AGENDA 2025: Von der Ministererlaubnis zur Parlamentserlaubnis?

AGENDA 2025: Von der Ministererlaubnis zur Parlamentserlaubnis?

Dieser Artikel ist Teil der D-Kart Spotlights: Agenda 2025. In diesem kommentieren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis einzelne Aspekte der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Wettbewerbspolitischen Agenda. Die schon erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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Teil der wettbewerbspolitischen Agenda des BMWK bis 2025 ist die Beteiligung des Bundestags am Verfahren der Ministererlaubnis. Maximilian Konrad hat sich dieses Vorhaben für D’Kart näher angesehen. 

„Auf höchster Ebene korruptes Verhalten“, „Parteibuchwirtschaft“, „Klüngelwirtschaft“

Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/40 vom 10. April 2003, 3288.

Mit diesen Worten beschrieb die Opposition im Deutschen Bundestag den Wechsel von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller in die Energiewirtschaft im Anschluss an die Ministererlaubnis E.on/Ruhrgas. Im Rückblick hat diese Ministererlaubnis statt der eigentlich beabsichtigen Sicherung der Energieversorgung die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zementiert.  Mit der wettbewerbspolitischen Agenda 2025 soll der Bundestag nun nicht mehr nur Forum der Kritik post factum sein, sondern bereits am Verfahren der Ministererlaubnis beteiligt werden. Doch zunächst einen Schritt zurück.

Die Ministererlaubnis – eine Rekapitulation

Die Ministererlaubnis (§ 42 GWB) ermöglicht es dem Bundeswirtschaftsminister eine vom Bundeskartellamt untersagte Fusion freizugeben, wenn die vom BKartA festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen oder einem überragenden Interesse der Allgemeinheit – kurz dem Gemeinwohl – aufgewogen werden. Im Falle der Erteilung der Ministererlaubnis kommt es also mit Sicherheit zu einer Beschränkung des Wettbewerbs als dem Garanten von Wohlstand und Freiheit in der sozialen Marktwirtschaft. 

Bemerkenswert ist dabei, dass die Ministererlaubnis ihrer Konzeption nach keine politische Entscheidung ist, sondern der Bundeswirtschaftsminister nach § 48 Abs. 1 GWB als Kartellbehörde handelt. Die Ministererlaubnis ist eine gebundene Entscheidung, die bei Vorliegen eines überragenden Gemeinwohlgrundes zwingend zu erteilen ist. 

Vor Erteilung der Ministererlaubnis ist nach § 42 Abs. 5 GWB eine Stellungnahme der Monopolkommission einzuholen. Seit der 9. GWB Novelle ist eine Abweichung von deren Votum durch den Minister gesondert zu begründen. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt jedoch, dass der Minister noch nie große Hemmungen hatte, sich über die Monopolkommission hinwegzusetzen.

Obwohl die Ministererlaubnis seit ihrer Einführung 1973 nur 23 Mal beantragt und 10 Mal erteilt worden ist (zuletzt Miba/Zollern 2019), wird sie gerade in den seltenen Fällen einer Fusionsuntersagung durch das Bundeskartellamt zum game changer: So hat die Ministererlaubnis die Branchen Rüstung (Daimler/MBB 1989), Energie (VEBA/Gelsenberg 1974, VEBA/BP 1978, E.on/Ruhrgas 2002) und Lebensmitteleinzelhandel (Edeka/Tengelmann 2016) für immer grundlegend verändert. Eine ökonomische ex-post Analyse hat dabei gezeigt, dass die mit der Ministererlaubnis verfolgten Gemeinwohlziele kaum jemals erreicht worden sind (Stöhr/Budzinski, WuW 2019, 508). 

Die Crux der Ministererlaubnis: Das Gemeinwohl

Kernvoraussetzung der Ministererlaubnis ist das Gemeinwohl. Dennoch ist die Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals unklar. Schon die in der Gesetzesbegründung genannten „staats-, wirtschafts- oder gesellschaftspolitischen Gründe“ sind derart weit gefasst, dass sie letztlich nichtssagend sind.  

Die Praxis behilft sich daher mit einer Kasuistik der in der Vergangenheit anerkannten Gemeinwohlgründe. Diese Kasuistik ist so vielfältig wie die Geschichte der Ministererlaubnis und reicht von der Sicherung der Energieversorgung, der Entlastung öffentlicher Haushalte, der Sicherung von Arbeitsplätzen oder dem Klima- und Umweltschutz bis hin zur Pressevielfalt. 

Das Manko dieser Kasuistik ist, dass sie weder die Abwägungsentscheidung zwischen Gemeinwohl und Wettbewerbsschutz ersetzen kann, noch konsistent ist. Was einmal als Gemeinwohlgrund anerkannt worden ist, kann es schon wenige Jahre später nicht mehr sein und umgekehrt. 

Das Gemeinwohl in der pluralistischen Gesellschaft

Diese Schwierigkeit bei der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs liegt in der Struktur der modernen und pluralistischen Gesellschaft begründet, in der eine Vielzahl von Gemeinwohlvorstellungen nebeneinander existieren und miteinander konkurrieren. 

Gerade in den besonders umstrittenen Ministererlaubnisverfahren der Vergangenheit – wie Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002) oder Edeka/Tengelmann (2016) – trafen diese konkurrierenden Gemeinwohlvorstellungen in der Öffentlichkeit mit voller Wucht aufeinander: Jede Seite führte für ihre Position eine Vielzahl von Argumenten und Experten an und warf zugleich der Gegenseite vor, das Gemeinwohl zu verraten. 

Dieser Riss ging mitten durch die Gesellschaft, teils mitten durch politische Parteien hindurch, ohne dass es einen archimedischen Punkt gegeben hätte, von dem aus der Bundeswirtschaftsminister die Richtigkeit der Argumente hätte beurteilen können. 

Regelmäßig wurde daher die Vermutung geäußert, dass in dieser unklaren Entscheidungssituation letztlich sachfremde politische Aspekte, und eben nicht das Gemeinwohl den Ausschlag für die Entscheidung des Ministers gegeben hätten. So seien etwa die Initiation der Fusion durch den Minister (Daimler/MBB), der Einfluss gut organisierter Interessengruppen (Verdi bei Edeka/Tengelmann, Energiewirtschaft bei E.on/Ruhrgas) oder die Karriere des Ministers („Rettergestus“ bei Edeka/Tengelmann, „Konzernschmied“ bei Daimler/MBB) entscheidend gewesen.

Der Bundestag als Forum der öffentlichen Meinungsbildung

Angesichts der öffentlichen Kontroversen um die Ministererlaubnis ist es nur naheliegend, den Bundestag als Zentrum der politischen und demokratischen Debatte in das Ministererlaubnisverfahren mit einzubeziehen.

Einer der in der Vergangenheit diskutierten Vorschläge ist dabei die Einführung einer Bundestagsdebatte vor Erteilung der Ministererlaubnis, verbunden mit einem optionalen Votum des Bundestags, über das sich der Bundeswirtschaftsminister nur mit Zustimmung der Bundesregierung hinwegsetzen kann. 

Dieser Vorschlag hätte zunächst den Vorteil, dass sich in Rede und Gegenrede die widerstreitenden Meinungen und Positionen im Bundestag herauskristallisieren könnten. Die verschiedenen Entscheidungsoptionen für den Minister würden klar zu Tage treten. Zugleich würde die mit einer Bundestagsdebatte einhergehende Öffentlichkeit das Risiko von Hinterzimmerabsprachen reduzieren.

Dennoch kann selbst das optionale Votum des Bundestages das Kernproblem der Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs nicht lösen, da es weiterhin an Kriterien dafür fehlt, wann eine Entscheidung parteipolitischen Interessen und wann dem Gemeinwohl entspricht. Das Risiko der Beeinflussung durch sachfremde Aspekte würde zwar verringert werden, aber trotz der erhöhten Transparenz fortbestehen. 

Grundsätzlich ist es zudem unwahrscheinlich, dass die Regierungsparteien ein Vorhaben des von ihnen gestellten Bundeswirtschaftsministers blockieren würden, zumal sich der Bundeswirtschaftsminister mit Rückendeckung der Bundesregierung über ein Veto des Bundestags hinwegsetzen könnte. An den zentralen Problemen der Ministererlaubnis ändert dieser Reformvorschlag daher letztlich wenig.

Die Gretchenfrage: Parlamentserlaubnis statt Ministererlaubnis? 

Trotz aller Beteuerungen, dass es sich bei der Ministererlaubnis formal um eine streng objektive Entscheidung des Ministers als Kartellbehörde handele (§ 48 Abs. 1 GWB), ist es daher an der Zeit, der Realität ins Gesicht zu blicken und zu akzeptieren, dass die Ministererlaubnis faktisch eine hochpolitische Entscheidung ist. 

Von dieser Erkenntnis ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Parlamentserlaubnis. Denn so paradox dies auf den ersten Blick auch scheinen mag: Gerade die offene Politisierung der Ministererlaubnis durch die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf den Bundestag bietet das Potential, eine Parlamentserlaubnis am Gemeinwohl und nicht an parteipolitischen Partikularinteressen auszurichten. 

Entscheidende Bedingung für eine am Gemeinwohl orientierte Parlamentserlaubnis ist es jedoch, nicht eine einfache Mehrheit genügen zu lassen, die die Parlamentserlaubnis ebenfalls dem logrolling der Regierungsparteien anheim stellen würde, sondern eine Zweidrittelmehrheit zu verlangen. 

Wettbewerb als Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft

So garantiert allein das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit den parteiübergreifenden Konsens über das Vorliegen von Gemeinwohlgründen, der erforderlich ist, um eine Ausnahme vom Wettbewerbsprinzip als Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft zu legitimieren. 

Durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Bundestag würde die Ministererlaubnis zum Gegenstand einer öffentlichen politischen Interessenabwägung gemacht, die durch das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit zugleich an das Gemeinwohl rückgebunden wäre. In der rechts- und politiktheoretischen Literatur ist dabei schon seit langem anerkannt, dass das Gemeinwohl allenfalls durch einen öffentlichen und diskursbasierten Konsens bestimmt werden kann. 

Gewaltenteilung und Gemeinwohl

Hauptargument gegen eine Parlamentserlaubnis ist die damit verbundene Durchbrechung der Gewaltenteilung. Durch eine Parlamentserlaubnis würde die Legislative eine Entscheidung der Exekutive aufheben. Formell ließe sich dies dadurch abmildern, dass weiterhin der Bundeswirtschaftsminister die formelle Entscheidung trifft, materielle Voraussetzung jedoch ein Beschluss des Bundestages mit Zweidrittelmehrheit ist. Gerade die Gewaltenteilung könnte so die Ausrichtung der Ministererlaubnis am Gemeinwohl verbessern.

Solange man die Ministererlaubnis trotz aller bisherigen Fehlentscheidungen nicht abschaffen möchte, ist es daher ratsam, dieses gefährliche Instrument in die Hände des Bundestags zu legen und an die hohe Hürde einer Zweidrittelmehrheit zu koppeln, um parteipolitischen Missbrauch zu verhindern. Selbst in diesem Fall bleibt allerdings das aus der Vergangenheit wohlbekannte Risiko bestehen, dass eine Minister- bzw. Parlamentserlaubnis zur Erreichung der angestrebten Gemeinwohlziele weder geeignet noch erforderlich ist. 

Im Vergleich zum status quo wäre eine Übertragung der (materiellen) Entscheidungskompetenz auf den Bundestag, verbunden mit dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit, dennoch ein erheblicher Fortschritt. 

Dr. Maximilian Konrad, MSc (LSE) ist angestellter Rechtsanwalt in einer auf geistiges Eigentum spezialisierten Kanzlei in München und selbstständiger Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. und München. Seine Dissertation zum Thema „Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis“ wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

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