FTC v. Facebook

FTC v. Facebook

Es ist die zweite aufsehenerregende Klage amerikanischer Kartellbehörden innerhalb weniger Monate. Nachdem Ende Oktober das Department of Justice (DoJ) Klage gegen Google eingereicht hat, zeigt nun auch die zweite Wettbewerbshüterin, die Federal Trade Commission (FTC), Zähne gegen Big Tech. Am 9. Dezember 2020 hat sie Klage gegen Facebook wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht erhoben. Johannes Persch gibt einen ersten Überblick über die 53-seitige Klageschrift.

Wie bereits beim Verfahren des DoJ gegen Google geht die FTC nicht im Alleingang vor. Sie hat ihr Vorgehen mit 48 Generalstaatsanwälten („Attorney Generals“) koordiniert, die in einem separaten Verfahren gleichzeitig Klage eingereicht haben. Nur die Generalstaatsanwälte der Staaten Alabama, Georgia, South Carolina und South Dakota (allesamt Republikaner) haben sich der Klage nicht angeschlossen. Der Kern des Vorwurfs gegen Facebook ist in beiden Verfahren, dass Facebook systematisch potenzielle Wettbewerber (WhatsApp und Instagram) aufgekauft habe, um Konkurrenz auszuschalten. Daneben geht es um die Geschäftsbedingungen für Third Party Software auf Facebook.

Nature of the Case (Rn. 1-29)

Die FTC beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung ihres Falles: Facebook sei mit mehr als drei Milliarden Nutzern weltweit das dominierende soziale Netzwerk. Diese Position habe es aber nicht durch Leistungswettbewerb („competition on the merits“) aufrechterhalten, sondern durch den Aufkauf von Konkurrenten. Bereits hier wird die „smoking gun“ präsentiert; Mark Zuckerberg hat in einer E-Mail im Jahr 2008 geschrieben: „it is better to buy than compete“ (Rn. 5).

Im Anschluss wird kurz der Markt beschrieben (Rn. 6 f.). Es gebe hohe Eintrittsbarrieren, v.a. aufgrund von Netzwerkeffekten. Die Argumentation ist inzwischen bekannt und akzeptiert: Ein soziales Netzwerk macht für den einzelnen Nutzer nur dann Sinn, wenn es auch von ausreichend vielen Freunden und Bekannten genutzt wird. Damit es attraktiv ist, braucht es also eine kritische Masse an Nutzern. Diese zu erreichen ist für einen neuen Wettbewerber schwierig, schließlich sind schon praktisch alle potenziellen Nutzer auf Facebook. Die FTC entwickelt den Gedanken aber weiter und spezifiziert, dass es um den jeweiligen Mechanismus des sozialen Netzwerkens geht. Gibt es z.B. bereits einen Kanal zum Teilen von Fotos, der von einer kritischen Masse genutzt wird, ist es für einen Wettbewerber schwierig mit einem ähnlichen Produkt Erfolg zu haben.

Der (potenzielle) Wettbewerber des Marktbeherrschers habe aber dann eine Chance, wenn er sich technologische oder soziale Entwicklungen zunutze macht und auf dieser Basis ein Produkt anbietet, das sich von dem des Marktbeherrschers unterscheidet (Rn. 7). Um diese Wettbewerbsbedrohung zu eliminieren, habe Facebook Instagram und WhatsApp gekauft und den Zugang zu Facebook für Third Party Apps in wettbewerbsschädlicher Weise eingeschränkt (Rn. 9).

Durch diese Praktiken habe Facebook illegal seine marktbeherrschende Stellung aufrechterhalten und dadurch den Wettbewerb geschädigt (Rn. 27-29). Facebook habe einen schützenden Graben („protective moat“) um sein Monopol im Markt der sozialen Netzwerke errichtet. Dadurch habe es Nutzern die Vorteile des Wettbewerbs genommen – insbesondere Auswahl, Qualität und Innovation. Das Verhalten habe auch ernstzunehmenden Wettbewerb für Werbung auf sozialen Netzwerken unterdrückt.

Hat Facebook einen schützenden Graben um sein soziales Netzwerk errichtet?

Wie beschreibt die FTC die Branche (Rn. 34-50)?

Darauf folgt ein kurzer Überblick über Facebooks Aufstieg als dominierendes soziales Netzwerk (Rn. 34-42) und Facebooks Geschäftsmodell (Rn. 43-50).

Es werden die Funktionen eines sozialen Netzwerks beschrieben: Inhalte können hier mit einem großen Kreis von Freunden gleichzeitig geteilt und zur Schau gestellt werden (Rn. 40). Den Nutzern stehen vielfältige Interaktionswege zur Verfügung: Teilen, Posten, Kommentieren, Markieren etc. Facebook, das 2004 von Mark Zuckerberg und seinen „Harvard Kommilitonen“ gegründet wurde (Rn. 38), überholte bis 2009 die beiden Wettbewerber Friendster und Myspace und ist seitdem weltweit das meistgenutzte soziale Netzwerk (Rn. 41). Weil soziale Netzwerke typischerweise keine monetären Preise von ihren Nutzern verlangen, findet Wettbewerb hinsichtlich anderer Faktoren statt, zu denen die Qualität der Nutzererfahrung, die Funktionalität des Netzwerks und Datenschutzoptionen gehören (Rn. 42).

Facebook verdient sein Geld mit Werbung und das scheint äußerst lukrativ zu sein: 2019 soll Facebook Umsätze in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar gemacht haben (Rn. 44). Werbende können dabei basierend auf den von Facebook gesammelten Nutzerdaten spezifisch bestimmte Nutzergruppen auswählen, denen ihre Werbung angezeigt werden soll (Rn. 44). Dieses „social advertising“ unterscheidet sich nach Ansicht der FTC von anderen Arten der Werbung. Damit ist nicht nur Offline-Werbung gemeint, bei der es offensichtlich an der Zielgenauigkeit fehlt, sondern auch andere Formen der Online-Anzeigenwerbung sowie der Suchmaschinenwerbung. Letztere Werbung setze näher an der Kaufentscheidung an (Rn. 47). Diese Argumentation ist bereits aus dem Google-Verfahren bekannt. „Social advertising“ sei deshalb von anderen Formen der Displaywerbung zu unterscheiden, weil aufgrund personalisierter Daten sehr zielgenaue Werbung möglich ist und Werbung außerdem in ähnlicher Weise wie „echter“ Social Media-Inhalt dargestellt werden kann (Rn. 48). Wer Facebook nutzt, wird dies schon bemerkt haben: Die Werbung im Facebook-Feed unterscheidet sich oft auf den ersten Blick kaum von nutzergeneriertem Inhalt.

Welche Märkte sind betroffen (Rn. 51-60)?

Nach Ansicht der FTC ist der Markt für persönliche soziale Netzwerke in den USA betroffen. Der Produktmarkt unterscheide sich durch drei Hauptmerkmale von anderen Onlinediensten: 1. Persönliche soziale Netzwerke beruhen auf einem „sozialen Diagramm“ (social graph). Dieses verbindet Freunde, Familie und Bekannte und ist Grundlage für die Kommunikation auf dem sozialen Netzwerk (Rn. 53). 2. Sie erlauben das Teilen von persönlichen Erfahrungen in einem gemeinsamen sozialen Raum in einem Eins-zu-vielen Sendeformat (Rn. 54) und erlauben 3. den Nutzern, sich untereinander zu verbinden (Rn. 55). Persönliche soziale Netzwerke unterscheiden sie sich von spezialisierten sozialen Netzwerken (z. B. LinkedIn). Diese werden nur von einer bestimmten Gruppe zum Teilen für eine bestimmte Art von Inhalten genutzt (Rn. 58).

Außerdem grenzt die FTC den Markt zu anderen Onlinediensten ab, die mehr auf eine passive Konsumption setzen (z. B. YouTube, Spotify, Netflix) als auf soziale Interaktion (Rn. 59). Reine Nachrichtendienste (z.B. SMS, WhatsApp) unterscheiden sich wiederum von sozialen Netzwerken dadurch, dass damit nur auf Basis bestehender Kontaktinformationen Nachrichten ausgetauscht werden und die Kommunikation in der Regel zwischen einer kleinen Gruppe stattfindet. Facebook sei die digitale Fußgängerzone („town square“), WhatsApp das digitale Wohnzimmer (vgl. Rn. 60).

Damit folgt die FTC wie auch schon das Bundeskartellamt (und der BGH) in seiner viel beachteten Facebook-Entscheidung konsequent dem Bedarfsmarktkonzept. Anders als der amerikanische Supreme Court in der AmexEntscheidung geht die FTC bei der Marktabgrenzung auch nicht näher auf die zweite Seite des Markts (hier: die Werbekunden) ein. Allerdings dürfte bei Facebook die Bedeutung der Zweiseitigkeit auch anders zu beurteilen sein als im Amex-Fall, in dem es um Kreditkarten ging. Während der Kreditkartenkunde natürlich will, dass die Karte bei möglichst vielen Händlern akzeptiert wird, hat der Facebook-Nutzer kein besonderes Interesse daran, dass ihm Werbung gezeigt wird. Positive indirekte Netzwerkeffekte bestehen also nur in Richtung der Werbetreibenden (Rn. 67). Ein Markteintritt kann daher – bei ausreichender Finanzierung – zunächst auch ohne Werbekunden erfolgen, wie dies z. B. bei Instagram geschehen ist.

Geographisch wird ein US-amerikanischer Markt angenommen (Rn. 56). Nutzer sozialer Netzwerke in den USA würden sich hauptsächlich mit anderen Nutzern in den USA vernetzen und Inhalte teilen.

Ist Facebook marktbeherrschend (Rn. 61-67)?

In dem von der FTC angenommenen Markt für persönliche soziale Netzwerke in den USA gibt es nicht mehr besonders viele Wettbewerber. Facebooks Marktanteil liegt bei über 60 % (Rn. 64). Das erscheint zwar im Vergleich zu den vom Bundeskartellamt für Deutschland angenommenen Marktanteilen von 90 – 97 % noch ziemlich niedrig. Für die marktbeherrschende Stellung genügen aber auch die 60 %. Zumal es ja noch die bereits angesprochenen Markteintrittsbarrieren der direkten Netzwerkeffekte (Rn. 65) sowie hohe Wechselkosten (Rn. 66) gibt.

Um welche Verhaltensweisen genau geht es (Rn. 68-160)?

Wie bereits eingangs kurz dargestellt geht es um drei Vorwürfe: 1. den Kauf von Instagram, 2. den Kauf von WhatsApp und 3. die Bedingungen für den Zugang zu Programmierschnittstellen (APIs). Facebook verfolge die Strategie „kaufen statt konkurrieren“ („better to buy than compete“). Auch die Zugangsbedingungen für die APIs dienten dem Zweck, Wettbewerb abzuschrecken und im Keim zu ersticken. Im Vordergrund steht also eine wettbewerbsfeindliche Intention Facebooks, die die FTC durch zahlreiche interne E-Mails zwischen Facebook-Managern (allen voran Mark Zuckerberg selbst) belegt.

Der Kauf von Instagram (Rn. 78-106)

Ab ca. 2010 hat sich mit der Verbreitung von Smartphones das Internetverhalten der Menschen grundlegend verändert. Internet wurde immer mehr auf dem Smartphone genutzt. Das schuf neue Möglichkeiten für die soziale Interaktion, insbesondere das Teilen von Fotos wurde beliebt (Rn. 78). Facebook stammt noch aus der Ära der Desktop-PCs und war für die mobile Anwendung nicht optimiert. Vor allem für das Teilen von Fotos bot Facebook nur schwache Produkte (Rn. 79). Instagram war dagegen auf das Teilen von Fotos mittels Smartphones spezialisiert und konnte diese Lücke füllen. Es gelang dem Unternehmen innerhalb eines Jahres zehn Millionen Nutzer zu erreichen (Rn. 81). Facebook beobachtete diese Entwicklung mit wachsender Panik („we are getting our ass kicked by Instagram“). Weil Facebooks eigene FotoApp („Facebook Camera“) weiterhin nicht erfolgreich entwickelt war, entschied man sich bei Facebook schließlich, den unliebsamen Wettbewerber aufzukaufen. Dafür zahlte Facebook 1 Milliarde US-Dollar, was nach Ansicht der FTC die von Facebook wahrgenommene Wettbewerbsbedrohung veranschaulicht (Rn. 95). Facebooks Instagram-Wettbewerber ging übrigens einige Monate nach dem Instagram-Kauf tatsächlich noch online. Den Durchbruch schaffte die App aber nie, weshalb sie 2014 eingestellt wurde. Wer sich an die Facebook Kamera nicht mehr erinnern kann, so sah das damals aus.

Der Kauf von Instagram sei nicht nur aus Angst vor einem eigenständigen Instagram, sondern auch aus Angst vor Instagram in der Hand eines anderen Käufers (z.B. Google, Apple oder Twitter) erfolgt (Rn. 86). Die Kaufmotivation Facebooks wird anhand einer Reihe von internen E-Mails belegt. In einer davon legt Mark Zuckerberg höchstpersönlich die Strategie dar (Rn. 91): Wettbewerber wie Instagram sollen aufgekauft werden, deren Produkte aber (zunächst) weiter am Leben erhalten werden. Dies würde jedem anderen Wettbewerber mit ähnlichen Vernetzungsmechanismen wegen der Netzwerkeffekte einen Markeintritt schwer machen. Langfristig könnten dann die entsprechenden Funktionen in Facebooks Netzwerk integriert werden.

Ohne den Kauf hätten Nutzer von einem unabhängigen Instagram profitiert: Innovationsdruck durch stärkeren Wettbewerb und eine wettbewerbliche Kontrolle gegenüber Facebook und seinen Diensten (Rn. 105).

Der Kauf von WhatsApp (Rn. 107-128)

Der Vorwurf bei der WhatsApp-Übernahme ist im Wesentlichen der Gleiche: Statt im Wettbewerb mit WhatsApp zu konkurrieren, habe Facebook sich für den Kauf des unliebsamen Wettbewerbers entschieden. WhatsApp hätte für Facebook gefährlich werden können, indem es dem Messagingdienst soziale Netzwerkfunktionen hinzufügt oder mit einem eigenständigen Produkt in Facebooks Kernmarkt einsteigt (Rn. 108). Auch hier belegt die FTC die wettbewerbsfeindliche Absicht Facebooks anhand einer Reihe von E-Mails. Wie bei Instagram habe Facebook zunächst mit einer eigenen App (dem bis heute existierenden Facebook Messenger) versucht, in Konkurrenz zu WhatsApp zu treten (Rn. 115). Dem stetigen Wachstum WhatsApps habe Facebook dadurch aber nicht Einhalt gebieten können. Wie bei Instagram habe man sich daher für einen Kauf entschieden – auch, um einem etwaigen Erwerb durch Google zuvorzukommen. Die smoking gun ist eine E-Mail von Mark Zuckerberg:

„[I]‘m the most worried about messaging. WhatsApp is already ahead of us in messaging in the same way Instagram was “ahead” of us in photos. […] I’d pay $1b for them if we could get them.” (Rn. 120)

Tatsächlich musste Facebook noch tiefer in die Tasche greifen: 2014 kaufte es WhatsApp für gigantische 19 Milliarden US-Dollar (Rn. 121). In der Folge habe Facebook naturgemäß auch keine Schritte unternommen, WhatsApp in ein soziales Netzwerk umzuwandeln, sondern die App im Wesentlichen ohne neue Entwicklungen weiterbetrieben (Rn. 126).

Genau wie beim Instagram-Kauf sei den Nutzern dadurch der Vorteil eines (potenziellen) Wettbewerbers genommen worden. Vor allem der stärkere Fokus WhatsApps auf den Datenschutz hätte Potenzial geboten, ein differenziertes und wettbewerbsfähiges Produkt zu Facebook anzubieten (Rn. 127). Die Annahme, dass Wettbewerb zu mehr Datenschutz führen kann, ist bereits im Verfahren gegen Google angeklungen und scheint sich damit nun auch in den USA mehr und mehr durchzusetzen.

Facebook zahlte 19 Mrd. US-Dollar für WhatsApp.

Zugang zu Programmierschnittstellen (Rn. 129-160)

Etwas technischer wird die Klage bei dem Vorwurf, dass Facebook den Zugang zu den APIs (application programming interface) nur unter wettbewerbsschädlichen Bedingungen gewährt habe. Seit 2010 ermöglicht Facebook Drittanbietern von Apps auf bestimmte APIs zuzugreifen. Dazu gehört zum Beispiel die „Find Friends API“. Mithilfe dieser Funktion kann beispielsweise eine andere App ihre Nutzer auffordern, sich mit den Facebook-Freunden auch in dieser App zu vernetzen oder sie zum Nutzen der App einzuladen (Rn. 130). Apps und Websites können außerdem mit der „Open Graph API“ bestimmte Facebook Plugins, v.a. den Facebook „Like“ Button, installieren. Durch einen Klick auf diesen Button durch den Facebook-Nutzer wird die App oder Website dann automatisch in dessen Netzwerk über Facebook geteilt – für die Third Party App also eine gute Gelegenheit, neue Nutzer zu gewinnen (Rn. 131). So sei Facebook eine wichtige Infrastruktur für Third Party Apps geworden (Rn. 135). Die damit einhergehende Macht habe Facebook genutzt, um wettbewerbliche Bedrohungen zu unterdrücken (Rn. 136). Insbesondere sei der API-Zugang zwischen 2011 und 2018 nur unter der Bedingung gewährt worden, dass die Third Party App nicht mit Facebook konkurriert (also keine Kernfunktionen von Facebook anbietet) und auch keine Wettbewerber fördert (Rn. 136). Wäre Instagram nicht schon von Facebook gekauft worden, hätte Facebook dieser App also wahrscheinlich den Zugang zu den Schnittstellen verwehrt. Aufgrund dieser Praktiken seien Entwickler davon abgeschreckt worden, überhaupt Funktionen zu entwickeln, die in Konkurrenz zu Facebook stehen könnten (Rn. 137). Während ursprünglich die Ankündigung von Google+ Anlass zu diesen Geschäftspraktiken gab (Rn. 140), seien später z. B. das soziale Netzwerk „Path“ (Rn. 153) die Apps „Circle“, eine Art lokales soziales Netzwerk (Rn. 154), und „Vine“, eine von Twitter betriebene Video-Sharing App (Rn. 155), betroffen gewesen. Zudem wurde allen mobilen Messaging Apps der Zugang verwehrt (Rn. 156). Wer von Path, Vine und Circle noch nichts gehört hat, braucht sich nicht wundern. Alle drei Apps wurden nach wenigen Jahren Betrieb eingestellt.

Wiederum sei durch die Praxis der Wettbewerb eingeschränkt worden. Vielversprechende Wettbewerber Facebooks seien abgeschreckt worden und Facebook habe so sein Monopol aufrechterhalten können (Rn. 159).

Den Vorwurf des Bundeskartellamtes, dass Facebook über die Einbindung von Funktionen auf Third Party Websites und Apps auch zusätzliche Nutzerdaten sammelt, greift die FTC an dieser Stelle nicht auf.

Worin liegt der Wettbewerbsschaden (Rn. 161-168)?

Der Schaden für den Wettbewerb liegt nach Ansicht der FTC darin, dass den Nutzern sozialer Netzwerke die Vorteile des Wettbewerbs vorenthalten wurden (Rn. 162). Diese ziemlich pauschale und etwas zirkulär anmutende Behauptung wird noch näher ausgeführt: Zusätzlicher Wettbewerb hätte mehr Innovation (z.B. neue Funktionen und Geschäftsmodelle für soziale Netzwerke), bessere Qualität (z.B. verbesserte Funktionen) und mehr Auswahl für Verbraucher (z.B. mit Blick auf den Datenschutz) gebracht (Rn. 163). Auch den Werbekunden sei der Vorteil wirksamen Wettbewerbs vorenthalten worden (Rn. 164-167). Die Kernidee ist, dass ohne Facebooks Einkaufsstrategie WhatsApp und Instagram zu ernstzunehmenden Wettbewerbern geworden wären oder sich bei anderen Zugangsbedingungen zu Facebooks APIs weitere Wettbewerber hätten entwickeln können.

Wird Facebook zerschlagen?

Anders als im Verfahren des DoJ gegen Google, schlägt die FTC konkrete „remedies“ vor. Und hier holt sie die ganz große Keule heraus: Sie fordert die Zerschlagung Facebooks, insbesondere die Abspaltung von WhatsApp und Instagram. Außerdem soll Facebook alle zukünftigen Fusionen und Käufe genehmigen lassen. Ob tatsächlich die Zerschlagung kommt, steht damit natürlich noch nicht fest. Anders als bei Google steht die Frage aber nicht mehr bloß unausgesprochen im Raum, sondern wird nun ganz offiziell von einer Wettbewerbsbehörde gefordert. Damit setzen sich die USA gewissermaßen an die Spitze der Bemühungen, Big Tech mit dem Kartellrecht Einhalt zu gebieten. Bisher wurden diese vor allem von der EU angeführt und von den USA als protektionistische Politik abgetan. Die USA versuchen allem Anschein nach auch, aus den in der EU geführten Verfahren zu lernen: Zwar wurden dort Rekordbußgelder verhängt, an der Wettbewerbssituation hat sich aber nur wenig geändert. Ob das Damoklesschwert der Zerschlagung effektiver ist, wird sich zeigen. Denkbar ist natürlich, dass im Laufe des Verfahrens andere Abhilfen gewählt werden. Bei den Vorwürfen der FTC scheint aber z.B. die vom Bundeskartellamt von Facebook geforderte „innere Entflechtung“ nicht zielführend. Danach soll Facebook die Daten von WhatsApp, Instagram und Facebook getrennt verarbeiten und nicht zusammenführen. Das wird Facebook allerdings kaum dazu bewegen, WhatsApp oder Instagram als Konkurrenten von Facebook mit innovativen Social Networking Funktionen zu entwickeln.

Was sagt Facebook?

Wie nicht anders zu erwarten, sieht Facebook die Sache etwas anders. In einem Statement bezeichnet Jennifer Newstead (Vice President und General Counsel) die Klage als „revisionist history“. Facebook konkurriere um die „Zeit und Aufmerksamkeit“ der Nutzer mit vielen anderen Diensten, namentlich genannt werden Google, Twitter, Snap, Amazon, TikTok und Microsoft. Hier deutet sich wohl an, dass Facebook die Marktdefinition des FTC angreifen will.

Facebook verteidigt seine Akquisitionen, schließlich sind beide von der FTC selbst (!) genehmigt worden. Der Erwerb von Instagram sogar in einem „Second Request”-Verfahren. Das entspricht in etwa einer Phase II-Prüfung. Die EU-Kommission hat die WhatsApp-Transaktion genehmigt. Jetzt wolle die FTC, ohne Rücksicht auf die „Konsequenzen für Innovation und Investition“ diese Fusionen rückgängig machen. Facebook habe in der Zwischenzeit Milliarden in WhatsApp und Instagram investiert. Die Entscheidung der FTC, jetzt ein Verfahren einzuleiten, würde bedeuten, dass kein Kauf jemals endgültig ist und jegliche Rechtssicherheit zunichtemachen. Die beiden Akquisitionen seien alles andere als wettbewerbsschädlich gewesen. So habe sich Instagram erst durch Facebooks Investitionen zu dem Netzwerk mit über einer Milliarde Nutzern entwickelt, das es heute ist. Auch die Werbekunden hätten von Facebooks Investitionen profitiert. WhatsApp habe sich in den USA ebenfalls erst durch die Investitionen Facebooks verbreitet. Insbesondere habe Facebook die zum Zeitpunkt des Kaufs bestehende Nutzungsgebühr abgeschafft und die App kostenlos verfügbar gemacht. Letzteres ist allerdings kein besonders starkes Argument, schließlich argumentiert die FTC auch, dass Facebook Wettbewerb für innovative Geschäftsmodelle behindert hat. WhatsApp hätte sich gerade in Abkehr von der „Kostenloskultur“ im Internet zu einer kostenpflichtigen, aber im Hinblick auf andere Faktoren, insbesondere den Datenschutz, zu einer ernstzunehmenden Alternative entwickeln können.

Was den API-Zugang angeht, hält Facebook seine Praxis für den branchenüblichen Standard. Andere Unternehmen wie LinkedIn, die New York Times, Pinterest oder Uber hätten vergleichbare Geschäftsbedingungen. Unternehmen dürften ihre Geschäftspartner frei wählen.

Facebook schlägt auch den Bogen zu der allgemeinen Stimmung zu „Big Tech“ und Fragen wie Einfluss auf Wahlen und Datenschutz. All dies seien aber keine Fragen des Kartellrechts und müssten deshalb durch neue Regelungen für das Internet geklärt werden.

Wäre eine Zerschlagung auch in Europa möglich?

In der EU und in Deutschland ist eine Entflechtung außerhalb der Fusionskontrolle (Stichwort Gunjumping) zwar bislang nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des EuGH in Continental Can wäre dies aber grundsätzlich möglich. Der vor wenigen Tagen vorgelegte Vorschlag der Europäischen Kommission zum Digital Markets Act enthält nunmehr ausdrücklich die Befugnis zu strukturellen Abhilfemaßnahmen („structural remedies“) (Art. 16). Dabei geht es um die „rechtliche, funktionale oder strukturelle Trennung, einschließlich der Veräußerung eines Geschäfts oder Geschäftsteils“ (s. Erwägungsgrund 64). Damit wird auch in Europa eine Zerschlagung digitaler „Gatekeeper“ in Zukunft wahrscheinlicher.

Wie geht es weiter?

Die Einreichung der Klage war auch hier erst der Auftakt für ein aller Wahrscheinlichkeit nach jahrelanges Verfahren. Es zeigt, dass die Macht der Big Tech-Konzerne auch jenseits des Atlantiks ernst genommen wird.

Das Verfahren der FTC gegen Facebook könnte ein Meilenstein in der Entwicklung des Kartellrechts im digitalen Zeitalter werden. Jedenfalls werden damit die früher in den USA oft vorgebrachten Vorwürfe, die EU nehme GAFA nur aus protektionistischen Gründen ins Visier, endgültig hinfällig. Außerdem zeigt das Verfahren, dass der so oft verwendete Begriff der „killer acquisitions“ die Problematik nicht angemessen beschreibt. Potenzielle Konkurrenten werden von den Big Tech-Konzernen nicht aufgekauft, um sie zu eliminieren. Stattdessen werden sie am Leben gehalten, aber ihre Funktionalitäten nicht weiter ausgebaut. Sie werden aus dem Kerngeschäft herausgehalten und erschweren den Eintritt weiterer Wettbewerber.

Auch die Frage des Zugangsanspruchs zu Programmierschnittstellen wird in Zukunft eine große Bedeutung haben. Der Vorschlag der Kommission zum Digital Markets Act erwähnt zwar Zugang zu APIs ausdrücklich nur zum Zwecke der Datenportabilität (s. Erwägungsgrund 54 und 55), enthält aber auch darüber hinaus einige Regelungen, die zumindest in diese Richtung gehen. So müssen „Gatekeeper“ etwa dann Zugang und Interoperabilität ermöglichen, wenn sie dies auch gegenüber eigenen „Nebendienstleistungen“ tun (Art. 6 Nr. 1 lit. f).

Die Klage der FTC dürfte auch in Europa genau beobachtet werden. Es scheint ein Wettbewerb der Wettbewerbsbehörden darüber begonnen zu haben, wer die Big Tech-Konzerne besser in den Griff bekommt.

Johannes Persch, LL.M. (Chicago) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Arbeitsrecht (Professor Kainer) an der Universität Mannheim und Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes.

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