Der DMA nach dem Schwab-Report

Der DMA nach dem Schwab-Report

 

Nachdem die Europäische Kommission Ende letzten Jahres einen Vorschlag für einen „Digital Markets Act“ (DMA) veröffentlichte, hat sich nun – dem Gesetzgebungsverfahren entsprechend – der Berichterstatter des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments mit der Sache befasst, Dr. Andreas Schwab. Philipp Offergeld berichtet über die wesentlichen Neuerungen, die „Mr. Competition“ vorgeschlagen hat, und die es durchaus in sich haben.

Diese Woche erreichte uns aus dem Europäischen Parlament der Draft Report von Andreas Schwab, der als Berichterstatter damit betraut ist, die Beschlussfassung des federführenden Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz zum DMA vorzubereiten. Zur Erinnerung: Die Kommission hat zwar das Initiativrecht, für die Gesetzgebung zuständig sind letztlich aber Parlament und Rat. Die Änderungsvorschläge Schwabs können, je nachdem, wen man fragt, als Ent- oder Verschärfung bezeichnet werden.

Andreas Schwab mit Wolfgang Kopf (Deutsche Telekom) und Pencho Kuzev (Konrad Adenauer Stiftung)beim European Data Summit 2020 in Berlin. Photo by Juliane Liebers/Konrad-Adenauer-Stiftung.

DMA (quasi) nur noch für GAFAs?

Für Unternehmen, die Gatekeeper im Sinne des DMA sind, wurden die Pflichten noch einmal verschärft. Dafür wurden aber die Voraussetzungen für die Einstufung als Gatekeeper erhöht, so dass weniger Unternehmen unter die Verordnung fallen. So soll nun anstelle eines jährlichen Umsatzes von 6,5 Milliarden Euro im Europäischen Wirtschaftsraum einer von 10 Milliarden Euro erforderlich sein. Außerdem wurde die Marktkapitalisierungsschwelle von 65 auf 100 Milliarden Euro erhöht. Noch weitreichender ist die neu geschaffene Voraussetzung, dass Unternehmen mindestens zwei „zentrale Plattformdienste“ mit je 45 Millionen aktiven monatlichen Nutzern betreiben müssen, um als Gatekeeper zu gelten. Wer also nur einePlattform betreibt, soll kein Gatekeeper sein. Damit dürften Unternehmen wie Booking.com oder Zalando wohl vorerst aufatmen. Auf die vier GAFAs und Microsoft dürfte der DMA freilich anwendbar bleiben. 

The DMA should be clearly targeted to those platforms that play an unquestionable role as gatekeepers due to their size and their impact on the internal market. To this end, it is appropriate to increase the quantitative thresholds and to add – as an additional condition (…) that they are providers of not only one but, at least, two core platform services. The provision of two or more core platform services is also an important indicator of the role of these companies as providers of an ecosystem of services.

Wer Gatekeeper ist, muss – wenn die Schwab-Pläne Gesetz Verordnung werden – schneller handeln und sich innerhalb eines Monats (zuvor drei Monate) ab dem Zeitpunkt, indem die Schwellenwerte überschritten werden, bei der Kommission melden. Zudem soll der DMA nicht erst 6 Monate nach Inkrafttreten anwendbar sein, sondern schon nach 2 Monaten. Gatekeeper müssen die für sie geltenden Verpflichtungen jetzt innerhalb von 4 Monaten erfüllen (zuvor 6 Monate).

Inhaltliche Nachschärfungen

Der deutsche Berichterstatter möchte die ohnehin schon eingriffsintensiven Pflichten aus Art. 5 und 6 DMA-Entwurf noch einmal nachgeschärft sehen. Nach Art. 5 lit. a DMA-Entwurf soll Gatekeepern untersagt werden, personenbezogenen Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen, sofern der Nutzer keine Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO erteilt hat (siehe dazu auch das just erschienene Paper von RupprechtPodszun). Eine wirksame Einwilligung setzt allgemein voraus, dass der Nutzer eine echte Wahlmöglichkeit hat. In Erwägungsgrund 36 DMA-Entwurf soll klargestellt werden, dass dies nur der Fall ist, wenn die angebotene Alternative zwar vielleicht weniger personalisiert, aber dennoch „äquivalent“ ist. Danach dürfte es wohl nicht ausreichen, wenn ein soziales Netzwerk nur eine funktional stark eingeschränkte Alternative anbietet, wenn der Nutzer nicht in die Zusammenführung seiner Daten einwilligt. Darüber hinaus soll in Art. 5 lit. a DMA-Entwurf ergänzt werden, dass sich Gatekeeper auch nicht alternativ auf Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO (Vertragserfüllung) und Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (Berechtigtes Interesse) stützen dürfen.

Nach einer Ergänzung des Art. 6 Abs. 1 lit. d DMA-Entwurf gilt: Wenn Suchmaschinen neben den organischen Suchergebnissen weitere Produkte oder Dienste anzeigen (hier wird natürlich auf Google Shopping Bezug genommen), müssen sie Wettbewerbern gleiche Chancen anbieten, an dieser Stelle (gegen Entgelt) angezeigt zu werden. Die Suchmaschine muss dabei ihren eigenen komplementären Dienst als selbständiges Unternehmen behandeln und dieses muss auch ohne die Zugehörigkeit zum Gatekeeper wirtschaftlich profitabel sein. Auf den ersten Blick wirkt das schon fast wie eine Art Entflechtung. 

Die in Art. 6 Abs. 1 lit. k DMA-Entwurf vorgesehene Pflicht für Betreiber von App Stores, Dritten zu FRAND-Bedingungen Zugang zu ihrem Store zu gewähren, wurde auf alle zentralen Plattformdienste ausgedehnt. Aufgenommen wurde zudem in einem Halbsatz ein generelles Verbot der Selbstbevorzugung für alle zentralen Plattformdienste. Allerdings ist, wie immer in Fällen, in denen eine Selbstbevorzugung verhindert werden soll, nicht klar, wie die Gleichbehandlung aussehen soll. Kann die Suchmaschine den Anzeigeplatz versteigern, dem eigenen komplementären Dienst den Zuschlag erteilen und das Geld von einem Konzernkonto auf das andere verschieben? Zumindest für die Suchmaschinen-Fälle könnte hier aber die neue Vorgabe Abhilfe schaffen, dass der komplementäre Dienst selbständig profitabel sein muss.

Die Gatekeeper sollen nach Schwabs Plänen die Beweislast für die Einhaltung der Pflichten aus dem DMA tragen, und zwar nicht irgendwie:

Art. 7 (1) DMA draft

„It shall be the responsibility of the gatekeeper to ensure and demonstrate compliance with the obligations laid down in Articles 5 and 6 by design“ (bold added here).

Was damit gemeint ist, wird nicht näher erläutert, die Formulierung eröffnet aber den Raum für technische Lösungen, die Regelungen in den AGB in ihrer Wirkung allemal überlegen sein dürften.

Durchsetzung

Bei den Abhilfemaßnahmen im Falle von systematischen Verstößen gegen die Verpflichtungen aus dem DMA wurde das Stufenverhältnis zwischen verhaltensorientierten und strukturellen Abhilfemaßnahmen aufgehoben. Strukturelle Abhilfemaßnahmen sind nicht mehr subsidiär zu verhaltensorientierten. Damit wird die Entflechtung der Gatekeeper zumindest auf dem Papier etwas leichter.

Obwohl Schwab nach eigener Aussage die begrenzten Ressourcen der Kommission schonen will, hat er sich dazu entschieden, die Möglichkeit von Verpflichtungszusagen vollständig aus dem DMA zu streichen. Diese seien angesichts der Natur des DMA als ex-ante und self-executing weder erforderlich noch angemessen. Dies zwingt die Kommission, bei Verstößen entweder eine förmliche Abstellungsverfügung zu erlassen oder rein informell mit den Gatekeepern zu verhandeln. Verpflichtungszusagen hätten ein guter Mittelweg sein können.

Schwab, zu Gast in der neuesten Folge des Haucap/Podszun-Podcasts „Bei Anruf Wettbewerb“ äußerte im Gespräch noch konkretere Pläne, die die Kommission sicher freuen dürften. So stelle er sich eine eigene Generaldirektion innerhalb der Kommission vor, die ausschließlich mit der Durchsetzung des DMA betraut wäre. Damit werde die Abgrenzung zum traditionellen Kartellrecht auch noch einmal deutlicher. Bei der personellen Besetzung hat Schwab ebenfalls große – vielleicht nicht ganz ernst gemeinte – Pläne. Wenn man die Aufgaben der Kommission ins Verhältnis zur französischen oder deutschen Kartellbehörde setzt, müssten ja ungefähr 1000 Stellen dabei herumkommen…

Marktuntersuchungen?

Unklar sind nach dem Schwab-Entwurf die Voraussetzungen der „Update-Befugnis“ der Kommission. Die Kommission hatte in ihrem Entwurf erkannt, dass sich das Marktverhalten der Gatekeeper stets ändern kann und damit neue, aber vergleichbar schädliche Verhaltensweisen auftreten können, die der DMA nicht verbietet. Aus diesem Grund soll die Kommission in Art. 10 DMA-Entwurf zum Erlass delegierter Rechtsakte ermächtigt werden, in denen neue Verpflichtungen für Gatekeeper begründet werden. Davor musste sie aber eine Marktuntersuchung nach Art. 17 DMA-Entwurf durchgeführt haben. Nach Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs wurde – unter anderem von unserem Lehrstuhl-DMA-Team Podszun/Bongartz/Langenstein – kritisiert, dass solche Marktuntersuchungen zu lange dauern würden. Möglicherweise ist das der Grund, wieso nach den Vorschlägen Schwabs Art. 17 DMA-Entwurf, der die Marktuntersuchungen inhaltlich regelt, die Durchführung der Untersuchungen zu diesem Zweck nicht mehr erwähnt. Allerdings verlangt Art. 10 DMA-Entwurf noch immer eine Marktuntersuchung und verweist dafür auf Art. 17 DMA-Entwurf. Sofern man Schwab nicht unterstellen will, dass er lediglich vergessen hat, den Verweis in Art. 10 DMA-Entwurf zu streichen, bleibt also weiterhin eine Marktuntersuchung erforderlich. Ganz klar ist das Ganze aber nicht, da in den Erwägungsgründen an einer Stelle ebenfalls das Erfordernis der Marktuntersuchung gestrichen wurde, an anderer Stelle aber geblieben ist.

Rolle der nationalen Wettbewerbsbehörden

Nach dem Kommissionsentwurf wurde über die Rolle der nationalen Wettbewerbsbehörden (NCAs) unter Geltung des DMA gestritten. Sollen diese ebenfalls an dessen Durchsetzung beteiligt sein oder soll dafür nur die Kommission zuständig sein? Nach jetzigem Stand beschränkt sich die Rolle der NCAs auf Hilfestellung bei Ermittlungen (letztlich wohl wie bei einem Dawn Raid) und die Beteiligung an einem neuen Gremium, welches erst im Schwab-Entwurf vorgesehen ist. Die „European High-Level-Group of Digital Regulators“ setzt sich aus Vertretern der Kommission, den nationalen Wettbewerbsbehörden und anderen relevanten Behörden zusammen. Ihre Befugnisse erschöpfen sich aber im Wesentlichen in der Beratung der Kommission. Ob darin mehr zu sehen ist, als im etwas wirkungslosen Beratenden Ausschuss sei einstweilen dahingestellt. Apropos Beratungen: Am Ende der 85 Seiten führt der Berichterstatter auf, mit wem er im Vorfeld gesprochen hat. Die Liste reicht von den Gatekeepern über die Bundesdruckerei bis zu einzelnen, wohlbekannten Professorinnen und Professoren. Transparenz, die man sich auch in deutschen Gesetzgebungsverfahren wünschen würde.

Verbleibende Unsicherheiten

Zuletzt ist noch ein Blick auf das Verhältnis des DMA zum nationalen Recht zu werfen. Dies war schon nach dem Kommissionsentwurf eines der spannendsten Themen rund um den DMA (zumindest aus der Perspektive deutscher Juristinnen und Juristen). Diskutiert wurde, ob die Bemühungen des deutschen Gesetzgebers zur „Zähmung der Tech-Giganten“ mit § 19a GWB durch den DMA obsolet werden. Das Stichwort ist hier die Harmonisierung, d.h. Vereinheitlichung des geltenden Rechts.

Der Kommissionsentwurf (und ebenfalls die Schwab-Fassung) unterscheidet für Zwecke der Harmonisierung zwischen Vorschriften, die die Fairness und Bestreitbarkeit der Märkte sicherstellen sollen (Art. 1 Abs. 5 DMA-Entwurf) und originär kartellrechtlichen Vorschriften (Art. 1 Abs. 6 DMA-Entwurf). Da im DMA keine Einzelfallprüfung der wettbewerblichen Schädlichkeit der verbotenen Verhaltensweisen vorgesehen ist und keine Effizienzeinreden seitens der Gatekeeper möglich sind, geht die Kommission davon aus (vgl. Erwägungsgründe 8-10 DMA-Entwurf), dass es sich beim DMA nicht um Kartellrecht, sondern um „Bestreitbarkeitsvorschriften“ handelt. Nationales Recht dieser Art soll nach Art. 1 Abs. 5 DMA-Entwurf zukünftig gesperrt sein, während nationales Kartellrecht nach Art. 1 Abs. 6 DMA-Entwurf weiterhin zulässig sein soll. Allerdings ist bei Vorschriften wie § 19a GWB nicht klar zu beantworten, ob es sich um „Bestreitbarkeitsrecht“ oder Kartellrecht handelt. Nach der (nicht unbestrittenen) Konzeption des deutschen Gesetzgebers ist § 19a GWB konkretisiertes Missbrauchsrecht und damit Kartellrecht. Allerdings hat es offensichtlich eine ähnliche Stoßrichtung wie der DMA, setzt jedenfalls keine Wirkungsanalyse wie im traditionellen Missbrauchsrecht voraus und dürfte im Wesentlichen die gleichen Unternehmen betreffen.

Hier stellt sich aber ein Problem hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz der EU, welches schon von anderen Stimmen aufgeworfen wurde. Art. 114 AEUV, auf den sich die Kommission für den DMA stützt, setzt unter anderem voraus, dass eine (drohende) Rechtszersplitterung innerhalb der EU beseitigt wird. Ob dies der Fall ist, hängt letztlich also daran, ob § 19a GWB und vergleichbare, ggf. noch nicht einmal erlassene Vorschriften, von der Harmonisierungswirkung des Art. 1 Abs. 5 DMA-Entwurf erfasst werden. Ist dies nicht der Fall, könnten die Voraussetzungen des Art. 114 AEUV nicht erfüllt sein und der DMA gekippt werden.

Diese Unsicherheiten hat der Schwab-Entwurf nicht beseitigen können. Lediglich die Anwendbarkeit nationalen Kartellrechts neben dem DMA wurde noch einmal klarer formuliert. Schwab räumt im Podcast „Bei Anruf Wettbewerb“ das Spannungsverhältnis durchaus ein.  Auf die Kompetenzfrage angesprochen, verschreibt er sich aber weiterhin der Angleichung der Rechtsvorschriften in der Union:

„Die Verordnung [hat] das Ziel der Vollharmonisierung“.

Ausblick

Der Report bringt keinen Durchbruch bei der Fusionskontrolle (jetzt sollen auch die nationalen Behörden informiert werden) – wie auch, es fehlt die Rechtsgrundlage dafür. Aber auch für zwei andere Schlüsselthemen des DMA-Entwurfs bleiben noch Fragen: Die erste Frage ist die der Durchsetzung. Wie wird der DMA von der Kommission durchgesetzt – funktioniert das? Und funktioniert es auch ohne Einbindung der nationalen Behörden? Im Podcast deutete Andreas Schwab an, dass er sich auch bei den Art. 5-Verpflichtungen der Gatekeeper irgendeine Art von Verhandlung mit der Kommission vorstellt, auch wenn es sich um automatisch geltende Verpflichtungen handelt.

Die zweite zentrale Frage: Wie wird der DMA aktualisiert? Von der Einführung einer Generalklausel, mit der Schwab lange geliebäugelt hatte, hat er nun abgesehen. Es bleibt vorerst bei Updates über delegierte Rechtsakte, samt aller Schwächen, die diese haben. Die Architektur des DMA insgesamt ist so nicht angetastet worden – das gilt auch für die zentralen Normen in Art. 5 und 6 DMA-Entwurf, bei denen es aber einige Verschiebungen gegeben hat (mit Tendenz zur Schärfe).

Es wird sich zeigen, wie das Parlament und der Rat zum Kommissionsentwurf und zu den Nachschärfungen stehen. Im kommenden Trilogverfahren ist wohl noch Verhandlungsmaterial auf Vorrat vorhanden. Die größte Unsicherheit für den Gesetzgeber dürfte die Frage der Gesetzgebungskompetenz bleiben. Hier wäre eine stärkere Harmonisierung möglich, um der Gefahr zu entgehen, dass die Verordnung für nichtig erklärt wird. Die nationalen Wettbewerbsbehörden könnten im Gegenzug stärker an der Durchsetzung des DMA beteiligt werden.

Philipp Offergeld ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Doktorand bei Prof. Podszun.

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