Facebook @ BGH

Facebook @ BGH

Der Bundesgerichtshof hat im einstweiligen Verfahren gegen Facebook und für das Bundeskartellamt entschieden. Bestätigt wurde damit ein Vorstoß ins Herz des Geschäftsmodells von Facebook. Für das Bundeskartellamt ist es der wichtigste Fall in den Zeiten der Datenökonomie. Die Entscheidung des BGH ist, mindestens, eine Überraschung. Rupprecht Podszun hat erste Überlegungen dazu.

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Vor der heutigen Entscheidung des BGH in Sachen Facebook hatten wir in meinem Lehrstuhlteam die Chancen fürs Kartellamt berechnet. Sagen wir so: Einen müden Pfifferling hätte ich schon darauf gewettet, dass das Kartellamt gewinnt. Viel mehr aber auch nicht. Meine Ausgabe von Walter Euckens „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ zum Beispiel wäre mir für einen solchen gamble viel zu kostbar gewesen. Denn: Das OLG Düsseldorf mit seinem 1. Senat unter Richter Prof. Kühnen hatte die Latte für den BGH verdammt hoch gelegt. Wir hatten ausgerechnet, dass es aus zwei Gründen sehr schwierig sein wird, das OLG zu overrulen.

Zur Erinnerung: Im Februar 2019 hatte das Bundeskartellamt nach etwa drei Jahren Ermittlungen eine über 300-seitige Entscheidung gegen Facebook gefällt. Wir hatten darüber in diesem Blog hier und hier und hier und hier berichtet. Die Kartellamtsentscheidung war vom OLG Düsseldorf im Eilverfahren, in dem es um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geht, im August 2019 aufgehoben worden – mit markigen Worten, für die der 1. Kartellsenat durchaus bekannt ist. Darüber hatten wir hier berichtet. Diese Entscheidung stand nun zur Überprüfung des BGH, weiterhin im einstweiligen Verfahren.

Against all odds

Dass der BGH-Kartellsenat anders entscheidet als die Vorinstanz, war aus zwei Gründen nicht gerade wahrscheinlich:

Erstens hatte der Düsseldorfer Senat an der Entscheidung der 6. Beschlussabteilung eigentlich kein gutes Haar gelassen und gleich aus mehreren Gründen (fehlende Kausalität, keine Wettbewerbsschädigung, falsche Abhilfemaßnahmen) die aufschiebende Wirkung angeordnet. So war selbst gutmeinenden Beobachtern wie mir doch auch ein Zweifel gekommen, ob alles an der Kartellamtsentscheidung der Weisheit letzter Schluss ist.

Zweitens ist der Prüfungsmaßstab im einstweiligen Verfahren beim Bundesgerichtshof extrem begrenzt: Der BGH prüft, ob die ernstlichen Zweifel der Vorinstanz vertretbar sind. Dies ist die Plausibilitätskontrolle, die für derartige einstweilige Verfahren vorgesehen ist – siehe etwa BGH 2007 in Lotto im Internet. Dort heißt es (Rz. 17):

„Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 GWB ist Prüfungsmaßstab für die vom Beschwerdegericht vorzunehmende Rechtsmäßigkeitskontrolle, ob „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung“ bestehen. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft das dabei vom Beschwerdegericht gefundene Ergebnis nur auf rechtliche Plausibilität. Die Beschwerdeentscheidung hat im Rechtsbeschwerdeverfahren daher insoweit Bestand, als sie sich als vertretbar erweist.“

Nun, vertretbar schien mir doch einiges, was das OLG Düsseldorf moniert hatte. (Aber vielleicht sind meine Maßstäbe auch verrutscht: Als Hochschullehrer korrigiere ich dauernd Klausuren, und Sie glauben gar nicht, was ich da alles „gerade noch vertretbar“ finde… aber dieses Seufzen – ach, lassen wir das). Ich bin durchaus gespannt, wie der BGH seinen eigenen Prüfungsauftrag in der Entscheidung definiert.

Bislang liegt mir nur eine Pressemitteilung des BGH vor, sodass alle hier getätigten Äußerungen auf einer dünnen Grundlage erfolgen. Was sich aber aus dieser Pressemitteilung erschließt, ist, mit „spektakulär“ durchaus korrekt umrissen.

Das Ergebnis

Schon das Ergebnis hat es ja in sich. Nach der Schlappe, die das Amt beim OLG Düsseldorf erlitten hatte, war die Luft raus, so mein Eindruck. Man hatte das Facebook-Verfahren irgendwie aufgegeben als eine schöne Idee, die leider nicht funktioniert hatte, und die nun immerhin dazu taugte, in der 10. GWB-Novelle Begründungsfutter für den Gesetzgeber zu liefern.

Da ist die heutige Entscheidung eine Schubumkehr, auch in emotionaler Hinsicht. Die kartellrechtstreue Twitter-Fangemeinde und die Datenschutzfüchse hatten der Entscheidung geradezu entgegengefiebert, und jeder Tweet von Politico-Reporter Simon van Dorpe, der als einziger treulich aus dem „Medienarbeitsraum“ in Karlsruhe twitterte, wurde dankbar aufgesogen. Für 16.00 Uhr war dann eine Entscheidung angekündigt worden, nachdem man ab 9.30 Uhr offenbar drei Stunden lang intensiv verhandelt hatte. Diese Entscheidung ist für die Datenschutzfüchse eine kleine, feine Gemeinheit – dazu sogleich. Für die Kartellrechtler hingegen ist sie ein wichtiger Impuls. In der Sache bedeutet sie, dass die aufschiebende Wirkung, die das OLG angeordnet hatte, nicht mehr gegeben ist.

Der Kartellsenat des BGH mit Jan Tolkmitt, Johannes Berg, Birgit Linder, Wolfgang Kirchhoff, Peter Meier-Beck, Ulrike Picker und Patricia Rombach (v.l.n.r.) – Aufnahme vom WuW-Gespräch (WuW 2020, 174).

Unmittelbar wird der Puls natürlich bei denen gerast haben, die im Saal in Karlsruhe saßen. Ich nehme mal den geschätzten Reportern der JUVE einen Teil der Arbeit ab und berichte hier die Mannschaftsaufstellung: Für das Bundeskartellamt war der bewährte Leiter der Prozessabteilung, Jörg Nothdurft, angetreten. An seiner Seite: die Berichterstatter Irene Sewczyk und Sandro Gleave sowie Silke Hossenfelder, die Leiterin der Grundsatzabteilung. Für Facebook verhandelten gleich drei Kanzleien: Die kartellrechtlichen Aspekte hatte schon bislang Latham Watkins vertreten, die datenschutzrechtlichen Wilmer Hale. Hinzu kam als second adviser ab der OLG-Instanz mit Gleiss Lutz ein weiteres bestens erprobtes Schlachtross des Kartellrechts. Man saß, so wird berichtet, in corona-mäßiger Sitzordnung, also auf Abstand. Das ist ja vielleicht bei rivalisierenden und doch kooperierenden Anwälten auch ohne Corona gar keine schlechte Idee. Dem Kartellsenat präsidierte Peter Meier-Beck, umrahmt von seinem Stellvertreter Wolfgang Kirchhoff sowie von Patricia Rombach, Jan Tolkmitt und Birgit Linder. Die Bedeutung der Sache war bei der Urteilsverkündung durchaus zu spüren, scheint mir. Aber es geht ja auch nicht jeden Tag um 30 Mio. Euro Streitwert und um Schlagzeilen in der New York Times.

Die nächsten Schritte

Gejubelt wurde nach der Urteilsverkündung nicht hörbar, aber das Bundeskartellamt, das sich vor der OLG-Entscheidung noch vornehm zurückgehalten hatte, wird nun, so darf man vermuten, den Vollzug seiner Entscheidung angehen. Dazu muss Facebook zunächst einen Plan vorlegen, sodann die Umsetzung in Angriff nehmen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass vor der Umstellung der Facebook-Datenpolitik in der Zwischenzeit im Hauptsacheverfahren entschieden wird. Da ist nun wieder das OLG Düsseldorf am Zug. Dass das nicht immer den Kurs des BGH mitsegelt, ist den Leserinnen und Lesern dieses Blogs durchaus bekannt, sodass eine Entscheidung für Facebook auch nach diesem Tag nicht ausgeschlossen ist. (Ich wiederhole das noch einmal für unsere ausländischen Leserinnen und Leser: Das OLG Düsseldorf wird demnächst das Hauptsacheverfahren fortsetzen, und es ist denkbar, dass dieses Gericht, das bislang Facebook gestützt hat, das auch weiterhin tun wird.) Dann darf wieder der BGH ran.

Es gibt noch eine unbekannte Variable: Im Hauptsacheverfahren (das Facebook einer ersten Ankündigung zufolge durchziehen will) könnte auch noch der Europäische Gerichtshof angerufen werden. Ein Wort aus Luxemburg könnte möglicherweise für den Senat in Düsseldorf oder den in Karlsruhe, die in dieser Sache ja nun beide pointiert Stellung bezogen haben, ein game changer sein. In der Verhandlung hat das Bundeskartellamt eine solche Vorlage in Luxemburg offenbar angeregt. Aber wie das Verfahren weitergeht, ist letztlich Spekulation. Kommt es, irgendwann, zu einer endgültigen Entscheidung zugunsten des Bundeskartellamts, dann ist dem Aufbau von Super-Profilen von Facebook mit Daten aus allen möglichen Quellen vorerst ein Ende gesetzt. Das wäre, so meine Wahrnehmung, ein sehr schmerzhafter Hieb für Facebook.

Eine spektakuläre Begründung

Kein Like für Facebook aus Karlsruhe.

Die Entscheidung des Bundeskartellamts hatte ja einen gravierenden Haken. Es war nicht recht deutlich geworden, wo der wettbewerbliche Schaden entsteht, für den Facebook büßen soll. Das hatte auch das OLG Düsseldorf so wahrgenommen. „Where is the competitive harm in that case?“, wurde zum Schlachtruf derjenigen, die diesen Fall von Anfang an esoterisch fanden.

Die Ratio des Amtes wirkte in der (verkürzenden) Außendarstellung doch sehr wie eine simple Gleichung:

Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung = Verstoß gegen Missbrauchsverbot, wenn Marktbeherrschung

Das Kartellamt hatte als Maßstab für die Missbräuchlichkeit den Verstoß gegen außerwettbewerbliche Rechtsnormen – eben der DSGVO – herangezogen und dies mit BGH-Entscheidungen wie VLB Gegenwert und Pechstein begründet. Diese zwei Entscheidungen sind aber schon für sich genommen nicht gerade der leicht verdauliche Diät-Teller auf der Menükarte des Kartellrechts.

Der datenschutzrechtliche Maßstab brachte mehrere Probleme mit sich:

  • Erstens blieb unklar, was der Fall mit Wettbewerbsschutz zu tun hat und wo die Grenze in Zukunft sein sollte, wenn jeder Rechtsverstoß eines Marktbeherrschers zugleich ein Missbrauch von Marktmacht sein könnte. Der Vergleich zu § 3a UWG, dem Rechtsbruchtatbestand, liegt auf der Hand, nur dass das Instrumentarium und Prozedere im Recht des unlauteren Wettbewerbs ein ganz anderes ist. (Und auch dort ist längst nicht klar, welche Datenschutzvorschriften eigentlich Marktverhaltensregelungen sind).
  • Zweitens blieb der Verstoß gegen die DSGVO umstritten. Es gibt ernstzunehmende Datenschutz-Experten, die meinen, Facebook habe solche Verstöße nicht begangen. Das OLG hatte diese Frage noch gar nicht geprüft.
  • Drittens wurde immer wieder eingewandt, das Bundeskartellamt sei gar nicht zuständig, weil die DSGVO ein abschließendes Eingriffssystem vorsehe.

All diese Widrigkeiten hat der BGH nun aber mit seinem Spruch elegant umsegelt, denn auf die gesamte DSGVO-Problematik lässt sich der Senat gar nicht ein. Den Missbrauch von Marktmacht konstruiert er anders, nämlich durch die Einschränkung der Wahlfreiheit der Facebook-Nutzer. Sorry, Freunde der DSGVO, für euch ist die Reise hier beendet – dieser leading case der Datenökonomie hat mit Datenschutzrecht gar nichts zu tun.

Peter Meier-Beck erklärte dies bei der mündlichen Urteilsverkündung so:

„Maßgeblich für uns war vielmehr die Erwägung, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook, die das Kartellamt untersagt hat, aus einem anderen Grund einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellen, nämlich weil Facebook seinen Nutzern keine Wahl lässt, keine Wahlmöglichkeit einräumt.“

Diese Wahl müsse bestehen zwischen einem Nutzungs-Modell mit sehr intensiver Personalisierung des Nutzungserlebnisses und uneingeschränktem Datenzugriff einerseits und einer weniger starken Personalisierung und entsprechend begrenztem Zugriff auf Nutzerdaten andererseits.

Die Wahlfreiheit des Konsumenten, die Entscheidungssouveränität des Nutzers werden zum Markstein. Der Senat zieht eine klare Linie von der Autonomie zur Ökonomie, so ausdrücklich auch Meier-Beck in der mündlichen Urteilsbegründung.

Autonomie im Kartellrecht

Geht es im Kartellrecht also vielleicht doch um die Entscheidungsfreiheit? Natürlich. Für den Europäischen Gerichtshof ist das Selbstständigkeitspostulat ein zentraler Baustein des freien Wettbewerbs. Dieses immer wieder betonte Grundprinzip des Wettbewerbsschutzes besagt: Marktteilnehmer müssen ihre Entscheidung selbstständig und frei treffen können, nur dann funktionieren Märkte. Bislang allerdings war das Selbstständigkeitspostulat vor allem auf Unternehmen bezogen worden. Der BGH macht die Entscheidungshoheit nun in einem Missbrauchsfall geltend und verlangt eine solche Souveränität für Verbraucher, die selbstverständlich auch Marktteilnehmer sind. Wo ihre Wahlfreiheit durch Unternehmen unterdrückt wird, ist der wettbewerbliche Prozess gestört. (Ich bin über diese Argumentation freudig erregt, da ich diese autonomie-bezogene Interpretation des Kartellrechts für Art. 102 AEUV in einem Aufsatz im letzten Jahr vertreten habe, den Sie bei SSRN nachlesen können. (Ende der Eigenwerbung)). Mir leuchtet das Konzept ein: Der Nachfrager entscheidet über den Erfolg im Wettbewerb, also muss auch dieser Schiedsrichter frei und unabhängig entscheiden können. Digitale Mündigkeit – der Ausgang des Verbrauchers aus seiner zwar selbstverschuldeten, aber auch technologisch begründeten Abhängigkeit.

Die Wahlfreiheit des Verbrauchers.

Die Rückbesinnung auf die Entscheidungshoheit des Verbrauchers ist keine Revolution, aber doch bemerkenswert. In den vergangenen Jahrzehnten war es ja aus der Mode gekommen, Konzepte wie Wahlfreiheit, Autonomie, Schutz des wettbewerblichen Prozesses als Ziele des Kartellrechts zu benennen. Mit Modellen der Post-Chicago-Ökonomen werden diese fundamentals des Kartellrechts nicht besonders gut abgebildet. Sie stehen aber natürlich in der Traditionslinie des Ordoliberalismus oder allgemeiner gesprochen: eines Kartellrechts, das seinen Geltungsanspruch nicht gänzlich an Zahlenzauberer abgetreten hat.

Der Rest ist dann beinahe das kleine Einmaleins der Missbrauchsargumentation: Die besondere Verantwortung des Marktbeherrschers für den Wettbewerb, die Abwägung der Interessen, die Auswirkungen auch für die (in diesem Fall eher hypothetisch existierenden) Wettbewerber. Wobei – einen spannenden Punkt meine ich in der Urteilsbegründung noch herausgehört zu haben.

Die verschränkten Märkte

Welches sind überhaupt die betroffenen Märkte? In der Pressemitteilung schreibt der BGH unmissverständlich:

„Es bestehen weder ernsthafte Zweifel an der marktbeherrschenden Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke noch daran, dass Facebook diese marktbeherrschende Stellung mit den vom Kartellamt untersagten Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt.“

Abgestellt wird hier also auf den deutschen Markt für soziale Netzwerke. Doch der Senat scheint auch über die Mehrseitigkeit der Facebook-Aktivitäten nachgedacht zu haben. An einer Stelle in der Urteilsbegründung spricht Meier-Beck von „zwei theoretisch unterscheidbaren Marktseiten“, und man hört heraus, dass er dieser „theoretischen“ Unterscheidung nicht gerade immense praktische Bedeutung zumisst. Vielmehr, so der Senat, seien zwei Märkte sehr eng miteinander verschränkt: der Markt für soziale Netzwerke und der Markt für Online-Werbung. Diese Verschränkung wird hergestellt durch die Personalisierung der Werbung dank Datenmacht. Aus der Pressemitteilung:

„Der Zugang von Facebook zu einer erheblich größeren Datenbasis verstärkt die ohnehin schon ausgeprägten „Lock-in-Effekte“ weiter. Außerdem verbessert diese größere Datenbasis die Möglichkeiten der Finanzierung des sozialen Netzwerks mit den Erlösen aus Werbeverträgen, die ebenfalls von Umfang und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten abhängen. Wegen der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb um Werbeverträge lässt sich schließlich auch eine Beeinträchtigung des Marktes für Online-Werbung nicht ausschließen.“

Wenn der BGH diesen Gedanken in der Entscheidung vertieft, wird damit wohl die Brücke vom Ausbeutungsmissbrauch zum Behinderungsmissbrauch geschlagen und auch die Rolle der Daten für das Geschäftsmodell noch einmal sehr plastisch. Dass dabei auch die Finanzierungsaspekte eine Rolle spielen und also die „deep pockets“ der Silicon Valley-Konzerne angesprochen werden, ist ein weiterführender Nebenaspekt dieser Entscheidung – ein Schelm, wer da nicht an killer acquisitions denkt.

Jahr 4 (and counting)

Das, was bislang bekannt ist, scheint für mich – bei einer ersten Überlegung einige Stunden nach der Verkündung der Entscheidung – recht plausibel. (Ich behalte mir Änderungen meiner Meinung jederzeit vor, das macht ja, wie wir seit Christian Drostens Corona-Podcasts wissen, den guten Wissenschaftler erst aus.) Ob sich der BGH-Entscheid im Rahmen des Prüfungsmaßstabs hält und ob die hier angedeuteten Aspekte so zum Tragen kommen in der schriftlichen Ausarbeitung, wird sich weisen müssen. Die Entscheidung ist aber auf jeden Fall eine Befreiungsschlag in Richtung der DSGVO-Freundinnen und -Freunde. Zugleich macht sie es dem Bundeskartellamt nicht zu leicht: Der genaue Maßstab, wann die Einschränkung von Wahlfreiheiten zu einem Ausbeutungsmissbrauch führt, dürfte noch präzisiert werden.

Trotzdem bleibt es irgendwie unbefriedigend: Das Kartellamt startete seine Ermittlungen 2016. Wir sind im vierten Jahr mit diesem Fall, und eine rechtskräftige Entscheidung ist noch lange nicht in Sicht. Währenddessen wird im Internet blitzschnell skaliert. Die Marktmacht der GAFA-Konzerne ist stark, sie wächst. Wieder einmal zeigt sich an diesem Fall: Das Kartellrecht ist großartig dazu geeignet, um ökonomische Phänomene zu analysieren. Alle Beteiligten leisten dazu ihren Beitrag, die Richterinnen und Richter in Düsseldorf und Karlsruhe haben mit ihren pointierten Begründungen den Wettstreit um die richtige rechtliche Würdigung befeuert. Man könnte fast sagen: Hier funktioniert das Verfahren so wie es soll: Eine starke Behörde mit Juristen und Ökonomen, ein erstklassiges Anwaltsteam, kluge Richter in allen Instanzen und eine diskussionsfreudige Wissenschaft am Rande des Geschehens. Nur: Es dauert zu lange. Und so ist das Verfahren vielleicht doch vor allem ein Impulsgeber für Gesetzgebung, sei es die 10. GWB-Novelle oder die europäische Initiative für ein „new competition tool“.

Rupprecht Podszun ist einer der Direktoren des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, das diesen Blog betreibt.

12 Gedanken zu „Facebook @ BGH

  1. A marvellous „quick analysis“. And very nice reading as well. The point of lack of consumer choice due to monopoly like position of FB makes perfect sense to me: in fact, I have always thought that is the key reason why GDPR is not enough to deal with these kind of and why antitrust intervention is warranted.

  2. Erst einmal ein ganz großes DANKE! an den ubiquitären Rupprecht Podszun. der sich die Nächte um die Ohren schlägt, damit wir am darauffolgenden Morgen schon einen ersten sachkundigen Bericht über das Geschehen von gestern in unserer Inbox haben.

    Hierzu — zum BGH-Urteil, nicht zum Bericht — nur zwei Anmerkungen:

    Die Entscheidung reiht sich ein in die Urteile anderer BGH-Senate aus den letzten sechs Monaten, nämlich die Urteile zum RVG (Mietright) und zu § 826 BGB (Dieselgate): The German consumer always wins.

    In der Sache bleibt die Frage offen nach der Verbindung zwischen Marktmacht und Missbrauch. Es handelt sich hier mE um ein typisches AGB-Problem, das durch eine gezielte Ergänzung der §§ 308 und 309 BGB zu lösen ist, nicht durch eine alle Branchen übergreifende Auflösung des Wettbewerbsbezugs bei jedwedem missbräuchlichen Verhalten.

  3. Ich kann mich Herrn Weitbrecht nur anschließen. Obgleich wir gestern selbst in Karlsruhe vor Ort gewesen sind, kamen Sie uns, lieber Herr Podszun, mit einer sehr pointierten Analyse, der ich inhaltlich nichts hinzuzufügen habe, zuvor. Wir sind sehr gespannt, ob das Konzept der Beschränkung der Wahlmöglichkeiten kartellrechtlich oder doch außer kartellrechtlich weiter gedacht wird.

  4. Auch von mir vielen Dank für den — wieder mal — sehr informativen und schön zu lesenden Beitrag!

    Herr Chmielewski von Juve erwähnt übrigens Prof. Podszuns Einschätzung in seinem Artikel: https://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2020/06/unverhoffter-triumph-kartellamt-setzt-sich-vorm-bgh-vorerst-gegen-facebook-und-vier-kanzleien-durch

    Ich bin bislang nur zur abschließenden Meinung gekommen, dass ich den Beschluss des BGH hochinteressant finde. Ansonsten stelle ich mir eher Fragen.

    Nach der Presse-Mitteilung stellt der BGH darauf ab, „dass Nutzungsbedingungen missbräuchlich sind, die den privaten Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit lassen“, ob sie Facebook mit einer stärkeren oder weniger starken Personalisierung nutzen. Was ist dann mit einer Online-Plattform mit vergleichbarer Macht, die ihre Dienste Verbrauchern entgeltlich anbietet? Muss sie den Verbrauchern ebenfalls ein Wahlrecht lassen, entweder die Plattform gegen ein reines (höheres) Entgelt zu nutzen oder gegen ein geringeres Entgelt (in Verbindung mit intensiverer Datennutzung)?

    Oder sieht der BGH bei Facebook ein missbräuchlich überhöhtes „Datenentgelt“?

    Zugegeben, ganz ernst gemeint sind diese Fragen nicht. Ich will damit eigentlich sagen, anscheinend sieht der BGH in Daten und Geld zwei Paar Schuh‘ unterschiedlicher Größe. So verkehrt klingt das nicht auf den ersten und zweiten Blick.

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