Conference Debriefing (23): IKK 2021

Conference Debriefing (23): IKK 2021

Hochkarätige Besetzung, Richtigstellungen von höchster Stelle im Zoom-Chat,  Zerschlagung von Digitalkonzernen: Die 20. Internationale Kartellkonferenz (IKK) des Bundeskartellamts am 4. März 2021 stach aus der großen Menge an virtuellen Konferenzen positiv heraus. Philipp Offergeld berichtet.

Beim Gedanken an eine weitere Zoom-Konferenz zu aktuellen Themen des Wettbewerbsrechts mag mancher Leser gewillt sein, dankend abzuwinken. Neben den sich häufig wiederholenden Themen und Aussagen mit nur wenig Innovation auf dem Markt für Regulierungsansätze kommen dann noch technische Probleme hinzu. Die 20. Internationale Kartellkonferenz des Bundeskartellamts überzeugte dagegen mit Diskussionsteilnehmern aus aller Welt, einem reibungslosen technischen Ablauf und einigen spannenden Positionierungen.

Flaggenspiel

Die erste Diskussionsrunde bestand aus dem Gastgeber und Präsidenten des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, Vizepräsidentin Margrethe Vestager, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Isabelle de Silva, Präsidentin der französischen Autorité de la Concurrence.

Kommissarin Vestager nutzte die letzten Sekunden vor Eröffnung der Konferenz noch dafür, die EU-Flagge hinter ihr neu zu positionieren, „so people will recognize me“. Um Verwechslungen gar nicht erst zu riskieren, war Peter Altmaier neben der EU-Flagge noch mit der deutschen Flagge und einem Hintergrund mit Branding des Bundeswirtschaftsministeriums ausgestattet.

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Kommissarin Vestager räumt vor Beginn der Konferenz noch rasch das Büro um.

Wirtschaftliche = politische Macht?

Die Eröffnungsrunde fand unter dem Titel „Business or Government – Who is shaping our economy?“ statt. Diskutiert wurden verschiedene aktuelle Themen, darunter selbstverständlich der Digital Markets Act (DMA). Hierbei betonte Andreas Mundt die Rolle, die nationale Kartellbehörden auch bei der Durchsetzung des DMA spielen müssten. Von ihm kam mit Blick auf die Auseinandersetzung vor allem zwischen Facebook und dem australischen Staat die Frage, ob Facebook und Google zu viel politische Macht innehaben. Vestager zeigte sich zuversichtlich, dass sie im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 den DMA finalisieren könne.

Zum Thema der Runde – die Rolle des Staates in der Wirtschaft – kamen die erwartbaren Versicherungen: Natürlich werde sich der Staat zurückziehen, für Investments wie bei Lufthansa und Curevec gebe es außergewöhnliche Gründe, die Kommission habe das Beihilferecht unermüdlich durchgsetzt, und der Staat sei nicht der bessere Unternehmer. Das charmante deutsch-französische Präsidentenduett ersparte Altmaier nicht die Erinnerung an den gescheiterten Siemens-Alstom-Deal und seine nicht überall sehr willkommene Industriestrategie. Vestager nutzte die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass der Merger Alstom-Bombardier ja geklappt habe… China kam bei diesem Gipfeltreffen natürlich auch noch vor.

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Die Teilnehmer der Eröffnungsrunde

Nun doch Zerschlagung?

Panel I drehte sich um die Frage, ob eine Regulierung digitaler Plattformen ausreiche oder ob nicht auch strukturelle Abhilfemaßnahmen, mit anderen Worten Zerschlagungen von Digitalkonzernen, geboten sind. Es diskutierten Cristina Caffarra, Ökonomin bei CRA und streitbare Big-Tech-Kritikerin (sie hatte diesmal ihren schon legendären Konferenzbegleiter, einen Samurai, nicht zur Seite), Andrea Coscelli, Chef der Competition & Markets Authority in London, Monika Schnitzer, Wirtschaftsweise und Wirtschaftswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Rebecca Kelly Slaughter, Acting Chairwoman der US-Federal Trade Commission (FTC), und Philipp Steinberg, Abteilungsleiter für Wirtschaftspolitik im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Moderiert wurde die Runde vom D’Kart-Hausherrn Rupprecht Podszun.

Cristina Caffarra bemerkte, dass die Zurückhaltung der Europäer gegenüber strukturellen Abhilfemaßnahmen im Kartellrecht erstaunlich sei. In das Lager der Befürworter struktureller Maßnahmen kann Rebecca Slaughter von der FTC eingeordnet werden. Das ergibt sich unausgesprochen zwar schon daraus, dass die FTC (zusammen mit einer großen Zahl von US-Bundesstaaten) gegen Facebook Klage wegen des Kaufs von WhatsApp und Instagram erhoben hat. Sie betonte, dass strukturelle Abhilfemaßnahmen aus Sicht vieler Amerikaner keine radikale, sondern eher die moderat-konservative Reaktion auf wettbewerbswidriges Verhalten darstellen. Schließlich seien diese nach der Entflechtung abgeschlossen und setzten im Gegensatz zu verhaltensorientierten Abhilfemaßnahmen keine längerfristige Überwachung der Unternehmen durch die Behörden voraus. Positiv äußerte sich auch Monika Schnitzer: Genau wie die Fusionskontrolle einer Monopolisierung vorbeuge, könne auch eine Entflechtung den Wettbewerb stärken. Eine Monopolisierung führe nachweislich zu geringerem Leistungsdruck. Als Beispiel nannte sie die Qualität der Google-Suchergebnisse – die habe mit der Zeit abgenommen. Sie habe daher keine großen Bedenken, dass Innovationen abgewürgt würden, wenn die Regulierung verschärft wird oder Entflechtungen stattfinden. Was das Thema Datenschutz angeht, könne man sich nicht auf das Institut der Einwilligung zurückziehen: „consumers will always give their consent“.

Ein interventionsfreudiges Panel also. Slaughter, die mit erfrischender Lockerheit aus dem Home Office zoomte, schwor die Kolleginnen und Kollegen in aller Welt darauf ein, dass sie immerhin verpflichtet seien, für Allgemeinwohl und Demokratie einzustehen. Caffarra ordnete das in einem munteren Wutausbruch gegen die Thesen in der aktuellen Ausgabe des Economist ein: Das dort vertretene Modell eines Wettbewerbs der großen Digitalgiganten untereinander entspreche ihrer Vorstellung von Wettbewerb jedenfalls nicht. Andrea Coscelli lehnte sich weniger weit aus dem Fenster – er muss schließlich auch liefern. Passend zur #IKK2021 hatte die CMA ein Verfahren gegen Apple wegen des App Stores eingeleitet.

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Die Teilnehmer des Panels I: Caffarra, Podszun, Schnitzer, Coscelli, Steinberg, Slaughter (von oben links im Uhrzeigersinn).

Schlafende Teilnehmer

Anders als es die Überschrift vielleicht vermuten lässt, ist keiner der Teilnehmer (erkennbar) während des Panels eingeschlafen, was bei den spannenden Themen allerdings auch überraschend gewesen wäre. Rod Sims, Chef der australischen Behörde ACCC, nahm gleichwohl an der Konferenz teil, während er schlief. Die virtuelle Konferenz fand schließlich nach australischer Ortszeit mitten in der Nacht statt. Sims hatte eine Videobotschaft vorbereitet, die anstelle seiner persönlichen Teilnahme abgespielt wurde. Dem neuen australischen Medienrecht (das in dieser Woche übrigens auch Thema des Podcasts „Bei Anruf Wettbewerb“ ist) sagte er Erfolg vorher. Bemerkenswert war die Feststellung, dass sich der Aktienkurs der GAFAs halbieren würde, wenn ihre Umsätze nicht weiter steigen würden.

Rod Sims in einer Videobotschaft

Fact check im Zoom-Chat

Mit Blick auf das europäische Recht sprach sich Philipp Steinberg für die Ermöglichung struktureller Maßnahmen im DMA aus. Dies ist insofern schon bemerkenswert, da sich das Bundeswirtschaftsministerium damit (wenn auch vorsichtig) zugunsten einer Stärkung solcher Maßnahmen positioniert. Und möglicherweise ist Deutschland damit nicht allein, denn Steinberg hat einen neuen Freundeskreis, die „Friends of an Effective DMA Group“, zu der nach seiner Aussage neben Deutschland auch Frankreich, Belgien und die Niederlande zählen. Das Lager für die Trilog-Verhandlungen scheint sich also zu sortieren.

Kurzzeitig hatte es in der Diskussion so ausgesehen, als seien strukturelle Maßnahmen im DMA gar nicht vorgesehen – doch zum Glück hatte Kommissarin Vestager offenbar auch nach ihrer eigenen Diskussionsrunde noch Interesse an der Konferenz – und aufgepasst: Sie meldete sich umgehend im Zoom-Chat zu Wort und wies darauf hin, dass solche Maßnahmen bereits im DMA-Entwurf vorgesehen sein. Das stimmt, siehe Art. 16 des DMA-Entwurfs. Richtig ist allerdings auch, dass der Anwendungsbereich für solche Maßnahmen so eng ist, dass es sich zumindest vorerst um eine theoretische Option handeln dürfte.

Philipp Steinberg betonte, nachdem er die gute Arbeit der Kommission hevorhob, die Bedeutung nationaler Wettbewerbsbehörden für eine effektive Durchsetzung des Kartellrechts. Gastgeber Mundt wird’s gern gehört haben. Ohnehin hatte Steinbergs Linie starke Anklänge an den deutschen Weg in § 19a GWB, so äußerte er Zweifel in Bezug auf die „self-executing“ Verbote im DMA. Auch solche müssten letztlich von einer Behörde kontrolliert werden. Auch Schnitzer bezweifelte, dass das mit dem vorgesehenen Stellenplan klappen kann.

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Margrethe Vestager interveniert im Zoom-Chat.

Kartellrecht und Allgemeinwohlinteressen

Um das Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsschutz im Kartellrecht und im öffentlichen Interesse liegende ökologische und soziale Aspekte ging es in Panel II. Moderiert wurde die Diskussion von Ingo Brinker, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Studienvereinigung Kartellrecht. Teilnehmer waren Tembinkosi Bonakele, Chef der südafrikanischen Wettbewerbsbehörde,  Olivier Guersent, Director-General for Competition bei der Europäischen Kommission, Alejandra Palacios Prieto, Vorsitzende der mexikanischen Wettbewerbsbehörde, Martijn Snoep, Vorsitzender der niederländischen Wettbewerbsbehörde, und Achim Wambach, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Monopolkommission.

Den Anfang machte Tembinkosi Bonakele, der einen historischen Einblick in die Entstehungsgeschichte des südafrikanischen Wettbewerbsrechts gab, wo schon immer auch Allgemeininteressen – vor allem der Kampf gegen die Folgen der Apartheid – mitverfolgt wurden. Das Wettbewerbsrecht sei dort seit je als allgemeine Regulierung der Wirtschaft verstanden worden.

In der weiteren Diskussion ging es in der Sache dann insbesondere um den Umweltschutz als Allgemeininteresse – wie ja schon bei der Professorentagung des Bundeskartellamts (über die wir hier berichtet hatten).  Martijn Snoep, dessen niederländische Wettbewerbsbehörde ACM mit einem Leitlinienentwurf zu Nachhaltigkeitsinitiativen großes Aufsehen erregt hat, wies darauf hin, dass die europäischen Kartellrechtsvorschriften kein Selbstzweck seien, sondern nur ein Instrument, um eines der Ziele der Union zu verwirklichen, nämlich den freien Binnenmarkt. Damit beanspruche das Kartellrecht also keinen Vorrang gegenüber anderen Unionszielen, zu denen auch der Umweltschutz zählt. Auch Olivier Guersent bezeichnete das Kartellrecht als ein Instrument zur Verwirklichung des Binnenmarkts. Aus seiner Sicht komme dem Wettbewerbsschutz möglicherweise dennoch eine gewisse Sonderstellung zu, da dieser für die europäische Wirtschaftsverfassung eine herausragende Bedeutung habe.

Europäische Monopolkommission?

Achim Wambach gab zu bedenken, dass durch die Reduktion von Emissionen entstehende Effizienzvorteile nur schwer quantifizierbar seien. Es müsse stets darauf geachtet werden, ob die Emissionen dann nicht bloß bei einem anderen Unternehmen entstehen.

In institutioneller Hinsicht hält er die Gründung eines unabhängigen europäischen Beratungsgremiums für erforderlich, um die Kommission bei der Rechtsanwendung zu unterstützen, insbesondere auch bei volkswirtschaftlichen Fragen. Dies könne an die Tätigkeit der Monopolkommission für das Bundeskartellamt angelehnt werden.

Schon im ersten Panel hatte Wirtschaftspolitiker Steinberg, der nicht schon ewig in der „antitrust bubble“ lebt, die Öffnung der Kartellrechtswelt konstatiert und das Aufbrechen der monopolisierten Deutungshoheit durch Kartellrechtler festgestellt. Doch die Öffnung des Kartellrechts für andere Erwägungen ist ein zweischneidiges Schwert. Die mexikanische Kartellamtschefin Palacios Prieto, die sich wegen der erneuerbaren Energien im Konflikt mit dem Staatspräsidenten befindet, steht geradezu für die Konflikte um Unabhängigkeit und Politisierung des Wettbewerbsbegriffs.

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Die Teilnehmer des Panels II (Foto leider ohne Tembinkosi Bonakele, dafür mit Brinker, Snoep, Wambach, Guersent und Palacios Prieto (von links oben im Uhrzeigersinn)).

Fazit

Die 20. Internationale Kartellrechtskonferenz des Bundeskartellamts konnte mit einer erstklassigen und abwechslungsreichen Besetzung überzeugen. Zeitweilig waren bis zu 1.000 Teilnehmer/innen aus aller Welt zugeschaltet. Im Schlusswort versprach Andreas Mundt eine Präsenzveranstaltung in Berlin im nächsten Jahr. Ob es dann schon einen DMA, die erste GAFA-Aufspaltung und eine wiederbelebte Marktwirtschaft nach der Pandemie gibt? Mundts Optimismus hätte man gern!

Philipp Offergeld ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktorand bei Prof. Dr. Rupprecht Podszun.

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