Bundeskartellamt in action

Bundeskartellamt in action

Am 23. Juni 2021 hat das Bundeskartellamt seinen Tätigkeitsbericht für die Jahre 2019/2020 veröffentlicht und diesen auf einer Online-Pressekonferenz vorgestellt. Aber auch aus dem European Competition Network (ECN) gibt es „brisante“ Neuigkeiten: Die Kartellbehörden der Mitgliedsstaaten fordern in einem Paper, an der Durchsetzung des DMA beteiligt zu werden. Philipp Offergeld gibt einen Überblick über beide Papiere. 

Das Bundeskartellamt berichtet alle zwei Jahre dem Deutschen Bundestag über seine Tätigkeiten in den vergangenen zwei Jahren. § 53 Abs. 1 GWB sieht das so vor, und die Tätigkeitsberichte sind oft eine Fundgrube. Das knapp 200 Seiten starke Dokument für die vergangenen zwei Jahre wurde von Kartellamtspräsident Andreas Mundt am Mittwoch, 23. Juni 2021, vor Pressevertretern vorgestellt, diese natürlich nur über Zoom zugeschaltet. 

Quelle: Twitter: @kartellamt

Die Durchsetzung des Kartellrechts

Für an Kartellen beteiligte Unternehmen dürfte die Corona-Pandemie in gewisser Weise ein Segen gewesen sein. So habe das Bundeskartellamt zu Beginn der Pandemie von Durchsuchungen zunächst abgesehen und solche erst wieder im Spätsommer 2020 durchgeführt. Dafür habe das Amt ein Hygienekonzept entwickelt. Man fragt sich schon, wie das genau abläuft. Wird dafür das gesamte Büro zunächst von einem Fachbetrieb desinfiziert, bevor der Durchsuchungstrupp – mit Abstand und Maske – einläuft? Es scheint jedenfalls ein funktionierendes Hygienekonzept zu geben, die Kommission hat bei einem deutschen Bekleidungshersteller eine Nachprüfung mit Hilfe des Bundeskartellamts durchgeführt, und dem Vernehmen nach lief das alles so entspannt wie Dawn Raids eben laufen.

Ein Trend, der sich fortgesetzt hat, ist der Rückgang von Kronzeugenanträgen. Hinweise von Kronzeugen waren für die Kartellbehörden in der Vergangenheit essenziell, um viele Kartelle überhaupt entdecken zu können. 2019, also noch ohne Corona-bedingte Sondereffekte, gab es 16 Anträge in 14 Kartellen. Niedriger waren die Werte zuletzt 2006, und in dem Jahr war die 2000 eingeführte Bonusregelung überhaupt erst schlagkräftig geworden. Der rückläufige Trend, der wohl die gesamte EU betrifft, liegt laut Mundt hauptsächlich an dem verbleibenden Haftungsrisiko in privaten Schadensersatzverfahren. (Für die ja eigentlich naheliegende Erklärung, dass es einfach weniger Kartelle gibt, ist Mundt wohl doch zu erfahren.) 

Dabei war in der Kartellschadensersatz-RL (2014/104/EU) ja schon eine Privilegierung des Kronzeugen für das private enforcement vorgesehen: Kronzeugenerklärungen sind von der Offenlegung generell ausgeschlossen und stehen damit als Beweismittel quasi nicht zur Verfügung (Art. 6 Abs. 6 KartellschadensersatzRL = §§ 33g Abs. 4, 89c Abs. 4 GWB), nach Art. 11 der RL (= § 33e GWB) haftet der Kronzeuge „nur“ seinen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten gegenüber. Im Außenverhältnis ist er diesen aber zum Ersatz ihres gesamten entstandenen Schadens verpflichtet und kann lediglich im Innenverhältnis die anderen Kartellanten in Höhe ihres Verantwortungsbeitrags in Regress nehmen. Dieses Haftungsrisiko schreckt offenbar viele Unternehmen davon ab, einen Kronzeugenantrag zu stellen, was das Bundeskartellamt für die Aufdeckung von Kartellen insgesamt als bedenklich bezeichnet. Umgekehrt gewendet ließe sich das natürlich auch so verstehen, dass die Bußgelder allein offenbar keine ausreichende Abschreckung sind. Muss der Sanktionsapparat noch einmal auf den Prüfstand?

§ 19a GWB

Das Bundeskartellamt hat vom neuen § 19a GWB beherzt Gebrauch gemacht. So beschrieb Mundt in der Pressekonferenz die vier Verfahren, die das Amt mittlerweile gegen die GAFA-Konzerne Google, Amazon, Facebook und Apple auf Grundlage der neuen Vorschrift für Unternehmen „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ eingeleitet hat. Teilweise werden diese Verfahren vom Amt noch ohne konkreten Vorwurf eines Missbrauchs geführt, es geht also primär darum, die Adressatenstellung festzustellen – danach, so das Konzept der Vorschrift, kann es dann schnell gehen. 

Das gilt auch deshalb, weil der Gesetzgeber bekanntermaßen für die rechtlichen Auseinandersetzungen über Verfügungen nach § 19a GWB eine Rechtswegverkürzung vorgesehen hat: Nach § 73 Abs. 5 GWB ist der Bundesgerichtshof erste und letzte Instanz für Verfahren dieser Art. Andreas Mundt likes this, wie er auch dem Deutschlandfunk sagte („es ist ein Segen“). Insbesondere das Facebook-Verfahren habe gezeigt, was passiert, wenn Unternehmen alles tun, um sich gegen die Amtsverfügung zu wehren. Diese „Frustration“ ist auf eine Art sicherlich nachvollziehbar. Schließlich gab es neben dem Hauptsacheverfahren, welches das OLG Düsseldorf zwecks Vorlage an den EuGH zwischenzeitlich ausgesetzt hat, bereits zwei Eilverfahren, die jeweils auch beim Bundesgerichtshof gelandet waren. Andererseits nimmt Facebook damit letztlich nur extensiv seine prozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten wahr. Aus dem Tätigkeitsbericht geht hervor, dass Facebook sich zwecks Umsetzung der vollziehbaren Verfügung mit dem Bundeskartellamt in Verbindung gesetzt hat (was wir ja hier schon – also zutreffend – spekuliert hatten).

Kennen Sie schon unsere Materialsammlung zum Facebook-Verfahren? Hier geht’s lang!

Die vier GAFA-Verfahren werden übrigens bei vier unterschiedlichen Beschlussabteilungen geführt: Die B6 (Vorsitz: Julia Topel) bleibt, natürlich, an Facebook dran, die B7 (Katharina Krauß) ist federführend für Google zuständig (während das Google News-Verfahren bei der BV (Carsten Becker) läuft). Amazon wird, wie bekannt, von der B2 (Felix Engelsing) betreut, Apple von der B9 (Birgit Krueger). Es darf also damit gerechnet werden, dass quer durch das Amt erhebliche 19a-Kenntnis entsteht. Neue Stellen hat das Amt keine bekommen.

Auf Nachfrage von D’Kart erklärte Amtssprecher Kay Weidner, der mit gewohnter Souveränität durch die Pressekonferenz führte, dass beim Amt derzeit wohl keine Verfahren nach anderen neuen Digitalvorschriften aus dem #GWB10 anhängig sind: Insbesondere § 20 mit seinen Erweiterungen bleibt (wie traditionell) eine Sache des private enforcement – und in der Tat hat es beim Landgericht Berlin ja auch eine erste Verfügung gegeben, die auf § 20 Abs. 3a, den Anti-Tipping-Paragraphen, gestützt ist.

Das ECN zum DMA-Entwurf

Zeitlich parallel zu der Pressekonferenz des Amtes hat das European Competition Network (ECN) ein Paper zum Thema DMA herausgeben. Zur Erinnerung: Das ECN ist das Netzwerk aus nationalen Wettbewerbsbehörden (National Competition Authorities = NCAs) und Europäischer Kommission. In seinem Paper begrüßen die NCAs zunächst den DMA-Entwurf, vor allem in materieller Hinsicht. Allerdings fordern sie, an der Durchsetzung des DMA beteiligt zu werden. Dies war im Kommissionsentwurf und auch im Schwab Report (wir berichteten) nicht vorgesehen. Vielmehr wollte sich die Europäische Kommission den Vollzug des neuen „Bestreitbarkeitsrechts“ vorbehalten. Nach Schwabs Wünschen sollten die NCAs lediglich in einem beratenden Gremium vertreten sein und u.a. für die Kommission unverbindliche Stellungnahmen abgeben.

Die NCAs begründen ihre Forderung im Wesentlichen mit der erheblichen Belastung, die auf die Kommission mit dem DMA zukommen wird. Die Verpflichtungen seien zwar ex-ante und self-executing, dennoch müsse mit vielen Verfahren gerechnet werden. So wird es häufig nicht leicht sein festzustellen, ob ein Gatekeeper seine Pflichten aus dem DMA verletzt hat. Vor allem für diese Art von Verfahren halten die NCAs ihre Beteiligung für notwendig und auch gewinnbringend. Für Leser*innen dieses Blogs ist die Forderung ja nicht ganz unbekant: Rupprecht Podszun, Philipp Bongartz und Sarah Langenstein trommeln ja auch seit Langem für die Einbindung der nationalen Kartellbehörden bei der DMA-Durchsetzung (z.B. in ihrem DMA-Paper für das Europäische Parlament).

Never change a running system

Die NCAs wünschen sich einen Zuständigkeitsmechanismus wie wir ihn bereits aus der KartellverfahrensVO (VO 1/2003) und der FusionskontrollVO (VO 139/2004) kennen. Wesentliche Befugnisse sollten bei der Kommission verbleiben, beispielsweise die Designation von Gatekeepern (eine deutsche Übersetzung dieser Begriffe wird auf Wunsch nachgeliefert). Sonstige „kleinere“ Verfahren könnten aber auch von den NCAs durchgeführt werden. Dies schone nicht nur Ressourcen der Kommission, sondern könne auch inhaltlich in einigen Fällen sinnvoller sein, z.B. wenn sich ein zentraler Plattformdienst hauptsächlich in einem Mitgliedsstaat betätige. Generell sehen die NCAs die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, ineffizienter Ressourcennutzung und überlanger Verfahren bei der Kommission. Die NCAs sollten also stets ermitteln können, zum einen von Amts wegen, aber auch auf Bitten der Kommission. So bliebe die Kommission federführend und könnte jedes Verfahren nach Wunsch selbst durchführen, aber wäre eben in anderen Fällen erheblich entlastet.

Nebenbei betonen die NCAs die Bedeutung von Verpflichtungszusagen in der kartellrechtlichen Praxis. Gerade erst hatte Schwab in seinem Bericht gefordert, Verpflichtungszusagen aus dem DMA zu streichen (siehe dazu unseren Bericht).

DG COMP vs. DG CONNECT

Alle 27 Chefs der Wettbewerbsbehörden schreiben gemeinsam ein Papier, in dem sie fordern, ein Stückchen vom Kuchen zu kriegen, den sich die Europäische Kommission bislang selbst aufgetischt hat. Das ist ein starkes Signal. Ist das etwa ein handfester Krach zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden, die ihre besten Fälle schwimmen sehen, und einer zu zentralistischen Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP), die neidvoll auf die Erfolge von Bundeskartellamt, Autorité de la Concurrence & Co. blickt? Das Paper wirkt auf den ersten Blick wie ein Bruch mit der Kommission. Schließlich dürften die NCAs den Wunsch beteiligt zu werden, bereits zu Anfang geäußert haben, er wurde aber von der Kommission nicht erhört.

Das diplomatische Bauchgefühl sagt allerdings etwas anderes: Bei den Sitzungen der Chefs der nationalen Behörden im ECN ist immer auch ein Vertreter von DG COMP vertreten, typischerweise  der Generaldirektor selbst, also Olivier Guersent. Es darf bezweifelt werden, dass es in diesem Gremium einen offenen Bruch mit der Kommission geben würde, der sich in einem Papier nach außen manifestiert, dass DG COMP als Affront auffassen muss. So selbstbewusst Persönlichkeiten wie Andreas Mundt und Isabelle da Silva sind, so geschickt und moderat sind sie auch (Bloomberg bezeichnete Mundt jüngst als „mild-mannered president“). Mutmaßung: Dieser Brief spielt DG COMP sogar in die Hände. Darauf weisen jedenfalls Äußerungen von Margrethe Vestager am Tag nach der Veröffentlichung hin.

Hintergrund ist die Zuständigkeitsverteilung: Wer soll für die Durchsetzung des DMA kommissionsintern zuständig sein? In Betracht kommt hier zunächst DG COMP, die schließlich auch für das übrige Kartellrecht federführend ist und Vizepräsidentin Vestager untersteht. Nach der Logik des DMA handelt es sich bei diesem aber ja gar nicht um Kartellrecht, sondern um Binnenmarktrecht. Das könnte für eine Zuständigkeit der DG CONNECT sprechen, welche allerdings nicht Frau Vestager, sondern dem machtbewussten französischen Kommissar Thierry Breton untersteht. Andreas Schwab hatte sich im Podcast von Haucap/Podszun „Bei Anruf Wettbewerb“ dafür ausgesprochen, eine Einheit (Schwab nannte das „Generaldirektion“) zwischen DG COMP und DG CONNECT einzurichten. 

Vielleicht kommt zumindest den Damen und Herren im Tour Madou, dem Sitz der DG COMP, die Forderung der NCAs ganz Recht, das ECN auch für den DMA einzuspannen. Schließlich würde dies sinnvollerweise unter Federführung der DG COMP geschehen, die schon für das übrige Kartellrecht Teil des ECN ist. Das ECN-Paper geht denn auch in Rn. 31 wie selbstverständlich davon aus, dass DG COMP für den DMA zuständig sein wird. Aus Sicht von Frau Vestager ist die Beteiligung der NCAs möglicherweise ein gern gezahlter Preis, wenn dafür ihre DG COMP federführend für den DMA wird. Das Ganze ist bislang aber nicht viel mehr als Spekulation. Sie wird freilich genährt durch eine Rede von Vestager am 24. Juni in Florenz. Schon mit dem Hinweis „Remedies are also a vital part of our proposal for a Digital Markets Act (…)”, nahm sie eine Aussage des ECN-Papers auf. Der Rest der Florentiner Ausführungen (die ortsangemessen mit Dante begannen und endeten) klang für Simon Van Dorpe von Politico wie ein „pitch to leave DMA enforcement in the hands of DG COMP“, wie er twitterte. Beruhigend: Die Kartellrechtler*innen halten zusammen.

Philipp Offergeld ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktorand bei Prof. Podszun.

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