AGENDA 2025: Roadmap to Sustainability

AGENDA 2025: Roadmap to Sustainability

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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Die Wettbewerbspolitische Agenda des BMWK beschreibt Nachhaltigkeit als eine der wesentlichen aktuellen Herausforderungen und möchte einen pro-aktiven wettbewerbsrechtlichen Rahmen schaffen. Eine erste Roadmap entwirft Elena Wiese.

Unternehmen jeglicher Größe benötigen klare und handhabbare gesetzliche Regelungen, um ihre Entscheider von der Kartellrechtskonformität eines Vorhabens zu überzeugen. Dies gilt umso mehr im kooperativen Kartellrecht, denn schließlich hat es aufgrund des bestehenden erheblichen Sanktionsrisikos bisher Unternehmen (meistens) davon abgehalten, mit ihren Wettbewerbern in Kontakt zu treten. Kooperationen werden häufig nur unter engster Abstimmung mit der Rechtsabteilung, externen Anwälten und möglicherweise den Behörden gewagt. Nun aber, angesichts der Klima-Katastrophe, ist Kooperation unter Wettbewerbern (auch politisch) gewollt – jedenfalls soweit dies insbesondere zu nachhaltigeren Produkten, Umweltschutz und einer ressourcenschonenderen Wirtschaft führt. Für Unternehmen wie Rechtsberater stellt sich aber die Frage: Wo beginnt das Kartell und wo endet die erwünschte Kooperation? Was ist kartellrechtskonforme gemeinsame Innovation und wo wird der Wettbewerb um Innovation verhindert?

Das BMWK wagt sich in seinem Papier an die Quadratur des Kreises, da es Unternehmen einerseits einen klaren Rechtsrahmen für Nachhaltigkeitskooperationen vorgeben, andererseits aber ein Greenwashing von Kartellen oder andere Formen verkappter Wettbewerbsbeschränkungen verhindern möchte. Tatsächlich wird dieser Zielkonflikt nicht ohne Abstriche aufzulösen sein. Das BMWK wird entweder klare, zur pro-aktiven Rechtsanwendung einladende Regelungen schaffen können – auf die Gefahr hin, dass auch einzelne „Greenwasher“ hiervon profitieren. Oder aber es wird auf einen solchen Erkenntnis- und Rechtssicherheitsgewinn verzichten müssen – mit der Folge, dass grün-gewillten Unternehmen das Risiko einer horizontalen Nachhaltigkeitskooperation zu hoch sein kann. Bisher hinterlässt die Legislative eher einen abwartenden Eindruck. Dabei rief uns Greta Thunberg doch schon vor Jahren zu: „I want you to panic!“.

1. Wohin führt der Weg?

Panik ist natürlich keine gute Entscheidungshilfe, doch dass die Zeit drängt, dürfte unstreitig sein. Wohin also laufen? Es ist recht wahrscheinlich, dass der deutsche Gesetzgeber sich insbesondere an bereits erfolgten Verlautbarungen aus Brüssel orientieren wird. Ein Blick auf das, was hierzulande kommen könnte, sollte daher den Entwurf der neuen Horizontal-Leitlinien der Kommission einschließen. 

Die Kommission vertritt in ihrem Entwurf einen weiten Nachhaltigkeitsbegriff, der u.a. die Bekämpfung des Klimawandels, die Vermeidung von Umweltverschmutzung, die Begrenzung der Nutzung natürlicher Ressourcen, die Achtung der Menschenrechte, die Förderung von Innovation, die Gewährleistung von Tierschutz und vieles mehr umfasst. Wer sich schlicht an staatliche Vorgaben in diesen Bereichen hält, genießt keine weiteren kartellrechtlichen Vorteile. Auch das BMWK stellt bereits in der Agenda klar, dass eine Privilegierung nur greifen kann, „wo Unternehmen über die staatlichen Vorgaben hinaus gemeinsam Nachhaltigkeitsziele oder menschenrechtliche Standards erreichen wollen“.

Doch was meint das BMWK eigentlich mit dieser „Privilegierung“? Der Begriff spielt häufig auf § 2 GWB an. Die Einzelfreistellung ist aber nicht die Lösung aller Probleme. Für die schnelle grüne Transformation benötigen Unternehmen mehr als die Bürde, Effizienzen und quantitative Vorteile bei gewissen Verbrauchergruppen im Einzelfall mit langen Gutachten und wenig Rechtssicherheit im Wege der „Selbstveranlagung“ zu prüfen – und im Zweifel mit den Behörden auszudiskutieren. Angesichts der Klimakrise wird es vielmehr der Feststellung bedürfen, dass einige Nachhaltigkeitskooperationen schon per se nicht wettbewerbsbeschränkend sind. Unternehmen müssen schnell (und im besten Fall rechtssicher selbst) beurteilen können, dass eine angestrebte Nachhaltigkeitskooperation sich in den Grenzen des Erlaubten hält und schon nicht unter das Kartellverbot fällt. Das sollte insbesondere für FuE-Vereinbarungen oder gemeinsame Produktionsabkommen einzelner Wettbewerber gelten, wie sie durch die speziellen GVO-en geregelt sind. Gleiches sollte aber auch für Nachhaltigkeitsstandards gelten, die lediglich Mindestanforderungen aufstellen und den Beteiligten im Übrigen freistellen, welche technologischen Mittel sie zu deren Umsetzung einsetzen und inwieweit sie daneben noch Raum für andere (auch weniger klimafreundlich hergestellte) Produkte in ihrem Angebot lassen wollen. Unternehmen, die sich in solchen Standards engagieren wollen, sollten klar und eindeutig ermutigt werden und nicht durch momentan (noch?) angebrachte Bedenken ihrer Rechtsabteilung oder anwaltlichen Berater ausgebremst werden. Nichts anderes kann für den flankierenden Informationsaustausch gelten, zumindest soweit er für die konkrete Nachhaltigkeitskooperation notwendig ist.

2. Transform me!

Dies freilich sind noch recht klar zu beurteilende (Einzel-)Fälle. In der Praxis sind es aber andere Szenarien, die Unternehmen und ihren Anwälten die Grenzen der Rechtsberatung nachhaltig verdeutlichen. Es sind Transformationsprozesse ganzer Industrien, bei denen legislative Hilfe notwendig ist. Wenn alle Unternehmen einer Branche kooperieren, wenn Marktanteilsschwellen der Freistellungsverordnungen in weiter Ferne hinter uns liegen, wenn echte Industrierevolutionen anstehen – dann sind klare Regelungen besonders notwendig. Es sind doch gerade diese Industrierevolutionen, die große Fortschritte mit sich bringen. Dabei aber stellen sich zahlreiche Fragen: Wie verhält sich z.B. der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, wenn dies der Schaffung nachhaltiger Vorhaben dient? Gilt dann noch die deutsche „5-er Regel“? Welche Anforderungen werden an die strategische Ungewissheit im Bereich Nachhaltigkeit gestellt? Was soll gelten, wenn gemeinsam konventionelle Produkte vom Markt genommen werden? Wie sollen Branchen rechtssicher zur grünen Transformation übergehen, wenn diese mit erheblichen Investitionen verbunden ist, wenn Importdruck seitens nicht-nachhaltiger Unternehmen besteht oder wenn ein öffentlicher Auftraggeber sich nicht zur Abnahme umweltfreundlich hergestellter Produkte verpflichtet? Und was passiert, wenn die Kooperation das Thema Preis berührt? 

Die Kommission signalisiert, dass sie insgesamt einem eher strengen Pfad treu bleiben will. Soweit Unternehmen gemeinsam darüber nachdenken, wie sie die aus der Einführung etwa eines Nachhaltigkeitsstandards resultierenden höheren Kosten in höhere Verkaufspreise umwandeln können, soll dies nach dem Entwurf der neuen Leitlinien eine bezwecke Wettbewerbsbeschränkung bleiben. Die Kommission stellt zudem klar, dass es als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung begriffen wird, wenn Unternehmen lediglich als Folge der Kooperation ihre Preise für das neue, nachhaltige Produkt erheblich erhöhen. Gleiches soll für den Fall gelten, dass der Nachhaltigkeitsstandard zu einer erheblichen Einschränkung der Auswahl an auf dem Markt erhältlichen Produkten führt. In der Praxis werden diese Folgen aber häufig sein: Unternehmen werden Investitionen in nachhaltige Produkte nur tätigen, wenn die Rendite stimmt – wie sonst sollen Aktionäre und andere Entscheidungsträger von dem Schritt überzeugt werden? Soweit keine Subventionen, Carbon Contracts for Difference oder gesicherte Nachfrage durch einen öffentlichen Auftraggeber die Investitionen auffangen, werden Preiserhöhungen häufig ebenso unumgänglich sein wie eine den Absatz der nachhaltigen Produkte erhöhende Verfügbarkeitseinschränkung anderer, weniger nachhaltiger Produkte.

Angesicht des Entwurfs der neuen Leitlinien der Kommission steht somit zu befürchten, dass jede die Parameter Preis, Menge, Qualität, Auswahl oder Innovation beeinträchtigende Nachhaltigkeitsvereinbarung weiterhin den Voraussetzungen der Einzelfreistellung gerecht werden muss. Die Einzelfreistellung klingt in der Theorie schön – in der Praxis ist sie es nicht. Sie ist mit Rechtsunsicherheit verbunden, mit Gutachten, mit Zeitverlust, mit dem Nachdenken über behördliche Konsultationen und deren Reichweite. All dies bedeutet einen Aufwand, an dessen Anfang (oder Ende) die Entscheidung stehen kann, dass die einzugehenden Risiken das nachhaltige Investment nicht wert sind. Es ist daher wenig überraschend, dass auch Thorsten Käseberg, Leiter des Referats „Wettbewerbs- und Verbraucherpolitik“ im BMWK, den Entwurf der Leitlinien wohl als wenig hilfreich“ empfindet. 

Dabei hat das BKartA unlängst gezeigt, dass es schon auf Basis des geltenden Rechts auch anders gehen kann. Es toleriert für mehr Tierwohl in der Milcherzeugung, dass ein mehr oder weniger fixer Preisbestandteil für nachhaltigere Milch (preiserhöhend) durch die Wertschöpfungskette gereicht wird. Die gezeigte Toleranz lag wohl in mehreren Facetten des Einzelfalls begründet, namentlich der Spannbreite des Preisfaktors, den fixen Qualitätskriterien, der Abdeckung lediglich eines Teils des Marktes, der freiwilligen Teilnahme und der Nähe der Vereinbarung zum neuen Artikel 210a GMO, der im landwirtschaftlichen Bereich eine explizite Kartellverbotsausnahme für Nachhaltigkeitsvereinbarungen enthält. Denn in Abgrenzung dazu hat das BKartA Vorhaben wie dem „Agrardialog Milch“, der keinen höheren Nachhaltigkeitsstandard als den gesetzlich vorgesehenen bot, eine deutliche Absage erteilt. Zurecht stellte das BKartA fest, dass Kooperationen der Nachhaltigkeit auch wirklich dienen müssen. Sie dürfen „nicht nur darauf abzielen, die Marge des einen oder anderen Unternehmens zu erhöhen“.

3. Wer verbraucht eigentlich Umweltschäden?

Doch klar ist: Die Möglichkeit einer Behördenkonsultation oder gar einer „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ nach § 32c GWB wird nicht genügen, um Unternehmen die Rechtsicherheit zu geben, die insbesondere für die großen Industrietransformationen notwendig ist. Auch wird es nicht ausreichen, Unternehmen auf den geltenden § 2 GWB zu verweisen, um ihnen das momentan bestehende erhebliche Bewertungsrisiko einer pro-aktiven, klimafreundlichen horizontalen Kooperation abzunehmen. Vielmehr wird der Gesetzgeber – möglicherweise im Geiste des erwähnten Artikel 210a GMO – erheblich nachjustieren müssen. Hierbei muss Nachhaltigkeit zwingend zum gesetzlich anerkannten (gesamt-) wirtschaftlichen Vorteil werden. Der wesentliche Streitpunkt dabei wird sein, inwieweit out-of-market efficencies anerkannt werden. 

In ihrem Entwurf der Leitlinien führt die Kommission aus: „Consumers receive a fair share of the benefits when the benefits deriving from the agreement outweigh the harm caused by the same agreement, so that the overall effect on consumers in the relevant market is at least neutral.” Die Kommission bleibt daher ihrer Position treu, dass out-of-market efficiencies, also Effizienzvorteile, die außerhalb des von der (wettbewerbsbeschränkenden) Kooperation betroffenen oder eines verbundenen Marktes auftreten, nicht berücksichtigt werden – für die Freistellung also irrelevant sind. Sollte nicht aber jedes Handeln, das die Klimakrise noch abmildern könnte, spätestens im Rahmen der Freistellung honoriert werden? Mit jedem Erwerb eines nachhaltigen Produkts hat ein Verbraucher nicht nur eine Entscheidung zugunsten des konkreten Produkts getroffen, er hat auch eine altruistische Entscheidung zugunsten aller Verbraucher getroffen und auch zugunsten derer, deren Nachfrage gerade das Problem schafft.

Das BMWK könnte sich aber auch solche Gesetzgeber und Behörden zum Vorbild nehmen, die anerkennen, dass das nachhaltigere (und nicht unbedingt qualitativ hochwertigere) Produkt nicht nur den Verbrauchern im relevanten Markt zugutekommt, sondern letztlich allen. Beispiel Österreich: Mit dem KaWeRÄG 2021 hat Österreich u. a. eine Regelung zur Ausnahme vom Kartellverbot für unternehmerische Kooperationen zum Zweck einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft gesetzlich verankert. Der Gesetzgeber hat die neue Freistellung in den Artikel 101 Abs. 3 AEUV nachgebildeten Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 KartG eingefügt. Dabei wird für die Kriterien der Frage des Effizienzgewinns und der angemessenen Verbraucherbeteiligung angeordnet, dass diese auch dann als erfüllt anzusehen sind, wenn der Vorteil „zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich beiträgt“. Verbraucher sind daher auch dann angemessen beteiligt, wenn die Wettbewerbsbeschränkung für die Klimaziele insgesamt vorteilhaft ist – und damit nicht unbedingt für den einzelnen Verbraucher im konkret von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Markt. Österreich hat damit eine Wende hin zur Anerkennung gesamtgesellschaftlicher Effizienzen vollbracht, bei der die Gretchenfrage „Is it in or out of the market?“ keine Rolle mehr spielt. Es ist eben die Allgemeinheit, die von der Förderung der Klimaziele profitiert. 

4. Fair, fairer, fair share

Die Kommission stellt in ihrem Leitlinien-Entwurf zudem klar, dass die Gesamtauswirkung einer Vereinbarung auf den Verbraucher im relevanten oder verbundenen Markt zumindest neutral sein muss. Mit anderen Worten, und wie von der Wettbewerbskommissarin Vestager bereits bei der IBA Konferenz im September 2021 angekündigt: „That’s why we think that these agreements should only be legal if the consumers of the product get a fair share of the benefits they produce – a share that outweighs the extra price that they pay.” 

Das Problem: Jeder von uns ist (auch) Verbraucher. Und keiner (wirklich keiner) findet Preiserhöhungen bejubelnswert. Ob und welchen fair share of the benefits es durch die Kooperation gibt, ist den unmittelbar von Preiserhöhungen betroffenen Verbrauchern oft ziemlich egal; sie sind allenfalls selten bereit, Preiserhöhungen in Kauf zu nehmen – selbst wenn diese notwendig zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele sind. Nach Ansicht der Kommission sollen aber die kooperierenden Unternehmen im Rahmen ihrer Beweislast im Zweifel mittels Kundenbefragungen nachweisen müssen, dass die Verbraucher tatsächlich bereit sind, höhere Preise für die aus der Vereinbarung hervorgehenden nachhaltigeren Produkte zu bezahlen. Das erscheint angesichts des zu lösenden Problems falsch: Die Weigerung einer begrenzten Kundengruppe, einen (möglicherweise deutlich) höheren Preis für das nachhaltige Produkt zu zahlen, kann nicht Maßstab für die Machbarkeit von Lösungen zur Abwendung der Klimakrise sein. Es kommt hinzu, dass der „Preis“ ein variables Konzept ist, bei dem es bisher gerade dort, wo mehr Nachhaltigkeit besonders dringlich wäre, allzu oft einen free lunch für die Nachfrager gibt. Denn der Preis für das konventionelle Kotelett spiegelt gerade nicht auch die gesellschaftlichen Kosten der mit der Herstellung einhergehenden Emissionen wider; er reflektiert nicht die Belastung für Ressourcen, Umwelt und Gesellschaft – und ist deshalb zu niedrig. Der real economic price ist ein anderer als der, den wir an der Supermarktkasse zahlen.

Die niederländische ACM betont dies schon lang: negative Externalitäten müssen berücksichtigt werden. Für die ACM ein Grund mehr, wiederholend – und zuletzt in ihrer Stellungnahme zu den Entwürfen der Horizontal-Leitlinien – zu betonen, dass zur Wahrung der Freistellungsfähigkeit lediglich ein fair share der höheren Verkaufspreise kompensiert werden müsse: „Consumers within the relevant market need only enjoy an appreciable objective advantage under Article 101 (3) TFEU. They need not be compensated in full. Hence, collective benefits that accrue to parties that are not (also) consumers within the relevant market can count towards the fair share for consumers.”

Ihre eigenen progressiven Ansprüche hat die ACM übrigens unlängst noch einmal unterstrichen, als sie einer Kooperation mehrerer niederländischer Energieversorger ihren Segen gab, bei der ein einheitlicher CO2-Preis in den Berechnungsmodellen für Investitionen in Stromnetze durch die Netzbetreiber festgelegt wurde. Diese Berechnungsmodelle haben mittelbar auch Auswirkungen auf Tarife, die die Stromkunden bezahlen. Dennoch kam die ACM zum Schluss, dass selbst bei einem höheren CO2-Preis die Nachhaltigkeitsvorteile die möglichen Kosten für die Nutzer überwiegen: Alle Verbraucher profitieren, da die CO2-Emissionen sinken. Das Projekt war so kartellrechtlich flugfähig.

5. Wenn die Sternstunde des Gesetzgebers schlägt

Es liegt nun an unserem Gesetzgeber, zielorientiert, pro-aktiv und langfristig – mit anderen Worten: nachhaltig – zu agieren. Das soll nicht heißen, dass Leitlinien der Behörden und Abstimmungen mit den Behörden nicht funktionieren würden: Die Wettbewerbsbehörden sind ein verständiger Ansprechpartner für Konsultationen und extrem bemüht, das geltende Recht für die Duldung von ESG-Kooperationen zu nutzen. Die Anzahl der hierzu vor allem in jüngerer Vergangenheit veröffentlichten Fallberichte insbesondere des BKartA unterstreicht dies nachdrücklich. Das BKartA betont darüber hinaus den Willen, Guidance auch für andere Kooperationsvorhaben zu geben. 

Doch wie bereits erwähnt: Konsultationen allein sind keine Lösung für die notwendige grüne Transformation. Sie können zwar ein ergänzendes Instrument für Grenzfälle oder risikoaverse Unternehmen sein, sollten jedoch nicht zur die Untätigkeit des Gesetzgebers legitimierenden comfort zone werden. Denn sowohl Behörden wie auch anwaltliche Berater können sich auch im Rahmen des für die Bewältigung der Klimakrise Notwendigen stets nur in den Grenzen des geltenden Rechts bewegen. Darüber hinaus verfolgt das Kartellrecht noch immer das Prinzip der Selbstveranlagung, das Unternehmen und Rechtsberater in diesem herausfordernden Bereich wiederkehrend vor zeit-, kosten- und frustrationsintensive Fragen stellt. Vor allem aber kann die zu leistende Güterabwägung nicht allein den Behörden aufgebürdet werden. Es ist originäre Aufgabe des Gesetzgebers, unserer gewählten Volksvertreter, die Ziele „freier Wettbewerb“ und „Erhalt unseres Planeten“ in Einklang zu bringen. Es ist Zeit für eine Akzentuierung des Letzteren – auch im Rahmen des Kartellrechts. Das erfordert nun einen mutigen Schritt nach vorn. Ohne ihn läuft das Kartellrecht Gefahr, zum Bremsklotz für Nachhaltigkeit zu werden. Um es mit der Chefin der finnischen Kartellbehörde, Kirsi Leivo, zu sagen: „When we are on the verge of catastrophe, we should not be sticking to old principles of competition law but be more creative in interpreting the treaty”. 

Der deutsche Gesetzgeber sollte daher versuchen, sich nicht zu sehr vom Risiko des Greenwashing einzelner rückständiger Unternehmen leiten zu lassen. Er sollte vielmehr solchen Unternehmen einen Vertrauensvorschuss gewähren, die nicht mehr hemmungslos auf Kosten der Allgemeinheit produzieren wollen. Die grünen, nicht die schwarzen Schafe, sollten nunmehr handlungsleitend sein. Oder wie Thomas Friedman es zusammenfasste: “Pessimists are usually right and optimists are usually wrong – but all the great changes have been accomplished by optimists.”

Dr. Elena Wiese ist Rechtsanwältin und Counsel bei Hogan Lovells in Düsseldorf.

Ein Gedanke zu „AGENDA 2025: Roadmap to Sustainability

  1. Vielen Dank für den schönen Artikel! Für mich ist die große Frage (welche über das Thema dieses Artikels hinausgreift), ob am Ende des Tages die Beschränkung des Kartellrechts und wettbewerbsbeschränkende Kooperationen oder die Internalisierung von Klimaschäden bei den Wettbewerbern und daraus entstehender Wettbewerbsdruck zu besseren Lösungen für den Klimaschutz führen.

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