AGENDA 2025: Deutschland und der Wettbewerb auf den Digitalmärkten – Vorreiterrolle oder Abseitsstellung?

AGENDA 2025: Deutschland und der Wettbewerb auf den Digitalmärkten – Vorreiterrolle oder Abseitsstellung?

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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Das Bundeskartellamt hat sich einen Namen gemacht mit der Durchsetzung des Kartellrechts in der digitalen Wirtschaft. Christian Karbaum fragt sich, ob es diese Rolle auch unter dem DMA ausfüllen kann.

Das Bundeskartellamt und der deutsche Gesetzgeber sind vorgeprescht. Proaktiv gegen GAFA und die weitere Vermachtung von digitalen Märkten. Zunächst mit Boardmitteln (= §§ 18, 19 GWB) mühsam gegen Facebook zum Datenmissbrauch und gegen Amazon u.a. wegen der AGB des Marketplace. Ausgestattet mit den neuen Werkzeugen (v.a. § 19a GWB) der 10. GWB-Novelle wurde unmittelbar die nächste Runde eingeläutet, mit Verfahren zur Feststellung der überragenden marktübergreifenden Stellungen gegen Google, Amazon, Facebook und Apple. 

Dieses Vorgehen entspricht der „Wettbewerbspolitischen Agenda des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) vom 21. Februar 2022. Danach nimmt das Bundeskartellamt eine „zentrale Rolle“ bei der „Durchsetzung des wettbewerbsrechtlichen Ordnungsrahmens“ ein (natürlich). Speziell auf den komplexen digitalen Märkten soll das Amt „weiter gegen missbräuchliches Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerbern (§ 19a GWB) vorgehen können„, „auch nach Inkrafttreten des DMA“ (Ziffer 8 der Agenda). In der Lesart des BMWK (Ziffer 9 der Agenda) hat die Europäische Kommission mit ihrem Vorschlag für den DMA auf die 10. GWB-Novelle des „Impulsgebers BMWK“ reagiert und „nachgelegt„. Naturgemäß mit formell höherrangigem Recht – Konflikte vorprogrammiert. 

Zur Durchsetzung des DMA selbst wird nämlich allein die Europäische Kommission zuständig sein. Nach einer nunmehr – pünktlich zu Ostern – „geleakten“ Fassung des DMA, die die zwischen Parlament und Rat abgestimmte Version zeigen soll, bleibt es dabei, dass nur die Europäische Kommission zur Durchsetzung des DMA berufen ist. Die nationalen Behörden dürfen hingegen – im Range eines „Hilfssheriffs“ – zwar auf eigene Faust ermitteln und Vorschläge unterbreiten. Die Entscheidungshoheit liegt aber allein in Brüssel. Ob diese Tätigkeit eine für die nationalen Behörden attraktive Rolle ist? 

Dann doch lieber mit § 19a GWB vorauseilen, GAFA bearbeiten und Fakten schaffen (und vllt. die Chancen auf ein eigenes Betätigungsfeld neben dem DMA vergrößern). Ziel der Verfahren nach § 19a GWB gegen Google, Facebook, Amazon und Apple ist zunächst die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Stellungen gemäß § 19a Abs. 1 GWB (fast beleidigend für die vier, für diese Erkenntnis ein Verwaltungsverfahren durchlaufen zu müssen; so jedenfalls lässt sich die eher achselzuckende Akzeptanz der entsprechenden Entscheidung des Bundeskartellamts durch Google lesen). So weit, so gut. Die Feststellung dieser Marktbedeutung an sich dürfte zunächst nicht mit dem DMA konfligieren. 

Verfahren zur Untersagung konkreter Verhaltensweisen nach § 19a Abs. 2 GWB werden auf der nächsten Stufe folgen. Dabei stellt sich dann praktisch die zentrale Frage, wie das Bundeskartellamt vorgehen wird: Werden punktgenau einzelne Maßnahmen untersagt, die spezifische Wettbewerbsprobleme in Deutschland adressieren, oder wird es eher umfassende Verbotskataloge geben? Letzteres hätte die faktische Konsequenz, dass es neben dem großen DMA einen kleinen (deutschen) DMA gäbe, für dessen Durchsetzung das Bundeskartellamt dann allein zuständig wäre.

Angesichts der begrenzten Enforcement-Kapazitäten der Europäischen Kommission wäre dies sicherlich hilfreich und wettbewerbspolitisch wichtig für Deutschland (zumal auch internationale Konzerne nicht in jedem Markt gleich agieren). Auf einem anderen Blatt steht aber, was rechtlich möglich ist. Der DMA duldet nämlich keine Regulierung neben sich (Art. 1 Abs. 5 DMA). Kartellrecht ist aber ok (Art. 1 Abs. 6 DMA). Die Frage ist daher, wie § 19a GWB einzuordnen ist und was uns der DMA dazu sagt. Schon lange bevor ein finaler (und nicht nur geleakter und weiter vorläufiger) Text bekannt oder gar verabschiedet ist, ist bereits ein Theorienstreit entbrannt, an dem Forschung und Lehre ihre Freude haben hätten (nur haben die Lösungsansätze im modernen Kartellrecht bisher keine griffigen Namen wie für Theorienstreits üblich; wer denkt dabei nicht gleich an Klassiker wie die „rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie“, oder so).

Nach Art. 1 Abs. 5 DMA (Vorschlag der Europäischen Kommission) dürfen die Mitgliedstaaten „Gatekeepern keine weiteren Verpflichtungen im Wege von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf(erlegen), um bestreitbare und faire Märkte zu gewährleisten.“ Aber was heißt das konkret? Sind die Wirkungen beschränkt, weil es mangels DMA zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Gatekeeper gibt? Oder könnte sich das Bundeskartellamt auf den Standpunkt stellen, dass es nur keine Maßnahmen untersagt darf, die über die Verbote des DMA hinausgehen (Art. 1 Abs. 5 untersagt nur „weitere“ Verpflichtungen)? Der neue Erwägungsgrund 9a des DMA (geleakte Fassung) scheint diesen Ansätzen eine Absage zu erteilen: Während der DMA nicht in nationale Wettbewerbsregeln zu einseitigen Verhaltensweisen eingreife, die eine einzelfallbezogene Wertung von Marktstellungen, Verhaltensweisen, Auswirkungen und Effizienzen voraussetzen (=Kartellrecht), dürfen diese nationalen Vorschriften die Pflichten von Gatekeepern (=Regulierung) nicht berühren.

Alternativ wird auf Art. 1 Abs. 6 DMA verwiesen, wonach nationale Vorschriften „zum Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen (…) und der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung“ oder Verbote einseitiger Verhaltensweisen unberührt bleiben, die „auf andere Unternehmen als Gatekeeper anwendbar sind oder Gatekeepern damit zusätzliche Verpflichtungen auferlegt werden“ (in der geleakten Neufassung praktisch nicht verändert). Danach wird § 19a Abs. 2 GWB – so die vielleicht „vorherrschende Theorie“ – großzügig als Wettbewerbsregel bzw. erweitere Missbrauchsaufsicht statt Regulierungsvorschrift ausgelegt, sodass der DMA schon gar keine Sperrwirkung entfaltet. Für diese Sichtweise lassen sich Argumente finden, ganz abgesehen von Fragen der Rechtssicherheit aber auch dagegen (man stelle sich nur parallele Verfahren nach DMA und § 19a GWB gegen ein- und dasselbe Verhalten vor – das Verbot widerstreitender Entscheidungen nach Art. 1 Abs. 7 löst dieses Problem nicht zwingend, wenn § 19a GWB und der DMA eine unterschiedliche Rechtsnatur haben).

Dabei hätte alles ganz „einfach“ sein können, wie die Regelungen der VO 1/2003 zur Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV zeigen. Unmittelbar geltende Verbote, Mindeststandards für die nationalen Gesetzgeber und vorhersehbare Regeln zur Fallverteilung, die jedenfalls im bisherigen Kartellrecht gut funktionieren.

Wäre es so gekommen, stünde Deutschland mit § 19a GWB so klar im Abseits, dass man die Spielsituation nicht noch zu Ende laufen lassen müsste. Wird es aber einstweilen nicht. Sollten doch noch Änderungen möglich sein, sollte das Verhältnis von DMA und nationalem Recht auf den Zielgeraden klarer geregelt werden. Wie dies aussehen kann? Warum können nicht die nationalen Gesetzgeber und Behörden auch Gatekeepern i.S.d. DMA all jene Maßnahmen untersagen (wenn schon nicht „müssen“), die der DMA verbietet? Dies würde signifikante Ressourcen zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf nationaler Ebene freisetzen (sollte die vorherrschende Theorie, § 19a GWB kollidiere als Kartellrecht gar nicht mit dem DMA, in die richtige Richtung gehen, könnte auch der deutsche Gesetzgeber noch einmal gefragt sein). Neben der Klärung der Normenhierarchie bedürfte es mit Blick auf die Durchsetzung und Ahndung zusätzlich einer klaren Regelung zur Fallverteilung, die berechtigten Willkürargumenten standhält. Dies ist zwingend, weil die derzeit in Wissenschaft und Praxis diskutierten, offensichtlichen Abgrenzungsfragen nicht zulasten der voraussichtlichen Normadressaten gehen können. Auch diese haben Rechte, für deren Wahrung sie angesichts der Vielfalt der Abgrenzungsprobleme schwerlich auf den Instanzenzug verwiesen werden können.

Die Klärung der Normenhierarchie wäre im Übrigen auch für das Private Enforcement wünschenswert, damit gar nicht erst die Frage aufkommt, ob Anordnungen nach § 19a Abs. 2 GWB überhaupt zulässig waren und Anknüpfungspunkt für Schadensersatzansprüche nach § 33a Abs. 1 GWB sein können. Dies sollte ebenso wenig von Zivilgerichten entschieden werden müssen wie die Frage, ob die Verbote des DMA drittschützende Wirkung (i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB) haben (wenngleich es sich aufdrängt, zumal immerhin das Verhältnis zu den Zivilgerichten im DMA angesprochen wird, wenn schon nicht das Private Enforcement selbst).

Die Ausgangsfrage, ob das Bundeskartellamt nun eher eine Vorreiterrolle oder doch eine Abseitsstellung einnimmt, lässt sich noch nicht gänzlich klar beantworten. Vielleicht von beidem etwas. Natürlich ist die Initiative des Bundeskartellamts, gegen zentrale Wettbewerbsprobleme vorzugehen, wichtig und innovativ. Auch eine Abseitsstellung kann noch sich noch ergeben, wenn der finale Text des DMA vorliegt (praktisch der Videobeweis) und sich zeigt, ob § 19a GWB schlimmstenfalls obsolet werden wird. Verbleibt aber ein praxisrelevanter Anwendungsbereich für § 19a GWB, hätte das Bundeskartellamt durch sein „Vorpreschen“ erreicht, auf nationaler Ebene zentrale Wettbewerbsprobleme angehen zu können.

Dr. Christian Karbaum ist Rechtsanwalt und Partner bei GLADE MICHEL WIRTZ in Düsseldorf.

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