Kinder haften für ihre Eltern! „Auf- und absteigende“ Haftung in der wirtschaftlichen Einheit

Kinder haften für ihre Eltern! „Auf- und absteigende“ Haftung in der wirtschaftlichen Einheit

Es gibt Neuigkeiten zur kartellrechtlichen Konzernhaftung. Nach Skanska ist der nächste Fall, über den der EuGH zu entscheiden hat, die Sache Sumal. Wieder ist das Verhältnis von Müttern und Töchtern auszutarieren. Christian Kersting und Jannik Otto berichten.

Was bisher geschah

Für die kartellrechtliche Konzernhaftung hat der EuGH in Skanska (Rs. C-724/17) geklärt, dass das Unternehmens selbst, d.h. die wirtschaftliche Einheit, den Kartellrechtsverstoß begeht. Daraus folgerte der EuGH die kartellschadensersatzrechtliche Haftung des Rechtsnachfolgers nach dem Vorbild des Kartellbußgeldrechts. Richtigerweise ist darin ein Bekenntnis zur Haftung der wirtschaftlichen Einheit zu sehen (siehe hierzu auch die Auffassung des LG Dortmund). Die kartellrechtliche Schadensersatz- und Bußgeldhaftung im Konzern laufen gleich. Geklärt ist bislang, dass die „Muttergesellschaft für Verstöße der Tochtergesellschaft haftet.“ Das nächste grundlegende Urteil wird in der Rechtssache Sumal (Rs. C-882/19; Vorschau bereits hier) erwartet. Der EuGH hat zu entscheiden, ob auch die „Tochtergesellschaft für Verstöße der Muttergesellschaft“ haftet. Es geht um einen Fall aus dem Komplex LKW-Kartell.

Auftritt Generalanwalt Pitruzzella

GA Pitruzzella hat am 15. April nun die Schlussanträge vorgelegt. Darin übernimmt der Generalanwalt die vom Erstautor schon lange vertretene Auffassung zur kartellrechtlichen Konzernhaftung (siehe Kersting, ZHR 182 (2018), 8 ff.; in englischer Sprache (2020) 41 E.C.L.R. 124 = hier auf SSRN). Zudem spricht sich Pitruzzella in der Sachefür die These der Marktbezogenheit der wirtschaftlichen Einheit aus, die wir in FS Wiedemann, 2020, S. 235, 241 ff. entwickelt haben. So sehr wir dem Generalanwalt daher – wenig überraschend – zustimmen, so ist doch zu kritisieren, dass sein Entscheidungsvorschlag überschießend ist und daher der Klarstellung bedarf. In aller Kürze:

Der Generalanwalt

  • bestätigt, dass die wirtschaftliche Einheit selbst den Kartellrechtsverstoß begeht.
  • bekennt sich zur (Kartell-)Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit.
  • bestätigt den Gleichlauf der bußgeld- und schadensersatzrechtlichen Verantwortlichkeit.
  • erkennt, dass die Zurechnung in der wirtschaftlichen Einheit keine logische Richtung kennt. Es haftet nicht nur „aufsteigend“ die Mutter für Verstöße der Tochter, sondern auch die Tochter „absteigend“ für Verstöße der Mutter. Kurz: Es haften alle Träger der wirtschaftlichen Einheit (mit).
  • bestimmt die wirtschaftliche Einheit über den bestimmenden Einfluss der Mutter und das Kriterium der Marktbezogenheit.

Letzteres drückt sich allerdings nicht hinreichend in seinem Entscheidungsvorschlag aus. Vielmehr beruht seine Formulierung auf einem missverständlichen (nicht rechtskräftigem) Urteil des EuG in der Rechtssache Biogaran (Rs. T-677/14, nunmehr C-207/19 P), in dem das EuG fälschlich auf die Rechtsprechung zur einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung rekurriert. Der Entscheidungsvorschlag lässt sich vereinfachen: Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass neben der Mutter- auch eine Tochtergesellschaft für den Kartellschaden haftet, „wenn zum einen im Hinblick auf die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen den betreffenden Einheiten nachgewiesen ist, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, eine wirtschaftliche Einheit bildeten, und zum anderen, dass das Verhalten der Tochtergesellschaft auf dem von dem rechtswidrigen Verhalten der Muttergesellschaft betroffenen Markt wesentlich zur Verwirklichung des mit diesem Verhalten verfolgten Ziels und dem Eintritt der Auswirkungen der Zuwiderhandlung beigetragen hat.“ Dies ist der Fall, wenn die Tochtergesellschaft dem bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft unterworfen und auf dem kartellierten Markt tätig ist.

Schlussfolgerungen

  • Es haften alle Träger für einen Verstoß der wirtschaftlichen Einheit. Haftungsvoraussetzung ist die Zugehörigkeit zur wirtschaftlichen Einheit. Die wirtschaftliche Einheit bestimmt sich durch eine einheitliche Willensbildung und eine Teilnahme ihrer Träger am betroffenen Markt.
  • Innerhalb eines Konzerns (im Sinne des Gesellschaftsrechts) kann es mehrere wirtschaftliche Einheiten (im Sinne des Kartellrechts) und damit verschiedene kartellrechtliche Haftungseinheiten geben.
  • Auch Schwestergesellschaften haften, wenn sie zu derselben wirtschaftlichen Einheit gehören, d.h. auf dem gleichen Markt tätig sind.
  • Die §§ 81a Abs. 1, 81e Abs. 1 GWB bedürfen der erneuten Überarbeitung und unionsrechtskonformen Erweiterung.

Mehr in Heft 6 der NZKart.

Prof. Dr. Christian Kersting und Jun.-Prof. Dr. Jannik Otto sind Direktoren des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

2 Gedanken zu „Kinder haften für ihre Eltern! „Auf- und absteigende“ Haftung in der wirtschaftlichen Einheit

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