern liegen.“

Johanna Welsch wandte sich in ihrem Beitrag den Nachhaltigkeitsaspekten in der Fusionskontrolle zu, die häufig vernachlässigt werden. Nachhaltigkeitsaspekte könnten in der Fusionskontrolle berücksichtigt werden, sofern von ihnen (auch) die Verbraucher profitieren. Ansonsten sei die Ministererlaubnis konzeptionell der richtige Platz für weitergehende Erwägungen.

Das andere oft vernachlässigte Teilgebiet in der Nachhaltigkeitsdebatte ist die Missbrauchsaufsicht. Tristan Rohner zeigt Möglichkeiten auf, wie Nachhaltigkeitsbelange auch hier integriert werden können. Der Missbrauch durch Rechtsbruch könne auch auf Normen mit Nachhaltigkeitsbezug angewendet werden. Die bestehenden Kriterien für Behinderungsmissbräuche könnten modifiziert und mit Nachhaltigkeitsbelangen aufgeladen werden. Eine neue Fallgruppe könnte begründet werden, wenn die Ausbeutung von öffentlichen Gütern als missbräuchlich eingestuft wird.

Katrin Gaßner befasst sich mit dem Vorhaben der Agenda, die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht im Lebensmittelsektor zu stärken. Aus ihrer Sicht seien hier gesetzliche Nachbesserungen nicht erforderlich, da die §§ 19 ff. GWB bereits ausreichende Eingriffsmöglichkeiten vorsehen würden. Sie bezweifelt, dass es in naher Zukunft sektorspezifische Regelungen für den Lebensmittelsektor geben wird.

Die Beiträge zeigen, dass Nachhaltigkeit und die Transformation der Wirtschaft nicht umsonst den Mittelpunkt der Agenda darstellen. Gerade bei Nachhaltigkeitskooperationen sind die Erwartungen der Praxis hoch. Die rechtlichen Probleme sind indes noch nicht gelöst. Gleichzeitig sollten die Juristinnen und Juristen nicht vergessen, dass auch bei diesem – normativ anmutenden – Thema die Ökonomie relevante Erkenntnisse produziert, die zu berücksichtigen sind. Die Agenda beschränkt die Nachhaltigkeitsdebatte aber zu Unrecht auf Kooperationen und Kartellverbot. Die anderen Teilgebiete des Kartellrechts sollten hier ebenfalls fruchtbar gemacht werden. Diese Diskussion wird ab dem 2. November befeuert werden, wenn eine Studie der Heinrich-Heine-Universität unter Federführung von Justus Haucap und Rupprecht Podszun für das BMWK der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Entflechtung und EU-Wettbewerbspolitik

Das BMWK denkt für die Wettbewerbspolitik die europäische Ebene mit (Punkte 8 und 9) und bringt mit der missbrauchsunabhängigen Entflechtung auf EU-Ebene das potenziell schärfste Schwert des Kartellrechts (erneut) ins Spiel. Für Juliane Mendelsohn ist die Entflechtung als Ultima Ratio ein wichtiges Instrument der Wettbewerbspolitik, um Wettbewerb und Entscheidungsfreiheiten zu schützen und wiederherzustellen. Daniel Zimmer warnt dabei trotz aller berechtigter Sorge um Vermachtungen davor, dass sich Unternehmen wegen Angst vor einer Entflechtung von wachstumsfördernden Innovationen und Effizienzsteigerungen abbringen lassen könnten. Um dies zu verhindern, sei eine angemessene Entschädigungsregel notwendig, die aber keine Monopolrenditen umfasse. Dominik Piétron setzt in seinem Beitrag stattdessen schon bei der Fusionskontrolle an und forderte, dass die Effizienzeinrede in der jetzigen Form durch strukturelle Annahmen zu Daten, Marktkonzentrationen und externen Effekten ersetzt werden sollte. 

Im Gesetzentwurf für die 11. GWB-Novelle ist die Entflechtung als Folge einer Sektoruntersuchung offenbar vorgesehen.

Nach der Verabschiedung von § 19a GWB und Digital Market Act (DMA) scheint für die Digitalwirtschaft das Wesentliche getan. Doch in welchem Verhältnis stehen die neuen Regelwerke? Christian Karbaum hinterfragt, ob das BKartA § 19a GWB überhaupt noch anwenden könne, wenn der DMA einmal greift. Es hätte alles ganz „einfach“ sein können, hätte es Kollisionsregeln wie in VO (EG) 1/2003 gegeben. Diesem umstrittenen Verhältnis widmen sich auch Gunnar Wolf und Niklas Brüggemann. Aus ihrer Sicht ist klar, dass der DMA und das Kartellrecht zwar ähnliche Fälle betreffen, aber doch ganz andere Ziele verfolgen. „Auch wenn DMA und §19a GWB beides Kinder ihrer Zeit sind, so sind sie keine Zwillinge.“ Dass die Aufgaben der Wettbewerbspolitik für die Digitalwirtschaft noch längst nicht erschöpfend gelöst sind, haben die jüngsten Beschlüsse des 73. Deutschen Juristentags zum Wirtschaftsrecht gezeigt.

Alexander Kirk wirft einen Blick auf das selten beleuchtete Gesetzgebungsverfahren in der EU. An der Transparenz des Trilog-Verfahrens, zu beobachten 2022 beim DMA, nimmt er Anstoß – „Darf es sein, dass einem Gesetz für knapp 450 Millionen Bürger im stillen Kämmerlein der oftmals entscheidende Twist gegeben wird?“ Kirk schlägt eine Geschäftsordnung für den interinstitutionellen Austausch mit Transparenzpflichten und Verfahrensvorgaben vor. 

Global fairen Wettbewerb stärken 

In Punkt 10 der Agenda schiebt das BMWK beinahe beiläufig eine Mammutaufgabe hinterher: der globale Wettbewerb unterschiedlicher wirtschaftlicher Systeme müsse fair ausgestaltet werden. Die Herausforderung nahmen Oliver Budzinski und Annika Stöhr an und beschäftigten sich in ihrem Beitrag aus ökonomischer Perspektive mit Wettbewerbsverzerrungen aus Drittstaaten. Sie machen Vorschläge, um gegen die drei Arten von Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaaten vorzugehen, namentlich Firmenankäufe durch Drittstaaten, Subventionen durch Drittstaaten und wettbewerbsverzerrende Regulierung. So ließe sich z.B. Firmenankäufen durch Drittstaaten eine verschärfte Fusionskontrolle entgegensetzen. Wettbewerbsverzerrende Subventionen in Drittstaaten sollten vor allem im Wege der Handelspolitik angegangen werden. Gegen wettbewerbsverzerrende Regulierung in Drittstaaten sollte eine Internationalisierung der Wettbewerbspolitik angestrebt werden. Die Kommission hat einen ersten Vorschlag vorgelegt.

Die (über)nächste GWB-Novelle

Das BMWK – unter Druck durch die eigene Ankündigung des Ministers, rasch ein Kartellrecht „mit Klauen und Zähnen“ zu schaffen – hat die nächste (11.) GWB-Novelle bereits fertig, das „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“. Dieses soll Sektoruntersuchungen stärken, die Vorteilsabschöpfung erleichtern und dem BKartA die Unterstützung der Kommission bei Durchsetzung des DMA ermöglichen sowie die private Rechtsdurchsetzung des DMA stärken. Diese Punkte finden sich in der Agenda 2025 nur im Ansatz wieder. Gleichzeitig kündigt das BMWK aber an, dass weitere Punkte der Agenda noch in dieser Legislaturperiode in einer weiteren Novelle umgesetzt werden. Die Spotlights verstehen sich als Teil des partizipatorischen Prozesses im Vorfeld dieser und weiterer Novellen. Die Expertinnen und Experten, die hier zu Wort gekommen sind, liefern erste Einschätzungen, Anregungen und neue Ideen, aber auch schon konkrete Lösungsvorschläge. Wir hoffen, dass diese auf fruchtbaren Boden fallen und eine weitere Diskussion zur Agenda 2025 anstoßen. Es freut uns besonders, dass das BMWK dem partizipativen Prozess einen so großen Wert bemisst. Der Erfolg der anstehenden Novellen wird davon entscheidend mitbestimmt.

Wir bedanken uns bei allen, die zu den Spotlights beigetragen haben – die Wege der Gesetzgebung sind oft unergründlich, aber schon jetzt können wir dem Vernehmen nach sagen, dass die Beiträge im politischen Berlin gelesen wurden und werden. Selbst wenn nicht jeder Gedanke aufgegriffen werden sollte – schon die Lektüre und das Nachdenken haben Spaß gemacht!

Alexander Kirk, Philipp Offergeld und Tristan Rohner sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktoranden bei Prof. Dr. Rupprecht Podszun.

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