Conference Debriefing (21/22): Sustainability, Platforms

Conference Debriefing (21/22): Sustainability, Platforms

Einmal im Jahr ruft das Bundeskartellamt Professoren- und Richterschaft zusammen, um ein aktuelles Thema zu diskutieren. Thema dieses Jahr: Nachhaltigkeit und Wettbewerb. Am Tag zuvor war beim „European Data Summit“ über Plattformregulierung diskutiert worden. Rupprecht Podszun war bei beiden Veranstaltungen zugegen – hier ist sein doppeltes Conference Debriefing!

Name der Veranstaltung 1: Sitzung des Arbeitskreises Kartellrecht (vulgo „Professorentagung“)

Thema: „Offene Märkte und nachhaltiges Wirtschaften – Gemeinwohlziele als Herausforderung für die Kartellrechtspraxis“

Ort & Zeit: 1. Oktober 2020, Zoom

Gastgeber: Bundeskartellamt – durchs Programm führten Vizepräsident Konrad Ost und Silke Hossenfelder, die Leiterin der Grundsatzabteilung

Publikum: Angeblich waren mehr Profs und Richter*innen denn je zugeschaltet. Konrad Ost, der die Teilnehmerliste einsehen konnte, begrüßte namentlich EuG-Richter Johannes Laitenberger, den Vorsitzenden des BGH-Kartellsenats Peter Meier-Beck, Jürgen Kühling als neuen Vorsitzenden der Monopolkommission und Andreas Heinemann als Chef der schweizerischen Weko.

Name der Veranstaltung 2: European Data Summit 2020

Thema: „The Winner Takes It All“

Ort & Zeit: 30. September 2020, Berlin und online

Gastgeber: Konrad-Adenauer-Stiftung – Pencho Kuzev ist der Mastermind hinter dieser dreitägigen Veranstaltung, die sich am ersten Tag primär ums Kartellrecht drehte

Publikum: Im Auditorium der Adenauer-Stiftung saßen mit gebührendem Abstand und meist mit Maske Panelisten, Thinkers aus Think Tanks, Lobbyisten und Rechtspolitiker: Thorsten Käseberg aus dem Bundeswirtschaftsministerium, EU-Parlamentarier Andreas Schwab und die Mitarbeiter von einschlägigen Bundestagsabgeordneten, Konstantin Kutscher und Jan-Hendrik Kuntze.

Es scheint, als sei der Konferenzzirkus wieder in Gang gekommen…

Endlich! Aber digital. Hybride Konferenzen sind noch immer nur der halbe Spaß. Bei der Adenauer-Stiftung, wo sich um die 50 Personen aufhalten durften, gab es beim abschließenden Empfang nicht einmal Alkohol! Und schon, wenn man sich vom Finger Food bedienen wollte, wurde man in freundlichstem Berlinerisch angeherrscht, dass man sich nicht selbst bedienen dürfe – und das Herumstreifen ums Buffet ist ja für arme Wissenschaftler der wesentliche Antrieb, Konferenzen zu besuchen.

Ich dachte, beim European Data Summit hättest du auch eine Studie vorgestellt…

Oh, danke für diese gute Frage! Die Einladung zum schamlosen self-preferencing nehme ich gern an. Übrigens: Kartellamtspräsident Andreas Mundt (der zwar beim European Data Summit war, der aber traditionell die Professorentagung seiner eigenen Behörde seinem Vize überlässt) wies darauf hin, dass die Definition von „self-preferencing“ äußerst schwierig sei. Im Kommissions-Fall Google Shopping habe man am Ende über Farbtöne diskutiert, in denen etwas angezeigt werde. (Ich nehme an, Mundt meinte Rz. 547 der Entscheidung). Mundt wollte das als Mahnung verstanden wissen, dass es mit § 19a GWB-E und dem geplanten Digital Services Act, der ex ante-Regeln für Plattformen vorsieht, durchaus weiterhin schwierig bleibe, glasklare Verstöße zu identifizieren. Ich wäre mir daher gar nicht so sicher, ob es jetzt Selbstbevorzugung ist, wenn ich über die Studie berichte, die der britische Kartellrechtstausendsassa Philip Marsden und ich für die Konrad-Adenauer-Stiftung geschrieben haben und in Berlin vorgestellt haben. Titel: „Restoring Balance to Digital Competition – Sensible Rules, Effective Enforcement“.

Gibt es denn noch nicht genug Studien zu digital competition?

Andreas Mundt, speaking at the European Data Summit. Pic by Juliane Liebers/KAS

Schon, aber zwei Dinge sind anders: Erstens ist die Europäische Kommission mit ihren Vorschlägen für ein „New Competition Tool“ und den „Digital Services Act“ vorgeprescht. Die ersten Entwürfe sind ja bereits geleakt worden (was übrigens Agustin Reyna aus einer Governance-Perspektive gar nicht so glücklich findet).

Zweitens sind Philip und ich dahin gegangen, wo es weh tut: ins enforcement. Mir sind in der Zusammenarbeit mit Philip (die ungefähr so lustig und großartig war, wie ich mir das vorher vorgestellt hatte) drei Dinge klar geworden.

Ich höre.

Erstens: Wenn wir die Macht der Plattformen ernsthaft begrenzen wollen, und das ist ja der Tenor aller vorhergehenden Reports, brauchen wir einen Durchbruch, wir müssen raus aus unseren Schubladen. Mit ein bisschen Nachschärfung hier und dort ist es nicht getan.

Zweitens: Es sollte jetzt schnell gehen – jede weitere Machtverfestigung in der Plattformökonomie wird sehr schwer rückgängig zu machen sein (if ever).

Drittens: Dieser Durchbruch hängt am institutionellen Design und der Rechtsdurchsetzung. Also haben wir uns – neben den Prinzipien und einigen konkreten Regeln – besonders angeschaut, wie neue Tools aussehen könnten und durchgesetzt werden sollten.

Da braucht’s ex ante-Regeln, Market Investigations nach UK-Vorbild und einen klaren Mechanismus, wie DG COMP und DG CNCT in Brüssel zusammenarbeiten und wie sie die Marktteilnehmer und die nationalen Behörden einbinden. Alles Weitere lässt sich hier nachlesen, der Download ist kostenlos, unverbindlich, ohne Zusatzstoffe. Die Lektüre deckt den natürlichen Tagesbedarf eines daddelsüchtigen Kindes an techlash.

Philip Marsden und Rupprecht Podszun mit ihrer Studie. Der Studie!

Jetzt reicht es aber auch mit der Eigenwerbung. Was ging beim European Data Summit denn noch so?

Externalitäten rücken in den Fokus. Andreas Mundt verblüffte mich mit einem leidenschaftlichen Plädoyer, dass das Geschäftsmodell von Facebook aus seiner Sicht überhaupt nicht funktionieren würde, wenn man die Kosten ehrlich berechnen würde. Wenn auf den Philippinen tausende von Menschen täglich die abscheulichsten Inhalte (Gewaltvideos, Pornos usw.) ansehen, monitoren und löschen müssen, für wenig Geld und ohne Betreuung, was diese Menschen nachhaltig traumatisiere, dann sei das der Preis für Facebooks Geschäft – nur dass Mark Zuckerberg in dieser Welt viel zu wenig dafür zahlen müsse. Es klang ein bisschen wie ein Vorgeschmack auf das Thema „Nachhaltigkeit“, aber das war ja erst am nächsten Tag dran.

Ein Plädoyer für eine neue Ökonomie?

Wolfgang Kerber war auch einer der Autoren der Missbrauchs-Studie des BMWi, die den Reigen der digital competition reports eröffnete. Foto: Juliane Liebers/KAS

Schon. Als Wolfgang Kerber, der kluge Ökonom aus Marburg, fragte, ob denn alles, was so im Digital Services Act kommen soll, ökonomisch unterfüttert sei, entgegnete Mundt – nicht ohne eine gewisse Befriedigung – das Pendel schwinge jetzt eben wieder etwas zurück: vom economic approach zu einem stärker normativen Ansatz. Die Frage nach der Legitimation und Begrenzung neuer Regeln für Plattformen bleibt allerdings virulent. MLex-Reporter Lewis Crofts, der sich als Co-Moderator aus dem Home Office immer mal wieder einschaltete, fragte recht unerbittlich: „What is the real harm?“ Er stellte auch sonst unangenehme Fragen, z.B. danach wie es gelinge die Verfahren der Kartellbehörden und Gerichte endlich zu reduzieren.

Was haben denn die Damen von den Wettbewerbsbehörden dazu gesagt?

Silke Hossenfelder (groß), Natalie Harsdorf und Pencho Kuzev im Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung. Foto: Juliane Liebers/KAS

Die Behördenvertreterinnen – Silke Hossenfelder vom Kartellamt (die am nächsten Tag vor einer hübschen Kartellamtswand saß, hier meldete sie sich noch aus dem Home Office), Natalie Harsdorf von der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde und Marieke Scholz von der Kommission – hielten sich natürlich weise bedeckt. Das Power Game beginnt ja erst. Sollte Vizepräsidentin Vestager ein neues Framework durchsetzen können, wird es sicher auch um die Kompetenzverteilung zwischen verschiedenen Generaldirektionen, nationaler und europäischer Ebene und allen möglichen Stellen gehen. Schwer vorstellbar, dass das harmonisch bleibt. Ich sehe zum Beispiel noch nicht, dass sich das Bundeskartellamt brav hinten anstellt, um – nach seinen Groß-Verfahren gegen Facebook und Amazon – nun der Kommission die Bühne zu überlassen. Ex ante-Regulierung wiederum ist eigentlich ein Thema, um das Wettbewerbsbehörden bislang einen Bogen gemacht haben. Im Publikum raunte sogar jemand das Wort Bundesnetzagentur, als es um die Durchsetzung von Do’s and Don’ts der Plattformbetreiber ging.

Erzähl lieber schnell weiter, bevor noch jemand diesen Gedanken aufgreift!

Die Unternehmensvertreter waren die Liebenswürdigkeit in Person: Oliver Bethell von Google zum Beispiel begrüßte die Initiativen der Kommission. Europa brauche ein „clearer rulebook“, und wenn es gelinge, einen sicheren Rechtsrahmen für digitale Innovationen zu schaffen, könne die EU künftig die Nummer 1 sein, wenn es um den Launch neuer Google-Segnungen Produkte oder Dienste gehe. Ich weiß nicht, ob alle Anwesenden das als Verheißung verstanden haben, aber Bethell wirkte sehr konstruktiv. Vielleicht fasst er die Kommission aber auch so lange noch mit Samthandschuhen an, wie er den Google/Fitbit-Merger noch durchkämpfen muss. Gegen den haben sich ja gerade 17 sehr namhafte Wettbewerbsökonomen in einer bemerkenswerten Stellungnahme ausgesprochen. Tenor: Bitte untersagen.

Fusionskontrolle gibt’s auch noch, richtig.

Ja, aber the next big thing ist dann die Market Investigation, eine Art Sektoruntersuchung, die freundlich anfängt, aber in harten Maßnahmen enden kann. Mit ihr sollen Märkte ohne konkreten Verdacht geprüft werden, insbesondere wenn ein Tipping bevorstehen könnte. Ben Schroeter von Booking.com kriegte von Moderator und Organisator Pencho Kuzev die Frage gestellt, wer denn wohl das erste Target einer EU-Market Investigation werden würde – die GAFAs seien ja raus, deren Märkte seien ja schon gekippt.

Hahaha, gemein.

Schroeter blieb cool: Alle würden wissen, dass es in der Plattformökonomie Probleme gebe, die angepackt werden müssten; er würde die Reforminitiativen willkommen heißen; Booking habe schließlich nichts zu befürchten. Ich hoffe, er hat die Ermittlungsergebnisse des Bundeskartellamts aus dem Bestpreisklauselverfahren gesehen, die das Amt in einem eher erstaunlichen Schritt aus dem Verfahren heraus veröffentlicht hat. Das Verfahren der Market Investigations scheint aber jedenfalls nicht rundweg abgelehnt zu werden, da es von Natur aus nicht so „adversarial“ ist, wie wir deutschen Juristen uns behördliche Verfahren oft vorstellen. Das gefällt Unternehmen offenbar. Marsden und ich plädieren allerdings in unserer Studie auch dafür, dass die Market Investigations von…

Schon gut, schon gut, ich lade das gleich herunter!

Sehr gut. Im Tagesspiegel Briefing gab es übrigens auch eine sehr kurze Zusammenfassung von mir… Aber weiter: Wolfgang Kopf von der Deutschen Telekom beklagte die Abhängigkeit von den App-Store-Betreibern und machte das plastisch am Beispiel der Corona-Warn-App. Rebekka Weiß ist als Vertreterin des Branchenverbands Bitkom in der undankbaren Lage, die Sicht von Startups, eher traditionellen Unternehmen und von Digitalgiganten auf einen Nenner bringen zu müssen. Bei ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle hat sie das so gelöst, dass es immer wieder heißt: „ein Teil der Mitgliedschaft meint… ein anderer Teil der Mitgliedschaft ist hingegen der Auffassung…“. Was man einmal in der kleinen Strafrechtshausarbeit bei der Darstellung von Meinungsstreitigkeiten gelernt hat, kann man eben sein ganzes Leben lang brauchen! Beim European Data Summit hatte Weiß die Botschaft: „Overregulation stifles innovation.“

Word. Am Abend ging es dann noch um die Schnittstelle von privacy und competition.

Es war spät, aber spannend. Was nicht verwunderte angesichts einer Besetzung mit dem professor-turned-top enforcer Ioannis Lianos von der griechischen Kartellbehörde und so profunden Kennern wie Simonetta Vezzoso (Uni Trento), Wolfgang Kerber (Uni Marburg), Rechtsanwalt Sebastian Louven und Aline Blankertz (Stiftung Neue Verantwortung). Es ging natürlich ruckzuck um die Facebook-Entscheidung des BGH, die Vezzoso feierte: Der Fall sei jetzt da, wo er hingehöre – beim Thema „consumer choice“: „This is about our decision what level of creepiness we are ready to accept.“ Wolfgang Kerber, der die Entscheidung sehr spannend findet, ist mit der Auflösung noch nicht ganz im Reinen: „Was ist denn, wenn alle zustimmen?“, fragte er. Dann komme es gerade nicht zu dem von Lianos beschworenen data ecosystem break up. Aus dem Publikum heraus warf Thorsten Dittmar von Poly Poly ein, Facebooks Geschäftsmodell würde kollabieren, wenn das Kartellamt sich durchsetze. Die Programmierung sei so, dass eine Aufspaltung in on-Facebook-Daten und off-Facebook-Daten nicht mehr möglich sei. Das würde zumindest diejenigen bestätigen, die den Fall für einen Treffer ins Herz des Geschäftsmodells von Facebook halten.

Simonetta Vezzoso, Ioannis Lianos, Aline Blankertz, Wolfgang Kerber, Sebastian Louven. Foto: Juliane Liebers/KAS

Apropos Herz: Sebastian Louven verstand eine eigentlich unverfängliche Frage von Moderator Kuzev so, als wolle dieser wissen, was seine Gefühle gegenüber der BGH-Entscheidung seien. Louven war eine juristische Sekunde lang perplex, dann setzte er an: „Drei Punkte…“.

Genau so stelle ich mir Juristen vor: Gefühle verpackt in drei bullet points…

Immerhin wird anerkannt, dass wir überhaupt Gefühle haben. Und jetzt kümmern wir uns sogar um Tierwohl, Fairtrade und Kinderarbeit in Asien!

Antitrust lawyers for future?

Fast. In dieser Logik wäre Martijn Snoep, Chef der niederländischen Autoriteit Consument & Markt (ACM), eine Art Greta des Kartellrechts. Konrad Ost stellte ihn – einen Tag nach der Diskussion über Plattformen – beim AK Kartellrecht des Bundeskartellamts, der „Professorentagung“, als „Star“ der Szene vor. Snoeps Behörde hat Draft Guidelines veröffentlicht, wie die ACM künftig mit Vereinbarungen umgehen will, die Nachhaltigkeit fördern und dabei möglicherweise den Wettbewerb beschränken. Die Leitlinien in ihrer Entwurfsfassung ermuntern zu „Codes of Conduct“, erklären manches schon für gar nicht vom Verbotstatbestand erfasst, eröffnen weitergehende Freistellungsmöglichkeiten, versprechen stets offene Türen und einen Verzicht auf Bußgelder. Heike Schweitzer bemerkte, dass diese Problematik sich natürlich überhaupt erst stellt, seit es den Systemwechsel zur Selbstveranlagung mit der VO 1/2003 gab. In früheren Zeiten hätten die Kartellbehörden Fälle angeschaut und daran eine Praxis entwickelt. Jetzt müssen das Anwälte leisten. Da ist behördlicher Rat in Form von Guidelines willkommen.

Konrad Ost und Martijn Snoep im Zoom.

Hat die ACM in der Vergangenheit so viele Nachhaltigkeitsinitiativen abgelehnt?

Nicht viele, aber zwei. Die Fälle SER Energieakkoord und Chicken of Tomorrow haben die Behörde scheinbar nachhaltig traumatisiert. 2015 hatte man eine Geflügel-Initiative der niederländischen Lebensmittelbranche als wettbewerbswidrig gestoppt. 2013 hielt die ACM die Vereinbarung, fünf Kohlekraftwerke abzuschalten, für unvereinbar mit Kartellrecht. Nicht auszudenken, was an der Kreuzung Muzenstraat und Zwarteweg in Den Haag los gewesen wäre, wenn es damals schon Klima-Kids gegeben hätte! Jetzt stehen Snoep und seine Leute für eine freundliche Hinwendung zu Nachhaltigkeitsinitiativen.

Man muss sich dabei allerdings über eins im Klaren sein: Wenn die niederländische Wettbewerbsbehörde künftig großzügiger bei privaten Absprachen zur Förderung des Umweltschutzes ist, ist das sympathisch, aber im Effekt auch überschaubar. Wenn das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission stärkere Einschränkungen fürs Kartellrecht akzeptieren, dann hat das ganz andere Dimensionen.

Was soll denn jetzt schon wieder diese Vorsicht? Save the planet!

Macht das Amt doch auch. Das Bundeskartellamt hat sowohl die Initiative Tierwohl durchgehen lassen als auch das Fairtrade-Siegel. Das wird im wieder einmal sehr guten Hintergrundpapier zur Professorentagung wunderbar dargestellt. Als sich aber bei der Diskussion auf der Professorentagung eine Art kuschelige Großzügigkeit gegenüber der Fairtrade-Initiative einstellen wollte, die Bauern in der Dritten Welt etwas helfen will, gab Felix Engelsing, Leiter der zuständigen Beschlussabteilung im Bundeskartellamt, zu bedenken: Effektiv impliziert Fairtrade die Vereinbarung von Mindestpreisen. Dass Preisabsprachen genau das sind, was mal als allererstes nicht geht, ist ja nun jedem Kind bekannt. Dass die Abteilung des Amtes sich dennoch durchgerungen hat, die Vereinbarungen zum Fairtrade-Siegel nicht zum Gegenstand eines Verfahrens zu machen, ist also durchaus bemerkenswert.

Das Kartellamtsteam mit Vizepräsident Konrad Ost, Grundsatzabteilungsleiterin Silke Hossenfelder und Beschlussabteiungsleiter Felix Engelsing.

Wir müssen uns also zwischen Gutmenschentum und freiem Wettbewerb entscheiden?

Es gibt ja noch eine Alternative zum „private ordering“, also zur Lösung der Öko-Probleme durch unternehmerische Vereinbarungen – staatliche Verbote. Wenn sich die Gesetzgeber dazu durchringen, eine menschenunwürdige tierunwürdige Hühnerhaltung zu verbieten, dann ist das eine rechtliche Vorgabe, die einzuhalten ist. Dann braucht es keine Absprachen von Unternehmen. Aber selbst das ist nicht einfach: Realist Engelsing hat in seinen Verfahren regelmäßig den Hinweis serviert bekommen, dass staatliche Verbote in Deutschland letztlich nur dazu führen würden, das Problem zu exportieren. Dann kommen die Hähnchenschenkel eben aus Tierfabriken außerhalb Deutschlands.

Was haben die Profs denn dazu gesagt?

Im Hauptteil saßen Achim Wambach (ZEW Mannheim), Thomas Ackermann (LMU) und Heike Schweitzer (HU Berlin) auf dem Podium vor ihren Webcams und diskutierten im Wesentlichen, wie sich solche Nachhaltigkeitsvereinbarungen am unschädlichsten im Kartellrecht berücksichtigen lassen. Das war fachlich richtig spannend. Ackermann tendiert eher zu einer Ausnahme von Art. 101 Abs. 1 AEUV, ähnlich wie im Wouters-Urteil. Er lobte übrigens sehr die Dissertation von Ludger Breuer zum Thema Gemeinwohlziele im Kartellrecht.

Heike Schweitzer plädiert für das, was sie einen „regelbasierten Ansatz“ nannte: Lieber in Art. 101 Abs. 3 AEUV die Freistellungstatbestände genau prüfen, die großen Entscheidungen bei der Politik belassen, politische Ermessenserwägungen aus dem Kartellrecht heraushalten. So wurde aus der Debatte eine solche über Zuständigkeiten und die Rolle der Kartellbehörden, denen Ackermann eher zurief: „Seid nicht so zaghaft!“ So fasste Konrad Ost das jedenfalls zusammen. Schweitzer hingegen ist zurückhaltender, hat wohl Sorge um den Kernbestand des Kartellrechts. Florian Bien (Uni Würzburg) plädierte dafür, die Unabhängigkeit des Amtes zu respektieren und es nicht mit politischen Entscheidungen zu überfordern. Notabene: Konsens bestand, dass viele Vereinbarungen, etwa wenn sie erst Wahlfreiheit für Verbraucher eröffnen, im Zweifel gar keine wettbewerblichen Probleme aufwerfen.

Konrad Ost mit den drei Referenten Thomas Ackermann, Heike Schweitzer und Achim Wambach bei der 1. virtuellen Professoren-Tagung.

Und der Ökonom in der Runde, Achim Wambach?

Der dachte als ehemaliger Chef der Monopolkommission beim Thema „Gemeinwohlziele“ erst einmal an die Ministererlaubnis – wo der Begriff ihm nicht so viel Freude bereitet hat. Oliver Budzinski (TU Ilmenau) sekundierte, dass nach den empirischen Recherchen von ihm und Annika Stöhr die Gemeinwohlziele der Ministererlaubnisverfahren der Vergangenheit kaum je erreicht wurden. Ansonsten war Wambach der geradlinige Ökonom, als den wir ihn kennen.

Wie meinst Du das schon wieder?

Sagen wir mal so: Ich bin froh, dass die “Professorentagung” des Bundeskartellamts schon immer eine closed shop-Veranstaltung ist, diesmal halt nicht mit persönlicher Einladung, sondern mit personalisierter Zugangskennung. Wenn Fridays-for-future-Aktivist*innen hören würden, wie wir über die brennendste Frage des Planeten diskutieren, würden sie uns wahrscheinlich kollektiv als „alte weiße Männer“ abstempeln. Was wir nicht sind. Wir halten uns eben auch bei der Prüfung von Nachhaltigkeitsinitiativen an dem fest, was derzeit als „rule of law“ trendet. Da dauern Revolutionen schon einmal länger. Die Ökonomen sprechen dann Sätze aus, die manche Aktivist*innen wohl darin bestätigen würden, dass der Kapitalimus ein „kaltes Herz“ hat.

OK Boomer. So schlimm?

„Wenn wir die Kinderarbeit für westliche Unternehmen in Fabriken stoppen, gehen die Kinder nicht in die Schule, sondern arbeiten woanders.“ Solche Sätze lassen sich sicher noch etwas weichgespülter formulieren, das Framing müsste irgendwie roberthabeckiger.

Dafür ist Wambach dann aber zu sehr Wissenschaftler: Nur weil ein paar Unternehmen sich absprechen, wird die Welt nicht zwingend eine bessere – welche Schlussfolgerungen er daraus zieht, Revolution oder Frustration, hat Wambach nicht offengelegt. Er hat aber sehr treffend erklärt, dass nicht jedes Nachhaltigkeitsproblem durch eine Koordination der Marktakteure gelöst werden kann. Nicht uninteressant sind auch die Versuche, Nachhaltigkeit zu berechnen. Stichwort: Wie steigen die Mietpreise in einer Gegend, wenn dort ein Park angelegt wird?

Bin mir unsicher, ob dieser Ansatz Greta überzeugt.

Das ist der Versuch, etwas Grund unter die Füße zu kriegen, wenn man mit den bisherigen Modellen ins, nunja, Schwimmen gerät. Wenn die zahllosen Gutachten für die Kartellschadensersatzverfahren dem ein oder anderen Wettbewerbsökonom noch etwas Zeit lassen, könnte ja noch einmal genauer durchgerechnet werden, wie sich Klimaschäden in wettbewerbsökonomische Modelle einpreisen lassen oder wie die externalisierten Kosten der Plattformwirtschaft zu bemessen sind. Allerdings sollten wir Rechtswissenschaftler*innen nicht zu schadenfroh sein, dass die Ökonomen jetzt auch mal am Ende ihres Lateins Algebra sind. Die Verbindung zu den Ökonomen ist ja gerade eine Stärke unseres Fachs, und so richtig radikal sind wir auch nicht.

Wenn man von den Gendersternchen in deinen Antworten einmal absieht!

Gendersternchen sind doch sowas von 2018. Aber auch die Diskussion um Gemeinwohlziele im Wettbewerb ist ja nicht gerade niegelnagelneu. Richtig spannend werden die nächsten Schritte: Kann eine Fusion von Energieunternehmen untersagt werden, weil ihre neue Stärke Anstrengungen zum Umweltschutz überflüssig machen wird? Lassen sich marktmachtbedingte Klimaschäden in ein Verfahren nach Art. 102 AEUV packen?

Wie bitte?

Eben. Wenn wir akzeptieren, dass alle hoheitlichen Maßnahmen unter einen Klimaschutz-Imperativ gestellt werden, werden solche Fragen virulent werden. Die griechische Kartellbehörde deutet so etwas in ihrem Papier zu Sustainability an. Bis zum Facebook-Verfahren dachten viele immerhin auch, Kartellrecht habe mit Datenschutz nichts zu tun.

Do say: „Ich weiß gar nicht, in welchem Zustand das Publikum gerade ist.“ (Konrad Ost)

Don’t say: „Hören Sie mich? Hallo?“ (Irgendjemand, immer)

Next stops:

Am 8.10.2020 wird im neu-gegründeten D-A-CH-Kartellrechtsforum über Relative Marktmacht diskutiert.

Am selben Tag sprechen im WuW-Dialog Daniel Zimmer, Arno Rasek und Till Steinvorth über das EuG-Urteil CK Telecoms UK.

Kurz vor dem legislativen Verfahren zu #GWB10 holen sich die Unionsfraktionen im Bundestag noch einmal Input bei dieser Veranstaltung zur GWB-Novelle am 13.10.2020.

See you there!

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