GWB10: Die Lage (1)

GWB10: Die Lage (1)

Seit dem 24.1.2020 ist die Arena eröffnet: Das Bundeswirtschaftsministerium hat an dem Tag den Referentenentwurf für das GWB-Digitalisierungsgesetz (kurz: 10. GWB-Novelle) vorgelegt. Nun dürfen sich Befürworter und Gegner eines GWB-Updates an konkreten Vorschlägen abarbeiten. Rupprecht Podszun sichtet die Lage nach Woche 1 und legt den Fokus auf die Digital-Themen der Novelle.

Freiheit oder Sozialismus?

Richtig schöne SSNIPpets lagen schon fertig in der Schublade und sollten am vergangenen Freitag veröffentlicht werden. Doch um 10 Uhr grätschte das Bundeswirtschaftsministerium die SSNIPpets ab, indem es offiziell den Referentenentwurf für ein neues Kartellrecht im Internet publizierte. Ab da ging es im Newsroom unseres Blogs natürlich so zu wie in Redaktionsräumen der britischen Klatschpresse, wenn ein royales Paar entscheidet, aus dem festgefügten Familien-Kartell auszuscheiden und sich im freien Wettbewerb zu bewähren: drunter und drüber. Die SSNIPpets welken seither in der Schublade, sie werden in der Saure-Gurken-Zeit nachgereicht.

Erst einmal war die Veröffentlichung des Referentenentwurfs ja ein beruhigendes Zeichen dafür, dass die Große Koalition (GroKo) in Deutschland noch atmet. Wir hatten im vergangenen Jahr ja ungefähr sechs Monate damit verbracht, der Frage entgegenzuzittern, ob die SPD aus der GroKo ausscheidet. Dann wurden zwei Personen zu SPD-Vorsitzenden gewählt, die dafür irgendwie auch standen. Für unsere Freundinnen und Freunde im Ausland: Vom Ende der GroKo hört man seither nichts mehr. Es genügte vermutlich, Gegner der Großen Koalition an die Parteispitze zu wählen, um die Große Koalition zu sichern. Das nennt man Politik. Wettbewerbspolitisch belebt Saskia Esken, eine der zwei Neuen im Amt, die Diskussion durch Bekenntnisse zu dem aus ihrer Sicht doch nicht so verkehrten Sozialismus. Diese Strategie war ja schon bei Jeremy Corbyn wahnsinnig erfolgreich. Oder auch ohne das erfolgreich.

Sussex Royal, Corbyn, are we talking English, now?

Corbyn war jetzt schon die zweite Referenz an die Verhältnisse in dem noch Vereinigten Königreich, und wir wollen es dabei belassen. Bei aller Liebe zum GWB-Referentenentwurf nehmen wir durchaus zur Kenntnis, dass es noch andere Entwicklungen in der Welt gibt, z.B. das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Yes, this may remain here…

Das macht uns aus verschiedenen Gründen sehr traurig: Eines der über Jahrzehnte offensten Länder der Welt schottet sich ab. Es fällt ein wichtiger Impulsgeber für freie Märkte in den EU-Beratungen weg. Die Linie, die Großbritannien wettbewerbspolitisch einschlagen wird, könnte zwischen Marktradikalität und Protektionismus in den Extremen schlingern. Die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen binden Kräfte in Brüssel, die eigentlich an anderen Themen arbeiten müssten. Ian Forrester, um nur einen für alle zu nennen, verlässt die Institution, für die er zuletzt gearbeitet hatte, den Europäischen Gerichtshof. Die Brexit-Abstimmung selbst bleibt, neben der Wahl von Trump zum US-Präsidenten, ein erschreckender Ausweis für den Zustand der Informationsmärkte und des politischen Wettbewerbs im frühen 21. Jahrhundert. (Damit will ich nicht sagen, dass die Wählerinnen und Wähler sich bei anderer Informationsgrundlage zwingend anders entschieden hätten, aber wenn nicht einmal The Times EuGH in Luxemburg und EuGMR in Straßburg auseinander halten kann, war es jedenfalls keine well-informed choice.)

Wettbewerbspolitik als Entdeckungsverfahren

Mit der Reform des Kartellrechts, Stichwort: #GWB10, geht es jetzt in die offiziellen Schlachten. Bislang, soweit nur in D’Kart der Referentenentwurfsentwurf geleakt war, konnten die Positionierungen ja noch als Schattengefechte geführt werden.

Ich selbst habe mich bereits hier und hier aus dem Fenster gelehnt. Sie kennen meine Meinung inzwischen: Ich finde die Reformvorschläge weitgehend gut, weil sich der Gesetzgeber etwas traut, auch wenn manche Details nachgeschärft werden können. Dass Regelungsbedarf angesichts der Digitalisierung gegeben ist, steht für mich außer Frage: Nach einer Revolution ändert sich das Recht, das gilt auch für das Wirtschaftsrecht nach der Digitaldisruption. Natürlich, wir können schon jedes Phänomen irgendwie mühsam wegsubsumieren, aber wir können auch versuchen, passendere, bessere Regeln zu schaffen. Alle Studien, ob Schweitzer/Haucap/Kerber/Welker, EU Special Advisers, Furman Report, ACCC, Stigler Center, Kommission Wettbewerbsrecht4.0 weisen in die selbe Richtung: Reformen sind nötig.

Statt enforcers und Gerichte mit der Rolle von Daten, mit Plattformen und ihren Netzwerkeffekten, mit der Schwerfälligkeit der Rechtsanwendung allein zu lassen, wünsche ich mir ein Signal des Gesetzgebers, wohin die Reise gehen soll. Das wagt Peter Altmaiers Haus mit diesem Entwurf. Dass die Reiseroute (um im Bild zu bleiben) auch auf Abwege führen kann, mal einen Umweg nimmt oder an einem schönen Halt einfach vorbeibrettert (sog. Wolfsburg-Effekt), das mag sein. Aber Wettbewerbspolitik ist eben auch nur ein Entdeckungsverfahren.

Einstweilige Maßnahmen

In der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Referentenentwurfs stellt das Bundeswirtschaftsministerium die Erleichterungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen (§ 32a GWB-E) heraus. Der Minister selbst wird mit den Worten zitiert:

„Und das Bundeskartellamt braucht mehr Schlagkraft und soll in Zukunft schneller reagieren und mit einstweiligen Maßnahmen schon früh missbräuchliche Marktmacht verhindern können.“

Kartellamtspräsident Andreas Mundt wird an dieser Stelle fragen: Genau, wie viele Stellen macht das für uns? Unternehmenschefs, die gerade unter einer Millionengeldbuße ächzen, werden vermutlich eher fragen: Noch mehr Schlagkraft? Ernsthaft?

Peter Altmaier bei der Vorstellung des Berichts Wettbewerbsrecht 4.0 (Foto: Lucas Gasser)

Adrian Deuschle und ich haben uns im vergangenen Jahr mit einstweiligen Maßnahmen beschäftigt. Sie führen nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung, sondern verlängern das Verfahren tendenziell sogar. Sie sind dafür da, einen Zustand zu sichern, aber in Betracht kommen wird das – auch in Zukunft – vor allem in Konstellationen wie im Fall Broadcom der Kommission: wenn es wirklich gut ausermittelt ist und der remedy naheliegt. In gewagteren Verfahren, Google Shopping oder Facebook, werden einstweilige Maßnahmen eher nicht angepackt werden. Alles weitere: Podszun/Deuschle, WuW 2019, 613 ff. #selfpreferencing

Die Lobbys

Wenn der Referentenentwurf es in den Bundestag schaffen sollte (davor steht ja noch der Kabinettsbeschluss), dann dürfte dort in den Hinterzimmern die Diskussion noch einmal richtig losgehen. Man hört schon von Sonderregeln für einzelne Branchen, und auch die GAFAs – Google, Amazon, Facebook, Apple – sind aufgewacht und bringen ihre Maschinen auf Touren. In diesem Zusammenhang mag die Nachricht von Interesse sein, die die Washington Post (Eigentümer: Amazon-Boss Jeff Bezos) herausbrachte: Die großen Techies haben in der vergangenen Dekade etwa eine halbe Milliarde Dollar für Lobbying aufgewendet.

Da ist es nur recht und billig (no pun intended), dass es auch Lobbyismus von der anderen Seite gibt: Die NGOs Oxfam, Konzernmacht beschränken, UnternehmerGrün, digitalcourage und die Digitale Gesellschaft haben den Gesetzgeber aufgefordert, strengere Regeln für digitale Gatekeeper zu erlassen. Die Nichtregierungsorganisationen haben in den vergangenen Jahren erst das Thema Kartellrecht entdeckt, so scheint mir. Der Auslöser war die Fusion Bayer/Monsanto. Das Bündnis hat eine steile Lernkurve gemeistert. Hier kommt Druck von links, der das Meinungsspektrum in der Wettbewerbspolitik erweitert.

Mitte Februar kommt es zu Verbändeanhörung und Länderanhörung. Die bisher mir bekannte Kritik des wichtigsten Verbands BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) scheint relativ verhalten.

Erster Kritikpunkt: Deutsches und EU-Missbrauchsrecht sollten sich nicht auseinander entwickeln. Das ist freilich in Art. 3 (2) Satz 2 VO 1/2003 genau so angelegt, und es ist – etwa bei § 20 GWB – gängige, unumstrittene Praxis. Die EU ist derzeit in diesem Bereich legislativ kaum handlungsfähig. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Mitgliedsstaaten die Hände in den Schoß legen, wenn sie Handlungsbedarf sehen.

Dass, zweiter Kritikpunkt, die deutschen Unternehmen es wegen #GWB10 schwerer haben sollen, digital stark zu werden, das erschließt sich mir eher nicht. Dass deutsche Unternehmen in den Fokus des neuen § 19a GWB geraten, ist (leider!) erst einmal nicht absehbar – dafür bräuchte es ja überhaupt mal ein deutsches Digitalunternehmen mit marktübergreifender Bedeutung. Die Neuerungen in § 20 GWB zielen aus meiner Wahrnehmung darauf, es den deutschen Unternehmen zu erleichtern, international Anschluss zu finden (vom comfort letter in § 32c GWB-E ganz zu schweigen).

Explizit fordert der BDI: Zugang zu Daten wie bisher mit ausgehandelten Regeln statt mit Kartellrecht. Der BDI wird besser wissen, was seine Mitglieder brauchen, aber mein Eindruck war, dass es diese Datenzugangsregeln gerade für BDI-Mitglieder geben soll, damit sie beim Internet of Things nicht außen vor bleiben. Bei zähen Verhandlungen über Datenzugang kann ein Unternehmen ja am ausgestreckten Arm des Verhandlungspartners verhungern. Allerdings sind die Folgefragen zum Datenzugangsanspruch (wer wie was, wieso weshalb warum?) noch völlig offen – da hat der BDI einen Punkt.

Fragen zur neuen Aufgreifschwelle

Ein Fall aus der Entsorgungswirtschaft ist Anlass für die Regel in § 39a.

Big news im Vergleich zum bisher von uns geleakten Entwurf ist die neue Möglichkeit des Bundeskartellamts, Remondis Unternehmen dazu zu verpflichten, alle Akquisitionen anzumelden, selbst wenn die Umsatzschwellen sonst nicht erreicht werden. Die Voraussetzungen sind außerordentlich niedrig: Das Target muss mindestens 2 Mio. Euro Umsatz erreichen, 2/3 dieser Umsätze müssen im Inland erzielt werden (§ 39a GWB-E). Im Übrigen genügt es, wenn der Erwerber 250 Mio. Euro Umsatz weltweit erzielt und „Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen eingeschränkt werden kann.“

Das ist doch recht vage für eine solche Anmeldepflicht deluxe. Braucht’s die wirklich?

Vielleicht sollte man sich nicht von einem einzelnen ärgerlichen Fall zu Gesetzgebung verleiten lassen. Hier geht es, letztlich, um den Erwerb von KMU, mit denen größere Unternehmen sich konsolidieren. Das könnte auch effizient sein. Der Idee der früher sogenannten „Anschlussklausel“ (§ 35 Abs. 2 S. 1 GWB aktuelle Fassung) läuft das diametral entgegen. Zur Erinnerung: Derzeit sind unabhängige Unternehmer mit ihren kleinere Buden, die sie aufgeben möchten, bis zu einer Schwelle von 10 Mio. Euro von der Fusionskontrolle ausgenommen. Die Abwägung dahinter lässt sich wunderbar in der Gesetzesbegründung von 1971 (BT-Drucks. 6/2520, S. 32) nachlesen:

„Solche Zusammenschlüsse sind wettbewerbspolitisch nicht irrelevant, da Großunternehmen auch durch wiederholte Übernahmen von Klein- und Mittelunternehmen marktbeherrschende Positionen erlangen oder verstärken können. Dennoch erscheint es gerechtfertigt, Unternehmen mit Umsatzerlösen von nicht mehr als 50 Millionen DM von der Fusionskontrolle freizustellen, da diesen Unternehmen nur so eine volle Verwertung der in ihrem Unternehmen steckenden Vermögenswerte mögliche ist. (…) Aus wettbewerbspolitischer Sicht ist die Klausel gerechtfertigt, weil sie den Entschluß, sich selbständig zu machen, erleichtern kann und damit den Markt für newcomer offen hält. Ohne die 50-Millionen-Klausel würde die selbständige unternehmerische Betätigung insofern mit einem zusätzlichen Risiko belastet werden.“

Merke: Startups nannte man damals newcomer.

Sollte § 39a GWB-E das Gesetzgebungsverfahren überleben (woran Zweifel berechtigt, siehe sogleich), dann könnte ich mir vorstellen, dass man erstens die Voraussetzungen für die Anmeldepflicht deluxe beim Erwerber erhöht, aber zugleich die 2/3-Inlandsumsatzklausel streicht. Mit dieser wird § 39a GWB-E zu einer Anti-Exit-Germany-Klausel. Aus meiner Sicht ist die Beschränkung in völkerrechtlicher Hinsicht in dieser starken Ausprägung nicht erforderlich. Wenn man auch an die killer acquisitions der GAFAs denkt, wird man mit dieser Klausel jedenfalls die spannenden Fälle eher selten zu Gesicht bekommen – übrigens auch, weil die manchmal nicht einmal die 2 Mio. € Schwelle erreichen, siehe Facebook/WhatsApp und § 18 Abs. 2a GWB.

Hier spricht der Gesetzgeber…

In der CDU ist der Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Heider für Wettbewerbsfragen zuständig. Er ist bei der GWB-Reform die wichtigste Stimme im Parlament – was er den Seinen nicht vermittelt, geht nicht durch. (Zuzugeben ist übrigens, dass die Stimme der Grünen-MdB Katharina Dröge, gelernte Volkswirtin, in Wettbewerbsfragen zuweilen lauter ist, wenn auch nicht wichtiger). Heider (Jurist) hat zum Referentenentwurf eine Pressemitteilung herausgegeben. Die ist also wichtig, denn hier spricht der Gesetzgeber:

Matthias Heider, stv. Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag

„[D]as geplante Gesetz bietet große Chancen für die freiere Entfaltung der mittelständischen Digitalwirtschaft – zum einen indem bestimmte Marktverschlusspraktiken der Tech-Giganten eingehegt werden und zum anderen indem zusätzliche Rechtssicherheit für Digitalkooperationen zwischen Unternehmen geschaffen wird.“

§ 19a GWB-E und § 32c GWB-E laufen also glatt durch. Ganz zufrieden ist Heider aber nicht:

„Kritisch bewertet Heider jedoch eine neue Vorschrift, wonach das Bundeskartellamt bestimmte Unternehmen dazu verpflichten kann, jede Fusion – auch unterhalb der Schwelle zur Fusionskontrolle – anmelden muss. „Die in letzter Minute neu eingefügte Vorschrift“, so Heider, „berücksichtigt zu wenig das berechtigte Interesse vieler kleinerer Start-Ups und Mittelständler, deren Unternehmensstrategie gerade auf den Verkauf an ein großes Unternehmen ausgerichtet ist.“

Voilà.

Frau Dröge von den Grünen kriegt übrigens auch noch einen mit, was wohl als Zeichen des wechselseitigen Respekts der beiden Wettbewerbspolitiker gewertet werden darf. Ihre „Enteignungsfantasien“, so Heider, würden dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden. Elizabeth Warren Katharina Dröge hatte gesagt:

„Bei zu großer Marktmacht muss es möglich sein, digitale Monopole zu entflechten.“

In nicht-digitaler Hinsicht haben die Grünen übrigens jüngst einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um Bauern besser vor übergroßer Marktmacht zu schützen.

Katharina Dröge, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag (Foto: Johanna Fecke)

Eine schwarz-grüne Koalition zeichnet sich hier noch nicht ab, aber eine lebhafte und durchaus sachkundig geführte Debatte. Das ist mehr als wir in diesen Tagen zu hoffen wagen dürfen.

…hier die Monopolkommission

Mit einem „Policy Brief“ hat sich auch die Monopolkommission zu Wort gemeldet, die Wettbewerbsweisen, sozusagen. Das Statement hat mich, sagen wir… verblüfft. Die Kurzfassung der knappen Stellungnahme liest sich so:

„Die neuartigen Missbrauchstatbestände für Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung sollten nicht übereilt eingeführt werden.

Bei Ausbeutungsmissbräuchen sollte weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen beherrschender Stellung und missbräuchlichem Verhalten vorhanden sein.

Die verfahrensbetroffenen Unternehmen sollten gesetzlich stärker zur Mitwirkung verpflichtet werden, soweit eine effektive kartellbehördliche Rechtsdurchsetzung andernfalls nicht zu gewährleisten ist.

Eine Erhöhung der Aufgreifschwellen der Fusionskontrolle und die damit verbundene Absenkung des Wettbewerbsschutzes sollten mit einer gezielten Erhöhung der Kontrolldichte auf Regionalmärkten verbunden werden.“

Diese Punkte lassen nicht erkennen, dass die Kommission um Achim Wambach auch einiges lobt. Am ersten Satz bin ich allerdings gleich hängen geblieben. § 19a GWB-E stößt bei der Monopolkommission nicht auf Gegenliebe. Zu viele offene Fragen zum Anwendungsbereich, zu den konkreten Verbotstatbeständen, zu den Sanktionen (hier denkt die Kommission eher an ein Monitoring oder an Regulierung). Stimmt, da gibt es Diskussionsbedarf. Was aber auch stimmt: Dazu ist das Gesetzgebungsverfahren ja da. Im Übrigen, liegt der Vorschlag mindestens seit 14.10.2019 auf dem Tisch, davor hat der Furman Report eine ähnliche Regelung vorgeschlagen, seit 750 Konferenzen diskutieren wir das digitale Update und seit 10 Jahren hält Google einen Marktanteil von 95 % bei der Websuche in Deutschland. Ich würde es nicht für „übereilt“ halten, nun mal zur Sache zu kommen. Das ist mir doch der wissenschaftlichen Gründlichkeit zu viel.

Ein echtes Knallbonbon hat die Monopolkommission auch noch: Sie schlägt eine intensivere Fusionskontrolle auf Regionalmärkten vor. Werden die Umsätze eines Zusammenschlussbeteiligten zu 90 % in nicht mehr als drei Bundesländern erwirtschaftet, werden die Umsätze für die Zwecke der Aufgreifschwellen verdoppelt. Eine solche Aufgreifschwelle dürfte den halben deutschen Mittelstand treffen – zum Beispiel alle Unternehmen, die nur an Automobilhersteller in Bayern und Baden-Württemberg liefern. Jede Wette: Realisierungsaussichten null.

Bitte keine Sonderregeln!

Keine Wetten gehe ich in einer anderen Frage ein: Wird es Sonderregeln, Privilegien, Ausnahmen für einzelne Branchen geben? Bitte nicht! Aber in der letzten GWB-Novelle war es ja auch wieder passiert – zugunsten der Presse in § 30 GWB. Und dann war da noch diese am Kartellamt gescheiterte Back-Office Fusion von Sparkassendienstleistern. Ein solches Fiasko, so war den Sparkassenlobbyisten im Bundestag klar, darf sich nicht wiederholen. Seither mahnt der peinliche Sparkassenparagraph (§ 35 Abs. 2 Satz 3 GWB) als Gesetz gewordene ordnungspolitische Ignoranz.

Das ist nicht die Beschlussabteilung des Bundeskartellamts, die für Krankenhausfusionen zuständig ist.

Der Gedanke an Sonderregeln durchzuckte mich, als ich las, dass das Bundeskartellamt beim Presse-Grosso wieder aktiv geworden ist und die Diskriminierung umsatzschwächerer Titel durch ein Mindestumsatzkriterium aus der Welt geräumt hat. Bittschön, bittschön, in § 30 Abs. 2a GWB wäre sicher noch Platz für eine Sonderregel, die diesen Eingriff des Kartellamts wieder gerade rückt… Aber immerhin hat das Amt ja auch die Kooperation von zwei Pressehäusern  in Berlin, Berliner Morgenpost und Tagesspiegel, auf Basis von § 30 Abs. 2b GWB gebilligt. Vielleicht sind die Verlage damit gesättigt.

Größere Sorgen bereiten mir Meldungen aus dem Gesundheitswesen: In NRW wird nach dem Scheitern diverser Krankenhaus-Fusionen über eine Lockerung des Krankenhauskartellrechts (Krk-krt) nachgedacht. Zuletzt hatte es das Klinikum Stadt Soest und das Marienkrankenhaus erwischt, ein Fall in Unna wird geprüft.

In NRW wird nun nach Informationen der Allgemeinen Zeitung darüber nachgedacht, das Kartellrecht für Krankenhäuser zu lockern. Wenn es dazu kommt, sollte das Bundeskartellamt bei der anstehenden Neuordnung der Krankenhauslandschaft bitte mindestens mitarbeiten dürfen. Die Pläne, die derzeit in Gesundheitsministerien entwickelt werden, können eine Injektion Wettbewerbsdenken sicher vertragen.

Düsseldorf ist übrigens die Hauptstadt von NRW.

Politischen Beobachtern ist in diesem Zusammenhang übrigens nicht entgangen, dass auch ein Zusammenschluss von zwei Kliniken in Gütersloh scheiterte. Weshalb das von Belang ist? Gütersloh ist der Wahlkreis von Ralph Brinkhaus, der der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag vorsitzt. Wollen wir hoffen, dass er nicht aus falschem Wahlkreis-Patriotismus heraus meint, ordnungspolitische Prinzipientreue sei, als müsse man mit einer Stange quer im Mund einen Waldlauf machen (Bismarck).

Warum soll man nicht einen Blogbeitrag über eine Gesetzesnovellierung mit Bismarck schließen? Sie kennen das bekannte, ihm zugeschriebene Zitat über Gesetze und Würste. Guten Appetit!

2 Gedanken zu „GWB10: Die Lage (1)

  1. Beim Hinweis auf die hohen Lobbying-Ausgaben von GAFA musste ich an Richard Posner denken. Der meinte mal, Ineffizienzen beim Streben nach Monopolen rühren auch daher, dass Unternehmen viel Geld für Lobbying verschwenden (Posner, The Social Costs of Monopoly and Regulation, Journal of Political Economy 1975, 807, 812).

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