(Nichts) Neues vom Facebook-Fall

(Nichts) Neues vom Facebook-Fall

Es gibt etwas Neues im Facebook-Verfahren. Oder auch gerade nicht. Rupprecht Podszun bringt Sie auf den aktuellen Stand in diesem spektakulären Verfahren, das sich ja nun bereits seit einiger Zeit durch die Instanzen (und diesen Blog) zieht. Und Sie dürfen sich freuen: Das Thema bleibt uns erhalten!

In meinem Kalender steht der 25.11.2020 dick rot markiert. An diesem Tag ist es so, wie es manchmal an Tagen war, als es nur lineares Fernsehen gab: In der ARD lief ein Fußballspiel, das man unbedingt sehen wollte, im ZDF lief parallel Wetten daß…? (Ordentliche Absprachen Autonomes Parallelverhalten der Sender hat solche Konflikte allerdings in der Regel vermieden.) Am Mittwoch jedenfalls findet zum einen im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestags die Anhörung der Sachverständigen zur GWB-Novelle statt. Damit geht #GWB10 in die heiße Phase der parlamentarischen Beratung, sozusagen auf die Zielgerade. Wenn die derzeit hochtourig laufende Lobbymaschine nicht noch Änderungen durchsetzt, werden Missbrauchsrecht, Fusionskontrollrecht, Bußgeldrecht, Verfahrensrecht künftig anders sein als bislang. (Hier können Sie am Mittwoch von 9-11 Uhr den Livestream verfolgen.)

Zum anderen gibt es ein kartellrechtliches Highlight zur selben Zeit, allerdings nicht in der Hauptstadt, sondern in der Kartellrechtshauptstadt: Dort ist die Verhandlung in der Hauptsache im Fall Facebook beim Oberlandesgericht Düsseldorf angesetzt. Ist? Nein, war. Niemand muss sich entscheiden, Sie können in Ruhe die Anhörung zur Kartellrechtsnovelle verfolgen. Der andere große Unterhaltungsknüller, das Match Facebook vs. Kartellamt mit Prof. Dr. Jürgen Kühnen als Schiedsrichter (samt seinen Beisitzern), ist vorerst abgesagt.

Was wann bisher geschah

Zur Erinnerung: Am 1.3.2016 hat das Bundeskartellamt offiziell ein Verfahren gegen Facebook wegen der Datenpraktiken des Unternehmens eingeleitet. (Man darf davon ausgehen, dass es zuvor bereits Überlegungen dazu gab, sodass der eigentliche Beginn des Komplexes noch früher zu datieren ist.) Richtig, es gibt auch noch ein anderes spannendes Facebook-Daten-Verfahren, über das hat Björn Herbers hier berichtet.

Am 6.2.2019 hatte die 6. Beschlussabteilung dann in einer spektakulären Entscheidung Facebook vorgeworfen, eine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, indem Nutzer ausgebeutet werden. (Der Begriff „spektakuläre Entscheidung“ wird noch zwei weitere Male bemüht werden). Zur Umsetzung der durchaus aufwändigen Abhilfemaßnahmen sollte Facebook 12 Monate Zeit haben. Das Amt hatte in der Entscheidung vorgesehen, noch einmal zwei Monate draufzugeben und mit der Durchsetzung zu warten bis zum Abschluss eines ggf. von Facebook anzustrengenden Eilverfahrens in erster Instanz. Beschwerden gegen Verfügungen nach § 32 Abs. 1 GWB haben keine aufschiebende Wirkung, d.h. die Kartellbehörde darf sofort Vollzug verlangen.

Facebook tat, was Facebook quasi geheißen ward, man strengte ein Eilverfahren an und beantragte beim OLG Düsseldorf, dem Gericht erster Instanz, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Diesem Begehren kam der 1. Kartellsenat in einer spektakulären Entscheidung am 26.8.2019 nach. Damit lag die Durchsetzung auf Eis. Nun tat das Bundeskartellamt den nächsten Schritt und trieb das Eilverfahren zum Bundesgerichtshof. Der Kartellsenat des BGH entschied in einer spektakulären Entscheidung am 23.6.2020, dass keine aufschiebende Wirkung angeordnet wird, sodass das Bundeskartellamt also vollziehen darf.

Das war der Abschluss des Eilverfahrens, wobei der Begriff der „Eile“ inzwischen natürlich ein relativer geworden war. Nun beginnt das Prozedere von vorn – diesmal im Hauptsacheverfahren. Wiederum ist das OLG Düsseldorf, 1. Kartellsenat, an der Reihe, den Fall zu begutachten. Eine mündliche Verhandlung war ursprünglich für den 25.11.2020 terminiert.

In der Zwischenzeit hatte das Kartellamt, wie wir erfahren haben, zugesagt, bis Ende November nicht zu vollziehen, damit die Begründung des Urteils des BGH (die – wie geneigte Leser wissen – durchaus komplex war und von der ursprünglichen Linie des Amtes auch etwas abzuweichen scheint) berücksichtigt werden kann. Diese Begründung hatte der BGH am 27.8.2020 vorgelegt.

Wegen überhöhter Geschwindigkeit in der Radarfalle? Eher nicht.

(Deutsche Gerichte können erst einmal entscheiden und die schriftlichen Urteilsgründe dann innerhalb einer bestimmten Frist nachliefern. Dass die Fristüberschreitung beim „Absetzen des Urteils“ bitterliche Konsequenzen zeitigen kann, musste ein anderer Kartellsenat des OLG Düsseldorf im Fall Rossmann erfahren: Der BGH hob das Urteil wegen verspäteter Abfassung der Urteilsgründe auf und verwies es zurück an einen OLG-Senat zur Neuverhandlung. Da wurde dieser Causa aber dann ein schnelles Ende bereitet…).

Neuer Termin

Zum Facebook-Verfahren erklärte ein Gerichtssprecher D’Kart gegenüber, der November-Termin sei auf Ende März verschoben worden. Hm, hm. Der Hintergrund ist offenbar, dass die Parteien nach der BGH-Entscheidung noch einmal Zeit benötigten, um ihre Argumente nachzuschärfen (es ist ja auch noch nicht alles von allen geschrieben, vermutlich), und dann benötigt der Senat wiederum Zeit zur Lektüre und Vorbereitung der Verhandlung.

Was bedeutet das für die Umsetzung der Entscheidung? Wir haben beim Bundeskartellamt nachgefragt und folgende Antwort von Andreas Mundt erhalten:

„Mit Blick auf die damals noch ausstehenden Entscheidungsgründe des BGH hatten wir die Vollziehung der Entscheidung bis Ende November ausgesetzt. Ab dem 1.12. laufen die Fristen jetzt wieder und wir erwarten in den kommenden Monaten Vorschläge von Facebook, wie sie unserer Verfügung konkret nachkommen wollen. Darüber hinaus sind die Kollegen natürlich intensiv mit der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung befasst.“

Er spielt mit dieser Antwort darauf an, dass innerhalb von vier Monaten ein Plan von Facebook vorzulegen ist, wie die Maßnahmen umzusetzen sind. Dieser Umsetzungsplan wäre dann zum 31. März 2020 fällig. Die Verhandlung soll einige Tage vorher stattfinden, und es könnte sein – rein hypothetisch natürlich – dass das OLG am selben Tag auch urteilt. Je nachdem, wie dieses Urteil ausfällt, könnte Facebook eine weitere Gnadenfrist erhalten.

Nun mag der geneigte Beobachter denken: Momentemang, der Drops ist doch längst gelutscht! Der BGH hat in seinem Beschluss doch in ungewöhnlich ausführlicher Weise auf 55 Seiten dargelegt, wie der Fall zu sehen ist.

Ach Kinners, erstens: Eilverfahren ist Eilverfahren, Hauptsacheverfahren ist Hauptsacheverfahren. Und zweitens: Nur weil der BGH etwas für richtig hält, heißt das noch lange nicht, dass das OLG Düsseldorf das ebenso für richtig hält. Folgsamkeit ist schließlich keine richterliche Tugend, und schon gar keine des 1. Kartellsenats.

Im besten schnellsten Fall werden wir also am 31.3.2021 hören, wie Facebook gedenkt, in den Folgemonaten die Entscheidung des BKartA umzusetzen, wobei für diese Umsetzung noch einmal acht Monate Zeit wären, sodass also zum Dezember 2021 eine Änderung der Praxis zu erwarten stünde. Caveat: Auf diesem Weg liegen noch Stolpersteine.

Zeitsprung

Kürzlich erinnerte mich ein älterer Kollege an den Spruch „Schnelles Recht ist gutes Recht.“ Der Rechtsstaat lebt davon, Konflikte rasch befrieden zu können, Klarheit zu schaffen, nichts über lange Zeiträume schwelen zu lassen.

Andererseits: Gut Recht will auch Weile haben. Schiller lässt das seine Maria Stuart sagen, wenn sie über das Gerichtsverfahren klagt, das über ihr niedergangen ist:

„…schnell, mit unanständger Eile,

Mich unbereitet, ohne Anwalts Hülfe,

Vor ein noch nie erhört Gericht gestellt,

Auf schlaugefaßte schwere Klagepunkte

Mich, die Betäubte, Überraschte, flugs

Aus dem Gedächtnis Rede stehen lassen…“

Eine gründliche, rechtsstaatskonforme Prüfung der Vorwürfe, vielleicht auch die Entschleunigung all zu emotionaler Hitzigkeiten ist eben auch ein Instrument des Rechtsstaats. (Allerdings hatte Mark Zuckerberg, anders als Maria Stuart, gut Anwalts Hülfe, und auch andere Parallelen zwischen der Stuart aus Schottland und dem Steward unserer digitalen Kontakte sind eher bemüht). Völlig klar: Die Parteien müssen sich verteidigen können, das Gericht muss sorgfältig prüfen können.

There’s a light…

Dennoch: Mir dauert das zu lange. Ich finde es weder für Facebook, noch für die Gerichte, noch für das Amt, noch für den Wettbewerb, noch für die Verbraucher/innen zumutbar, diese Geschichte über Jahre hinzustrecken. Es gibt keine Schuld zuzuweisen, alle Akteure handeln im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Das bedeutet: Dieser Rahmen muss neu justiert werden. Sonst droht erstens ein kaum mehr gutzumachender wettbewerblicher Schaden (Sichtweise 1) bzw. eine kostenreiche Rechtsunsicherheit für nichts und wieder nichts (Sichtweise 2). Zweitens droht aber auch ein Verlust an Glaubwürdigkeit: Wem soll man denn noch erklären können, dass das System der Wirtschaftsordnung funktioniert, wenn es Jahre braucht, um zu klären, ob eine Verhaltensweise rechtmäßig ist oder nicht?

In der Zeit, die vergeht, kann man ja fast einen Flughafen in Deutschland bauen!

(Nein, das war natürlich ein Scherz!)

Aber man kann z.B. 27 Unternehmen aufkaufen in der Zeit von 2016 bis heute, was Facebook ausweislich dieser Wikipedia-Aufstellung auch tat (and counting). Facebook-Tochter Instagram konnte die Zahl seiner monthly active users von 2016 bis 2020 auf ca. 1 Milliarde Nutzer verdoppeln. Von 2016 bis 2020 steigerte Alibaba seinen Umsatz von 101 auf 509 Milliarden Yuan, das sind jetzt rund 65 Mrd. Euro. Und der Karnevalsverein 1. FC Köln hat es vermocht, seit Spielzeit 2016/2017 bis jetzt in der Bundesliga 228 Tore zu schießen, darunter dieses.

Brauchen wir vielleicht so etwas wie ex ante-Regeln, eine Art „Blacklist“, was bestimmte Unternehmen dürfen und was nicht? Ohne großes Hin und Her? Etwa so wie im Anhang zum UWG, nur für Datenschutzrecht und Kartellrecht? Hui! Das wäre ja mal ein Vorschlag… Mal sehen, was dazu am Mittwoch im Bundestag gesagt wird.

Sonst hilft nur: ein time warp.

2 Gedanken zu „(Nichts) Neues vom Facebook-Fall

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