Conference Debriefing (33): Das C-L-F in Düsseldorf

Conference Debriefing (33): Das C-L-F in Düsseldorf

Stehen öffentliche und private Kartellrechtsdurchsetzung zueinander in einem Spannungsverhältnis und falls ja, wie lässt sich dieses auflösen? Das war die Fragestellung, zu der das Competition Litigation Forum e.V. gemeinsam mit dem Institut für Kartellrecht unter dem Rubrum „Kronzeugenprogramm ./. Private Enforcement“ in die Hauptstadt des Kartellrechts nach Düsseldorf ins Haus der Universität einlud. Severin Stratmann berichtet.

Zwei Protagonisten

Als Protagonisten traten in dem, mit über 80 Personen gut gefüllten, großen Saal der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt und Prof. Dr. Christian Kersting von der Universität Düsseldorf auf die Bühne, um dem fachkundigen Publikum ihre Gedanken zu diesem Thema zu präsentieren.

Die Referenten Andreas Mundt (2.v.r.) und Prof. Dr. Christian Kersting (2.v.l.) mit den Vorstandsmitgliedern des C-L-F, Dr. Thomas Funke (1.v.l.) und Prof. Dr. Rüdiger Lahme (1.v.r.)

Es ist nicht alles schlecht

Andreas Mundt, der als erster an das Rednerpult trat, begann seinen Vortrag mit einigen Worten zu aktuellen Entwicklungen, mit denen sich das Bundeskartellamt derzeit beschäftigen muss – Stichwort Gas- und Energiekrise, Inflation, 11. und 12. GWB-Novelle. Für Mundt war dabei ganz klar, dass sich verändernde Markt- und Wettbewerbsverhältnisse auch nach einer angepassten Reaktion seiner Behörde verlangen. Dabei will das Bundeskartellamt trotz des krisengeprägten Umfeldes seinen Wurzeln als Wettbewerbsbehörde treu bleiben.

Eine Privilegierung des Kronzeugen im Innen- und Außenverhältnis…

Sodann widmete sich Mundt der eingangs gestellten Frage und stellte zunächst klar, dass ihn das Handelsblatt in diesem Zusammenhang zumindest missverständlich zitiert habe (siehe dazu hier). Er habe nämlich nie einer „Klageindustrie“ die Schuld an dem Rückgang der Kronzeugenanträge gegeben. Diese Formulierung stamme nicht von ihm. Wo die Sympathien des Bundeskartellamtes bei einem möglichen Konflikt zwischen öffentlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung liegen würden, machte Mundt dennoch deutlich. So könne Deutschland in der privaten Kartellrechtsdurchsetzung zwar auf eine lange Tradition zurückblicken – aufgedeckt würden Kartellrechtsverstöße aber zumeist durch die Behörden. Angeschnitten war damit der – auch in Deutschland sich bemerkbar machende – Rückgang der Bonusanträge, der zeitlich mit der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie durch die 9. GWB-Novelle zusammenfalle. Aus Sicht von Mundt einer von mehreren Gründen für den Rückgang der Kronzeugenanträge, sei damit doch für alle potentiellen Kronzeugen das Risiko einer Inanspruchnahme deutlich gestiegen (wenngleich er nicht ausschloss, dass bspw. auch die strengen Voraussetzungen internationaler Kronzeugenprogramme abschrecken oder Fortschritte im Compliance-Bereich zu einem Rückgang der Bonusanträge beigetragen haben könnten – das wurde im späteren Teil der Veranstaltung auch noch ausführlich diskutiert).

Mundt betonte vor diesem Hintergrund erneut, dass die private Kartellrechtsdurchsetzung in starkem Maße von den Ergebnissen der durch die Kartellbehörden betriebenen Verfahren abhängig ist. Wer die private Kartellrechtsdurchsetzung stärken wolle, müsse deswegen die Attraktivität der Kronzeugenregelung steigern. Ein in dieser Hinsicht gangbarer Weg könnte es sein, den Kronzeugen im Rahmen des Gesamtschuldnerinnenausgleichs vollständig von einer Haftung freizustellen und die bereits jetzt in § 33e GWB enthaltene Privilegierung von Kronzeugen im Außenverhältnis weiter auszubauen, etwa indem der Kronzeuge auch von seinen eigenen Abnehmern und Lieferanten nur subsidiär in Anspruch genommen werden kann. Das Prinzip der Ausfallhaftung solle auf jeden Fall erhalten bleiben.

… oder doch lieber nur im Innenverhältnis?

Die Grundannahme, dass die richtige Anreizsetzung zentral ist, um potentielle Kronzeugen zum Stellen eines Bonusantrages zu bewegen, wurde dabei auch von Mundts Co-Referenten und Mit-Gastgeber Christian Kersting geteilt. Die Einigkeit in der Zielsetzung mündete dann jedoch in eine Diskussion über die zur Zielerreichung geeigneten Mittel. Die Privilegierung von Kronzeugen im Außenverhältnis – die nicht der deutsche Gesetzgeber verbrochen hat in der Kartellschadensersatzrichtlinie angelegt ist – griff Kersting aus verschiedenen Richtungen an. Zunächst skizzierte er den Konflikt der jetzigen (also im Außenverhältnis wirkenden) Kronzeugenprivilegierung mit der Rechtsprechung des EuGH. Einerseits sei nach Courage nämlich „jedermann“ und eben nicht nur die Abnehmer und Lieferanten eines Kartellanten anspruchsberechtigt. Andererseits gelten nach den Entscheidungen in Skanska und Sumal aber auch alle Kartellanten als anspruchsverpflichtet. Eine Privilegierung des Kronzeugen im Außenverhältnis über das Sekundärrecht sei mit dieser Auslegung des Primärrechts durch den EuGH wohl nicht vereinbar und schließlich sei auch im harmonisierten nationalen Recht der Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz zu beachten.

Neben diesen europarechtlichen Bedenken äußerte Kersting aber auch solche verfassungsrechtlicher Art. Die derzeit geltende Privilegierung des Kronzeugen im Außenverhältnis führe dazu, dass allen Kartellgeschädigten durch die Entscheidung des Bundeskartellamtes ein bereits bestehender Anspruch gegen den Kronzeugen als Gesamtschuldner entzogen würde (bzw. so nachrangig gestellt würde, dass dies einem Entzug gleichkommt) – was nach Kersting einen Eingriff in die Eigentumsrechte des Geschädigten darstelle. Gleichzeitig würde aber auch die Rechtsposition der Mitkartellanten des Kronzeugen nachteilig betroffen werden, da diese nach § 33e Abs. 3 GWB nach der Einräumung des Kronzeugenstatus‘ nur noch einen begrenzten Ausgleichsanspruch gegen den Kronzeugen geltend machen können. Kritisch zu bewerten sei dabei auch, dass faktisch nur unzureichende Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen beständen, gegen die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde, einen bestimmten Kartellanten zum Kronzeugen zu erklären, vorzugehen.

Anders als der Präsident des Bundeskartellamtes plädierte Kersting dementsprechend nicht für eine Ausweitung der Privilegierung von Kronzeugen (auch) im Außenverhältnis, sondern für eine grundlegende Umgestaltung im Sinne einer Privilegierung der Kronzeugen nur im Innenverhältnis. Das von Kersting entwickelte Modell sieht dabei eine vollständige Haftung des Kronzeugen im Außenverhältnis vor, der dafür aber auch mit einem vollständigen Ausgleichsanspruch gegenüber seinen Mitkartellanten ausgestattet wird – womit schlussendlich auch der Bogen zur Frage der richtigen Anreizsetzung für potentielle Kronzeugen gespannt war. Für denkbar hielt Kersting auch, diese Privilegierung nicht nur dem 1. Kronzeugen, sondern auch nachfolgenden Antragstellern anteilig zukommen zu lassen.

Die Reaktionen aus dem Publikum

Im Anschluss an die beiden Vorträge erhielt dann das Publikum die Möglichkeit zur Positionierung, die von den Teilnehmern auch rege genutzt wurde. Im Zentrum der Diskussion stand zunächst wie angedeutet die von Mundt vorgetragene These, dass der Rückgang der Bonusanträge vor allem auf die Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie und damit die private Kartellrechtsdurchsetzung zurückzuführen sei.

Die Referenten während der sich anschließenden Diskussion

Ob die private Kartellrechtsdurchsetzung einen maßgeblichen Grund für den Rückgang der Bonusanträge zu tragen habe, wurde dabei u.a. vor dem Hintergrund angezweifelt, dass diese sich bisher in der Praxis nicht unbedingt als klägerfreundlich hervorgetan habe – hier sei nur an die in diesen Angelegenheiten übliche Verfahrensdauer erinnert, woran wohl auch die Gerichte nicht ganz unschuldig sein dürften (dazu auch hier). Überdies sei die empirische Evidenz für die These noch unzureichend, ermögliche der Vergleich mit dem Ausland doch auch andere Schlussfolgerungen. Schließlich hinke der (auch von der OECD jüngst angestellte, siehe dazu hier) zeitliche Vergleich der absoluten Zahlen von Bonusanträgen insofern, als dass als Vergleichszeitpunkte meist die „all time highs“ herangezogen werden.

Anknüpfend daran wurde dann auch die Frage diskutiert, ob Vorstände, die von einem Kartell „Wind bekommen“, dieses wirklich deswegen nicht aufdecken würden, weil sie eine Inanspruchnahme seitens der Kartellgeschädigten befürchteten. Angesichts dessen, dass in der Folge eines Kronzeugenantrages zunächst einmal das Kartellverwaltungsverfahren zu bewältigen sei, bevor überhaupt an Kartellschadensersatzklagen zu denken sei, würde schließlich kaum ein Vorstand den Abschluss des gesamten Komplexes im Amt miterleben. Eine jüngere Studie lege schließlich nahe, dass Kartellschadensersatzforderungen geeignet seien, Kartelle wirksam zu verhindern; andere Stimmen legen einen strengen Sanktionsrahmen nahe oder eine Priorisierung des Täter-Opfer-Ausgleichs vor Zahlungsflüssen an die Staatskasse.

Was bleibt?

Ob das im Titel der Veranstaltung angerissene Spannungsverhältnis zwischen Kronzeugenregelung und privater Kartellrechtsdurchsetzung wirklich besteht, blieb am Ende also offen und dürfte weiterhin Gegenstand lebhafter Diskussionen sein. Lohnenswert war ein Besuch ob der offenen Diskussionskultur und verschiedenen Perspektiven, aus der das Thema beleuchtet wurde, aber dennoch allemal.

Severin Stratmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht und Doktorand bei Prof. Kersting.

One thought on “Conference Debriefing (33): Das C-L-F in Düsseldorf

  1. Im Kern besteht zunächst kein Spannungsverhältnis zwischen Kronzeugenregelung und privater Kartellrechtsdurchsetzung. Beide sollen vor künftiger Kartellierung abschrecken. Die Interessen überschneiden sich: ohne Aufdeckung eines Kartells keine Schadensersatzansprüche.
    Aber ist der Rückgang der Kronzeugenanträge tatsächlich auf die Schadensersatzprozesse zurückzuführen, obwohl bei sämtlichen Kartellen, egal welcher Art, nach Angaben der Kartellanten nie ein Schaden entstanden ist und sie demnach keine Verurteilung befürchten müssen und ihnen die Kosten ersetzt werden? – Ein paar Präzedenzfälle würden den Klägern das Klagen schnell abgewöhnen.
    Allerdings macht sich ein gewisses Unbehagen bemerkbar. Denn wenn Kartelle gar keinen Schaden anrichten, warum werden sie dann verfolgt und sanktioniert? – Also, dass Kartelle keinen Schaden anrichten, glaubt wohl keiner.
    Die Kronzeugenregelung führt bereits dazu, dass (marktstarke) Kartellanten sich gegenüber ihren (kleineren) Wettbewerbern nicht nur dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, dass sie das Bußgeld sparen, während die anderen – ohne entsprechende Rückstellungen – zur Kasse gebeten werden, statt das Geld zu investieren.
    Den Kronzeugen zusätzlich dadurch zu privilegieren, dass er im Außenverhältnis den Geschädigten nur subsidiär zur Verfügung steht, ist für die Geschädigten eine Zumutung: eine Ausfallhaftung angesichts der derzeitigen Verfahrensdauer in Deutschland nach gut 20 Jahren? Das ist ein Rohrkrepierer (und soll es auch sein?). Das stellt den Rechtsstaat auf den Kopf und darf nicht die Lösung sein. Dass Jedermann seinen Kartellschaden ersetzt bekommen soll, bliebe ein allzu leeres Versprechen.
    Daher ist der Ansatz, eine Privilegierung des Kronzeugen – neben seiner Freistellung vom Bußgeld – (allenfalls) im Innenverhältnis der Gesamtschuldner vorzusehen, vorzugswürdig. Zwar ist zu bedenken, dass bei entsprechender Fallgestaltung ein marktstarker Kronzeuge, der den gesamten durch das Kartell angerichteten Schaden ersetzt und anschließend den vollständigen Ausgleich von seinen kleineren Mitkartellanten verlangt, diese überfordern könnte („Schiffe versenken“). Vielleicht ermuntert aber gerade dieses Risiko einmal die kleinen schwächeren Player in einem Kartell zum Auspacken in Bonn. Und dann steigt die Zahl der Kronzeugenanträge wieder!

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