CONFERENCE DEBRIEFING (24): Sachverständigenanhörung zum Projekt „Deutsch-französisches Wirtschaftsgesetzbuch“
Braucht es ein gemeinsames deutsch-französisches Wirtschaftsgesetzbuch? Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung ist zumindest dieser Meinung. Die Arbeitsgruppe „Harmonisierung des deutschen und des französischen Wirtschafts- und Insolvenzrechts“ soll daher Vorschläge für eine deutsch-französische Harmonisierung des Wirtschafts- und Insolvenzrechts erarbeiten. In der zweiten Sachverständigenanhörung am 19. März 2021 ging es auch um Vorschläge einer Vereinheitlichung des Kartellrechts. Anna‑Jacqueline Limprecht und Patrick Hauser berichten.
Ein neues Gesetzesvorhaben? Den meisten steht vermutlich der Schweiß auf der Stirn, wenn sie an das endlose Gesetzgebungsverfahren zur 10. GWB-Novelle (siehe nur hier, hier und hier) denken. Aber wie heißt es so schön? Nach der GWB-Novelle ist vor der GWB-Novelle? Keine Sorge, so schnell geht es dann doch nicht.
Doch jetzt einmal Butter bei die Fische: Worum geht es denn eigentlich?
Langfristiges Ziel ist die Ausarbeitung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsgesetzbuchs für alle Mitgliedstaaten, das unter anderem das Kartellrecht regelt. Zunächst soll jedoch erst einmal binational ein deutsch-französisches Wirtschaftsgesetzbuch erarbeitet werden. Als Ausgangsbasis dienen dabei die Vorschläge der Association Henri Capitant (HC) für die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsgesetzbuchs mit Regelungsentwürfen für das Insolvenzrecht zur Schaffung einer neuen europäischen Gesellschaftsform, zum Bank- und Finanzmarktrecht sowie zum Marktrecht (HC-Entwurf).
Basierend auf den Vorschlägen von HC fand nun am 19. März 2021 eine Sachverständigenanhörung zur Vereinheitlichung des Bank- und Finanzmarktrechts sowie des Marktrechts statt. Neun Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis gaben ihre Stellungnahmen im Rahmen einer zweistündigen Anhörung ab und stellten sich aufmerksam den Fragen der französischen und deutschen Parlamentarier. Zu unserer Freude sind die Direktoren des Instituts für Kartellrecht Professor Christian Kersting und Professor Hans Jürgen Meyer-Lindemann ganz vorne mit dabei und beziehen sich in ihrer Stellungnahme auf den Bereich des Kartellrechts.
Christian Kersting betonte vorweg, dass es sich um ein äußerst verdienstvolles und spannendes Projekt handelt, welches die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Integration von Deutschland und Frankreich zu fördern und zu vertiefen geeignet ist. Festzustellen ist auch, dass das Projekt für eine Vereinheitlichung nicht grundsätzlich ungeeignet ist. Aber (Achtung Spoileralarm!) der HC-Entwurf bedarf noch einer grundlegenden Überarbeitung.
Angesichts der knappen Vortragszeit wurden in der Anhörung natürlich nur die wichtigsten Punkte angesprochen. Alle, die sich mit dem Inhalt vertieft beschäftigen möchten, finden die vollständige schriftliche Stellungnahme von Christian Kersting auf der Webseite der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Die Stellungnahme von Hans Jürgen Meyer-Lindemann ist dort ebenfalls nachzulesen. Für die Kurzfassung müssen Sie indes nicht lange klicken, sondern können sich entspannt zurücklehnen und weiterlesen:
Zu den Einzelheiten (natürlich nur grob zusammengefasst):
Der HC-Entwurf war ursprünglich als Entwurf eines europäischen Rechtsakts gedacht. Jetzt soll er als Ausgangspunkt für ein binationales Gesetz dienen. Wie jeder wahrscheinlich noch aus Schulzeiten weiß, birgt ein einfaches Übernehmen der Formulierungen des Sitznachbarn des ursprünglichen Vorschlags Gefahrenquellen. Verzichtet werden kann in einem zukünftigen binationalen Gesetz daher auf die Regeln, die sich bereits im europäischen Recht finden. Etwa die Verfahrensregelungen der VO 1/2003 sowie die Regeln der Fusionskontrollverordnung und natürlich insbesondere die materiell-rechtlichen Regelungen des Vertrags, d.h. Kartellverbot des Art. 101 AEUV und das Verbot des Missbrauchs einer markbeherrschenden Stellung des Art. 102 AEUV, können nicht einfach durch nationales Recht überschrieben werden. Möglich sind daher nur Ergänzungen in den Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten selbst die Feder für eigene Gesetzesblätter schwingen dürfen. Zu denken ist da an weitergehende Regelungen des Missbrauchsrechts sowie den Bereich der nationalen Fusionskontrolle. Um dann aber doch nicht zu viel harmonisieren zu müssen, klammert der HC-Entwurf die nationale Fusionskontrolle vorsorglich bewusst aus. Die Gründe dafür mögen in den unterschiedlichen nationalen Aufgreifschwellen liegen. Dieser Punkt sollte bei einem binationalen Vorhaben, das nicht mehr 28 27, sondern nur noch zwei Rechtsordnungen zusammenführen muss, noch einmal überdacht werden.
Um nochmal auf das im Januar endlich zur Welt gekommene Kartellrechtsbaby mit dem wunderschönen Namen „10. GWB-Novelle“ zurückzukommen
Der deutsche Gesetzgeber hat im internationalen Vergleich mit den Regelungen des GWB-Digitalisierungsgesetzesauf jeden Fall eine Vorreiterrolle eingenommen. (Da kann man ihm durchaus auch mal auf die Schulter klopfen.) Gut, zugegebenermaßen gibt es – wie natürlich auch schon berichtet – mittlerweile auch auf der Ebene der EU mit dem vorgeschlagenen Digital Markets Act Regelungsansätze für die Bereiche der Plattformökonomie und allgemein der digitalen Märkte. Der HC-Entwurf greift die Auswirkungen der Digitalisierung hingegen nicht auf und berücksichtigt die aktuellen kartellrechtlichen Entwicklungen nur unzureichend. Diese Ansätze sollte man dann doch noch einmal intensiv diskutieren und aufgreifen.
(Zu) starke Orientierung am französischen Recht (?)
Generell vermittelt der HC-Entwurf den Eindruck einer starken Orientierung am französischen Recht. Dies betrifft nicht nur die (fehlenden) Regelungen zur Plattformökonomie, sondern auch andere Bestimmungen wie etwa den Schwellenwert für die Marktbeherrschungsvermutung und die – rechtspolitisch problematische – Freistellungsmöglichkeit beim Marktmachtmissbrauch. Hier muss noch Einigkeit erzielt werden. Es erscheint wichtig, Besonderheiten, die im deutschen und französischen Recht bestehen, so aufeinander abzustimmen und sinnvoll zu ergänzen, dass das binationale Regelungsvorhaben nicht nur für Deutschland und Frankreich, sondern auch im internationalen Vergleich einen Mehrwert bietet (erneut Hut ab vor § 18 Abs. 2a, Abs. 3a, Abs. 3b, § 19 Abs. 2 Nr. 4 sowie § 20a Abs. 1a GWB).
Die Überarbeitung des Kartellschadensersatzrecht hat doch auch mal Urlaub verdient
Ob daneben auch eine binationale Vereinheitlichung des Kartellschadensersatzrechts, wie sie der HC-Entwurf vorsieht, erforderlich ist, erscheint fragwürdig. Einerseits dürfte die Kartellschadensersatzrichtlinie, die von Deutschland und Frankreich umgesetzt wurde, schon jetzt für eine Konvergenz der Ergebnisse sorgen. Andererseits ist es bei einer (weiteren) Vereinheitlichung im Detail wichtig, dass sich die Regelungen in das jeweilige allgemeine Deliktsrecht sowie das Zivilprozessrecht einpassen, die eben nicht vereinheitlicht werden sollen. Wenn im Bereich des Kartellschadensersatzes eine Vereinheitlichung dann doch durchgesetzt werden soll, gibt es allerdings andere Sorgenkinder: Die bestehenden Regelungen zur effektiven kollektiven Rechtsdurchsetzung erscheinen nämlich derzeit unzureichend: Wir brauchen echte Sammelklagen!
Auf Los geht’s los im Sprint um das aktuellste Recht
Dem Kartellrecht wird häufig vorgeworfen, nicht schnell genug auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Diese Gefahr könnte durch ein binationales Gesetz, welches nur in einem zwischen Deutschland und Frankreich abgestimmten Gesetzesverfahren angepasst werden könnte, weiter vergrößert werden. In jedem Fall wird man auf der Zeitschiene beachten müssen, dass das Projekt nicht von europäischen Regelungen wie dem Digital Markets Act überholt wird und bereits bei Inkrafttreten nicht mehr den aktuellen Erkenntnisstand widerspiegelt. Auch die Novellierungen der Vertikal-GVO und der horizontalen GVOen (Spezialisierung/F&E) und Leitlinien sowie der zukünftigen Bekanntmachung zur maßgeblichen Marktdefinition darf man nicht aus den Augen lassen. Doch – fingers crossed – die Letzten werden ja bekanntlich die Ersten sein.
Harmonisierung schön und gut, aber wer muss es hinterher ausbaden?
Bei einer Vereinheitlichung des nationalen Rechts zu einem binationalen Recht muss geklärt werden, inwieweit auch eine einheitliche Auslegung der Vorschriften sichergestellt werden kann und soll. Dieser Einwand interessierte die Abgeordneten besonders und wurde in der anschließenden Diskussion auch nochmals aufgegriffen. Mehrheitliche Zustimmung gab es dafür, dass der EuGH dies wohl allenfalls bei einer Übernahme des europäischen Rechts als nationales bzw. binationales Recht leisten könnte. Nicht einig waren sich unsere Düsseldorfer Experten, ob eine neue deutsch-französische Gerichtsbarkeit oder zumindest ein „großer Senat“, der sich aus Mitgliedern der Cour de Cassation und des BGH zusammensetzen könnte, geschaffen werden soll. Während Christian Kersting dies als denkbare Möglichkeiten in die Diskussion einbrachte, war Hans Jürgen Meyer-Lindemann skeptisch. Ein entsprechendes Vorhaben würde seiner Meinung nach nicht zu einer Vereinfachung und Harmonisierung beitragen, sondern im Gegenteil zu weiteren Friktionen in Europa führen.
Wie geht es nun also weiter?
Die Idee eines deutsch-französischen Wirtschaftsgesetzbuchs ist ein durchaus spannendes und ambitioniertes Projekt und kann eine Vielzahl neuer Impulse bieten. Rechtsvergleichend sollte nun noch stärker herausgearbeitet werden, an welchen Stellen deutsch-französischer Harmonisierungsbedarf besteht und welche unterschiedlichen Lösungsansätze existieren. Für das Kartellrecht ist der Entwurf eine erste Ausgangsbasis, bedarf allerdings noch erheblicher Überarbeitung. Zu bedenken ist, inwieweit das Kartellrecht aufgrund der bereits weit fortgeschrittenen europäischen Harmonisierung und der intensiven Abstimmung zwischen den Wettbewerbsbehörden hier überhaupt eine Vorreiterrolle einnehmen sollte. Weitere spannende Diskussionen sind daher zu erwarten.
Im wahrsten Sinne des Wortes also: to be continued…
Anna-Jacqueline Limprecht und Dr. Patrick Hauser sind Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht von Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Anna-Jacqueline Limprecht ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin, Dr. Patrick Hauser Akademischer Rat a.Z. und Habilitand. Zudem ist er Geschäftsführer des Instituts für Kartellrecht. Beide haben an der Stellungnahme von Professor Kersting mitgearbeitet.