AGENDA 2025: Wettbewerbsverzerrungen aus Drittstaaten: Wie kann ein fairer globaler Wettbewerb gestärkt werden?

AGENDA 2025: Wettbewerbsverzerrungen aus Drittstaaten: Wie kann ein fairer globaler Wettbewerb gestärkt werden?

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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In der wettbewerbspolitischen Agenda des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz äußert das Ministerium den Plan, gegen Einflüssen aus Drittstaaten vorgehen zu wollen, die negative Auswirkungen auf den inneneuropäischen Wettbewerb haben können. Oliver Budzinski und Annika Stöhr beleuchten dieses Thema aus ökonomischer Perspektive.

1. Einleitung

Auf internationalen Märkten konkurrieren Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern miteinander um die Gunst der Abnehmer und Konsumenten. Diese Unternehmen sind direkte Wettbewerber zueinander, unterliegen aber je nach Herkunftsland unterschiedlichen Regulierungen und wirtschaftlichen Systemen auf ihren Heimatmärkten. Selbst wenn man Freihandel unterstellt (dessen Bedingungen herzustellen der (in unserem Fall europäischen und deutschen) Handelspolitik unterliegt), können durch unterschiedliche nationale Regulierungs- und Wirtschaftssysteme Verzerrungen des Wettbewerbs auftreten. Daher setzt sich die Bundesregierung laut ihrer wettbewerbspolitischen Agenda dafür ein, den Instrumentenkasten der europäischen Wettbewerbspolitik zur Bekämpfung von unfairen und unlauteren Wettbewerbspraktiken von Drittstaaten zu erweitern und zu schärfen. Wie dies geschehen soll, bleibt dabei bisher vergleichsweise vage und ungenau. Wir wollen zunächst einmal solche Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaaten systematisieren (Abschnitt 2), anschließend die Eignung der Wettbewerbspolitik als richtigen Adressaten zur Bekämpfung der Probleme prüfen (Abschnitt 3), bevor wir abschließend einen Ausblick auf mögliche Maßnahmen geben (Abschnitt 4). 

2. Problemstellung

Was also verursacht „Wettbewerbsverzerrungen aus dem Ausland“? Hier sind zu nennen

a) durch Drittlands-Steuergelder finanzierte Firmenaufkäufe,

b) wettbewerbsverzerrende Subventionen durch Drittstaaten und

c) wettbewerbsverzerrende Regulierungen in Drittstaaten.

a) Firmenankäufe durch Drittstaaten

Durch Steuergelder finanzierte Firmenaufkäufe stellen eine der schwerwiegendsten systematischen – und zudem häufig nicht oder nur schwer reversiblen – Marktverzerrungen durch Drittstaaten dar. Diese können etwa in Form von Fusionen mit oder Akquisitionen von privaten Unternehmen durch Firmen in ausländischem Staatseigentum auftreten. Aber auch ausländische Staatsfonds, die einen Teil ihres Vermögens im Ausland anlegen (müssen), nutzen diese Möglichkeit um industriepolitische und strategische Ziele umzusetzen. Deutlich wird dies etwa beim Vorgehen der chinesischen Regierung, deren Übernahmen und Beteiligungen von und an deutschen Unternehmen seit 2011 deutlich zunahmen. Dieses Vorgehen wurde z.T. bereits durch die Bundesregierung adressiert, etwa durch die Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung oder dem eigenen Einstieg in übernahmegefährdete Unternehmen (hier sei beispielsweise der Einstieg der KfW beim Netzbetreiber 50Hertz im Jahr 2018 genannt, der erfolgte um eine Übernahme durch ein chinesisches Staatsunternehmen zu verhindern).

Die Gründe für diese Form der Einflussnahme sind vielfältig: so können durch die häufig nicht oder nur schwer reversiblen Übernahmen innovativer Firmen etwaige bestehende Wettbewerbsnachteile ausgeglichen und der Technologietransfer vorangetrieben werden. Zugleich profitiert das übernehmende Unternehmen von relevantem Know-How betreffend den jeweiligen nationalen sowie den EU-Binnenmarkt. Auch können so womöglich bestehende Handelsbarrieren umgangen werden. 

Aus diesen Gründen lassen sich zugleich die entstehenden Wettbewerbsverzerrungen ableiten: Ganz grundsätzlich stellt der Aufkauf eines Unternehmens im Privateigentum durch einen Staat, ein staatliches Unternehmen oder einen Staatsfonds eine Form der Verstaatlichung von Wettbewerbern dar. Geschähe dies im Inland, würden wir klar von einer Wettbewerbsverzerrung sprechen, da der staatliche bzw. staatsfinanzierte Eigentümer nun kein Interesse mehr daran hat, dass „sein“ Unternehmen einem fairen und intensiven Wettbewerb ausgesetzt ist. Verbunden mit der regulativen Macht des Staates ist mit einer institutionellen Schwächung des Wettbewerbs in diesem Markt zu rechnen. Gleichzeitig erhält das so verstaatlichte Unternehmen einen weiteren relevanten Wettbewerbsvorteil: durch den Einsatz der schwer erschöpfbaren Finanzquelle Steuergeld und den damit verbundenen Vorteilen einer günstigeren und weiterreichenden Finanzierung sowie eines weitgehenden Schutzes vor Insolvenz erhält das Unternehmen einen unfairen Vorteil im Wettbewerb mit den privaten Unternehmen. Langfristig führt zwar die zu erwartende Bürokratisierung des Staatsunternehmens, deren Geschwindigkeit und Ausmaß freilich erheblich von der Ausgestaltung der staatlichen Trägerschaft abhängt, zu einer sinkenden Effizienz und damit zu einem Wettbewerbsnachteil. Aber gerade damit steigt der Anreiz für den Staat als (direkten oder indirekten) Eigentümer, das Unternehmen mit Hilfe von staatlichen Maßnahmen vor dem Wettbewerbsdruck zu schützen. 

Wird nun ein europäisches Unternehmen von einem Drittstaat (oder einem staatlichen Unternehmen aus einem Drittstaat) aufgekauft, so treten die genannten Effekte und Anreizwirkungen grundsätzlich auch auf. Zusätzlich kann es auch im Interesse des aufkaufenden Staatsunternehmens und dessen industriepolitischer Agenda liegen, internationale Wettbewerber zu schwächen oder ganz aus dem Markt zu drängen. Die Nichtfortführung eines übernommenen Unternehmens (nach ggf. erfolgtem Technologie- und Know-How-Transfer) führt potenziell zu einer Erhöhung der Marktkonzentration. Auch die potenzielle Einstellung von Innovationsprojekten des Zielunternehmens und damit die „Bannung der Gefahr“ zukünftigen Wettbewerbs (angelehnt an die Strategie sog. killer acqusitions) führt zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung. Durch die steuerfinanzierte Absicherung etwaiger Risiken können zur Umsetzung dieses Ziels auch ineffiziente Transaktionen umgesetzt werden. 

Grundsätzlich spiegelt bei Firmenaufkäufen das Transaktionsvolumen (der Kaufpreis) die vom Erwerber erwarteten Effizienzgewinne oder steigenden Umsätze wider. Staatsfinanzierte Übernahmen können dagegen zu überhöhten Kaufpreisen (Überbietungen) führen und gleichzeitig verhindern, dass marktliche Erwerber Effizienzgewinne erzielen oder Zugang zu Schlüsseltechnologien erhalten.

Im Falle von Staatsfonds ist zu beachten, dass das Ausmaß der potenziell wettbewerbsverzerrenden Wirkungen stark von der Ausgestaltung des Fonds abhängt. Ein norwegischer Pensionsfonds, der keine industriepolitischen Ziele verfolgt, ist hier möglicherweise anders zu bewerten als ein katarischer Staatsfonds, der ein Instrument der Wirtschaftspolitik darstellt.

b) Wettbewerbsverzerrende Subventionen in Drittstaaten

Damit zusammenhängend betrachten werden können wettbewerbsverzerrende Subventionen aus Drittstaaten für deren heimische Unternehmen, welche den subventionierten Unternehmen etwa auch einen unlauteren Vorteil bzgl. der Übernahme anderer Firmen verschaffen können. Beispielhaft genannt seien hier etwa steuerliche Vorzugsbehandlungen, welche direkt oder indirekt, selektiv auf einzelne Unternehmen oder Branchen wirken. Aber auch direkte, finanzielle Zuschüsse, etwa zu Entwicklungsprojekten, sind nicht unüblich. Ebenso wie staatliche Beihilfen der EU-Mitgliedstaaten können diese Subventionen den Wettbewerb im Binnenmarkt sowie in einzelnen Mitgliedstaaten verzerren und zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen. Weniger effiziente Unternehmen können so ihren Marktanteil auf Kosten der eigentlich effizienteren Unternehmen erhöhen. Die Subventionen der Mitgliedstaaten selbst sind aus diesem Grund der Beihilfenkontrollpolitik unterworfen, während es für Subventionen aus Drittstaaten auf EU-Ebene bisher noch keine entsprechende Regulierung gibt. Ein entsprechender Verordnungsentwurf liegt jedoch bereits seit 2021 vor und befindet sich derzeit im Trilog-Prozess. Diese Verhandlungen werden vom Wirtschaftsministerium im Rahmen der wettbewerbspolitischen Agenda – als einziger Punkt – konkret als ein Instrumentarium gegen Wettbewerbsverzerrungen aus Drittstaaten angesprochen. 

Drittstaatliche Subventionen können insgesamt zu einer ineffizienten Gesamtressourcenallokation und vor allem zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Innovationspotenzial bei den Unternehmen führen, die keine solchen Subventionen erhalten – aber auch bei den subventionierten Unternehmen selbst, die sich nunmehr stärker auf den Erhalt weiterer Subventionen konzentrieren (Krueger 1974; Tollison 19822012). Ähnlich wie bei den bereits besprochenen Firmenaufkäufen können Drittstaaten-Subventionen ebenfalls zu kostspieliger und oft verschwenderischer Nachahmung und damit zu einem Subventionswettlauf zwischen öffentlichen Stellen führen – wie seit langem bekannt ist (Fox 1998). Die Gewährung drittstaatlicher Subventionen kann auch von strategischen Zielen der jeweiligen Regierung geleitet sein, eine starke Präsenz in der EU aufzubauen oder eine Akquisition und einen späteren Technologietransfer zu anderen Produktionsstandorten außerhalb der EU zu fördern. Dies ist umso problematischer, wenn die finanziellen Beziehungen zwischen dem Drittstaat und den subventionierten Unternehmen nicht transparent sind, mithin, wenn sich die zweite und die erste Art von Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaaten miteinander verbinden und vermischen. Dieser Mangel an Transparenz und sowie ggf. auch Gegenseitigkeit beim Zugang zu Märkten in Drittländern (Abschottung) verstärken die verzerrende Wirkung der Subventionen. Ähnliche Bedenken bestehen insbesondere auch bzgl. der Teilnahme von Unternehmen aus Drittstaaten an öffentlichen Ausschreibungen.

c) Wettbewerbsverzerrende Regulierung in Drittstaaten

Grundsätzlich die gleichen Effekte wie durch die Subventionierung durch Drittstaaten können auch durch strategische Regulierungen in Drittstaaten bewirkt werden, welche die Unternehmen aus Drittstaaten gegenüber europäischen Unternehmen (und anderen) bevorzugen. Zu den „altbekannten“ Instrumenten gehören hier diskriminierende Wettbewerbsregeln in Drittstaaten (wie bspw. die Erlaubnis von Exportkartellen oder schärfere Regeln für Übernahmen inländischer durch ausländischen Unternehmen) oder die selektive Nichtdurchsetzung von Wettbewerbsregeln gegenüber heimischen Unternehmen. Auch die Gewährung oder der staatliche Schutz inländischer Marktmacht gehört zu den potenziell wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen von Drittstaaten, denn die heimischen Marktmachtrenten können nun unternehmensintern zur Kreuzsubvention der Aktivitäten auf ausländischen Märkten genutzt werden, zu Lasten der dortigen Wettbewerber.

Eine komplexe wenngleich hochaktuelle Problematik stellen Wettbewerbsverzerrungen durch die Verletzung von sozialen und ökologischen Standards in Drittstaaten dar. Hier ist es regelmäßig bereits schwierig festzustellen, inwiefern unterschiedliche Standards auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen und Zielen beruhen, oder ein strategisches Instrument zur Beeinflussung des Wettbewerbs darstellen. Hierzu sei u.a. auf den Beitrag zu einer „Roadmap to Sustainability“ von Elena Wiese auf diesem Blog verwiesen, der sich mit dem vom BMWK angestrebten, proaktiven Ansatz für einen entsprechenden Wettbewerbsrahmen befasst. 

3. Eignung der Wettbewerbspolitik

Auch die Wettbewerbspolitik gehört zu jenen Regulierungsbereichen, die national bzw. auf der Ebene von Wirtschafts- und Staatsgemeinschaften (wie der Europäischen Union) organisiert sind, und trotz territorialer bzw. jurisdiktionaler Bindung versuchen, Wettbewerb auf übergreifenden internationalen und interkontinentalen Märkten zu kontrollieren bzw. zu schützen (zum Gesamtthema internationale Wettbewerbspolitik: Budzinski 200820152022). Eine einheitliche globale Wettbewerbspolitik existiert nicht. Stattdessen arbeiten nahezu alle Wettbewerbsbehörden auf der Basis des Auswirkungsprinzips (effects doctrine): alle Wettbewerbsverzerrungen, die sich auf die inländischen Märkte auswirken, sind unter den inländischen Wettbewerbsregeln justiziabel, unabhängig davon, ob sie im Inland oder in Drittstaaten begangen werden. Zumindest Wettbewerbsbehörden aus Staaten und Gemeinschaften mit großen und relevanten Binnenmärkten können ihre Wettbewerbsregeln über das Auswirkungsprinzip üblicherweise auch sehr gut durchsetzen (Budzinski 2008: S. 32-52). Schutzlücken verbleiben vor allem für kleine und arme Ländern sowie bei Konflikten zwischen großen Wettbewerbsjurisdiktionen (bspw. bei konträren Entscheidungen zu einem Fall in den USA und in der EU). Zudem gibt es mit dem International Competition Network (ICN; siehe auch Lugard & Anderson 2022) ein Kooperationsforum der Wettbewerbsbehörden der Welt, das seit mehr als 20 Jahren versucht, Konflikte und Widersprüchlichkeiten zu reduzieren. Für die EU und auch für Deutschland funktioniert das internationale System der Wettbewerbspolitiken insgesamt recht gut.

Für welche der im vorherigen Abschnitt identifizierten Problemstellungen stellt nun die nationale bzw. europäische Wettbewerbspolitik ein geeignetes Instrument dar?

a) Firmenaufkäufe durch Drittstaaten

Die Fusionskontrolle ist klassischerweise eine Aufgabe der nationalen bzw. EU- Wettbewerbspolitik und der entsprechenden Behörden. So sollen durch ex-ante vorgenommene Anmeldung und Analyse des Falles potenziell wettbewerbsverzerrender Zusammenschlüsse (Behinderung des wirksamen Wettbewerbs, insbesondere durch Schaffung einer marktbeherrschenden Stellung, etwa nach § 36 Abs. 1 GWB) ebenjene Verzerrungen durch Auflagen oder Verbote verhindert werden. Geht man nun davon aus, dass von Zusammenschlüssen mit Staatsunternehmen dritter Nationen potenziell ein erhöhtes Risiko von Wettbewerbsverzerrungen – neben den aktuell in der Fusionskontrolle bereits berücksichtigten – ausgeht, ist ein Aufgreifen dieser Problematik innerhalb der Fusionskontrolle angezeigt. Behinderungen des wirksamen Wettbewerbs können, wie oben aufgezeigt, auch durch spezielle Strukturen der (zu) erwerbenden Unternehmen auftreten. Auch im Rahmen der effects doctrine scheint die nationale bzw. EU-Wettbewerbspolitik zur stärkeren Kontrolle von Übernahmen durch drittstaatliche Staatsunternehmen geeignet, da potenzielle Verzerrungen zwar durch das Handeln ausländischer Unternehmen hervorgerufen werden, diese jedoch Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen im nationalen bzw. Binnenmarkt haben. 

b) Wettbewerbsverzerrende Subventionen in Drittstaaten

Subventionen in Drittstaaten fallen schon weniger klar in den Bereich der Wettbewerbspolitik, sondern können auch als Teil der (strategischen) Handelspolitik betrachtet und entsprechend in Handelsabkommen verortet werden. Andererseits kennt die europäische Wettbewerbspolitik als eines der ganz wenigen Wettbewerbsregimes in der Welt auch die Kontrolle staatlicher Beihilfen aus Gründen des Wettbewerbsschutzes (EU-Beihilfenkontrolle; siehe Schmidt & Schmidt 2006). In der EU stellt die Beihilfenkontrolle neben Kartellpolitik, Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle einen besonderen vierten Pfeiler der Wettbewerbspolitik dar. Insofern ist es aus EU-Perspektive durchaus logisch, auch Beihilfen durch Drittstaaten (Subventionen), welche den Wettbewerb verzerren, ins Visier zu nehmen. 

Zu den Problemen einer wettbewerbspolitischen Beihilfenkontrolle gegenüber Drittstaaten gehört der Zugriff auf die Politik dieser Drittstaaten, welche die verzerrenden Subventionen ja gewährt, oft basierend auf und im Einklang mit nationalem Recht und nationaler Souveränität. Zwar ist eine Durchsetzung über das Auswirkungsprinzip und über den Zugriff auf die inländischen Umsätze der wettbewerbswidrig subventionierten Drittstaaten-Unternehmen durchaus erfolgversprechend denkbar, jedoch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von diplomatischen, wettbewerbs- und handelspolitischen Konflikten mit diesen Drittstaaten massiv, wie nicht zuletzt die Kontroversen um die Subventionen von Boeing in den USA und Airbus in Europa beispielhaft zeigen (Fox 1998). Letzteres könnte dafürsprechen, dass eine Drittstaaten-Beihilfenkontrolle handelspolitisch flankiert erfolgen sollte, zumal die Legitimität einer wettbewerbspolitischen Beihilfenkontrolle – welche es in den allermeisten Drittstaaten gar nicht gibt – nicht universal anerkannt sein dürfte.

c) Wettbewerbsverzerrende Regulierungen in Drittstaaten

Eine diskriminierende Ausgestaltung und/oder Anwendung der nationalen Wettbewerbsregeln in Drittstaaten lässt sich kaum sinnvoll durch Reformen der europäischen oder deutschen Wettbewerbspolitik lösen. Hier besteht ein geeigneter Weg in der Tätigkeit des ICN, über welches durch die Prinzipien publizierter Best Practices und Peer Pressure im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden bereits einiges in diese Richtung erreicht worden ist (Budzinski 20152022). Wird dies für nicht ausreichend gehalten, so wäre eine neue Initiative für internationale Wettbewerbsregeln wünschenswert bzw. für ein kohärentes System der Wettbewerbspolitiken, welche die gemeinsame Wohlfahrt über die nationale Wohlfahrt stellt (siehe für einen Vorschlag Budzinski 20092018).

Die (Nicht-) Einhaltung sozialer und ökologischer Standards durch (drittstaatliche) Unternehmen im Ausland kann ein wettbewerbliches Problem darstellen, ist jedoch nicht oder zumindest nicht ausschließlich mit einer wettbewerblichen Regulierung zu erfassen. Klimaschutzziele, Schutz der Menschenrechte sowie Tier- und Umweltschutz sind gesamtgesellschaftliche Ziele, die mit Wettbewerbsrecht allein oder prioritär nicht umsetzbar sind (Schinkel & Tóth 2016,2020Schinkel & Spiegel 2017Martinez et al. 2019Schinkel & Treuren 2021). Vielmehr bedarf es dort, wo auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen und unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsstände dritter Staaten Handlungsbedarf besteht, direkter Regulierungen, welche beispielsweise über das Bestimmungslandprinzip auch Güter und Unternehmensaktivitäten aus Drittstaaten bindet. Soll zum Beispiel Massentierhaltung unterbunden werden, so bedarf es eines entsprechenden Verbotes; ein Zulassen von Wettbewerbsbeschränkungen zur freiwilligen Beseitigung der Massentierhaltung durch die Hersteller wird durch die Hintertür stärker deren Gewinninteressen als die echten Tierschutz- und Umweltprobleme lösen (Schinkel & Tóth 20162020Schinkel & Spiegel 2017Martinez et al. 2019Schinkel & Treuren 2021). Empirische Analysen von gemeinwohlorientierten Wettbewerbspolitikausnahmen zeigen, dass gewöhnlich die Gemeinwohlziele verfehlt werden und gleichzeitig die Wohlfahrt sinkt – sei es durch grüne Kartelle oder vermeintlich gemeinwohlorientierte Unternehmenszusammenschlüsse (Budzinski & Stöhr 2019a2019b20202021Stöhr & Budzinski 2019). Insgesamt ist hier große Skepsis angebracht, dass die Wettbewerbspolitik – von wenigen Ausnahmen abgesehen – der richtige Ort für die Erreichung dieser Politikziele ist. Dies gilt bereits innerhalb des Binnenmarktes – und erst recht gegenüber der Nicht-Einhaltung von Standards in Drittländern.

Obendrein ist zu unterscheiden, ob (i) eine Wettbewerbsverzerrung dadurch entsteht, dass einzelne Drittlandsunternehmen einen unfairen Wettbewerbsvorteil erhalten, weil sie bestimmte Standards unterlaufen können, oder ob (ii) die Verletzung bestimmter Standards unternehmensübergreifend durch (nahezu) alle Marktteilnehmer stattfindet. So dürfte wohl unbestritten sein, dass Kinderarbeit ein erhebliches Problem darstellt und bekämpft werden muss – und das vorrangig aus nicht-wettbewerblichen Gründen. Ist nun etwa Kinderarbeit innerhalb einer Branche/zur Produktion einer bestimmten Produktgruppe „üblich“, so verschafft sich das einzelne Unternehmen durch Verletzung des sozialen Standards keinen Wettbewerbsvorteil, denn „es machen ja alle so“. Zwar ließe sich konstruieren, dass ein beliebiges Unternehmen (aus der EU oder aus einem Drittstaat; das wäre hier kein Unterschied) jedoch droht, bei einer Umstellung seiner Lieferketten und Achtung des Standards einen Wettbewerbsnachteil zu erleiden (level playing field Problematik). Die ist jedoch, ob man sich zur Bekämpfung einer offensichtlichen gesellschaftlichen Problematik wie Kinderarbeit wirklich auf eine indirekte wettbewerbspolitische Argumentation stützen will. Unserer Ansicht nach würde dies dem Umfang und der Relevanz des Problems nicht gerecht. Hier dürften Instrumente der Handelspolitik in Kombination mit nationalen bzw. europäischen Regulierungen wie dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) oder dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu Richtlinien für die Corporate Sustainability Due Diligence (CSDD) besser geeignet sein, als die Wettbewerbspolitik bzw. das Wettbewerbsrecht. Davon unbenommen bleibt die Frage nach einer effektiven und effizienten Ausgestaltung solcher Regulierungen, die hier nicht diskutiert wird. 

4. Denkanstöße

Abschließend sollen einige Anregungen für mögliche Maßnahmen zur wettbewerblichen Regulierung der oben aufgeführten Fälle aufgezeigt werden. Hierbei wird deutlich, dass z.T. durchaus Spielraum hierfür besteht – auch über die bisher vom BMWK vorgesehene Adressierung von drittstaatlichen Subventionen hinaus. Gleichzeitig können Politikziele, wie der Schutz von Tieren und Umwelt nur schwerlich mittels Wettbewerbspolitik erfasst werden. 

a) Firmenankäufe durch Drittstaaten

Dieser Bereich wurde als Domäne der europäischen bzw. nationalen Wettbewerbspolitik identifiziert und sollte im Rahmen einer Reform/Erweiterung wettbewerbspolitischer Kompetenzen adressiert werden. Dazu ergeben sich eine Reihe von Möglichkeiten.

Als niedrigschwelliger Eingriff würde es sich anbieten, erstmal sicherzustellen, dass alle Übernahmen unter der Beteiligung von Drittstaaten bzw. drittstaatlicher Unternehmen auch im Rahmen der Fusionskontrolle geprüft werden. Eine grundsätzliche Anmeldepflicht für Übernahmen, an denen Drittstaaten durch Staatsunternehmen oder -fonds direkt beteiligt sind – unabhängig von etwaigen Aufgreifschwellen – würde dieses Ziel erreichen. Auch könnten durch eine angepasste Berechnung der Umsatzerlöse die umsatzbezogenen Schwellenwerte, ähnlich den Regelungen für die Pressefusionskontrolle nach § 38 Abs. 3 GWB, nach unten angepasst werden, um auch Aufkäufe mittlerer (Technologie-) Unternehmen in die Prüfung durch die Zusammenschlusskontrolle zu bekommen. 

Um wettbewerbskritische Staatsaufkäufe auch besser unterbinden zu können, könnte dies um eine gezielte Erweiterung der Prüfkriterien während der In-depth-Prüfung einer entsprechenden Fusion mit drittstaatlicher Beteiligung bzw. eine Anpassung der bestehenden Kriterien ergänzt werden. So könnten direkte und indirekte staatliche Beteiligungen am Aufkäufer als marktmachtverstärkend gewertet oder die „Marktanteile“, die der Drittstaat bereits auf dem betreffenden nationalen bzw. Binnenmarkt industrieübergreifend innehat, zur Entscheidung herangezogen werden. Ebenfalls denkbar wären Anreize zum Technologietransfer als Kriterium mitzuprüfen. Natürlich hängt hier die Qualität solcher Regelungen sensitiv von der genauen Ausgestaltung ab. Hierzu besteht Forschungsbedarf!

Als radikalste Maßnahme könnte grundsätzlich vor dem Hintergrund einer Verhinderung von Verstaatlichung von Unternehmen durch dritte Regierungen auch über ein Verbot entsprechender Übernahmen nachgedacht werden, ggf. mit einem Ausnahmetatbestand für Kleinstübernahmen. Dies ließe sich auch mit einer Entbündelungsklausel für bereits vollzogene Firmenübernahmen durch Drittstaaten verbinden. Zu berücksichtigen wären bei der Abwägung jedoch etwa auch potenzielle Abschreckungswirkungen für erwünschte weil wohlfahrtssteigernde Fusionen sowie dadurch entstehende Behinderungen von Innovation sowie ein ansteigendes Konfliktpotenzial mit Drittstaaten bei den radikaleren Maßnahmen. Die hier genannten Punkte sollen jedenfalls nur als Anregungen für konkrete Maßnahmenvorschläge der Forschung und des Regulierers dienen und können hier nicht im Detail diskutiert werden. 

Abschließend anzumerken ist, dass die Problematik der drittstaatlichen Übernahmen aktuell auch mit der derzeit im Trilog befindlichen Verordnung zur Regulierung von drittstaatlichen Subventionen angegangen werden soll, wobei eines der drei geplanten Tools explizit die Untersuchung von Fusionen (mit entsprechenden Umsatz- sowie Subventionsschwellenwerten) ermöglichen soll, welche von der Subvention eines Drittstaates profitiert haben. Hiermit wird zwar erneut nicht der konkrete Fall von Übernahmen durch drittstaatliche Staatsunternehmen angegangen, jedoch adressiert dieser Vorschlag den Einfluss drittstaatlicher Regierungen auf Fusionen deutlicher, als es bisher beispielsweise in der deutschen Wettbewerbsordnung der Fall ist. 

b) Wettbewerbsverzerrende Subventionen in Drittstaaten

Abgesehen vom „großen Wurf“ einer Drittstaatenbeihilfenkontrolle, die auf verschiedenen Ebenen (über-) ambitioniert und problematisch ist (siehe 3 (b)), ist hier eine Abstimmung von Handels- und Wettbewerbspolitik wesentlich, wobei der Wettbewerbspolitik eher kleinere und flankierende Maßnahmen zukommen. 

Denkbar wären u.a. die Berücksichtigung drittstaatlicher Subventionen bei der Fusionskontrolle – wie es etwa der bereits angesprochene Verordnungsvorschlag der Kommission vorsieht –  sowie in der Missbrauchsaufsicht als verschärfendes Kriterium. Die beiden weiteren Tools, welche von der Europäischen Kommission für die Untersuchung wettbewerblich potenziell problematischer Subventionen aus Drittstaaten genutzt werden sollen, beziehen sich zum einen auf die durch Subventionen entstehenden Verzerrungen in öffentlichen Ausschreibungen (wenn der öffentliche Auftrag einen Wert von 250 Mio. Euro übersteigt). Zum anderen sollen weitere, nicht näher spezifizierte Marktsituation sowie kleinere Fusionen und öffentliche Ausschreibungen (ohne Schwellenwerte) adressiert werden können. Dies verdeutlicht zum einen, dass drittstaatliche Subventionen als Auslöser potenzieller Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt erkannt wurden und zum anderen mittels wettbewerblicher Regulierung angegangen werden (können), wobei das Primat hier weiterhin bei der Handelspolitik liegen sollte. Auf eine genauere Analyse der Möglichkeiten muss hier erneut verzichtet werden.  

c) Wettbewerbsverzerrende Regulierungen in Drittstaaten

Die Diskussion in Abschnitt 3 (c) hat bereits verdeutlicht, dass die europäische und nationale Wettbewerbspolitik hier nicht der bevorzugte Adressat ist. Wünschenswert wäre stattdessen die weitere Förderung von Bemühungen um eine Internationalisierung der Wettbewerbspolitik (etwa über die ICN oder etwaige weitergehende Vorschläge). 

Gleichfalls sollten sich die Regulierer bzgl. der wettbewerblichen Regulierung etwaiger Verletzungen von sozialen oder ökologischen Standards zurückhalten, da nicht davon auszugehen ist, dass die Einhaltung entsprechender Standards mittels Wettbewerbspolitik zu erfassen ist. 

Prof. Dr. Oliver Budzinski ist Direktor des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Technischen Universität Ilmenau.

Annika Stöhr ist Referentin für Industriepolitik beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie assoziierte Wissenschaftlerin am Fachgebiet Wirtschaftstheorie der TU Ilmenau. Die hier geäußerten Ansichten sind die der Autorin und dürfen nicht als offizieller Standpunkt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz angesehen werden.

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