AGENDA 2025: Black Box Trilog: Mehr Transparenz im europäischen Gesetzgebungsverfahren!

AGENDA 2025: Black Box Trilog: Mehr Transparenz im europäischen Gesetzgebungsverfahren!

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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DMA und DSA sind „ausgehandelt“. Doch wie sie konkret aussehen, wissen wir nur durch Leaks. Alexander Kirk wirft einen Blick auf das entscheidende Trilog-Verfahren, sieht Schwächen, aber auch Stärken und macht Reformvorschläge.

„Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Dieser Satz wird Otto von Bismarck (wohl fälschlicherweise) zugeschrieben. Nun passt die Referenz zu Fleischprodukten nicht mehr unbedingt in den Zeitgeist einer wettbewerbspolitischen Agenda eines grün-geführten Ministeriums mit einem Vegetarier an der Spitze. Schon gar nicht hätte Bismarck Gesetze eines europäischen Staatenverbunds im Kopf gehabt. Und doch gibt es eine Verbindung zwischen Sentenz und der Agenda des BMWK. Dort heißt es: „Das BMWK wird sich dafür einsetzen, Gesetzgebungsverfahren zum Wettbewerbsrecht auf EU-Ebene transparenter und partizipativer auszugestalten und die institutionelle Balance zwischen EU-Kommission, Rat und Europäischem Parlament zu verbessern.“

Europäische Gesetzgebung anhand des DMA

Wie das europäische Gesetzgebungsverfahren im Wettbewerbsrecht (und darüber hinaus) abläuft, ließ sich kürzlich im Rahmen der Entstehung des Digital Markets Act (DMA) beobachten. Einschlägig war das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV), da die Verordnung auf Art. 114 AEUV gestützt ist. Die Kommission legte im Dezember 2020 einen Entwurf vor. Nach Beratungen im Fachausschuss (für Binnenmarkt und Verbraucherschutz) und Beiträgen einiger nationaler Parlamente legte sich das Europäische Parlament genau ein Jahr nach der Kommissions-Initiative in erster Lesung auf einen Standpunkt fest. Nahezu zeitgleich legte auch der Rat einen „gemeinsamen Standpunkt“ der Regierungen vor. Im Dezember 2021 existierten somit drei Versionen – alle aufbauend auf den ursprünglichen Kommissionsvorschlag. Art. 294 AEUV sieht hiernach ein Ping-Pong-Spiel zwischen Parlament und Rat vor, in welchem jede Institution auf die Vorschläge der anderen in förmlichen Beschlüssen reagiert.

Das Trilog-Verfahren

Doch hierzu wird es wohl nicht kommen. Am 24. März haben sich Rat, Parlament und Kommission im Rahmen des sogenannten Trilogs auf einen gemeinsamen Gesetzestext geeinigt. Bei dem Trilog handelt es sich um informelle Verhandlungen zwischen den Co-Gesetzgebern Parlament und Rat. Die Kommission ist als Schöpferin des Ursprungstextes dabei, sie hat auch Beteiligungsrechte im Gesetzgebungsprozess. Der Austausch kann in jedem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens gesucht werden. Er dient der Beschleunigung und Vereinfachung des Gesetzgebungsprozesses und der Vermeidung des langwierigen und späten „offiziellen Trilog-Verfahrens“ durch einen Vermittlungsausschuss (Art. 294 Abs. 10 AEUV). Im Schatten des mühsam-formalen Verfahrens haben die drei an der Gesetzgebung beteiligten Organe den informellen Austausch institutionalisiert. Es spricht für das Funktionieren des Verfahrens, wenn eine komplexe Materie wie der DMA innerhalb von 15 Monaten vom Vorschlag zur (vorläufigen) Einigung gebracht wird. Zwischen 70 und 80 Prozent der Gesetzgebungsakte sind Folge eines Trilogs. Dieser soll möglichst frühzeitig einsetzen, um das Gesetzgebungsverfahren bereits in der ersten Lesung des Parlaments abzuschließen. Die Zahl der so verabschiedeten Rechtsakte nahm in den letzten Jahren stark zu (von 28 % in der ersten Lesung abgeschlossen Vorhaben im Zeitraum 1999-2004 zu 89 % für 2014-2019). So beschäftigt sich das parlamentarische Plenum zum ersten Mal mit einem Gesetzgebungsakt, wenn dieser bereits ausverhandelt ist. 

Das Trilog-Verfahren findet im Primärrecht keine Erwähnung. Es wird jedoch in anderen europäischen Rechtsakten aufgegriffen: Am konkretesten wird die Geschäftsordnung des Parlaments. Hier finden sich einige parlamentseigene Vorgaben für „interinstitutionelle Verhandlungen im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens“. Zusammengefasst: Die Verhandlungen müssen auf einem Parlamentsbeschluss beruhen (Art. 71 GO EU-Parlament); hat das Parlament seinen Standpunkt in einem Beschluss zur Gesetzesvorlage bereits formuliert, genügt ein Beschluss des zuständigen Ausschusses zur Aufnahme von Verhandlungen (Art. 72 GO EU-Parlament). Zum Verhandlungsteam, das vom Berichterstatter geleitet wird, gehören mindestens die Schattenberichterstatter jeder Fraktion, die sich beteiligen will. Nach dem Trilog wird dem zuständigen Ausschuss Bericht erstattet, diesem wird auch die vorläufige Einigung vorgelegt, worüber ein Beschluss gefasst werden muss, bevor die Sache an das Plenum geht (Art. 74 GO EU-Parlament).

Äußerst vage beim Thema Transparenz bleibt hingegen die von Parlament, Kommission und Rat gemeinsam verfasste Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtssetzung aus 2016: „Die drei Organe werden (…) für Transparenz bei den Gesetzgebungsverfahren sorgen, indem sie unter anderem auch die trilateralen Verhandlungen angemessen handhaben.“ (Rn. 38). Was die Vereinbarung unter der angemessenen Unterrichtung der Öffentlichkeit versteht, wird im nächsten Satz deutlich: Man wolle eine Einigung auf einer gemeinsamen Pressekonferenz verkünden.

Kritik: Mangelnde Transparenz, personelle Konzentration, Schattengesetzgebungsverfahren

Während die Bemühungen des Parlaments erkennbar sind, das Informelle doch (geschäfts)ordnungsgemäß einzurahmen, betonen die interinstitutionellen Vereinbarungen gerade den informellen Charakter des Trilogs. Das macht den Prozess angreifbar: Es fehlen die Augen der Öffentlichkeit, die Pluralität des parlamentarischen Verfahrens und die von der höchsten Normebene vorgegebenen Bahnen.

Zunächst zur Transparenz: Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, daran ändern auch Berichte an Ausschüsse nichts. Parlament und Rat sollen im Gesetzgebungsverfahren jeweils öffentlich tagen, Art. 15 Abs. 2 AEUV, beide gemeinsam tun dies nicht. Ein Kernmerkmal des demokratischen Prozesses fehlt: sein Geschehen vor den Augen des Bürgers. Transparenz wird auch nicht dadurch geschaffen, dass Verhandlungsstände gelegentlich durchsickern. Im Gegenteil, ein ungleicher Zugang zu Informationen gibt gut vernetzten Stakeholdern – insbesondere Lobbyisten – größere Einflussnahmemöglichkeiten.

Auch eine Ergebniskontrolle ist nicht unmittelbar möglich: Bis das Verhandlungsergebnis intern in alle Unionssprachen übersetzt ist, vergehen in der Regel zwei Monate. Entsprechend fehlt es bis heute an einer Veröffentlichung des Verhandlungsergebnisses zum DMA vom 24. März. Die Presseerklärungen, die die interinstitutionellen Vereinbarungen vorsehen, schaffen keine Transparenz: Nach der gemeinsamen Pressekonferenz zum DMA, in der sich die Mitgesetzgeber für das Erledigen ihres Jobs feierten, blieb das Ergebnis der Verhandlungen völlig offen.

Natürlich ist es Realität, dass Gesetze häufig mehr Resultat parteipolitischer „Deals“ als Produkt offenen demokratischen Diskurses sind. Im parlamentarischen Prozess bleibt jedoch der Weg zur Entscheidung nachvollziehbarer. Es wird deutlich, wer sich wofür eingesetzt, wessen Idee sich durchgesetzt hat und welche Alternative unbeachtet geblieben ist. Dies ist in geheimen Verhandlungen anders: Wer kann ausschließen, dass die Reichweite eines Gesetzes davon abhängt, wer am Verhandlungstisch das längere Durchhaltevermögen hat? Darf es sein, dass einem Gesetz für knapp 450 Millionen Bürger im stillen Kämmerlein der oftmals entscheidende Twist gegeben wird?

Damit hängt zusammen, dass das Trilog-Verfahren zu einer Konzentration von Handlungsträgern und Ideen führt: Die Position der 27 Mitgliedstaaten wird auf einen Vertreter der Ratspräsidentschaft konzentriert, die der 705 Abgeordneten des EU-Parlaments auf eine Handvoll (parteiübergreifend zusammengestellter) Ausschussmitglieder. Die der parlamentarischen Arbeit inhärente Meinungspluralität wird zunächst auf einen Ausschuss, dann auf wenige Verhandlungsteilnehmer verengt. Durch die Konzentration auf wenige Verhandelnde und mangelnde öffentliche Beobachtung wird auch die Einflussnahme „durchsetzungsstarker Partikularinteressen“, wie es in der Agenda an anderer Stelle heißt, erleichtert. Dies gilt umso mehr, als in den Trilogen teilweise auch völlig neue Elemente erstmals eingeführt werden – beschlossen von wenigen Verhandelnden und ohne oder mit ungleicher Beteiligung von Stakeholdern und Experten.

Zuletzt ist das Trilog-„Verfahren“ nicht nur gelegentlicher Austausch, es institutionalisiert vielmehr ein Schattengesetzgebungsverfahren. Der Prozess für das Entstehen von Gesetzen ist nicht ohne Grund sowohl europäisch als auch national auf höchster Normebene vorgegeben: Die Bedingungen des Zustandekommens beeinflussen das Ergebnis. Das demokratische Verfahren legitimiert das Resultat. Auch und gerade in den Augen der Bürger, die dem Weg eines Gesetzes bis zur Black Box Trilog folgen können, dann aber nur das Ergebnis stiller Kompromisse präsentiert bekommen. Die in der Agenda geforderte Partizipation ist nur auf Basis von Transparenz möglich. Es geht auch nicht um einen Plausch unter an der Gesetzgebung beteiligten Kollegen oder einen vorbereitenden Austausch auf nachgeordneter Ebene, sondern um final auf verbindliche Rechtssetzung gerichtete Verhandlungen zwischen den höchsten Organen der EU. Natürlich bleibt das Verhandlungsergebnis vorläufig und nicht-bindend. In der Praxis wird die getroffene Vereinbarung aber in aller Regel ohne wesentliche Änderungen durch die Mitgesetzgeber abgenickt.

Bemühen der europäischen Institutionen und deren Grenzen

Derartige Kritikpunkte nahm die Europäische Bürgerbeauftragte zum Anlass, 2015 ein Verfahren zu eröffnen, welches ein Jahr später mit der Forderung nach mehr Transparenz endete. Das Parlament bemühte sich in den letzten Jahren ebenfalls mehrfach um diese. In einer vom nunmehrigen Staatssekretär Giegold als Berichterstatter verfassten Resolution erinnerte das Parlament Rat und Kommission an deren Bekenntnis zu mehr Offenheit. Die Grenzen des parlamentarischen Bemühens zeigten sich jedoch, als es einem Bürger Zugang zu Trilog-Dokumenten verwehrte. Dem trat das EuG 2018 entgegen. Gegen den Widerstand von Parlament, Rat und Kommission gewährte es im Verfahren Capitani/Parlament dem klagenden Bürger Zugang zu den Unterlagen eines laufenden Trilog-Verfahrens, insbesondere zu den entscheidenden vierspaltigen Tabellen, auf denen neben den Positionen der Verhandelnden auch mögliche Kompromissvorschläge stehen.

Raum für Verbesserung

Die Entscheidung des EuG ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Doch kann ein individueller, stets aufs Neue geltend zu machender Zugangsanspruch nicht die notwendige Transparenz gewährleisten. Das europäische Primärrecht verlangt nach Offenheit und Transparenz (vgl. Art. 1 Abs. 2, 10 EUV). Diese Grundsätze sind dem „Gesetzgebungsverfahren der Union inhärent“ (EuG, Capitani/Parlament – Rn. 81).

Eine pauschale Verteufelung des Trilogs wird der Komplexität des Problems jedoch nicht gerecht. De lege lata ist die europäische Gesetzgebung Sache dreier Akteure. Das vom Primärrecht vorgesehene Verfahren zum Austausch ist wenig praktikabel. Der Weg muss sein, den Austausch beizubehalten, ihn aber aus dem stillen Kämmerlein zu ziehen und in geregelte Bahnen zu lenken. Art. 295 AEUV gibt die Möglichkeit von Vereinbarungen zwischen den drei Akteuren, warum also keine „Geschäftsordnung für den interinstitutionellen Austausch“ schaffen? Diese könnte Kernparameter regeln: Wo und wie werden die Verhandlungen öffentlich angekündigt? Wer nimmt teil? Wie funktionieren Abstimmungsprozesse? Wie können Stakeholder und Experten hinzugezogen werden? Wer muss laufend bzw. zeitnah über Inhalte informiert werden? Bis wann muss eine Einigung (auch vor den offiziellen Übersetzungen) veröffentlicht werden? Gibt es die Möglichkeit, in Ausnahmefällen sensible Themen geheim zu halten? Während sich die bisherigen interinstitutionellen Vereinbarungen hierzu in keiner Weise verhalten, geben die erwähnten Vorschriften der Geschäftsordnung des Parlaments eine erste Orientierung.

Selbst wenn man sich nicht zu vollständig öffentlichen Verhandlungen durchringen kann, ist es für die Transparenz entscheidend, dass alle Akteure ihren Standpunkt zu Beginn öffentlich machen: Es wird sichtbar, mit welchen Positionen die Parteien in die Verhandlungen gegangen sind und wie sich diese im Ergebnis niedergeschlagen haben. Die Kommission macht diese durch ihren Vorschlag offiziell, das Parlament jedoch erst nach der ersten Lesung (Art. 294 Abs. 3 AEUV), der Rat durch seine Reaktion hierauf (Art. 294 Abs. 5, 6 AEUV). Wenn Trilog-Verhandlungen jedoch erst nach Diskussion und Beschlüssen von Parlament und Rat möglich wären, würde dies mit dem Ziel schneller Rechtssetzung kollidieren. 

Ein erster Kompromiss wäre, dass vor dem Trilog eine offizielle Tabelle mit den Positionen der drei Akteure veröffentlicht wird, die ohnehin intern existiert. Dies stellt nichts anderes als eine (die Bindungswirkung überschießende) Umsetzung des EuG-Urteils dar. Bei bedeutenden Rechtsakten liegt es in der Hand des Parlaments, zunächst im Plenum eine eigene Version zu beschließen, auch um dieser in den Verhandlungen mehr Gewicht zu verleihen. So geschehen beim DMA.

Zusammenfassung

Zwar beschränkt sich das BMWK in der Agenda auf die transparentere und partizipativere Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zum Wettbewerbsrecht. Da jedoch jedes europäische Gesetz das Nadelöhr Trilog durchläuft, muss ein breiterer Ansatz gewählt werden. Die erste Reform des Prozesses verlangt zwar erhebliche Koordination zwischen den drei Organen, erfordert aber keine Änderung des Primärrechts, das die Mittel zur interinstitutionellen Selbstregulierung bereithält. Der Mut zu mehr Offenheit wird mit größerer Legitimität des Rechtsakts und Vertrauen der Unionsbürger in die Brüsseler Prozesse belohnt werden.

Alexander Kirk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktorand bei Prof. Dr. Rupprecht Podszun.

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