AGENDA 2025: Neue Missbrauchsaufsicht im Lebensmittelsektor

AGENDA 2025: Neue Missbrauchsaufsicht im Lebensmittelsektor

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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In der AGENDA 2025 hat das BMWK angekündigt, die Missbrauchsaufsicht im Lebensmittelsektor ausweiten zu wollen. Katrin Gaßner wirft einen Blick auf die damit zu erwartenden Herausforderungen.

I.

Das BMWK hat in seiner wettbewerbspolitischen Agenda 2025 sein Augenmerk auch in Richtung bestehender Oligopole speziell im Lebensmittelmarkt gerichtet und – wenig überraschend – festgestellt, dass diese den „fairen Wettbewerb mit fairen Preisen“ einschränken können. Angekündigt wurde, dass die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt insbesondere im Lebensmittelhandel gestärkt werden solle und gegen unfaire Handelspraktiken weiter vorgegangen werden solle.

Im kürzlich bekannt gewordenen, am 6. April von der Bundesregierung beschlossenen sog. „Osterpaket“ des BMWK findet sich allerdings (noch) nichts zum Lebensmittelsektor. Der Gesetzesentwurf beschränkt sich, wie allgemein erwartet, erst einmal auf den Energiesektor. In diesem Bereich wurden diverse Maßnahmen für eine verschärfte Missbrauchsaufsicht ergriffen. Im Wesentlichen enthält der Entwurf eine verschärfte Preismissbrauchsaufsicht über die Energiewirtschaft und die Ausdehnung auf die Fernwärme. Der entsprechende Gesetzesentwurf sieht dafür umfangreiche Erweiterungen der Ermittlungsbefugnisse des BKartA vor. Treiber dieser Initiative sind offenkundig auch die aktuell sehr stark gestiegenen Energiepreise.

Auch im Lebensmitteleinzelhandel steigen die Preise derzeit erheblich. Der Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE) Josef Sanktjohanser hat beispielsweise in der Neuen Osnabrücker Zeitung Anfang April Preiserhöhungen in Höhe von ca. 5% im Lebensmittelhandel angekündigt und zahlreiche große Handelsketten haben dies auch schon tatsächlich umgesetzt. In den diversen Verbänden wird aktuell heftig dazu diskutiert, wie mit der Welle der Preissteigerungen in allen Bereichen – v.a. bzgl. Rohstoffen, Energie und Logistik – umzugehen ist. Hier muss sehr darauf geachtet werden, nicht über die Grenzen des kartellrechtlich Zulässigen hinauszuschießen.

Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich der Blick des BMWK ankündigungsgemäß nun auch auf den Lebensmittelsektor richten wird. Vor allem aber wird das Bundeskartellamt diese Aktivitäten mit Interesse verfolgen und zwar möglicherweise nicht nur mit Blick auf die alten oder etwaige neue kartellrechtliche Missbrauchsregelungen, sondern wohl auch unter dem Blickwinkel des § 1 GWB.

II. 

Das Bundeskartellamt befasste sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Sektor, in letzter Zeit vor allem auch vor dem Hintergrund verschiedener Kooperationen unter Wettbewerbern. So hat das Amt jüngst einer Kooperation kleiner Brauereien für die gemeinschaftliche Verhandlung von Einkaufsbedingungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel grünes Licht gegeben. Vor einigen Monaten hatte sich das Amt mit Nachhaltigkeitsinitiativen im Bananensektor (insbesondere einer freiwilligen Selbstverpflichtung des Lebensmitteleinzelhandels zu gemeinsamen Lohnstandards) und der Initiative Tierwohl (Kennzeichnung von Lebensmitteln nach Tierwohlkriterien und entsprechende Finanzierungsmodelle) befasst.

Älter, aber immer noch relevant, sind die Befunde des Bundeskartellamtes aus der 2014 abgeschlossenen Sektoruntersuchung zum Lebensmitteleinzelhandel oder die „Anzapfverbot“-Entscheidung des Amtes gegen EDEKA aus dem gleichen Jahr, in der festgestellt wurde, dass es Einzelhändlern verboten ist, von ihren Lieferanten Vorteile ohne sachlich gerechtfertigten Grund zu fordern. In seiner anschließenden Stellungnahme erklärte Präsident Mundt damals, dass es Situationen gäbe, in denen „ein Lebensmitteleinzelhändler – wie hier die EDEKA – auf den Beschaffungsmärkten eine so starke Machtstellung hat, dass Lieferanten von ihm abhängig sind“. Daher dürften Einzelhändler ihre Lieferanten nicht zu sachlich ungerechtfertigten Vorteilsgewährungen veranlassen und ebenso wenig dürfe die Grenze zwischen wettbewerbsrechtlich zulässigen „harten Verhandlungen“ und unzulässigen Praktiken mächtiger Einzelhandelsunternehmen überschritten werden. 

Relevant sind schließlich auch die diversen Fusionskontrollverfahren (zuletzt im Hinblick auf diverse REAL-Standorte). Auch hier hatte das BKartA immer wieder und eigentlich auch hinreichend Gelegenheit, die Marktbedingungen zu analysieren und zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

III.

Lenkt man den Blick wieder zurück auf die wettbewerbspolitische Agenda des BMWK, drängt sich zügig der Gedanke auf, dass der Lebensmitteleinzelhandel jedenfalls hinsichtlich der Marktstruktur einige Ähnlichkeiten mit dem Tankstellenmarkt aufweist und in den hat das BKartA – nicht zuletzt über die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe – verschiedentlich steuernd eingegriffen. Im Lebensmitteleinzelhandel entfallen auf die vier großen Handelsunternehmen ca. 85% des Marktes, strukturell handelt es sich also ebenfalls um ein aus Wettbewerbssicht kritisches Oligopol.

Bisher ist noch kein konkreter Gesetzesentwurf, der den Lebensmittelhandel betrifft, bekannt oder veröffentlicht. Es stellt sich daher die Frage, wie nun diese verschärfte Missbrauchsaufsicht aussehen könnte. Die Einrichtung einer Markttransparenzstelle dürfte wohl kaum in Betracht kommen, auch wenn die Vorstellung, man könnte auf der Website des Amtes alsbald nachschauen, wo die Butter gerade besonders günstig ist, irgendwie interessant wäre. Verbraucherpreise schienen jedenfalls bislang auch gar nicht das eigentliche Problem in diesen Märkten zu sein, denn diesbezüglich funktionierte der Wettbewerb in Deutschland immer gut, manchmal sogar zu gut, wenn man sich an die „Billigfleisch“-Debatte zurückerinnern mag. Ob dies angesichts der jüngsten – ganz erheblichen – industrieweiten Preissteigerungen immer noch so ist, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass Lebensmittelpreise auch in Deutschland seit Monaten erheblich steigen. Das war auch schon vor dem Krieg in der Ukraine so, wird durch diesen aber noch deutlich rasanter. 

Die „unfairen Handelspraktiken“, auf die das BMWK in der Agenda anspielt und gegen die offenbar vorgegangen werden soll, betreffen zweifelsohne primär das Verhältnis zwischen Händlern und Lieferanten. Hier gab es in den letzten Jahren immer wieder mal Verfahren – teils als gesonderte Missbrauchsverfahren, teils im Rahmen (komplexer) Fusionskontrollverfahren. 

Mit der Einrichtung der neuen Schwerpunktabteilung für den Bereich E-Commerce in der 2. Beschlussabteilung des Amtes wanderte die Zuständigkeit für den Lebensmitteleinzelhandel kürzlich von der 2. zur 1. Beschlussabteilung unter dem Vorsitzenden Markus Wagemann. Es bleibt abzuwarten, wie es unter der neuen Ägide weitergeht und welche Schwerpunkte die 1. Beschlussabteilung hier zukünftig setzen wird.

IV.

Es stellt sich nun aber die Frage, ob es neue gesetzliche Regelungen in diesem Sektor überhaupt braucht. Der bestehende Rechtsrahmen erlaubt es ohne Weiteres, gegen „unfaire Handelspraktiken“ vorzugehen, wenn das BKartA einen Bedarf dafür sieht, Prioritäten entsprechend setzt und solche Verfahren aufgreift. Gelegenheiten dürfte es geben, entsprechende Beschwerden gibt es immer wieder mal. Besonders im Fokus scheinen sie in den letzten Jahren allerdings nicht gestanden zu haben. Anders als im Energiebereich drängt sich im Lebensmittelhandel auch nicht auf, dass nur mit ordnungspolitischen Maßnahmen eine Transformation des gesamten Sektors herbeizuführen wäre, ja, am Ende ist auch nicht klar, ob eine solche Transformation des ganzen Sektors überhaupt erforderlich ist. 

An der Marktstruktur wird sich nichts mehr ändern lassen, allerdings kann und wird in weiteren Fusionskontrollverfahren sehr genau darauf geachtet werden, die ohnehin schon extrem marktstarken Lebensmitteleinzelhandelskonzerne nicht noch weiter zu stärken. Soweit es die Ausübung von Marktmacht – auch in Form ungebührlichen oder gar missbräuchlichen Drucks auf Lieferanten – betrifft, hat das GWB in seinen §§ 19 ff. alles, was es braucht, um Missbrauch zu unterbinden. Und jedwede Initiative zu mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelsektor und fairen Wettbewerbsbedingungen ohne missbräuchliche Verhaltensweisen kann – so richtig und wünschenswert sie sein mag – am Ende auch zu (noch) höheren Verbraucherpreisen führen. Ob also die Bundesregierung ihren Ankündigungen zeitnah Taten folgen lassen wird, darf also eher bezweifelt werden.

Dr. Katrin Gaßner ist Rechtsanwältin und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf.

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