AGENDA 2025: Weniger Wettbewerb für mehr Nachhaltigkeit?

AGENDA 2025: Weniger Wettbewerb für mehr Nachhaltigkeit?

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

All contributions are also available in English. To find them, simply change the language of the blog in the top right-hand corner.

Das Spannungsverhältnis von Wettbewerb und Nachhaltigkeit war bereits mehrmals Thema unsere Reihe zur AGENDA 2025. Felix Rhiel und Frank Schlütter haben sich dem Thema ebenfalls angenommen und werfen ein Schlaglicht auf mögliche Gefahren.


what we need now is a green revolution

all of us – including competition enforcers – also need to make sure that we’re doing what we can to help.

Margrethe Vestager

Die Zeit drängt, die Klimakrise zu bekämpfen und nachhaltiger mit den globalen Ressourcen umzugehen. Um die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft zu erreichen, müssen umfangreiche Weichenstellungen in allen Politik- und Gesellschaftsbereichen vorgenommen werden. Das Thema Nachhaltigkeit ist daher auch ein zentraler Bestandteil der wettbewerbspolitischen Agenda 2025 des BMWK. Dabei sollen insbesondere ordnungspolitische Instrumente die Transformation zur „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft” gewährleisten. Auch auf Ebene der EU wurden in diesem Zusammenhang bereits unterschiedliche Vorschläge entwickelt. Ein Beispiel hierfür ist der kürzlich von der EU-Kommission veröffentlichte Entwurf zu den neuen Horizontalleitlinien.

Der Fokus der Debatte über Wettbewerb und Nachhaltigkeit liegt aktuell vor allem darauf, ob und unter welchen Umständen Kooperationen zwischen Unternehmen zur Förderung von Nachhaltigkeitsinitiativen erlaubt werden können. Das Kartellrecht befindet sich dabei wohlmöglich in einem schwierigen Spannungsfeld. Es soll verhindert werden, dass wettbewerbsrechtliche Vorgaben als Bremsklotz für nachhaltigere Wirtschaftsprozesse wirken. Gleichzeitig besteht jedoch die Sorge, dass eine Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der kartellrechtlichen Praxis zum „Greenwashing“ von Kartellen führen kann.

Wir möchten hier den Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Nachhaltigkeit beleuchten und argumentieren, dass aus unserer Sicht in vielen Fällen mehr und nicht weniger Wettbewerb dazu beiträgt, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Warum überhaupt Wettbewerbspolitik und Nachhaltigkeit?

Zunächst mag es überraschend erscheinen, dass die Wettbewerbspolitik im Fokus der Nachhaltigkeitsdebatte auftaucht. Aus ökonomischer Perspektive lassen sich die ökologischen Herausforderungen größtenteils als Probleme der Bereitstellung öffentlicher Güter konzeptualisieren. Dabei ist klar, dass bei Weitem nicht alle externen Effekte durch adäquate Politikmaßnahmen ihren Verursachern zugerechnet werden. Wenn man beispielsweise die Bepreisung von Treibhausgasen betrachtet, müsste laut Umweltbundesamt der Ausstoß einer Tonne CO2 je nach Szenario zwischen 200 und 700 Euro kosten, um die gesellschaftlichen Kosten des Ausstoßes abzubilden. Die deutsche CO2-Steuer beträgt zumindest aktuell lediglich 30 Euro pro Tonne CO2. Dabei ist die Bepreisung von Treibhausgasen wohl das am weitesten ausgebaute Instrument dieser Art. Andere ökologische und drängende Probleme wie etwa die Umweltverschmutzung und der Verbrauch natürlicher Ressourcen werden nicht annähernd im gleichen Maß bepreist oder reguliert. Daher werden auch andere Politikbereiche und flankierende Maßnahmen geprüft, um das notwendige Maß an ökologischer Veränderung zu erreichen.

Kann Wettbewerb die ökologische Transformation bremsen?

Es gibt die Befürchtung, dass stärkerer Wettbewerb nachhaltiges Verhalten der Unternehmen verhindert oder zumindest bremst. Beispielsweise riskiert ein Unternehmen hinter seinen Wettbewerbern zurückzufallen, wenn es nachhaltigere aber teurere Produkte anbietet. In diesem Fall unterliegt ein Unternehmen dem sog. „first-mover disadvantage”. Ein solcher Nachteil kann auch entstehen, wenn die Einführung von nachhaltigeren Produkten zu einer Veränderung sozialer Normen und damit zu einer erhöhten Wertschätzung dieser Produkte führt. Relativ zum „first-mover” profitiert ein „second-mover” in diesem Fall von einer bereits gestiegenen Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte (Inderst, Rhiel und Thomas 2021). Selbst wenn Unternehmen wünschen, ihr Angebot nachhaltiger zu gestalten, kann es also sein, dass sie aufgrund des Wettbewerbsdrucks diese Entscheidung nicht zu treffen wagen. Als wettbewerbspolitische Lösung dieses angebotsseitigen Koordinierungsproblems wird deshalb diskutiert, Unternehmenskooperationen über Nachhaltigkeitsaspekte zu erlauben.

Außerdem wird die Auffassung vertreten, dass gerade wettbewerbliche Märkte für eine Erosion moralischer Werte und damit auch für weniger nachhaltiges Verhalten verantwortlich seien. Entsprechend der Ausrede „Wenn ich es nicht tue, wird es jemand anders machen” besteht die Befürchtung, dass Wettbewerb eine Verdrängung sozialer Präferenzen verursacht. Der Wettbewerb kann nach derartiger Auffassung also nicht nur dazu führen, dass etwaige angebotsseitige Nachhaltigkeitsinitiativen nicht durchgesetzt werden, sondern auch dazu, dass Unternehmen eher gedrängt werden, sich weniger nachhaltig zu verhalten.

Wertschätzung von Nachhaltigkeit durch Konsument*innen und Unternehmen

Diese Bedenken werden in einem aktuellen Forschungsbeitrag von Mathias Dewatripont und Nobelpreisträger Jean Tirole mit dem Titel „The Morality of Markets” beleuchtet. Die Autoren analysieren moralische Entscheidungen von Unternehmen in einem sehr weit gefassten Sinne. Jedoch lassen sich ihre Erkenntnisse auch sehr gut auf die Frage übertragen, inwiefern Nachhaltigkeit und Wettbewerb im Zusammenhang miteinander stehen. Eines der überraschenden Resultate ist, dass der Wettbewerb in vielen Fällen keinen Einfluss auf die moralischen Entscheidungen der Unternehmen hat. Insbesondere wenn die Unternehmen ihre Preise flexibel anpassen können, bestimmen nur die Präferenzen der Konsument*innen und das soziale Bestreben der Unternehmen, wie moralisch und nachhaltig die Produktion ist. Ob der Wettbewerb zwischen den Unternehmen stärker oder schwächer ist, hat in diesem Zusammenhang keine Konsequenzen für den Grad des nachhaltigen Wirtschaftens.

Darüber hinaus behandelt der Artikel auch den Fall, dass Unternehmen ihre Preise nicht flexibel setzen können. Wichtige Beispiele hierzu sind preisregulierte Märkte, aber auch digitale Märkte, in denen viele Dienste zu Nullpreisen angeboten werden. Im Fall unflexibler Preise gibt es demnach einen Zusammenhang zwischen der Wettbewerbsintensität und der Nachhaltigkeit, da Unternehmen nicht mehr über die Preisdimension in Wettbewerb zueinander treten können. Insbesondere wenn nachhaltigere Produkte die Nachfrage bei einem Unternehmens steigern, führt stärkerer Wettbewerb zu mehr Nachhaltigkeit im Markt.

Zu diesen Ergebnissen passt auch ein bekanntes Beispiel aus der kartellrechtlichen Praxis, der sog. „Chicken-for-Tomorrow“ Fall aus den Niederlanden. Im Jahr 2013 wollten niederländische Produzenten und Verkäufer von Hühnerfleisch eine Nachhaltigkeitskooperation eingehen, um den Mindeststandard für Tierwohl für in den Niederlanden verkauftes Hühnerfleisch bis 2020 zu erhöhen. Die niederländische Wettbewerbsbehörde (ACM) hat diese Kooperation jedoch in einer viel beachteten Entscheidung untersagt. Die Behörde hatte geschlussfolgert, dass die ökologischen Vorteile nicht die Nachteile der Wettbewerbsbeschränkung überwiegen.

In einer nachfolgenden Studie aus dem Jahr 2020 zeigt die ACM zwei Dinge deutlich auf: Erstens hat die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs in diesem Fall vermutlich nicht als Bremsklotz hin zu einer Entwicklung von einem nachhaltigeren Angebot an Hühnerfleisch gewirkt. Vielmehr ist der Tierwohlstandard für Hühnerfleisch, trotz des Verbots der Kooperation, in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So wurden laut der Studie der ACM aus dem Jahr 2020 tatsächlich die von der „Chicken-for-Tomorrow” Initiative anvisierten Ziele bei Weitem übertroffen. Zweitens wird der Erfolg hierbei auf unternehmensseitige Anstrengungen, in erster Linie aber auf die Verschiebung von Nachhaltigkeitspräferenzen zurückgeführt. Einen großen Anteil an dieser Verschiebung hatten vermutlich marktweite Tierwohllabels, die es den Konsument*innen erlauben, Hühnerfleisch mit einem höheren Tierwohlstandard leichter zu erkennen.

Gehen die Unternehmen ambitionierte Kooperationen ein?

Dieser Fall lässt Zweifel aufkommen, dass Unternehmenskooperationen sich entschlossen für ambitionierte Nachhaltigkeitsziele einsetzen oder mindestens Schwierigkeiten haben, die möglichen Verbesserungen zu antizipieren. So warnen etwa Schinkel und Treuren (2021), dass Unternehmen stets Anreize haben, für minimale Nachhaltigkeitsverpflichtungen maximale Preiserhöhungen durchzusetzen. Ob eine Abschwächung des Wettbewerbs ein effektives Mittel ist, die gewünschte Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, ist auch deshalb sehr fraglich. Dass Zweifel an der unternehmensseitigen Motivation für ambitionierte Nachhaltigkeitsziele durchaus angebracht sind, zeigen auch weitere Beispiele von bereits existierenden und genehmigten Unternehmenskooperationen. So hat die Europäische Kommission erst letztes Jahr Geldbußen in Höhe von fast 1 Milliarde Euro an deutsche Automobilhersteller verhängt, weil diese sich im Rahmen einer Kooperation darüber abgesprochen hatten, keine Abgasreinigungstechnologien anzubieten, die über das gesetzlich vorgeschriebene Niveau hinausgehen.

Machtmissbrauch verhindern

Ein weiterer grundlegender Vorteil von Wettbewerb, der tief in der ordnungspolitischen Tradition verwurzelt ist, besteht darin, dass er zum Schutz der Nachfrageseite Markmacht begrenzt und Machtkonzentrationen verhindert. Ohne Wettbewerb erhalten Unternehmen ein Machtpotential, das sie nutzen könnten, um in vielfältiger Weise zu ihren Gunsten Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen – beispielsweise um etwaige Umweltauflagen abzuschwächen (Showalter 2021). Tatsächlich gibt es Beispiele, wo insbesondere Unternehmen mit einer hohen Abhängigkeit von fossilen Ressourcen ihre politische Macht genutzt haben, um Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern. Eine starke Kartellrechtsdurchsetzung kann daher ein wichtiger Grundpfeiler für eine umfangreiche und effektive Klima- und Umweltschutzpolitik sein.

Woher kommen die großen Innovationen?

Es ist eindeutig: Die ökologischen Herausforderungen sind massiv. Wollen wir unseren Lebensstandard beibehalten und einen Kollaps des Ökosystems verhindern, werden riesige Innovationen nötig sein. Es stellt sich daher auch die Frage, unter welchen Bedingungen Marktteilnehmer diese grünen Innovationen am ehesten liefern können. Bisher haben wir argumentiert, dass eine Abschwächung des Wettbewerbs zwischen Unternehmen vermutlich nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen wird. So zeigt auch aktuelle Forschung, dass grüne Innovationen in einem positiven Zusammenhang mit Nachhaltigkeitspräferenzen stehen und dass dieser Zusammenhang stärker in Industrien mit hoher Wettbewerbsintensität ausfällt (Aghion et al. im Erscheinen).

Darüber hinaus können sich solche Ausnahmen im Wettbewerbsrecht immer nur an bereits bestehende Unternehmen wenden. Es besteht die Gefahr, dass neu in den Markt eintretende Unternehmen dadurch benachteiligt werden, zum Beispiel wenn die Kooperation den Austausch von Informationen oder die Standardisierung Produkten oder Produktionsprozessen umfasst. Dabei gibt es starke Pfadabhängigkeiten bei den Innovationstätigkeiten: Unternehmen, die früher in dreckige Produkte investiert haben, werden dies auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Zukunft tun (Aghion et al. 2016). Daher gilt entsprechend Schumpeters Hypothese der „Schöpferischen Zerstörung”, dass insbesondere junge Unternehmen das Potential haben, disruptive Veränderungen auszulösen. Während bestehende Unternehmen immer zwischen der Kannibalisierung alter und der Einführung neuer Produkte abwägen müssen, besteht dieses Spannungsfeld für neu in den Markt eintretende Unternehmen nicht. Diese können sich voll und ganz darauf fokussieren, ein neues innovatives und ggf. disruptives Produkt auf den Markt zu bringen.

Zudem kann der Markteintritt von neuen Unternehmen einen positiven Einfluss auf die Innovationstätigkeit bestehender Unternehmen haben. Aghion et al. (2009) argumentieren etwa, dass ein Markteintritt, zumindest in technologisch hochentwickelten Industrien, die Innovationstätigkeit bestehender Unternehmen fördert, weil er den Anreiz erhöht, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Beispiel, das diese Dynamik unterstreicht, ist sicherlich der Markteintritt von Tesla auf dem Automobilmarkt. Die Konkurrenz mit Tesla hat vermutlich einen höheren Innovationsimpuls für die bestehenden Automobilhersteller ausgelöst als es viele Nachhaltigkeitskooperationen zwischen diesen Unternehmen hätten tun können. Bei jeder Überlegung zur Änderung des Wettbewerbsrechts ist es daher sehr wichtig sicherzustellen, dass die Genehmigung einer Kooperation von etablierten Unternehmen nicht dazu führt, dass neuen Wettbewerbern der Markteintritt erschwert wird.

Wettbewerb und Nachhaltigkeit stehen häufig in einem positiven Zusammenhang

Wir haben dargestellt, dass Wettbewerb und Nachhaltigkeit prinzipiell nicht in Gegensatz zueinander stehen. Vielmehr ist Wettbewerb nachhaltigem Wirtschaften häufig geradezu förderlich. Die von der Politik angestrebte Transformation hin zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft sollte deshalb als Ziel nicht eine Einschränkung des Wettbewerbs, sondern vielmehr – entsprechend ordnungspolitischer Grundsätze – eine konsequente Einhaltung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen haben. Gleichzeitig erkennen wir an, dass in einigen Teilbereichen tatsächlich ein Spannungsfeld zwischen mehr Wettbewerb und mehr Nachhaltigkeit herrschen kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn nachweislich ein first-mover disadvantage nachhaltige Unternehmensentscheidungen verhindert. In diesem Fall ist aus unserer Sicht eine genaue Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen einer Nachhaltigkeitskooperation notwendig.

Einige kritische Aspekte solcher Kooperationen haben wir hier skizziert. So lassen vergangene kartellrechtliche Praxisbeispiele sowohl Zweifel an der Notwendigkeit von Nachhaltigkeitskooperationen als auch an der Glaubwürdigkeit der unternehmerischen Motive aufkommen. Außerdem erfordert die Genehmigung einer Kooperation ein konstantes Monitoring der Aufsichtsbehörden. Auch hier lehrt uns die kartellrechtliche Erfahrung, dass das Risiko besteht, dass Unternehmen die Kooperation nutzen, um illegitime Absprachen zu treffen, was mitunter erhebliche Konsequenzen auf die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt haben kann.

Selbstverständlich folgt aus diesen Betrachtungen nicht, dass allein Unternehmen im Wettbewerb die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit stemmen werden. Getreu dem Motto von Walter Eucken „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen”, bedarf es staatlicher Lenkung und Regulierung, wo gesellschaftliche Kosten nicht in ausreichendem Maße von privaten Akteuren internalisiert werden. Doch wenn aus politischen oder gesellschaftlichen Gründen die staatlichen Maßnahmen nicht ausreichen das Marktversagen durch die externen Effekte zu beheben, ist es riskant ein weiteres Marktversagen – nämlich die Zunahme von Marktmacht – zuzulassen, in der Hoffnung, dass sich die Transformationsprozesse dadurch besser verwirklichen lassen.

Felix Rhiel und Frank Schlütter haben gemeinsam an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn Volkswirtschaftslehre studiert. Felix arbeitet als ökonomischer Berater in einem international tätigen Beratungsunternehmen. Frank ist Postdoktorand an der Université catholique de Louvain.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert