AGENDA 2025: Hello, mandated unbundling, my old friend.

AGENDA 2025: Hello, mandated unbundling, my old friend.

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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In Punkt 9 der Agenda kündigt das BMWK an, sich „langfristig für eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit auf europäischer Ebene als Ultima Ratio auf verfestigten Märkten“ einzusetzen. Diesem wiederkehrenden Thema widmet sich Juliane Mendelsohn.

Inmitten eines Krieges und noch immer durch eine Pandemie mäandernd, hat sich das (neue) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz der dritten großen Herausforderung unserer Zeit gestellt: Unsere Wirtschaftsordnung so zu gestalten, dass sie der digitalen Realität besser entspricht, gerechter, nachhaltiger und vielleicht sogar weniger konzentriert…  Betrachtet man die Geschichte der deutschen Wettbewerbspolitik, so ist das langfristige Engagementfür die Entflechtung als ultima ratio auf EU-Ebene kaum verwunderlich, und doch könnte die digitale Realität selbst ganz neue Parameter für diese Debatte schreiben. 

Die Geschichte der Entflechtung (deutsche Fassung) 

Die Debatte über die Einführung einer Entflechtung ist dem deutschen Wettbewerbsrecht nicht fremd und hat seit der ersten Einführung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr 1958 mehrere Änderungen erfahren. Das deutsche Wettbewerbsrecht oder Kartellrecht folgte auf eine Landschaft von Kartellen und die Entflechtung von Industriegiganten der Kriegszeit wie der IG Farben. Während diese Zerschlagungen politische Gründe hatten und darauf abzielten, das deutsche Kriegspotential zu beseitigen (II. B. Protokoll Potsdamer Konferenz, 1945), fand ein großer Teil des Erbes der europäischen sozialen Marktwirtschaft darin seinen Anstoß, der, wie Jens-Uwe Franck und Martin Peitz schreiben, „als ein mächtiges Fanal diente, um das neue Paradigma der Gewährleistung von Wettbewerb durch regulatorische Eingriffe – wenn nötig auch durch Eingriffe in die Marktstruktur – einzuläuten.“ 

Zu Beginn des GWB und des ordoliberalen Denkens beinhaltete der „Josten-Entwurf“ von 1946 die Entflechtung von „Machtgebilden“ nach dem Vorbild früherer Fusionen oder wenn trennbare wirtschaftliche Einheiten identifiziert werden konnten. In den späten 1970er Jahren lebte die akademische und politische Debatte wieder auf: Unter der Federführung von Erhard Kantzenbach wog der deutsche Wettbewerbswissenschaftler Werner Möschel das Für und Wider der Entflechtung ab, und das dritte Sondergutachten der deutschen Monopolkommission sprach sich grundsätzlich für die Entflechtung als letztes Mittel aus. Die fast identische Diskussion kehrte 2007 mit dem (liberalen) „Rhiel-Entwurf“ zurück und ein Änderungsantrag zur Einführung der Entflechtung und anderer struktureller Abhilfemaßnahmen wurde ausführlich erörtert und schließlich im 58. Bericht der Monopolkommission unterstützt. Auch dieser Vorschlag wurde zwar nie in das Gesetz aufgenommen, aber er klärte den Anwendungsbereich, die Gründe und die Bedingungen für die Entflechtung, die als Instrument für ein marktbeherrschendes Unternehmen oder eine Gruppe marktbeherrschender Unternehmen auf einem Markt von allgemeiner wirtschaftlicher Bedeutung diente, auf dem aus strukturellen Gründen kein wirksamer Wettbewerb mehr hergestellt werden konnte.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Entflechtung nie zu einem wettbewerbsrechtlichen Instrument wurde: Bedenken hinsichtlich der Eigentumsrechte, technischen Komplexität und die Angst vor langwierigen und lähmenden Gerichtsverfahren. Die kurze Geschichte der Entflechtung in Deutschland wäre jedoch unvollständig ohne die Erwähnung der Entflechtung der deutschen Energieriesen (E.ON und später RWE) aufgrund von Verpflichtungsentscheidungen der Europäischen Kommission im Jahr 2008 und den Einsatz wettbewerbsrechtlicher Mittel zur Erreichung regulatorischer Ziele. 

Abgesehen von einigen bemerkenswerten Ausnahmen war nicht ganz klar, welche Unternehmen im Jahr 2010 hätten entflochten werden sollen – vielleicht die Deutsche Post? Dies mag heute anders sein, und die Grünen haben seit 2016 die Idee der Zerschlagung von „Google & Co“ (jetzt Alphabet, alias Big Tech) in den Raum gestellt, und diese politische Rhetorik ist seitdem nicht ganz verstummt.

Ist es dieses Mal anders? 

Der aktuelle Vorschlag zur Einführung einer Entflechtungsmöglichkeit klingt zwar nach alter Rhetorik, ist aber eingebettet in einen Zeitgeist voller Angst vor der Macht von Big Tech, einer FTC, die für die Auflösung von Meta (in seiner Gesamtheit) plädiert, und einer CMA, die die Veräußerung von Facebook und Giphy als „alternativlose“ Abhilfe angeordnet hat.

1. Größe

Die Big Tech-Giganten sind nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes groß, ihre Größe und Reichweite gehen weit über alles hinaus, womit sich Wettbewerbs- und Kartellgesetze bisher befasst haben. Von Google Shopping bis hin zu FTC vs. Facebook hatten die Wettbewerbsbehörden wenig Probleme, ihre Superdominanz auf bestimmten Märkten festzustellen. Aber viele Big-Tech-Unternehmen sind nicht nur auf einem Markt oder sogar auf mehreren Märkten marktbeherrschend, sondern ihre Macht ist weitaus weitreichender und durchdringender. Neuere Forschungen zur „modernen Größe“ schreiben der Macht von Big Tech soziale, politische und sogar normative Aspekte zu. Über den politischen Einfluss und das immer stärkere Eindringen in den privaten Raum hinaus haben diese Unternehmen die „Macht, die gegenwärtige und zukünftige Normalität, Normativität, Märkte, Verhalten und Wahrheit zu formen“. Während solche normativen Schäden und solche, die sich aus der Anhäufung von Nutzern und datengesteuerten Netzwerkeffekten ergeben, nicht immer leicht zu identifizieren sind, ist die Hartnäckigkeit und Allgegenwärtigkeit von Big Tech neu und möglicherweise das größte Anliegen einer größeren Wettbewerbspolitik in den kommenden Jahren.

2. Allgemeine wirtschaftliche Bedeutung & strukturelle Gründe

Wie in den paar Stunden, in denen Facebook und Instagram im Oktober 2021 (weltweit) ausfielen, zu sehen war, sind die Tech-Giganten in der digitalen Welt nicht nur von allgemeiner Bedeutung für die Wirtschaft – sie sind die Wirtschaft, oder besser gesagt, sie bilden das Rückgrat großer Teile der digitalen Welt. Dass sie nicht nur als Schlüsselakteure, sondern auch als „Gatekeeper“ fungieren, bedeutet jedoch auch, dass die Märkte vielleicht nicht mehr nur von Kräften wie Angebot und Nachfrage gesteuert werden, sondern dass sie auf die Logik und die Interessen dieser wenigen großen Akteure abgestimmt sind. Digitale Gatekeeper beruhen nicht auf natürlichen Monopolen, sondern, wie der DMA feststellt, hat die digitale Wirtschaft ihre eigenen Strukturen. Strukturen, die in Richtung geschlossener oder unanfechtbarer Ökosysteme „kippen“ können, die wiederum letztlich nur einigen wenigen zum Erfolg verhelfen und viele Newcomer ins Straucheln bringen können.

3. Die Vorstellung, dass internes Wachstum ein Wachstum durch Fusionen übertrumpft, und die schädlichen Auswirkungen von „unscrambling eggs“

Eine der Binsenweisheiten der strukturellen Ansätze und Abhilfemaßnahmen ist, dass internes Wachstum solider und tugendhafter ist als die Expansion eines Unternehmens durch Fusion oder Übernahme. Gleichzeitig haben Wettbewerbstheoretiker und politische Entscheidungsträger stets vor dem schlechten Präzedenzfall einer nachträglichen Fusionskontrolle (oder der nachträglichen Korrektur schlechter Fusionsentscheidungen wie bei Facebook/WhatsApp) gewarnt. In den letzten zehn Jahren sind jedoch strategische Fusionen und „buying instead of developing“ (und sogar „buy or bury“) zu einem wesentlichen Bestandteil der „Playbooks“ von Big Tech geworden. Daher scheinen sowohl die FTC als auch die CMA diese Doktrinen neu zu bewerten und die Wettbewerbsvorteile hervorzuheben, die sich aus einer Aufspaltung von Facebook nach dem Vorbild früherer Fusionen ergeben würden.  

4. Zeit

Wie lange dauert es, bis Märkte unanfechtbar werden? Ist es überhaupt eine Frage der Zeit oder spielen auch andere Faktoren eine Rolle? Digitale Märkte sind notorisch disruptiv, und vielleicht glauben die Akteure selbst immer noch, dass sie innerhalb weniger Monate von der nächsten Internetmode oder dem nächsten „big thing“ verdrängt werden können: So wie Facebook MySpace um 2007 überholt hat, aber das war vor 15 Jahren – eine ganze Generation in der Zeit. 

Veräußerungen selbst sind komplex, kostspielig und langwierig. Der Ehrgeiz und das Versprechen einer Veräußerung muss jedoch darin bestehen, die Marktkräfte so wiederherzustellen, dass ein uneingeschränkter Wettbewerb für einige Jahrzehnte danach möglich ist. Da sich die Regeln des digitalen Wettbewerbs ändern und viele Tech-Giganten mit Gerichtsverfahren und Regulierung konfrontiert sind, ist die Alternative die jahrzehntelange Überwachung der Durchsetzung von Verhaltensmaßregeln und das Eingreifen der Behörden.

5. Die Notwendigkeit einer ultima ratio

Ich bin ein Fan des DMA, aber wie viele Regeln und Vorschriften kann auch der DMA scheitern. Möglicherweise gelingt es ihm nicht, die „Gatekeeper“ ausreichend zu zügeln, und er könnte das übergeordnete Ziel verfehlen, die digitalen Märkte systemisch angreifbarer und fairer zu machen. Der DMA-Entwurf sah aus genau diesem Grund strukturelle Abhilfemaßnahmen als ultima ratio vor (Art. 16 DMA). Diese ultima ratio wird auch als Instrument einer umfassenderen Wettbewerbspolitik benötigt, um den Wettbewerb und die Autonomie zu sichern und wiederherzustellen, wenn alle anderen Mittel und Instrumente versagt haben und jahrzehntelange „Spielpläne“ zum Nachteil der Verbraucher ausgegangen sind. 

Schließlich ist das Risiko – des Systemversagens, der Überwachung, der autoritären Tendenzen – ein Wort, das in der Wettbewerbspolitik nur selten verwendet wird. Aber es gibt immer ein Risiko – einen Preis, der für Macht und Superkonzentration zu zahlen ist. Und wenn wir uns eine größere politische oder wirtschaftliche Krise ersparen, werden wir diesen Preis nur mit unserer Autonomie zahlen müssen.

Jun.-Prof. Dr. Juliane Mendelsohn leitet seit September 2021 das Fachgebiet Law and Economics of Digitization an der Technischen Universität Ilmenau. In Ihrer Forschung beschäftigt Sie sich mit privater Macht und dem digitalen Wandel im Wettbewerbs- und Zivilrecht. 

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