SSNIPpets (9) – heute in Fahrbereitschaft
Das Wochenende kommt. Und also haben wir wieder in den Nachrichten der letzten Zeit gestöbert, um unseren geneigten Leserinnen und Lesern den Übergang ins Wochenende zu erleichtern. Rupprecht Podszun, der die Meldungen zusammengestellt hat, scheint uns immer noch etwas pathostrunken von 60 Jahren Kartellamt, dem Glück mit diesem Rechtsgebiet und der Musik der Trust Sentinels. Wir entschuldigen uns schon einmal präventiv. Hier sind die SSNIPpets – small, but significant news, information and pleasantries – our pet project.
Der Skandal beim Diesel-Skandal
Fangen wir mal mit dem Wichtigsten an, und das Wichtigste in Deutschland sind natürlich die Autos. In meiner Naivität verehre ich noch einen weiteren deutschen Fetisch: die Rechtsstaatlichkeit. Um die ist es, so hören wir immer wieder, zum Beispiel in Polen nicht gut bestellt, weil die Regierung sich um Prinzipien der Gewaltenteilung nicht schert und den Respekt vor Gerichten vermissen lässt.
Schrieb ich „Polen“? Der Verwaltungsgerichtshof München hat inzwischen zwei Mal ein Zwangsgeld gegen die Regierung des Freistaats Bayern verhängt, weil diese in Sachen Luftreinheit nicht vorwärts kommt. Man mag politisch zu den Diesel-Fragen stehen, wie man will, aber rechtlich finde ich es doch mehr als bedenklich, wenn die Urteile eines Gerichts von der Exekutive schlicht ignoriert werden. Der Staat zahlt zum wiederholten Male Zwangsgeld, weil er ein Gerichtsurteil ignoriert? Cannot believe it. Man muss nicht erst den süffigen Schriftsatz der Deutschen Umwelthilfe lesen. Die Weigerung, einem Gerichtsurteil Folge zu leisten, ist nichts anderes als Verrat an der Gewaltenteilung und ein Aushöhlen des Rechtsstaats.
Sie sind jetzt vielleicht ob der harten Worte etwas konsterniert und murmeln: Podszun, nun mal halblang, was hat das überhaupt mit Wettbewerb zu tun?
Auf diesen Einwand von Ihnen habe ich nur gewartet:
Erstens setzt die Marktwirtschaft ein funktionierendes Gerichtssystem voraus, in dem Ansprüche durchgesetzt werden können.
Zweitens musste ich an den Fall Uber denken. Diese Matching-App dieser Taxi-Service-Dienst hatte ja für eine Wettbewerbsbelebung gesorgt, aber gleichzeitig in Deutschland einstweilige Verfügungen gegen sein Geschäftsmodell kassiert. Ich fand diese Verfügungen in der Sache sehr bedauerlich, aber noch bedauerlicher fand ich die großmäulige Ankündigung, man wolle sich an die Verfügungen nicht halten, sondern notfalls halt zahlen, wenn man mal wieder erwischt werde. Diesen Fall, in dem immerhin „nur“ ein Privatunternehmen sich aufgrund seiner deep pockets von der Justiz freikaufte, habe ich damals als Respektlosigkeit am Rechtsstaat bezeichnet – und das war ein eindeutiger Wettbewerbs-Fall.
Drittens aber soll es ja auch im Kartellrecht gelegentlich vorkommen, dass eine Kartellbehörde gegen andere staatliche Institutionen vorgeht, die sich dann schwer tun, die Geltung des Kartellrechts zu akzeptieren. Auch für den Wettbewerb brauchen wir den Respekt vor den Institutionen und ihren Kompetenzen – gerade bei staatlichen Eingriffen in die Marktwirtschaft.
Ende einer Dienstfahrt?
Frau Vestager hat der Neuen Osnabrücker Zeitung ein Interview gegeben. Sie wurde gefragt, warum sich in der Tech– und in der Autobranche die Fälle gerade häufen. „Die Häufung liegt (…) nicht spezifisch an den Branchen Technologie und Automobil, sondern an ihrer Struktur und der Art ihrer Produkte.“ Hm. Hm. Auto ist das neue Zement? Ich glaube, es liegt beim Auto auch ein bisschen daran, dass man sich jahrelang viel zu sicher fühlte.
In dem Interview nennt Vestager übrigens explizit ihre Prioritäten: Digitalwirtschaft und Energiesektor. Es ist unbestreitbar, dass die Kommission in diesen Feldern Leuchtturmverfahren führt, gegen die beiden Big G Google und Gazprom etwa. Der kartellrechtliche Track Record der Kommission in Sachen Energiewirtschaft ist in den letzten zwei, drei Jahren aber eher überschaubar. Es sind eben doch wenige Fälle, die die Kartellbehörden überhaupt aufgreifen. Aber vielleicht meinte die Kommissarin auch den State Aid-Bereich.
Ihre eigene Zukunft soll übrigens unsicher sein: Nachdem die Beförderung von Herrn Selmayr durch ist, widmet man sich in Brüssel ja nun den Fragen, was aus welchem Kommissar wird. Frau Vestager, die unser Freund Macron und wir ja schon als Kommissionspräsidentin sahen, braucht für den noch schöneren, aber etwas kleineren Job als Wettbewerbskommissarin das Backing der dänischen Regierung. An der ist ihre Partei leider derzeit nicht beteiligt. Der Regierungschef hat deutlich gemacht, dass er wohl eher nicht daran denkt, darauf zu verzichten, eine/n Parteifreund/in nach Brüssel zu entsenden, wenn es soweit ist.
Mach schon mal den Motor an…
Thomas de Maizière scheidet bekanntlich aus der Bundesregierung aus. Als ich überlegt habe, was aus dem Mann jetzt bloß werden soll, fiel mir seine Doktorarbeit wieder ein: „Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt. Darstellung und rechtliche Würdigung eines verborgenen Vorgehens“, entstanden bei Prof. Kollhosser in Münster 1986. Der Mann kannte sich also schon früh mit den großen Geheimnissen dieses Staates aus. Irgendwie wundert es nicht, dass de Maizière sich als sehr großer Freund informeller Verfahren zeigt. So schreibt er zum Beispiel: „Verfahrensrechte von Beteiligten des formellen Verfahrens (…) werden durch die Nichtbeteiligung im informellen Verfahren nicht verletzt.“ Es gibt kein Gleichbehandlungsproblem. Es gibt kein Rechtssicherheitsproblem. Es gibt kein Rechtsschutzproblem.
Ein Teil dieser Antworten verunsichert mich. Nun muss man dem damals 32-jährigen Autoren auch nachsehen, dass er die Prozeduralisierung des Kartellrechts samt Protokollierung, Akteneinsicht, IFG, Geltung der Grundrechte, fair trial usw. damals noch nicht erahnen konnte.
Wie weit kann das Amt in einem informellen Vorverfahren gehen? Sicher, bevor man ein richtiges Verfahren mit allem Drum und Dran einleitet, will man erst einmal wissen, ob das lohnt, oder ob der schlichte Aufwand der Verfahrensführung nicht das Amt schon lahm legt. Holger Quellmalz kommentiert das im Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann (dort zu § 54 Rn. 5) treffend so: Die Kartellbehörde kann sich „auch ohne förmliches Verwaltungsverfahren ein erstes Bild davon machen, ob die von dritter Seite erhobenen Vorwürfe die Einleitung eines Kartellverwaltungsverfahrens rechtfertigen. In Anbetracht der zahlreichen Eingaben, die die Kartellbehörden täglich erreichen, entspricht dies auch einem praktischen Bedürfnis.“
Kürzlich kam die Frage mal wieder auf, was das Amt eigentlich macht, wenn es nichts macht. Nichtstun ist ja zum Glück nicht gerade seine Sache. Der Fall: Wegen der 50plus1-Regelung im deutschen Fußball hatte der Investor des einzig wahren Münchner Fußballvereins 1860 Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht. Nach mehreren Monaten fand die Presse heraus, dass das Amt kein Verfahren führt. Das wird wohl formal zutreffen. Die Folgerung der Presse, dass das Amt nicht ermittelt, ja, dass die Beschwerde unbearbeitet daliegt, eher nicht. Eine Beschwerde in einem so spannenden Fall modert nicht ungelesen vor sich hin. Ich tippe auf das informelle Vorverfahren. „Sondieren“ würde man das in Berlin nennen. Aber, wie es der legendäre einstige BKartA-Vizepräsident Ernst Niederleithinger in einem Brief an Thomas de Maizière formuliert hat: es liegt der „Schleier des Undurchsichtigen und Unprüfbaren“ über den informellen Verfahren.
Nicht gerade ein Beifahrer
Apropos Persönlichkeiten: In der FAZ erschien ein von Werner Mussler geschriebenes, lesenswertes Portrait des großen Kartellrechtsprofessor Ernst-Joachim Mestmäcker. Das war eine schöne Erinnerung an diesen Helden des Kartellrechts. Sein Buch „Der verwaltete Wettbewerb“ ist für mich ein Klassiker. Das Portrait erinnert aber auch daran, wie eng Wissenschaft, Anwaltschaft und Politik oft zusammengearbeitet haben, um immer wieder unser geliebtes Rechtsgebiet gemeinsam vorwärts zu bringen. Da der Wettbewerb keine Lobby hat, bedurfte es immer wieder der Anstrengungen Einzelner, um andere für das Wettbewerbsprinzip zu begeistern.
Mestmäcker ist sicher ein Kandidat für die kartellrechtliche Hall of Fame. Für die würde ich auch meinen akademischen Großvater (und Mestmäckers langjährigen Weggefährten) Wolfgang Fikentscher nominieren. Von Kartellamtsmitarbeitern wird immer wieder der Bundeskartellamtspräsident Wolfgang Kartte als zentrale Figur genannt. Mir fallen einige weitere Namen ein, aber Ihnen sicher auch.
Achterbahnfahrt
Es wird spät, und einige von Ihnen murren schon. Zuviel Grundsätzliches, wat is denn mit Fällen?! Da haben wir natürlich noch zwei Hinweise: Das OLG Düsseldorf hat die Geldbuße gegen Rossmann versechsfacht. Hanno Bender von der Lieblingszeitschrift vieler Kartellrechtler hatte das zuerst berichtet. Man ist mit einem 5 Mio. Bußgeld wegen Preisabsprachen beim BKartA gestartet, die Generalstaatsanwaltschaft forderte 50 Mio., der Senat nahm 30. Puh, bei einer solchen Achterbahnfahrt muss man sich erst einmal den Schweiß von der Stirn tupfen. Das Amt hat in einer Pressemitteilung das Urteil begrüßt und die Versechsfachung nicht kommentiert.
Apropos hohe Summen: UPS fordert wegen der Untersagung des Zusammenschlusses mit TNT von der Kommission über 1,7 Mrd. Euro Schadensersatz. Wie bekannt hatte das Gericht die Untersagung wegen Verletzung von Verteidigungsrechten ja aufgehoben: Die Kommission hätte, so das Gericht, eine Änderung des ökonomischen Modells mitteilen müssen. Der EuGH hat über die Aufhebung der Untersagung noch nicht entschieden.
Ich glaube, was solche Summen auslösen können, nennt man “chilling effects”. Und damit zum Wetter: Am Wochenende soll es wieder über Null Grad sein. Gehen Sie ein Eis essen! Kartell-Man beschützt sie! Viel Spaß beim Gucken und Schlecken!
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