Auf ein Neues: Haftung von Konzerngesellschaften

Auf ein Neues: Haftung von Konzerngesellschaften

Spanien lieferte den internationalen Medien zuletzt mehr als nur eine titelseitenwürdige Nachrichtenstory. Aus Sicht der Kartellrechtsszene könnte das nächste große Ding gerade von Barcelona aus angestoßen worden sein. In Spanien sind Klagen gegen das Trucks-Kartell anhängig. Die Audiencia Provincial de Barcelona hat im Rahmen eines Kartellschadensersatzprozesses beschlossen, eine spannende Vorlage beim Europäischen Gerichtshof einzureichen. Hans-Markus Wagener berichtet.


Vorlagegericht und Verfahrenshintergrund

Vorweg ein kurzes Debriefing Briefing zum Gerichtssystem: Spanien besteht aus 16 comunidades autónomas („CA“), die das verwaltungshierarchische Pendant zu den deutschen Bundesländern darstellen. Eine CA setzt sich wiederum aus mehreren provincias zusammen, von denen es 50 gibt. Barcelona ist eine davon. Auf dieser staatsorganisatorischen Ebene bildet die jeweilige Audiencia Provincial das höchste Justizorgan. Als solches ist sie u.a. als zweite Instanz für jedwede zivilrechtliche Berufungsverfahren zuständig, die zuvor von einem nachgeordneten Gericht in ihrem Einzugsgebiet entschieden worden sind.

So hat die 15. Kammer der Audiencia Provincial de Barcelona („APB“) im Zuge des hier gegenständlichen Verfahrens in zweiter Instanz über eine klageseitig initiierte Berufung zu entscheiden (APB sec. 15a, Beschluss vom 24. Oktober 2019, Rollo no 775/2019-2a, bisher unveröffentlicht [Update: Die Entscheidung ist inzwischen mit der ECLI-Kennung ES:APB:2019:9370A veröffentlicht]; nicht anderweitig bezeichnete Tz.-Verweise beziehen sich nachstehend auf diesen Vorlagebeschluss). Die Klägerin macht die Zahlung von Schadensersatz für kartellbedingte Mehrkosten gegen den nach spanischem Recht als sociedad de responsabilidad limitada (S.L.) verfassten Ableger einer deutschen Muttergesellschaft geltend. Der Fall betrifft den Komplex des Lkw-Kartells, gegen dessen Beteiligte die EU-Kommission mit Entscheidung vom 16. Juli 2016 Geldbußen in Gesamthöhe von 2,93 Mrd. Euro verhängte. Zu den damals bebußten Unternehmen gehörte ausweislich des Bußgeldbescheides auch die deutsche Muttergesellschaft der Beklagten in diesem Verfahren. Die Klägerin richtete ihre Forderung allerdings gerade nicht gegen die deutsche Konzernmutter, sondern vielmehr gegen deren spanische Tochtergesellschaft.


Wieso überhaupt Kinder verklagen, wenn man dazu doch ihre Eltern hat?

Dies ist insofern bemerkenswert als weithin die Konzernmutter Klagegegnerin der Wahl ist. So wenden sich Geschädigte regelmäßig selbst dann an die Mutter, wenn diese gar nicht zu den behördlich festgestellten Kartellanten gehörte. Grund dafür ist meist die höhere Attraktivität der Haftungsmasse der Mutter im Vergleich zu der ihrer Töchter. Nichtsdestotrotz kann unter Umständen die Geltendmachung gegenüber einer (nicht beteiligten) Tochtergesellschaft aus Klägersicht vorzugswürdig sein – etwa, wenn es sich bei ihr um den nationalen Ableger einer im Ausland angesiedelten Muttergesellschaft handelt. Insbesondere falls die inländische Tochtergesellschaft aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse gleichermaßen als zuverlässiger Schuldner in Betracht kommt, entspricht ein Vorgehen gegen sie dem Klägerinteresse. Denn dadurch können Mehrkosten sowie erhebliche zeitliche Verzögerungen durch die Beteiligung im Ausland ansässiger Parteien (bspw. durch die Übersetzung der Verfahrensdokumente) prinzipiell vermieden werden, wodurch das Prozessrisiko insgesamt minimiert wird.

Das erstinstanzlich zuständige Gericht hatte die Klage allerdings als unzulässig abgewiesen, da die beklagte Tochter mangels (behördlich festgestellter) eigener Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Rahmen einer kartellbedingten Schadensersatzklage nicht passivlegitimiert sei (Juzgado de lo Mercantíl nº 7 de Barcelona, Urteil vom 23. Januar 2019, ECLI: ES:JMB:2019:981 – Sumal SL v. Mercedes Benz Trucks España SL). Diese Verteidigung ist der Goldstandard Standard in Kartellschadensersatzprozessen, wenn auf Beklagtenseite eine Konzerngesellschaft steht, gegen die namentlich keine behördliche Entscheidung ergangen ist. Dogmatisch geht die Argumentationslinie auf das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip zurück. Sie lässt sich schematisch wie folgt darstellen:

  • (i) Die Kommission hat einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV ermittelt und per Bescheid festgestellt.
  • (ii) Der feststellende Bußgeldbescheid richtet sich ausdrücklich nur an die Muttergesellschaft.
  • (iii) Die Beklagte kommt weder in den Feststellungen der Kommission vor, noch ist sie als juristische Person mit der Muttergesellschaft personenidentisch. Der Kartellrechtsverstoß stellt aus Sicht der Beklagten somit ein Fremdverhalten dar, aus dem sich grundsätzlich nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit keine Haftung ergibt.
  • (iv) Da die Beklagte keine Kontrolle (bestimmenden Einfluss) über die Muttergesellschaft hat, ist ihr deren Zuwiderhandlung auch nicht zurechenbar. Es bleibt daher dabei, dass die Beklagte nicht haftet.

Diese Argumentationskette wirkt zumindest im isolierten Kontext von nationalem Haftungsrecht auf den ersten Blick schlüssig. Eine Zurechnung von haftungsbegründendem Verhalten ist jedenfalls erforderlich, soweit die gegenständliche Zuwiderhandlung kein eigenes Verhalten des Anspruchsgegners darstellt. Betrachtet man Mutter und Tochter gemäß dem Trennungsprinzip als separate rechtliche Einheiten, käme das Kriterium der Kontrolle (bestimmender Einfluss) als Zurechnungstatbestand in Betracht. Die Haftung einer wesensgemäß im Verhältnis zur Mutter niemals kontrollierenden Tochtergesellschaft wäre danach faktisch ausgeschlossen. Genauso wenig würde eine Schwestergesellschaft, die derselben wirtschaftlichen Einheit wie die verstoßende Gesellschaft angehört, mangels Zurechenbarkeit über das Kriterium der Kontrolle für kartellbedingte Schäden haften.


Kartellrechtliche Zuwiderhandlung als haftungsrechtliches Eigenverhalten der wirtschaftlichen Einheit

Dass eine Zuwiderhandlung vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Grundsatzes der wirtschaftlichen Einheit überhaupt für eine Konzerngesellschaft ein Eigenverhalten, für die übrigen allerdings ein Fremdverhalten darstellen kann, erscheint höchst zweifelhaft. Dies merkt auch die APB in ihrem Vorlagebeschluss an, indem sie auf die inkonsistente Handhabung derartiger Fallkonstellationen durch spanische Gerichte verweist. Während die Passivlegitimation von Tochtergesellschaften für Kartellrechtsverstöße der Mutter teilweise wie oben dargestellt abgelehnt wird, existieren gleichermaßen auch gegenläufige Entscheidungen, die demgegenüber im Lichte der wirtschaftlichen Einheit eine Ausweitung der zivilrechtlichen Haftungsverantwortlichkeit auf Tochter- und sogar Schwestergesellschaften vorsehen (Tz. 11). Soweit in letzterem Sinne auf die Haftung der Tochter für die Mutter erkannt wird, lässt sich dies mit dem originär unionsrechtlichen Konzept der wirtschaftlichen Einheit begründen (in diesem Sinne sowie konsequenterweise entsprechend auch für die Haftungsverantwortlichkeit von Schwestergesellschaften vgl. Kersting, ZHR 182 (2018), 8 ff., aktualisierte englischsprachige Version abrufbar auf SSRN; Wagener, NZKart 2019, 535 ff.).

Mit dem „Unternehmen“ adressieren die Verbotsnormen des EU-Kartellrechts ein Rechtssubjekt, dessen personelle Umrisse – in Abweichung vom gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip – allein durch die ökonomischen Verhältnisse bestimmt werden (siehe Kersting, ZHR 182 (2018), 8, 13 f. m.w.N.). Die konsequente Anwendung dieser Doktrin führt im Endeffekt zwangsläufig zur Verantwortlichkeit sämtlicher Gesellschaften der wirtschaftlichen Einheit für einen Kartellverstoß der anderen. Da gemäß Artt. 101, 102 AEUV nicht die juristische Person, sondern vielmehr das Unternehmen den Verstoß begeht, ordnet der Primärgesetzgeber die daraus resultierende Last – durch bußgeldrechtliche Sanktion wie durch zivilrechtliche Ersatzpflicht – folgerichtig der wirtschaftlichen Einheit und nicht einer einzelnen juristischen Person zu.


Die Vorlagefragen: (gefangen) zwischen Trennungsprinzip und effektivem Wettbewerbsschutz

Das Spannungsfeld zwischen den beiden dargestellten Ansätzen veranlasst die APB nunmehr dazu, dem EuGH die folgenden Fragen zur Beantwortung vorzulegen (Tz. 16):

A) Gestattet der von der unionsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der wirtschaftlichen Einheit eine Ausweitung der Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft dergestalt, dass ihre Töchter genauso herangezogen werden können oder gelangt dieses Konzept ausschließlich für den umgekehrten Fall der Verantwortlichkeit der Mutter für das Verhalten ihrer Töchter zur Anwendung?

B) Ist das Ausmaß der wirtschaftlichen Einheit vor dem Hintergrund der gruppeninternen Rechtsverhältnisse allein anhand der Kontrollmöglichkeiten zu bestimmen oder kann in diesem Rahmen auch auf andere Kriterien wie etwa die (stille) Vorteilsziehung aus der Zuwiderhandlung abgestellt werden?

C) Falls die Ausweitung der Haftungsverantwortlichkeit von der Mutter auf ihre Töchter zulässig sein sollte, welche Voraussetzungen müssen dazu erfüllt sein?

D) Falls die vorigen Fragen positiv zu beantworten sind und demnach Tochtergesellschaften für Verstöße ihrer Muttergesellschaft verantwortlich sein sollten, sind dann solche Normen des nationalen Rechts, die eine Haftung der Muttergesellschaft für ihre Töchter auf das Vorliegen entsprechender Kontrollverhältnisse bedingen, mit dem Unionsrecht vereinbar?


Haftungsverantwortlichkeit als Kehrseite der faktischen Vorteilsziehung

Ohne sich eindeutig zu positionieren, führt die APB in diesem Zusammenhang aus, dass sie es durchaus für möglich hält, die wirtschaftliche Einheit nicht ausschließlich in Anlehnung an unternehmensinterne Kontrollverhältnisse zu identifizieren (Tz. 24). Vielmehr lege insbesondere die EuGH-Entscheidung in Sachen Skanska (EuGH, Urteil vom 14. März 2019, C-724/17) nahe, dass die entsprechende Doktrin viel weitreichendere Anwendung findet (Tz. 17, 24). Konkret könnte eine kartellrechtliche Zuwiderhandlung einer einzelnen Konzerngesellschaft vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Einheit auch für alle anderen Unternehmensteile Eigenverhalten im haftungsrechtlichen Sinne darstellen. In der Konsequenz könnte jede einzelne Konzerngesellschaft für einen Verstoß einer anderen in Haftung genommen werden, und zwar ohne, dass es dafür eines gesonderten Zurechnungstatbestandes bedürfte. Das bedeutsame Rechtsprinzip der Eigenverantwortlichkeit stünde dem nicht entgegen, sofern man davon ausgeht, dass jedes Glied der wirtschaftlichen Einheit gerade aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur selben faktisch (unbewusst) Vorteile aus der Zuwiderhandlung gezogen hat. Die Haftungsverantwortlichkeit ist insoweit die Kehrseite der Unternehmensangehörigkeit (Wagener, NZKart 2019, 535, 537).

Für die (zivilrechtliche) Haftung einer Konzerngesellschaft käme es also nicht weiter darauf an, ob sie als Rechtsträger (unmittelbare oder mittelbare) eigene Tatbeiträge im Rahmen der Zuwiderhandlung erbracht hat, solange sie jedenfalls Teil derjenigen wirtschaftlichen Einheit war, aus der heraus der Verstoß begangen wurde. Denn damit gehörte sie in wirtschaftlicher Hinsicht – der einzig maßgebenden Perspektive im europäischen Wettbewerbsrecht – jedenfalls zu den (stillen) Profiteuren des Verstoßes (Tz. 17). Letztlich wäre allein die Zugehörigkeit zum kartellbeteiligten Unternehmen – eben der handelnden wirtschaftlichen Einheit – ausreichend, um die Haftungsverantwortlichkeit jedes einzelnen Rechtsträgers zu begründen (dafür bereits Kersting, ZHR 182 (2018), 8, 15 f. u. 30 f., aktualisierte englischsprachige Version abrufbar auf SSRN; Wagener, NZKart 2019, 535, 537 f.).


Durchgriffshaftung im spanischen Recht

Weiter geht aus dem Vorlagebeschluss aber auch hervor, dass die Kammer keineswegs das gesellschaftliche Trennungsprinzip als solches für überkommen hält. Vielmehr hebt sie dessen essentielle Bedeutung als Quelle von Rechtssicherheit für die gesamte Rechtsordnung hervor (Tz. 26). Gerade aus diesem Grund sehe das nationale spanische Recht eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nur ausnahmsweise vor. Ausdrücklich findet die gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung Erwähnung („levantamiento del velo societario“, Tz. 26; zu deutsch: das Lüften des gesellschaftsrechtlichen Schleiers. Ursprünglich stammt diese Rechtsfigur aus dem angelsächsischen Rechtsraum, wo sie als lifting/piercing the veil doctrine bezeichnet wird, vgl. dazu Gevurtz, Piercing Piercing: An Attempt to Lift the Veil of Confusion Surrounding the Doctrine of Piercing the Corporate Veil, abrufbar über SSRN).

Im spanischen Recht kommt es demnach zu einer Durchgriffshaftung, wenn diejenige juristische Person, durch die ein Rechtsverstoß verübt wurde, lediglich eine mitunter leere Hülle darstellt, derer sich ein Dritter als Vehikel zur Verschleierung eigener Aktivitäten bedient, um letztlich in den Genuss gesellschaftsrechtlicher Haftungsbeschränkungen zu kommen. In (angeblicher) Abkehr vom Trennungsprinzip sieht diese Rechtsfigur also vor, dass der haftungsrechtliche Zugriff dann auch auf die hinter dem Vehikel stehenden Personen erfolgen kann, um sicherzustellen, dass juristische Personen keinen sicheren Hafen für rechtsmissbräuchliche, insbesondere betrügerische Verhaltensweisen bieten.

Auch eine Art Durchgriffshaftung (“piercing of the veil”).


Generelle Passivlegitimation unbeteiligter Unternehmensgesellschaften oder nur bei wirtschaftlicher Einheit plus X?

Von dieser Überlegung ausgehend bekundet die Kammer Zweifel daran, ob den kartellrechtlichen follow on Konstellationen schon per se oder nur im Einzelfall ein dementsprechender Ausnahmecharakter im Hinblick auf die (angebliche) Durchbrechung des Trennungsprinzips beigemessen werden könnte. Einerseits beruhe die unionsgerichtliche Rechtsprechungspraxis zur Haftung von Rechtsnachfolgern implizit auf denselben Überlegungen, unter deren Erwägung die spanische Rechtspraxis eine Durchgriffshaftung bereits de lege lata zulässt (Tz. 26). Dies spräche für eine generelle Erweiterung der Haftungsverantwortlichkeit auf sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit.

Andererseits wirft der Vorlagebeschluss die Frage auf, ob nicht über das schlichte Vorliegen der wirtschaftlichen Einheit hinaus weitere Umstände hinzutreten müssen – bspw. eine außergewöhnliche Härte wegen Beteiligung ausländischer Personen am nationalen Gerichtsverfahren – damit dann ausnahmsweise eine Klage gegen andere als die am Verwaltungsverfahren beteiligten Konzerngesellschaften zulässig wäre. So könne man sich vorstellen, dass die Zulässigkeit von Klagen wie der gegenständlichen auf diejenigen Fälle zu beschränken ist, in denen es für den Kläger unmöglich ist, gegen die im Verwaltungsverfahren beteiligte Gesellschaft vorzugehen oder dies für ihn zumindest eine „außergewöhnliche Schwierigkeit“ darstelle (Tz. 26). Dass dem Gericht bei solchen „außergewöhnlichen Schwierigkeiten“ wohl keine allzu hohen Hürden im Sinne unbilliger Härte nach deutschem Recht vorschwebt, zeigt sich, indem als Beispiel für solche Umstände das Risiko von zeitlichen Verzögerungen oder zusätzlichem finanziellen Aufwand durch die Beteiligung ausländischer Parteien am Rechtstreit angeführt wird (Tz. 26).

Für wie sinnlos sinnvoll die Richter selbst ein solches Erfordernis halten, kann der Leser aufgrund ihrer im Vorlagebeschluss unmittelbar folgenden Ausführungen erahnen. So sei der zeitliche genauso wie der finanzielle Mehraufwand, den Zivilverfahren gegen ausländische Parteien für alle Beteiligten (inklusive der Justiz) bedeutet, speziell in Kartellschadensersatzprozessen meist vollkommen unnütz. Denn die Verteidigung in sämtlichen Prozessen sowohl vor inländischen als auch vor ausländischen Gerichten, werde im Endeffekt ohnehin zentral von ein und denselben Rechtsanwälten gemäß den Interessen des gesamten Unternehmens koordiniert. Angesichts dieses Umstandes bewirke der Mehraufwand keinerlei Mehrwert (Tz. 27). Mit anderen Worten wäre die Abweisung von Kartellschadensersatzklagen unter Ablehnung der Passivlegitimation mit den hier in Rede stehenden Argumenten nicht mit dem Verfahrensgrundsatz der Prozessökonomie in Einklang zu bringen.

Soweit die Ausführungen des Gerichts implizieren, dass generell nur diejenigen Gesellschaften passivlegitimiert seien, die namentlich im feststellenden Bußgeldbescheid Erwähnung finden, ist dem schon unabhängig von den Antworten des EuGHs auf die Vorlagefragen entgegenzutreten. Anknüpfungspunkt für die Kartellschadensersatzpflicht ist schließlich weder die Beteiligteneigenschaft im kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren noch das Erwähntwerden in einem Bußgeldbescheid, sondern vielmehr die Begehung eines entsprechenden Rechtsverstoßes. Dies wird mitunter in der Unterscheidung des Klagetypus zwischen follow on und stand alone deutlich. Was den Richtern tatsächlich durch den Kopf ging, waren höchstwahrscheinlich die Beweiserleichterungen, die ein Vorgehen auf Grundlage der behördlichen Feststellungen mit sich bringt. Bindungswirkung entfalten diese selbstverständlich de lege lata lediglich für die namentlich aufgeführten Rechtsträger. Dass ein Kläger mangels entsprechender Feststellungen eines Bußgeldbescheides nicht in den Genuss der damit verbundenen Beweiserleichterungen kommt, ist für die Frage der Passivlegitimation aber schlichtweg unerheblich.


Private Enforcement als Instrument des effektiven Wettbewerbsschutzes

Abgesehen davon erkennt das Vorlagegericht zutreffend, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen besonders hart getroffen würden, wenn man sie aus rein formellen Gründen in eine gerichtliche Auseinandersetzung mit ausländischen Personen zwingen würde. Denn gerade bei geringeren Streitwerten können die damit verbundenen erhöhten Risiken faktisch wie eine „Eintrittsschranke“ im Hinblick auf die Geltendmachung ihrer Rechte wirken (Tz. 27). Unter dem irrigen Rekurs auf das Trennungsprinzip würde das private enforcement ohne Not gravierend geschwächt und damit das EU-Wettbewerbsrecht aus bloß formaljuristischen Gründen eines großen Teils seiner verhaltenssteuernden Wirkungskraft beraubt.

Fest steht somit bereits heute, dass die Antworten, die der EuGH zurück nach Barcelona schickt, wenn er denn die Vorlage beantwortet, richtungsweisenden Charakter für die Zukunft der gesamten europäischen Kartellrechtspraxis haben können.


Hans-Markus Wagener ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Kersting an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

7 Gedanken zu „Auf ein Neues: Haftung von Konzerngesellschaften

  1. Great post, thank you. Can’t wait to see what the Court will say. Especially curious about Martinair para 35 and Arbed para 23. Disregarding should be disregarding, one may think….

  2. Dear All
    I experienced nearly the same situation in Italy. As a counsel I sued a subsidiary of an automotive group cartelist in the Truck cartel(we asked for a different procedure a „technical assessment“in which a consultant nominated by the judge establish if and quantify damages).Judge rejected our request because he said we have to sue the parent company by Regulation of 2007. Against this reject we have no appeal so we can’t call the ECJ but we are thinking to call ECDH for breach of art.6.Every hints is appreciated

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert