Conference Debriefing (19): AG Wettbewerb des Vereins für Socialpolitik

Conference Debriefing (19): AG Wettbewerb des Vereins für Socialpolitik

Vor einigen Tagen gab es noch eine nicht abgesagte Konferenz zu Wettbewerbsfragen. Hurra! In Berlin tagte die Arbeitsgruppe Wettbewerb des renommierten Ökonomen-Clubs „Verein für Socialpolitik“. Prof. Dr. Andreas Polk war vor Ort und berichtet für D’Kart vom letzten Treffen seiner Art für einige Zeit…

Noch nicht ganz im Zeichen eines mexikanischen Braugetränks stand das diesjährige Treffen der Arbeitsgruppe Wettbewerb, das traditionell vor dem Ausschuss für Wirtschaftspolitik des Vereins für Socialpolitik tagt. Doch das Thema Corona waberte schon im Raum: Händeschütteln wurde durch verständnisvolles Lächeln ersetzt, und manche Teilnehmer trauten sich schon nicht mehr, den hoch-toxischen Stift des Nachbarn in die Hand zu nehmen. Insgesamt blieben aber alle vorbildlich ruhig und entspannt, die Atmosphäre war angenehm konzentriert. Beschäftigen wir uns also mit den beiden Hauptthemen der Tagung, der Vertikal-GVO und – surprise surprise! – der 10. GWB-Novelle.

Name der Veranstaltung: Sitzung der Arbeitsgruppe Wettbewerb im Verein für Socialpolitik

Thema: Reformen im deutschen und europäischen Kartellrecht

Zeit und Ort: TU Berlin, 2.-3. März 2020

Gastgeber: Prof. Dr. Christian von Hirschhausen (Gastgeber), TU Berlin; Prof. Dr. Justus Haucap, HHU Düsseldorf & DICE (Tagungsorganisation)

Publikum: Ca. 20-30 Professoren aus dem Bereich der Wettbewerbspolitik (hier fehlt leider bewusst das “in”), sowie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sonstige Interessierte.

Teil 1: Die GWB-Novelle

Los ging es mit einer Einführung zur 10. GWB-Novelle durch Dr. Thorsten Käseberg, Leiter des Wettbewerbsreferats im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Er gab einen sehr schönen Überblick über den aktuellen Stand der Reform, der allerdings auch schon ausreichend in diesem Blog hier und hier und hier vorgestellt wurde. Für die Newbies kurz: Der aktuelle Referentenentwurf sieht zahlreiche Änderungen vor, von denen unter anderem die Neuerungen zur Missbrauchsaufsicht, aber auch die geänderten Aufgreifkriterien in der Fusionskontrolle ausführlich diskutiert werden. Hier ein kurzer – und vor allem nicht vollständiger – Überblick.

Missbrauchsaufsicht:

  • Neue Kriterien zur Bewertung der Marktstellung (§ 18 GWB), insbesondere Ergänzung um das Kriterium “Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten” in § 18 Abs. 2 GWB-RefE, sowie Einführung des Begriffs der “Intermediationsmacht” in § 18 Abs. 3;
  • Neufassung bzw. Ergänzung der „essential facilities doctrine“ in § 19 Abs. 2, u.a. um die Idee des Datenzugangs;
  • Wegfall der Beschränkung des Schutzes vor relativer Marktmacht auf kleine und mittlere Unternehmen in § 20 Abs. 1;
  • Tipping als Gefährdungstatbestand in § 20 Abs. 3a;
  • und natürlich der neue § 19a, der die überragende Bedeutung von Unternehmen auf mehrseitigen Netzwerkmärkten adressiert und eine Beweislastumkehr vorsieht.

Fusionskontrolle:

  • Anhebung der Inlandsumsatzschwelle von 5 Mio. auf 10 Mio. Euro (§ 35 GWB), Modifikation der Bagatellmarktklausel auf 20 Mio. Euro (§ 36 GWB).
  • Möglichkeit zur Aufforderung bestimmter Unternehmen zur Anmeldung bei niedrigeren Schwellenwerten (§ 39a GWB).

Diese Änderungen sind den regelmäßigen Lesern dieses Blogs vermutlich mehr als bekannt, so dass weitere Ausführungen unterbleiben. Interessant war unter anderem die Frage, wie sich die Fallanzahl beim BKartA aufgrund der modifizierten Aufgreifschwellen ändern würde. Diese Frage kam zwar erst zu einem späteren Zeitpunkt bei der Tagung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik auf (zu einem Zeitpunkt also, als Herr Dr. Käseberg schon wieder an seinem Schreibtisch an der Scharnhorststraße weilte und deshalb keine Einschätzung abgeben konnte). Gleichwohl schauten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fragend interessiert an, weil ihnen hierzu keine offiziellen Zahlen bekannt waren. Laut Gerüchten wird von einem Rückgang der jährlichen Fallzahlen in der Größenordnung 200-300 gerechnet, was immer noch stattliche 1.000 Fälle pro Jahr für die Behörde am Rhein lässt. In Hinblick auf die Auswirkungen dieser Regelung und ihrer zukünftigen Beurteilung wurden zwei Aspekte diskutiert:

  • Sicherlich positiv spielen Fall-ökonomische Fragen eine Rolle: Durch die geringere Fallzahl sinkt die Arbeitslast, so dass sich die Mitarbeiter verstärkt den interessanten und wichtigen Fällen widmen können.
  • Offen ist, wie viele relevante Fälle nun aus dem Fokus fallen. So wurde geäußert, dass dies vermutlich hauptsächlich Fälle sein werden, die in der ersten Phase mit Zusagen seitens der beteiligten Unternehmen beendet werden. Aber in welchem Ausmaß? Wir wissen es nicht, vertrauen hier aber dem Gesetzgeber, die neuen Schwellen mit Bedacht gewählt zu haben.

Anmerkung 2: Schön war auch der Versuch, die aktuelle GWB-Reform historisch/global einzuordnen. Hier fanden sich Stichworte zu Hipster-Antitrust oder Lina Khan, aber auch Walter Eucken und Jean Tirole fanden Erwähnung. (Die hier nicht extra verlinkt werden müssen.)

Anmerkung 3: Ebenfalls sehr schön waren die vielfältigen Bezüge zu den verschiedenen Studien, die aufmerksam in der öffentlichen Verwaltung studiert werden. Hier ist nicht nur der Report von Schweitzer/Haucap/Kerber/Welker zu nennen, der in vielen Aspekten in die neue GWB-Novelle eingeflossen ist (bzw. einfließen wird). Verschiedene Vorträge nahmen Bezug zu den Reports bspw. aus dem Hause Furman oder Crémer/de Montjoye/Schweitzer. Dies lässt sich auch etwas größer einordnen: Wenn (nicht ganz zu Unrecht) ein stärkerer Einbezug der Forschungsgemeinschaft in das politische Geschehen gefordert wird, hinterlässt das BMWi zumindest bei dieser Novelle schon mal einen ganz guten Eindruck.

Und ein kleines Goodie noch hinten dran, denn interessant ist ja auch, was es nicht in die aktuelle Novelle geschafft hat. Preisfrage: Worauf deutet dieses Bild hin?

Mario Götze (Foto von Wikipedia-User Rufus46 unter CC-Lizenz)

Hinweis: Stellen Sie ihn sich auf der Ersatzbank vor…

Richtig! Killer-Akquisitionen sind kein Thema in der aktuellen Novelle.

Aus der Forschung

Weiter ging’s mit Beiträgen von Forschern, die stark in die politische Praxis eingebunden sind. Wolfgang Kerber aus Marburg gab einen schönen Überblick zum Stand der Dinge über Daten und Marktmacht, und Achim Wambach (Monopolkommission, ZEW) präsentierte interessante Fakten zum Thema Marktkonzentration und relative Preisaufschläge (sog. „markups“).

Kerber zu Daten

Spannend im Vortrag von Kerber war die systematische Untergliederung in Fragen der Informationsmacht und der Marktmacht. Informationsmacht kann immer dort entstehen, wo Informationen ungleich verteilt sind (“asymmetrische Information”). Im statischen Kontext könnte dies beispielsweise die vielseitig befürchtete, bisher aber nur selten zu beobachtende Form der individuellen Preisdiskriminierung sein, aber auch ungleiche Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Konsumenten (Stichwort: Manipulation von Suchergebnissen, Produktvorschlägen oder Rankings). Spannend natürlich auch die dynamische Sichtweise, in der diskutiert wird, in welchem Maße Daten(abschottung) zu Marktverschließung & Tipping führen, oder wie Leveraging wirkt (also die Übertragung von Marktmacht auf einem Markt in benachbarte Märkte, die auch vor- oder nachgelagert sein können).

Wolfgang Kerber (Foto von Carmen Schulin)

Dies führte gleich über zu dem zentralen Thema: Wie damit umgehen? Hier freilich landen wir wieder bei der 10. GWB-Novelle, denn diese enthält ja Neuheiten zum Thema Daten und Datenzugang. Lösen lassen sich die Fragestellungen sicherlich nicht auf einen Schlag, deshalb hier als Mini-Service eine grundsätzliche Einordnung zentraler Fragen:

  1. Wem gehören Daten überhaupt (Frage der „Eigentumsrechte“)?
  2. Zu welchen Daten sollte Zugang gewährt werden (Frage des Datenzugangs)?
  3. Welche Anreizwirkungen entfalten verschiedene Zugangs- bzw. Regulierungsvorgaben, insbesondere in Hinblick auf Innovation und Wettbewerb (Frage der Wirkung)?

Um hierzu einen Kollegen aus Düsseldorf zu zitieren: “Künftige Doktorandinnen und Doktoranden freuen sich ja immer, wenn sie viel Material finden.”

Wambach zu Markups

Nach all diesen wichtigen, aber auch verwirrenden Themen rund um Wettbewerb, Daten, GAFAs und GWB-Novelle durften die Teilnehmer (und die Teilnehmerin) ihre Köpfe zur Abwechslung mal mit einem anderen, natürlich verwandten Thema durchlüften: Beobachten wir tatsächlich über die Zeit stetig ansteigende Preisaufschläge und ein Anwachsen von Marktmacht? Und falls das so ist, was sind mögliche Ursachen? Diese Fragestellungen, die schon seit einiger Zeit unter interessierten Nerds für Furore sorgen, gehen auf Forschungsarbeit von De Loecker, Eeckhout und Unger zurück, die gerade im QJE erscheinen ist. Grundtendenz: Wir sehen zwar steigende Preisanschläge, diese werden allerdings hauptsächlich durch einige wenige Firmen getrieben, im Median haben sich die Markups kaum verändert. Gilt das auch für Deutschland und Europa?

Mit diesem Cliffhanger könnten wir natürlich nun in die Corona-bedingte etwas ruhigere Zeit gehen (und zum Beispiel das Paper von De Loecker et al. oder zu dem Thema auf der Seite der Monopolkommission recherchieren. Aber ganz so möchte ich Sie natürlich nicht gehen lassen. Kurzum: Das sich gegenwärtig zeigende Bild in Deutschland und im europäischen Ausland ist gemischt. Während die Konzentrationsentwicklung in Deutschland (gemessen am HHI nach vierstelligen Wirtschaftszweigen), aber auch die durchschnittlichen Preisaufschläge über die letzte Dekade hinweg mehr oder weniger konstant geblieben sind, zeigt sich für andere Staaten (bspw. Schweiz, Dänemark, zum Teil Italien) durchaus ein Anstieg der Preisaufschläge im Zeitraum 1980 bis heute.

Fraglich ist, was diese Effekte treibt. Erklärungsansätze könnten eine Zunahme von immateriellen Vermögenswerten sein (wenn sich die Kostenstruktur weg von variablen hin zu Fixkosten verändert, steigen bei konstanten Preise die ausgewiesenen Preisaufschläge), in der Rolle der zunehmenden Digitalisierung, in einer schwächeren Innovationsdiffusion, in einem Vollzugsdefizit der Kartellbehörden, oder in zunehmenden Unternehmensverflechtungen institutioneller Anleger. Womit wir mit den letzten beiden Punkten wieder bei der Wettbewerbspolitik angelangt wären…

Und hier die Praxis

Das Schöne an der Arbeitsgruppe Wettbewerb ist, dass hier die akademische Welt gerade nicht unter sich bleiben will. So waren auch dieses Jahr wieder mehrere Beitragende aus der Praxis vor Ort, die die aktuelle Novelle aus ihrer jeweiligen Sicht kommentierten und die Diskussion erheblich bereicherten. Jörg Karenfort, Partner bei Dentons Europe LLP, kommentierte die Novelle aus juristischer Sicht, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Positionen der Studienvereinigung Kartellrecht. Auch er stellte die Frage, welche Auswirkung die Anhebung der zweiten Inlandsumsatzschwelle in § 35 GWB und der Bagatellmarktklausel in § 36 GWB haben wird. Ist sie zu zurückhaltend, so dass sie kaum praktische Auswirkungen entfalten wird? Michael Menz von Zalando referierte über die Herausforderung für digitale Plattformen aus der Unternehmensperspektive. Aus seiner Sicht ergeben sich neue Herausforderungen für die Marktabgrenzung (konkurriert der Tante-Emma-Laden um die Ecke mit digitalen Unternehmen?), aber auch gerade die Themen Datenzugang und Daten-Kooperation stehen im Fokus seines Unternehmens. Sein Plädoyer für verbindliche Regeln ist verständlich, Unternehmen brauchen Rechtssicherheit. Er unterstützte die interessante Idee, dass Marktmacht vielleicht weniger durch Marktanteile gemessen werden sollten, sondern beispielsweise durch das Maß der Aufmerksamkeit, die digitale Dienste bei ihren Nutzern erlangen (“total consumer time”). Naja, time will tell, würde ich sagen.

Teil 2, hier aber nur kurz: Die Novelle der EU-Horizontalleitlinien und der Vertikal-GVO

Der zweite Teil der Tagung beschäftigte sich mit der Novellierung der horizontalen Leitlinien und der Vertikal-GVO. Christian Stempel, Referat G1 im Bundeskartellamt, führte in das Thema ein (Stichworte: “safe-harbour”-Vorgaben, Kernbeschränkungen und Prüf-Vorgehen). Anschließend gaben Andreas Gayk vom Markenverband und Peter Schröder vom Handelsverband Deutschland (HDE) ihre Einschätzung zu den Novellierungen ab. Im Nachklang entspann sich eine durchaus interessante Diskussion, die bei mir zu einem Flashback von vor ca. 20 Jahren führte: Schon zu Studienzeiten in Heidelberg diskutierten wir in den Kursen von Prof. Siebke ausführlich, ob die Marktkräfte zu Gunsten “besonderer” Ziele außer Kraft gesetzt werden sollten. Ersetze “Umweltschutz” und “Sozialstandards” (damals) durch “Gemeinwohlorientierung” und “Tierschutz” (heute), und schon ähneln sich die Debatten auf frappierende Weise. Dabei waren sich die Teilnehmer einig, dass Tierschutz, Demokratie und Gemeinwohlorientierung natürlich wichtige und schützenswerte Ziele sind. Fraglich nur, ob sie durch ein Aussetzen von Wettbewerb erreicht werden sollten. Nicht überraschen wird, zu welcher Sichtweise der überwiegende Teil der Anwesenden tendierte. Ein Tipp für alle anderen: Wer steht am 25. Spieltag auf Platz acht in der ersten Fußball-Bundesliga?

Bleiben Sie gesund!

Prof. Dr. Andreas Polk ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Industrieökonomik, an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er beschäftigt sich mit Fragen der Wettbewerbspolitik und Regulierung sowie der politökonomischen Analyse des Lobbyismus.

Webseite: https://www.hwr-berlin.de/prof/andreas-polk/

Twitter: @RuhrPottPolk

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