AGENDA 2025: Das Ministererlaubnisverfahren: „Wichtiges Element“ im „Zentrum der Wirtschaftspolitik“

AGENDA 2025: Das Ministererlaubnisverfahren: „Wichtiges Element“ im „Zentrum der Wirtschaftspolitik“

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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Das Ministererlaubnisverfahren ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen und Reformen. Das BMWK möchte auch dieses Thema angehen. Hans Jürgen Meyer-Lindemann sieht dabei einige Fallstricke.

Die kürzlich vorgelegte Wettbewerbspolitische Agenda des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) bis 2025drückt es klar aus: Im Mittelpunkt des wirtschaftspolitischen Interesses soll die Ordnungspolitik stehen. Beim Thema „Zentrum der Wirtschaftspolitik“, wird dann sehr prominent als „wichtiges Element“ die Reform des Ministererlaubnisverfahrens genannt. Eines Verfahrens, das zum Ziel hat, ein durch das Bundeskartellamt und die Monopolkommission wettbewerbsrechtlich streng geprüftes und durch das Bundeskartellamt untersagtes Zusammenschlussvorhaben aus politischen Gründen zu genehmigen. Soll es dann bei der Reform wirklich nur, wie es in der Agenda heißt, „insbesondere“ um „angemessene Klagemöglichkeiten“ und eine Beteiligung des Deutschen Bundestages am Verfahren gehen? Letztlich also um eine Schwächung der Ministererlaubnis? 

Zweifel scheinen angebracht. Die starke ordnungspolitische Rhetorik der Agenda scheint in eine andere Richtung zu deuten. Auch das Wort „insbesondere“ lässt viel Raum für Phantasie. Wäre es denn nicht gut, wenn das Ministererlaubnisverfahren – um mit Worten an anderer Stelle der Agenda zu sprechen – „zeitgemäß“ und in „angemessener“ Weise „proaktiv“ dafür sorgen könnte, das (nur) aus rein wettbewerbsrechtlicher Sicht blockierte Verfahren noch korrigiert werden? Alles im Zeichen der von der Agenda geforderten Nachhaltigkeit und Digitalisierung? ­  

Vielleicht liegt es ja an den vom BMWK diagnostizierten „Jahrzehnten des Bedeutungsverlustes“ der Ordnungspolitik, dass das Ministererlaubnisverfahren seit seiner Einführung im Jahr 1972 bisher so erfolglos geblieben ist. Erst 23 Verfahren sind zu verzeichnen. Davon endeten nur zehn Verfahren, teilweise mit Auflagen versehen, mit einer Erlaubnis. Diese jedoch eignen sich in keiner Weise als Zeugen fallbezogener ordnungspolitischer Entscheidungen, von der es künftig mehr geben sollte.

Die drei Energie-relevanten Entscheidungen, zuletzt in der Sache E.ON/Ruhrgas, waren weder zielführend für die langfristige Sicherung der Energieversorgung noch für die Sicherung der Preise. Eher sicherten sie den Entscheidern eine Zukunft in dieser Branche. Das Argument der Sicherung von Arbeitsplätzen in Entscheidungen der 70er und 80er Jahre wurde in der Realität schnell widerlegt – in der Sache IBH/Wibau sogar durch einen Konkurs kurz nach der Erlaubnis. In der Sache Daimler Benz/MBB kam es weder zur angestrebten vollen Privatisierung noch zur nennenswerten Senkung von Subventionen. Im von Minister Gabriel entschiedenen Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann ging es um den Erhalt von Arbeitsplätzen in einer Weise, die zum Rücktritt des Vorsitzenden der Monopolkommission führte. Er sah in der Erlaubnis gar eine Schädigung der Beschäftigungslage mit der Aussicht auf einen „größeren Stellenabbau als in jedem anderen Szenario“. Dabei war die Erlaubnis sogar besonders innovativ – war sie es doch, die den maßgeblichen Sachverhalt für die Anwendung des Gemeinwohlgrundes der Sicherung von Arbeitnehmerrechten erst selbst schuf: Durch Nebenbestimmungen zur Mitbestimmung und zu Tarifbindungen. 

Auch die darauf folgende Ministererlaubnis in der Sache Miba/Zollern unter Minister Altmaier schuf sich den passenden Sachverhalt erst durch eine Investitionsauflage. Vom Argument des Erhalts von Arbeitsplätzen rückte sie – allerdings wohl nur im Text der Erlaubnis – ab. Lieber stützte sie sich darauf, dass der Gemeinwohlgrund – zeitgemäß und nachhaltig – im Knowhow und Innovationspotential für die Energiewende und den Klimaschutz zu sehen sei. Dies geschah im Hinblick auf Produktanwendungen, die es noch gar nicht gab. Aus Sicht der Monopolkommission, die schon bei der Tatsachenermittlung zu anderen Ergebnissen als der Minister gekommen war, war die Erlaubnis rechtswidrig. Ihrer Ansicht nach verstieß sie gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Verbot der laufenden Verhaltenskontrolle.

So bleibt nach 50 Jahren fragwürdiger und vielleicht sogar rechtswidriger Ministererlaubnisse nur ein Fall, der allseits als positiv anerkannt zu sein scheint: Die Eingliederung des Kreiskrankenhauses Wolgast ins Uniklinikum Greifswald zur Verhinderung des Verlustes des Status als Universitätsklinikum und des Erhalts der Community Medicine als Forschungszweig. Allein dieses Ergebnis scheint zu zeigen, dass marktbezogene Tatbestandskriterien für eine Ministererlaubnis nicht weit führen. Sie scheinen als Korrektiv für die rein wettbewerbsrechtliche Prüfung ungeeignet. So mag man sich fragen, ob nicht – wenn überhaupt – nur das außerökonomische überragende Interesse der Allgemeinheit als Tatbestandsvoraussetzung für eine Ministererlaubnis taugt. 

Liegt es aber nicht doch nahe, dass eine reformierte Ministererlaubnis endlich „zeitgemäß“ und „proaktiv“ Nachhaltigkeit und Digitalisierung stärken kann? Etwa im Hinblick auf blockierte Transaktionen auf den Gebieten der Energiewirtschaft, des Gesundheitssektors, der Medienlandschaft aber auch um die Beschäftigungslage zu verbessern oder deutsche Champions zu stärken? Doch was ist, wenn, wie schon in den 70er Jahren, eine Ölkrise oder das Abklingen eines Wirtschaftsbooms die angestrebte Arbeitsplatzsicherung nicht zulässt? Wenn eine erlaubte Fusion zur Pandemiebewältigung die Konzentration auf einen Impfstoff in einer Weise verstärkte, dass zuvor gegebene Möglichkeiten, Mutationen mit unterschiedlichen Impfstoffen anzugreifen, nicht mehr gegeben sind? Wenn die klimapolitisch beeinflusste Erlaubnis durch plötzliche Kriegsereignisse keinen Sinn mehr macht? Woher soll die Sicherheit kommen, dass der Minister zweifelsfrei weiß, dass die Vorteile der Fusion gegenüber der Ausschaltung des Wettbewerbs überwiegen? Warum sollen europarechtliche Bedenken in Kauf genommen werden oder das Bundeskartellamt als Hüterin des Wettbewerbs – auch im internationalen Kontext – geschwächt werden?

Diese Fragen scheinen auch das BMWK zu bewegen, wenn es dem Minister alleine die Entscheidung über die Erlaubnis nicht mehr zutraut: Gefordert wird, dass der Deutsche Bundestag am Verfahren zu beteiligen sei. Offenbar geht man davon aus, dass eine Mehrheit der Abgeordneten besser einschätzen kann, welchen Beitrag eine Fusion zum Gemeinwohl leistet als ein einzelner Minister oder eine Ministerin. Die Idee ist nicht neu: Schon 2016 forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Die Ministererlaubnis muss raus aus dem Hinterzimmer und öffentlich vom Bundestag kontrolliert werden.“ Nur so sei zu verhindern, dass ein Wirtschaftsminister die Ministererlaubnis „für seine Zwecke missbraucht“. Missbraucht würde damit dann aber das Legislativorgan für etwas, das es nicht leisten kann.  Zwar ist bessere Transparenz für künftige Ministererlaubnisverfahren sicherlich zu fordern. Man möchte sich aber nicht ausmalen, um welche sachfremden Gegengeschäfte es ginge, wenn die Ministererlaubnis in Kreisen von derzeit 709 Abgeordneten erörtert werden müsste. Ein Koalitionszwang als Grund für die Erlaubnis wäre da vielleicht noch das geringste Übel.

Daran, dass der Deutsche Bundestag effektiv und proaktiv für eine nachhaltige Entwicklung und den digitalen Fortschritt zu sorgen hat, ist nicht zu zweifeln. Das allerdings soll das Legislativorgan in seiner Rolle als Normsetzer machen, der den maßgeblichen Ordnungsrahmen mit klar definierten Zielen für die Unternehmen vorgibt. Dann können diese – jedes auf seine Weise – im Wettbewerb den besten Weg zum Ziel entdecken und verfolgen, wie es vor der Zeit der verkündeten ökologisch-sozialen Marktwirtschaft nicht von Schaden war. Unter Negierung des Wettbewerbs etwa an der Entdeckung und Züchtung von deutschen Champions – weiter würden die Befugnisse des finalen Erlaubnisgebers ja nicht reichen – mitzuarbeiten, sollte dagegen nicht die Rolle des Deutschen Bundestages sein.  

All dies schließt nicht aus, dass man eines Tages eine Ministererlaubnis vielleicht nicht doch noch gerne sehen würde – und wenn es nur um das allseits anerkannte Ziel ginge, durch eine Fusion den Status eines weiteren Universitätskrankenhauses zu erhalten. Dagegen hätte vielleicht keiner etwas. Aber was ist, wenn der Minister oder die Ministerin über ein solches Ziel hinausschießt und sich wieder – wie so oft – bei der Gemeinwohleinschätzung gründlich irrt? Es darf nicht sein, dass die Erlaubnis, wie im Fall Miba/Zollern, unwiederbringliche Fakten schafft, obwohl die Monopolkommission sie klar für rechtswidrig gehalten hat. So ist an dieser Stelle der wettbewerbspolitischen Agenda des BMWK voll zuzustimmen: Es bedarf angemessener Klagemöglichkeiten gegen das, was von einer Ministererlaubnis verbleibt. Solche hat die 9. GWB-Novelle im allerletzten Moment des Gesetzgebungsverfahrens in einem intransparenten Handstreich faktisch beseitigt. War dies wirklich nur dem Zweck der Verfahrensbeschleunigung geschuldet?

Um wirklich angemessen zu sein, werden sich Klagemöglichkeiten nicht mehr nur an einer zu restriktiv angewendeten Schutznormlehre orientieren können. Denn wenn es letztlich um rein politische Entscheidungen geht, kann einem klagewilligen Wettbewerber nicht entgegengehalten werden, dass der Schutz des Wettbewerbs nicht seine Aufgabe sei. 

Auch angemessene Klagemöglichkeiten beseitigen nicht die letzten Zweifel an der Ministererlaubnis. Klagen können – das bestätigt die Geschichte der Ministererlaubnisse nur zu gut – zurückgenommen werden. Das kann die Klage, wie geschehen, zu einem eigenen Wirtschaftsgut machen. Auch das allerdings darf kein Grund sein, Klagemöglichkeiten einzuschränken.   

Bei aller massiven Kritik an der Ministererlaubnis – sie hat auch etwas Gutes: Sie verschafft dem Bundeskartellamt eine gute Voraussetzung dafür, Zusammenschlussvorhaben ganz im Sinne des Wettbewerbs beurteilen und politische Fragen außer Acht lassen zu können. So bleibt nur die Hoffnung, dass der durch die Agenda des BMWK angestrebte „hochrangige Dialog“ mit dem Bundeskartellamt nichts daran ändern wird.      

Prof. Dr. Hans Jürgen Meyer-Lindemann, M.C.J. (NYU) ist Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Partner bei Pinsent Masons.

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