Die Powerbank am Rhein wird 60
1958 nahm das Bundeskartellamt seine Arbeit auf. Die Behörde ist in diesen 60 Jahren weitgehend unfallfrei gefahren. Party on! Im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in Bonn, heute World Conference Center, versammelte Andreas Mundt also über 500 Partygäste, darunter viele mit Rang und alle mit Namen, von A wie Astrid Ablasser-Neuhuber bis Z wie Brigitte Zypries. Rupprecht Podszun war auch dort und berichtet.
Bei seinem 60. Geburtstag, den der Würstchenbudeninhaber Clemens Tönnies vorletztes Jahr feierte, hat Helene Fischer gesungen, es sollen 1000 Gäste dort gewesen sein. Gemessen an diesem Maßstab fiel die Jubiläumsfeier des Bundeskartellamts beinahe bescheiden aus. Es gab Kartoffelsuppe mit – immerhin – Würstchen und die Musik kam von der Kartellamtsband „The Trust Sentinels“, die ein umjubeltes Unplugged-Set spielte. Aber der Tönnies hat’s ja auch: wer erst mit Kartellen abzockt und dann auch noch der Geldbuße entfleucht, kann es natürlich anders krachen lassen als eine Behörde, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hohe intrinsische Motivation und langen Atem brauchen, wie Andreas Mundt in einer rührenden Schlussbemerkung meinte. In dieser wurde auch Siegfried Klaue gewürdigt, der als Urgestein aus der 1958-Truppe des Amtes anwesend war.
Sentimental Journey
Wenn hier eben von einer Würstchenbude die Rede war, war damit nicht Schalke gemeint, sondern ein Fleischimperium – aber es war auch eine Referenz an den früheren Abteilungsleiter Hartwig Wangemann. Der war auch da, so wie viele andere legendäre Kartellrechtler, von Klaus Paetow über Jochen Burrichter bis Hans Christoph von Rohr. Wangemann übergab dem Verfasser dieser Zeilen ab und zu eine Akte mit den Worten: „Schauen Se sich det mal an, da will ne Chemiebude ne andere koofen.“ Und bei diesen fusionswilligen Buden konnte es sich dann auch schon mal um die BASF handeln. Bis 1998 saß das Kartellamt am Mehringdamm in Berlin…
Sie merken: Der Podszun gleitet in Sentimentalitäten ab, aber bitte – es war wie jeder 60. Geburtstag eben vor allem eine Familienfeier. Als Werner Mussler von der FAZ Andreas Mundt fragte, wie es denn um das zuweilen heikle Verhältnis zur EU-Kommission bestellt sei, antwortete Mundt: „Es ist wie in allen guten Familien – es ist alles wie immer wunderbar!“ Und dabei strahlte er Generaldirektor Johannes Laitenberger an, der ihm gegenübersaß, und der an dieser Antwort sicher seinen Spaß hatte.
Ein neuer approach?
Big show, little substance? Nicht ganz. Es gab auch Handfestes, Tendenzen, Zwischenzeiliges, das aufhorchen ließ. Mundt wünschte sich zum Beispiel, dass die Schwellenwerte der EU-Fusionskontrolle angehoben würden, damit wieder mehr größere Fälle vom Amt geprüft werden können. Frank Montag von Freshfields, der für die Studienvereinigung auf einem Podium saß, erhob Einspruch: Dass es bei größeren Fusionen wenigstens in der EU einen one-stop-shop gibt, sei eine wesentliche Errungenschaft. Konrad Ost veranlasste das zu der spitzen Bemerkung, er habe bislang nicht den Eindruck gehabt, dass den Anwälten die Betreuung komplexer Fusionen, die in vielen Jurisdiktionen anzumelden seien, ein großes Leid sei. Das nutzte Montag, um für die Kartell-Anwaltschaft in Anspruch zu nehmen, sie verfolge einen „ethical approach“: „We do not just want to make money on our clients“. Wer in diesem Moment das Glück hatte, zufällig zwei Mitarbeiter des Kartellamts zu sehen, die sich Blicke zuwarfen, wusste: Vom „ethical approach“ ist man im Amt wahrscheinlich ungefähr so überzeugt wie man es einst vom „economic approach“ war. In der Sache war es aber durchaus überzeugend. (Ost wiederum quälte Montag mit einer weiteren Frage, als er wissen wollte, wie denn so die Papiere ankommen, die neuerdings wie am Fließband im Amt produziert werden. Montag antwortete diplomatisch.)
Lerneffekte
Es sind drei große Themen, die beim Fest für Gesprächsstoff sorgen: Globalisierung, Verbraucherschutz, Digitalisierung. Und bei allen drei Themen stehen dieselben Unternehmen im Fokus: die Plattformen aus dem Silicon Valley. Um angesichts der digitalen Zeitenwende heute einen neuen Ordnungsrahmen zu setzen, bräuchte man wohl einen politischen Kraftakt wie… wie 1958 zum Beispiel. Welch ein Power war das 1958, als sich eine (von Wissenschaftlern hervorragend beratene) Bundesregierung mit amerikanischer Schützenhilfe traute, einen Wettbewerbs-Watchdog aufzubauen – gegen den Widerstand der deutschen Industrie! BDI-Präsident Dieter Kempf räumte den Irrtum sehr schön selbstironisch ein. Um dann zu beweisen: Wir haben verstanden. Mit Verve rief Kempf zu einem Kraftakt auf, um den Wettbewerb zu sichern, gerade auch auf internationaler Ebene. Der Fokus, so Kempf, müsse langsam von den B2C-Plattformen zum B2B-Bereich wandern.
Was die US-amerikanische Schützenhilfe im Kartellrecht angeht, so muss sich Europa vielleicht derzeit eher auf die eigenen Kräfte besinnen. Aber immerhin: Makan Delrahim, neuer Assistant Attorney General for Antitrust und damit Kartellwächter Nummer 1 der USA, war da – und mit ihm gefühlt alle Chefs aller Wettbewerbsbehörden der Welt. Die Wertschätzung für das Bundeskartellamt, seinen beeindruckenden track record und, das muss man einmal schreiben, auch seinen Chef, ist enorm. Sehr oft war von der internationalen Kooperation die Rede. Nachdem die Diskussionen um das globale Kartellrecht ja doch etwas abgeflaut waren, scheint wieder Druck in diesen Kessel zu kommen. Übernahme der Ermittlungsergebnisse einer Behörde durch eine andere? Why not?
Wünsche und Geschenke
Das Verbraucher-Thema dagegen ist eher ein nationales, denn viele der anderen Behörden sind ja längst Marktordnungsbehörden mit Zuständigkeiten in verschiedenen Bereichen. Die BKartA-Beschlussabteilung Verbraucherschutz ermittelt, hat aber keine eigenen Entscheidungsbefugnisse. Die wünscht sich die Leitung des Hauses. Leider war bei den entsprechenden Bemerkungen nicht zu sehen, ob sich Jochen Homann und Frank Appel, die einträchtig nebeneinandersaßen, auch Blicke zuwarfen. Beide – Präsident der BNetzA der eine, Chef der Deutschen Post der andere – dürften aus unterschiedlichen Gründen die Ambitionen in diesem Bereich nicht so schätzen. Frank Montag erinnerte übrigens dankenswerterweise daran, dass Wettbewerb vor allem Schutz der Freiheit ist.
Und die Geburtstagsgeschenke? Zwei Düsseldorfer Studierende haben das Amt mit einem hippen Filmchen beschenkt: „Kartell-Man“ rückt mit seinem smarten Preisabsprachen-Detektor aus, um das Eisdielenkartell zu zerschlagen – based on a true story. Bettina Limperg, Präsidentin des BGH und damit Vorsitzende des Kartellsenats, erwähnte, dass der BGH dem Amt zum 50. Geburtstag ein Geschenk machte: Seither hat Jörg Nothdurft ein eigenes Pult, wenn er als „amicus curiae“ des Kartellsenats antritt. Zum 60. versprach die geschäftsführende Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries dem Amt einen Chief Technologist. Herr Mundt nahm das Geschenk an.
Im Übrigen beschenkte das Amt: Jeder Gast wurde mit einer Powerbank versorgt. (Im UWG nennt man das wohl „Marktstörung“, wenn der Staat kostenlos Leistungen abgibt, aber das Amt weiß natürlich, dass die Fallgruppe in der Praxis nicht anerkannt ist.) Permanent digital dank BKartA-Powerbank! Das Handy blieb aber im alten Bundestag ohnehin ziemlich unbenutzt: Zu interessant alles, und – übrigens – vortrefflich organisiert. Analoge face2face-Kommunikation war angesagt. Die Anwälte mussten an diesem Tag ohnehin nicht fürchten, zu einer Durchsuchung gerufen zu werden; die Dawn Raid Teams mit ihren Preisabsprachen-Detektoren saßen ja hier zusammen. Als die Kartellrechtsfamilie zum Empfang strömte, war dann einfach gute Stimmung, obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Alkohol gegeben hatte. Richter, Professoren und Leute, die beides sind, wie Andrea Lohse oder Wolfgang Kirchhoff, steckten die Köpfe zusammen. Rainer Bechtold und Frank-D. Reh schüttelten sich die Hände wie alte Onkel, die sich zu lange nicht gesehen hatten. Ein Cousin drängelte sich am Büffet vor. Clemens Tönnies war gar nicht erst eingeladen, die Trust Sentinels spielten viel besser als Helene Fischer. Wer aufbrach, ging beschwingt. Eine sympathische Familie! Und wer nicht eingeladen war, z.B. wegen refusal to invite, sei versichert: Das BKartA kämpft für Dich.
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