Wie die Europäische Union im globalen Wettbewerb bestehen kann

Wie die Europäische Union im globalen Wettbewerb bestehen kann

Gastbeitrag von Dr. Andreas Schwab, MdEP

In Brüssel wird wieder über europäische Champions und eine Lockerung des Wettbewerbsrechts diskutiert. Manfred Weber und Esther de Lange von der EVP-Fraktion im EU-Parlament haben einen Brief an die Kommissare Margrethe Vestager und Thierry Breton gesandt, den Politico hier dokumentiert. D’Kart hat Dr. Andreas Schwab um eine Stellungnahme gebeten – er ist Fraktionskollege der Autoren des Briefs und ein in der Ordnungspolitik sattelfester Wirtschaftsjurist.

Die Globalisierung nimmt dieser Tage an Fahrt auf: der Corona-Virus zeigt nicht nur die Verwundbarkeit globaler Lieferketten auf, die Krise macht auch deutlich wie der CO2-Ausstoß in China kurzfristig reduziert wurde. Und all das wurde sichtbar durch digitale Technik, die viele Prozesse enorm beschleunigt und eine Transparenz ermöglicht, die früher undenkbar war. Damit sind wir mitten in dem Knäuel an Fragen, die sich die Europäische Union derzeit stellt. Wie können wir den Wohlstand in Europa verteidigen, wenn wir mit den drastischen Maßnahmen des Klimagesetzes, das die Brutto-CO2-Emissionen aus Europa bis zum Jahr 2050 auf Null reduzieren möchte („Green Deal“), gleichzeitig aber mit Globalisierung und Digitalisierung die Europäischen Wirtschaft (das Herz unseres Wohlstandes) erheblich durcheinanderwirbeln? Der „common sense“ sagt uns, dass wir nicht alles auf einmal haben können. Wir benötigen eine Strategie, die unseren Betrieben in dieser Gemengelage eine Perspektive eröffnet, auch künftig wettbewerbsfähig zu sein.

Industriekommissar Thierry Breton hat in dieser Situation vorgeschlagen, die wichtigsten Sektoren der europäischen Industrie über alle Betriebsgrößen hinweg auf ihre Verwundbarkeit im Hinblick auf diese Herausforderungen zu analysieren – und möglicherweise Maßnahmen zu treffen, gefährdeten Sektoren zu helfen. Denn es ist offensichtlich, dass manche Sektoren stärker als andere von einem höheren Preis für CO2-Ausstoß, von der Digitalisierung oder auch vom teilweise verzerrten globalen Wettbewerb betroffen sind. Natürlich stellt sich dabei auch die Frage, in welcher Form das Wettbewerbsrecht und die Regeln über die staatlichen Beihilfen mithelfen könnten. Völlig ungeachtet der fehlgeschlagenen Fusion von Siemens und Alstom stellt sich die Frage, warum so viele Menschen „European Champions“ wünschen. Es ist der Wunsch, in einer globalen Wirtschaft Marktführer auch mal wieder in Europa zu sehen! Marktführer sind in den vergangenen Jahren aber vor allem aus dem Markt entstanden, und nicht durch staatliche Planung. Deswegen kann es keinen Zweifel daran geben, dass die europarechtlich verbürgten Prinzipien des Wettbewerbsrechts und des Beihilferechts auch künftig unser Maßstab sein müssen, um einen fairen Wettlauf zwischen den Unternehmen, aber auch um faire Preise für die Verbraucher zu erzielen.

Allerdings stellen sich im Detail natürlich viele Fragen. Wäre es angesichts der vielfachen Bedrohungen im Cyberspace nicht wünschenswert, wenn die Zahl der Europäischen Telekommunikationsunternehmen reduziert würde, und sie großflächigere Entscheidungen treffen und durchsetzen könnten? Dies ist ein Sektor, in dem Staaten nach wie vor nennenswerte Aktienpakete besitzen. Denn solche Aktienpakete haben vor Jahrzehnten den Aufbau von verschiedenen nationalen Unternehmen zu Airbus ermöglicht, ein unbestreitbarer Erfolg im Markt, auf dem es damals ein US-amerikanisches Monopol gab. Derartige Zusammenschlüsse verbietet das europäische Recht nicht, in der Praxis der Rechtsanwendung durch die EU-Kommission sind sie in den vergangenen Jahren jedoch de facto undenkbar gewesen.

Es geht heute deshalb darum, im Interesse des Wohlstands in Europa derartige Fragen neu zu stellen – möglicherweise mit teilweise leicht neuen Antworten. Damit sind aber nicht die Grundprinzipien unserer Wirtschaftsordnung in Frage gestellt, es geht lediglich darum, sie an die massiven öffentlichen Vorgaben bei der CO2-Reduktion, an die Digitalisierung und an einen globalen Wettbewerb mit den USA und China vernünftig anzupassen.

Der Fahrplan der EU-Kommission für die Reformen im Kartellrecht. Quelle: https://ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/legislation.html (DG COMP)

Zusammenfassend gilt: Es geht nicht um eine Lockerung des Wettbewerbsrechts, sondern es geht vor allem um eine Weiterentwicklung der Regeln. Die gescheiterte Fusion Siemens/Alstom hat viele Fragen aufgeworfen, allerdings sind viele dieser Fragen nie hinreichend beantwortet worden. Eine Frage erscheint mir in diesem Zusammenhang aber notwendig: Die Überarbeitung der Leitlinien zur Marktabgrenzung durch Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager muss bald, und nicht erst – wie von der Kommission vorgeschlagen – 2022 vorgenommen werden, denn Globalisierung und Digitalisierung haben dazu geführt, dass viele Prozesse sich beschleunigt haben, so dass Märkte sich eben auch schneller verändern.  

Zum zweiten gilt es für uns Europäer endlich die rechtlichen Regeln zu schaffen, die wir brauchen, um gleiche Regeln für alle Marktteilnehmer, insbesondere im Verhältnis zu China, zu schaffen („Reziprozität“). Ein Ausverkauf der europäischen Wirtschaft an Marktteilnehmer, die mit nach EU-Recht unzulässigen staatlichen Beihilfen gepäppelt wurden, ist definitiv nicht unsere Zukunftsperspektive.

Zuletzt ist die Anpassung der Horizontal-Leitlinien notwendig, um zu ermöglichen, dass europäische Unternehmen durch Zusammenarbeit jene Effizienzen generieren können, die sich durch die Digitalisierung bieten. Hierfür sind einheitliche europäische Regeln notwendig.

Keinesfalls brauchen wir eine sogenannte „europäische Ministererlaubnis“ – diese hat schon in Deutschland wenig hilfreich gewirkt. Auf Ebene der Europäischen Union wäre dafür eine einstimmige Entscheidung im Rat der 27 Wirtschaftsminister notwendig, die man angesichts der unterschiedlichen Strukturen und Interessen weitgehend ausschließen kann.

Im Übrigen ist eine wie auch immer geartete Aufweichung des Kartellrechts durch schwammig formulierte sonstige Ziele, wie beispielsweise „Anpassung an die Energiewende“ nicht mehrheitsfähig und sogar gefährlich. Insofern kann der Brief der EVP-Fraktion nicht im Sinne einer Abkehr von der europäischen Ordnungspolitik interpretiert werden. Vielmehr wollen wir eine zügige Anpassung des rechtlichen Rahmens, damit sich unsere europäischen Unternehmen mit voller Schlagkraft einem fairen Wettbewerb stellen können. Dass es dafür noch weiterer Maßnahmen bedarf, versteht sich von selbst: Deshalb sind die Vorschläge für eine echte Industriestrategie sehr zu begrüßen!

Dr. Andreas Schwab ist Mitglied des Europäischen Parlaments und dort Sprecher der Europäischen Volkspartei im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Schwab ist einer der wichtigsten Wettbewerbspolitiker im EU-Parlament.

Website: https://www.andreas-schwab.de/ Twitter: @Andreas_Schwab

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