Good night, Bestpreisklauseln!

Good night, Bestpreisklauseln!

Vor knapp einem Jahr hat das OLG Düsseldorf mit seiner Booking Entscheidung für Aufsehen gehört. D’Kart hatte darüber hier berichtet. Mit Beschluss vom 18. Mai 2021 hat der BGH über die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts entschieden und einmal mehr eine Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben. Adrian Deuschle berichtet von der Entscheidung aus Karlsruhe.

Bestpreisklauseln sind ein Aufregerthema der digitalen Ökonomie: 2012 begann das Bundeskartellamt mit der Untersuchung weiter und enger Bestpreisklauseln bei Hotelbuchungsplattformen. Die deutsche Wettbewerbsbehörde war nicht allein, aber besonders streng. Die „Kakophonie“ der nationalen Entscheider zu diesem Thema innerhalb der EU galt manchen Beobachtern als abschreckendes Beispiel für die Zerrissenheit des digitalen Binnenmarkts. Immerhin: Mit der jüngsten BGH-Entscheidung rutscht das Thema zumindest in Deutschland langsam vom aktiven Kartellamtsfall in den Status einer § 33b-Bindungswirkung für nachfolgende Schadensersatzfälle.

Verfahrensstand

In der Sache hatte der BGH über die Vereinbarkeit von engen Bestpreisklauseln mit dem Kartellrecht zu entscheiden. Bei engen Bestpreisklauseln verpflichten sich die Hotels gegenüber dem Vermittlungsportal, günstigere Konditionen nur auf anderen Online-Reservierungsportalen und auf Offline-Vertriebswegen anzubieten – nicht aber auf der eigenen Website. (Die noch weitergehenden Bindungen, sog. weite Bestpreisklauseln, waren schon zuvor rechtskräftig abgestellt worden.) Das Bundeskartellamt hatte auch in der engen Version – kein Wettbewerb mit der Buchung über die eigene Website – einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB und §§ 19, 20 GWB gesehen.

Den Beschluss des Bundeskartellamts hatte das OLG Düsseldorf aufgehoben. Es stützte sich dabei im Wesentlichen auf den Immanenzgedanken, nach dem wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden in einem kartellrechtsneutralen Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen vom Kartellverbot ausgenommen sind. Aus Sicht des OLG waren die Bestpreisklauseln notwendig, um ein Trittbrettfahren zu verhindern. Nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamts erfolgreich war, hatte der BGH in der Sache zu entscheiden.

Keine Vorlage zum EuGH

In dem Fall wäre eine Vorlage zum EuGH über die Frage, ob enge Bestpreisklauseln als notwendige Nebenabreden nicht unter den Art. 101 AEUV fallen, möglich gewesen. Einige europäische Wettbewerbsbehörden haben im Gegensatz zum Bundeskartellamt enge Bestpreisklauseln für zulässig eingestuft (woraufhin mancherorts – zum Schutz der heimischen Hotellerie – wiederum Gesetzgeber eingeschritten sind). Da Uneinigkeit über die Auslegung einer europäischen Rechtsnorm herrscht, hätte der EuGH letztendlich entscheiden können. Doch der EuGH ist ja erst einmal mit dem Facebook-Verfahren versorgt – da hat der BGH diesen Fall einstweilen selbst erledigt.

Behörden in ganz Europa haben Bestpreisklauseln in etwa so seziert wie Rembrandt van Rijn das Licht und Dr. Tulp.

Die Entscheidung des BGH

Der Volltext der Entscheidung liegt aktuell noch nicht vor, aus der Pressemitteilung des Gerichts lassen sich aber bereits einige Schlüsse ziehen. Anders als das OLG hält der BGH enge Bestpreisklauseln für kartellrechtswidrig. Ihre Vereinbarung stellt keine unerlässliche Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Vertrag dar, weswegen die Immanenztheorie nicht einschlägig ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach den Ermittlungen des Bundeskartellamts Booking auch nach der Aufgabe der Verwendung enger Bestpreisklauseln seine Marktstellung weiter stärken konnte. Diese Nachermittlungen wurden in der Würdigung des OLG Düsseldorf noch als „wegen ihrer geringen Zahl nicht statistisch belastbar“ eingestuft (Rn. 77). Wäre der BGH hier dem OLG gefolgt, hätte das durchaus immer neue Fälle von Tatbestandsrestriktionen Tür und Tor öffnen können. Dem wird mit dieser Entscheidung ein Riegel vorgeschoben.

Wenn die Bestpreisklauseln sich nicht als tatbestandsimmanente Restriktionen durchmogeln können, stellt sich jedoch die Frage, wie es weitergeht: Spekuliert wurde vor der Entscheidung, dass der Weg über die Immanenztheorie (die als richterrechtliche Aufweichung des Kartellverbots eben durchaus Bedenken begegnet) vom BGH nicht mitgegangen wird – stattdessen aber der Fall ans OLG zurückgesendet wird, damit über eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV entschieden wird. Das OLG war in seiner Entscheidung gar nicht mehr auf den Art. 101 Abs. 3 AEUV eingegangen. Diese Rückgabe an die Tatsacheninstanz hat der Kartellsenat des BGH offenbar nicht für nötig gehalten. Unterm Strich wollte der BGH es sich wohl nicht nehmen lassen, jetzt selbst eine Entscheidung zu fällen, nachdem die Bestpreisklauseln ja doch schon eine Weile die Institutionen beschäftigen.

Im Rahmen des Art. 101 Abs. 3 AEUV waren die wettbewerbsfördernden Aspekte dieser Abrede mit den Wettbewerbsbeschränkungen abzuwägen. Eine Gruppenfreistellung mit Hilfe von Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO kam schon wegen der Marktanteile von Booking (über 30 %) nicht in Betracht. Dass Einzelfreistellungen, gerade bei hohen Marktanteilen, selten sind, ist kein Geheimnis, und so hielt es auch der BGH. Hotelbuchungsplattformen seien zwar eine feine Sache – die Auswahlmöglichkeiten für Verbraucher werden erhöht, Hotels erreichen mehr Kunden. Enger Bestpreisklauseln bedürfe es dafür aber nicht. Das Trittbrettfahrerproblem, das Booking.com ausgemacht hatte (Kunden finden das Hotel über Booking, buchen es dann aber auf der Hotelwebsite), würde „nach den Nachermittlungen des Bundeskartellamts und dem Vorbringen von Booking.com“ die Effizienz der Plattform nicht gravierend gefährden. Gefährdet sei vielmehr der plattformunabhängige Onlinevertrieb des Hotels – und damit der freie Wettbewerb. In der Pressemitteilung deutet sich eine gewisse Skepsis und eine sehr sorgfältige Prüfung gegenüber der Idee an, dass ein sehr erfolgreiches Plattformunternehmen die angebliche Trittbrettfahrerei seiner kleinen Kunden unterbinden muss. Ist das ein starker Dämpfer für das Free-riding-Argument bei mehrseitigen Märkten? Simonetta Vezzoso hatte sich schon 2016 bei der ASCOLA-Konferenz darüber Gedanken gemacht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die klassischen Effizienzeinreden im Digitalbereich nicht ohne weiteres Ziehen. Immerhin ist die Verhinderung des Trittbrettfahrens das erste Thema in den (noch geltenden) Vertikal-Leitlinien der Europäischen Kommission unter der Überschrift „Positive Auswirkungen vertikaler Beschränkungen“.

Wetter ist toll, aber diese Hotelpreise… Mit freundlichen Grüßen vom Chiemsee – Ihr A. Mundt

Ausblick

Booking hatte während des laufenden Verfahrens ohnehin auf den Einsatz von engen Bestpreisklauseln verzichtet. Insofern ist jetzt klar – die engen Bestpreisklauseln kommen nicht zurück. Die Entscheidung kommt gerade richtig für die ersten Hotelöffnungen und die dringend ersehnten Ferien von der Pandemie: Wer über Pfingsten noch etwas buchen will, fragt am besten gleich an der Rezeption (wo denn schon etwas offen ist). So hatten die Bestpreisfälle ja auch einmal begonnen – mit einer Reise von Kartellamtspräsident Andreas Mundt, der am Chiemsee ein Hotelzimmer spontan verlängern wollte. Das Hotel fühlte sich gebunden an die Preise, die es bei Booking-Konkurrent HRS angab – und Mundt, Ermittler im Urlaub, witterte einen Fall. Das war vor etwa 10 Jahren, wie sich aus diesem Zeitungsartikel ergibt.

Die Plattformen werden in Zukunft wohl mit dem Trittbrettfahren leben müssen und dieses ökonomische Risiko in ihre Preisgestaltung einpreisen. Zudem könnten Booking Schadensersatzklagen von Hotels drohen. Inwiefern ein solcher Schaden in der Praxis zu quantifizieren ist, wird sich zeigen. Wegen der schon seit 2015 verbotenen weiten Bestpreisklauseln hat der Hotelverband Deutschland bereits Schadensersatzansprüche gesammelt. Mit HRS, so heißt es, hat man sich bereits auf eine Entschädigung von 4 Mio. Euro für 600 Hotels geeinigt. Es könnte sein, dass wegen der engen Klauseln noch einmal nachgelegt werden muss. Good night, Bestpreisklauseln!

Adrian Deuschle ist Rechtsreferendar am LG Köln; er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Rupprecht Podszun an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Die Entscheidung zu Booking.com ist auch Thema in Folge 17 des Podcasts „Bei Anruf Wettbewerb“ mit Justus Haucap und Rupprecht Podszun.

2 Gedanken zu „Good night, Bestpreisklauseln!

  1. Vielen Dank für diesen informativen Bericht auf der Basis der Presseerklärung, der den Blick über den engen kartellrechtlichen Horizont hinaus bis an den Chiemsee und auf den fast zehn Jahre zurückliegenden Ursprung des Falles weitet.
    In der Sache fühle ich mich an das Dictum von Justice Stewart aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnert (US v. Von’s Grocery Store, 384 ‚U.S. 270 (1966), Justice Stewart dissenting), wonach jedenfalls in Fusionsfällen nach Section 7 Clayton Act „the government always wins.“ Möglicherweise deutet sich hier ein ähnlicher Befund an:
    Bei dem im September 2019 neu aufgestellten Kartellsenat unter dem Vorsitz von Peter-Meier Beck hat das Bundeskartellamt jedenfalls bisher in Kartellverwaltungssachen einen hohe Erfolgsquote , und zwar über die Fusionskontrolle (CTS Eventim/Four Artists) hinaus gerade auch in den immer mehr in den Vordergrund rückenden Missbrauchsfällen (Facebook und jetzt Booking, beides unter Aufhebung des OLG Düsseldorf). Das ist aufgrund der niedrigen Fallzahl zwar nicht repräsentativ, liegt aber noch deutlich über der in Kartellverwaltungssachen für die vergangenen 20 Jahre festgestellten hohen Erfolgsquote der Kartellbehörden beim BGH von 75 % (Podszun, WuW 2021, 2016, 2019)!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert