LG Dortmund: Aktivlegitimation des Unternehmens?!

LG Dortmund: Aktivlegitimation des Unternehmens?!

Es wird nicht ruhig im Kartellschadensersatzrecht. Erst neulich hat das LG Dortmund zur Passivlegitimation von Schwestergesellschaften geurteilt. In unserem Blog wurde dies hier besprochen. In einer brandaktuellen Entscheidung hat sich das Gericht jetzt auch zur Aktivlegitimation des Unternehmens geäußert. Christian Kersting berichtet.

Seit der Entscheidung des EuGH in Sachen Skanska (EuGH, Urt. v. 14.03.2019, C-724/17) sollte für das Kartellrecht eigentlich klar sein: für Verstöße gegen das Kartellrecht haftet das Unternehmen und mit ihm haften die Träger des Unternehmens. Diese kartellrechtliche Konzernhaftung hat der Autor dieser Zeilen seit langem vertreten (zuletzt Kersting, in LMRKML, 4. Auflage 2020, GWB § 33a Rn. 20 ff., 28 ff., 31 ff.) und langsam setzt sich dies auch in der Rechtsprechung durch (vgl. dazu Wagener, NZKart 2019, 535, 537 f.). Zur offenen Frage der Schwesternhaftung hat sich kürzlich das LG Dortmund zutreffend positioniert und die Haftung obiter bejaht (LG Dortmund, Urt. v. 08.07.2020 – 8 O 75/19 Kart). Insofern bleibt nun die Entscheidung des EuGH in Sachen Sumal abzuwarten (Rs. C-882/19, siehe dazu hier sowie Wagener, NZKart 2020, 238 ff.).

In der Folge von Skanska stellt sich immer mehr die Frage nach der Rechtsträgerschaft des kartellrechtlichen Unternehmens (Kersting, WuW 2019, 290 ff. m.w.N.; siehe hierzu auch Otto, NZKart 2020, 285 ff.; Otto, NZKart 2020, 355 ff.; Hauser, WuW 2019, 123 ff.; Schildgen, Rechtsfähigkeit des Unternehmens im Unionswettbewerbsrecht). Die zu bejahende Kartellrechtsfähigkeit des Unternehmens wirft sodann – spiegelbildlich zu seiner vom EuGH anerkannten Passivlegitimation – die Frage auf, ob das Unternehmen nicht auch Gläubiger von Kartellschadensersatzansprüchen sein kann, ob es also nicht auch aktivlegitimiert sein kann (bejahend bereits Kersting, WuW 2019, 290, 297, siehe auch Kersting, in LMRKML, 4. Auflage 2020, GWB § 33a Rn. 18).

Das LG Dortmund (B. v. 09.09.2020 – 8 O 42/18 Kart) hält auch dies nun für möglich. Hintergrund des Falles ist ein Streit um die örtliche Zuständigkeit. Diese lässt sich im vom Gericht entschiedenen Fall nur begründen, wenn die Muttergesellschaft einen eigenen kartellrechtlichen Anspruch hat, obwohl nicht sie selbst, sondern ihre Töchter die kartellbefangenen Lkw erworben haben. Schauen wir uns die entscheidenden Passagen an (Rn. 18):

Auch greift hier nicht der Gedanke einer auf das Kartellrecht bezogenen Überwindung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips als Ausnahme von der soeben aufgezeigten Regel ein. Eine solche kommt zwar – jedenfalls im Rahmen des Anwendungsbereichs des Art. 101 AEUV – aus besonderen Gründen im Rahmen der Haftung konzerntechnisch verbundener Unternehmen in Betracht (dazu zuletzt LG Dortmund, U.v. 08.07.2020 – 8 O 75/19 [Kart]; grundlegend dazu Kersting, WuW 2014, 1156; Kersting-Preuß, WuW 2016, 394).

Dies ist nicht neu, sondern greift die Frage der Passivlegitimation erneut auf. Dann aber kommt es direkt im Anschluss:

Dies führt aber nicht automatisch dazu, dass nun Konzerngesellschaften die Ansprüche anderer Gesellschaften desselben Konzerns geltend machen können bzw. dass gleichsam automatisch der Gesamtkonzern dazu berechtigt wäre. Zwar sind, etwa im Rahmen des Behinderungsmissbrauchs, Fälle denkbar, in denen das Gesamtunternehmen unmittelbar durch die Rechtsverletzung als geschädigt angesehen werden könnte (vgl. dazu Kersting, WuW 2019, 290, 297f.).

Auch wenn das LG Dortmund einem Automatismus, wonach die Passivlegitimation des Unternehmens auch seine mögliche Aktivlegitimation bedingt, eine Absage erteilt, so hält es eine Aktivlegitimation doch in bestimmten Fällen für möglich, insbesondere beim Behinderungsmissbrauch. Das ist auch richtig, weil sich ein Behinderungsmissbrauch oder Boykott gegen das Unternehmen insgesamt richtet und nicht nur gegen einzelne Träger des Unternehmens. Anders sei dies jedoch, wenn der Schaden – wie es auch im zugrundeliegenden Rechtsstreit der Fall ist – auf einem Kartell basiert. Im Fall einer Preisabsprache sei nämlich eine konkrete, rechtlich selbständige Unternehmensgesellschaft identifizierbar, welche unmittelbar von der Rechtsverletzung betroffen ist. Auch konzernrechtliche Erwägungen führten insofern nicht zu einem eigenen Anspruch der Mutter aufgrund der Schädigung der Töchter. Diese Aussage wirft dann aber die Frage auf, ob ein eigener Anspruch der Mutter, der zur Bejahung der örtlichen Zuständigkeit führen würde, nicht doch auch im Falle von Preisabsprachen zu bejahen ist. Das LG Dortmund (B. v. 09.09.2020 – 8 O 42/18 Kart, Rn. 19) führt hierzu aus:

„Aber auch wenn man dem Vorschlag Kerstings (WuW 2019, 290, 297) folgt, das (Gesamt-)Unternehmen als Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs anzusehen, kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Schaden primär bei der über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügenden Tochter- bzw. Enkelgesellschaft eingetreten ist. Auch wenn man also das Gesamtunternehmen aufgrund von Wertungsgesichtspunkten im Rahmen des Kartellrechts als Gläubigerin ansieht, muss es dennoch für den deliktischen Gerichtsstand bei den oben dargelegten Grundsätzen bleiben.“

Letztlich lässt es die Frage damit offen und hält nur fest, dass hier zwischen einer kartellrechtlich möglicherweise zu bejahenden Aktivlegitimation des Unternehmens und der Anwendung des § 32 ZPO zu trennen ist. Dies betont einen wichtigen Punkt: der kartellrechtliche Unternehmensbegriff beansprucht Geltung (nur) für das Kartellrecht. Die Passivlegitimation des Unternehmens begründet daher eine kartellrechtliche Haftung, keine allgemein zivilrechtliche Haftung, so dass ein Untergang von Konzernrecht, Haftungsbeschränkung und allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts nicht zu befürchten ist (dazu Kersting, Der Konzern 2011, 445, 452; Kersting in FIW Jahrbuch 2018, 113, 131; Kersting in LMRKML, 4. Auflage 2020, GWB § 33a Rn. 32). Es ist daher auch keineswegs gesagt, dass die kartellrechtliche Aktivlegitimation des Unternehmens Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche hat. Das LG Dortmund hat solche Auswirkungen auf das Zivilprozessrecht verneint. Ob dies überzeugen kann, soll an anderer Stelle näher untersucht werden.

Wichtig ist hier: das LG Dortmund hat die Debatte um die Aktivlegitimation des Unternehmens im Bereich des Zivilprozessrechts aufgegriffen. Auch in anderen Bereichen ist diese von Bedeutung, etwa für den Einwand des pass-on im Konzern (Kersting, WuW 2019, 290, 298; siehe dazu auch LG Frankfurt a.M., Urt. v. 10.08.2018, 2-03 O 239/16, WuW 2018, 590, 591 f.; LG Stuttgart, Urt. v. 14.12.2018, 30 O 26/17, WuW 2019, 110, 112). Hoffen wir daher, dass die Debatte Fahrt aufnimmt. Auch der BGH scheint sich in diese Richtung zu bewegen, freilich noch ohne sich explizit auf diese Debatte zu beziehen (vgl. BGH, 19.05.2020 – KZR 8/18, Schienenkartell IV – Rn. 64, 49).

Prof. Dr. Christian Kersting LL.M. (Yale) ist einer der Direktoren des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

5 Gedanken zu „LG Dortmund: Aktivlegitimation des Unternehmens?!

  1. In Art. 101 AEUV gilt der kartellrechtliche Unternehmensbegriff und der EuGH sieht das Kartell-Schadensersatzrecht sehr weitgehend durch Art. 101 AEUV vorgeprägt an. Das legt grundsätzlich nahe, den Unternehmensbegriff auf das Kartell-Schadensersatzrecht zu übertragen, wie es der EuGH in Skanska getan hat. Allerdings benutzt Art. 101 AEUV den Unternehmensbegriff nur für die an Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise Beteiligten. Die Übertragung des Unternehmensbegriffs auf die Geschädigten ergibt sich daraus noch nicht. Dann müssten die Erwägungen des EuGH bei der Auslegung des Unternehmensbegriffs im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit auch auf die Kartellgeschädigten anwendbar sein. Da sehe ich wesentliche Unterschiede. Bei den Kartellanten geht es darum, für wen die natürlichen Personen gehandelt haben, wer sie hätte überwachen müssen, wer die Absprachen umsetzt, wer davon profitiert usw. Bei den Geschädigten stellen sich ganz andere Fragen. Ähnlich ist vielleicht noch der Punkt, wer am Ende in der wirtschaftlichen Einheit den Schaden getragen hat. Aber es bleibt sicher eine spannende Diskussion!

    1. Ein kurzer Gedanke hierzu: nach Courage ist „jedermann“ anspruchsberechtigt. Muss hierzu nicht auch das Unternehmen gehören, wenn anders die Effektivität der Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs leidet? Dies droht jedenfalls dann, wenn das Unternehmen als solches Opfer der wettbewerbswidrigen Handlung ist (siehe für das deutsche Recht auch §§ 19 II Nr. 1, 4, 5, §§ 20, 21 GWB). Es ist aber auch in bestimmten Konstellationen des pass-on nicht von der Hand zu weisen.

      1. Wenn man das Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit als Rechtsträger versteht, fände ich das durchaus folgerichtig (wäre das Unternehmen dann auch als Anspruchsinhaber Vermögensträger?). Ansonsten wäre „jedermann“ diejenige juristische Person oder Personengesellschaft im Unternehmen, welche den Schaden erlitten hat. Ich kann auch gut die Argumentation mit dem Effektivitätsgrundsatz nachvollziehen. Dann müssten sich m.E. andere Lösungen, z.B. die präventive Abtretungen möglicher Ansprüche in der Praxis als unzureichend erweisen (vgl. BGH, 19.05.2020 – KZR 8/18, Schienenkartell IV – Rn. 49).

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