Vor Gericht: Apothekenkundenzeitschriften

Vor Gericht: Apothekenkundenzeitschriften

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Zitiervorschlag: Podszun, DKartJ 2023, 102-107

Es geht um ältere Damen, ein Pfeildiagramm und irgendwas mit Medien: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat das Bundeskartellamt eine Freigabeentscheidung in einem Fusionsfall verteidigt – ein Wettbewerber hätte lieber eine Untersagung gesehen. Rupprecht Podszun war bei der mündlichen Verhandlung des 1. Kartellsenats und berichtet.

Mittwochsmorgens im OLG

Als Rechtsanwalt Till Steinvorth das Wort erteilt wird, es ist 11:27 Uhr am Mittwoch, 15.11.2023, ist eigentlich klar: Er kann schon wieder einpacken. Genau 17 Minuten hatte der Vorsitzende Richter Jürgen Breiler zuvor gebraucht, Sachstand und Rechtslage des zu verhandelnden Falles aus Sicht des 1. Kartellsenats zusammenzufassen. Viel zu verhandeln scheint es jedenfalls aus Sicht des Senats nicht zu geben. Breiler – er ist der Nachfolger des legendären Jürgen Kühnen – hatte in seinem Bericht schon recht deutlich gemacht, dass man dem Begehr der Klägerin nicht nachkommen werde. Und dann hatte er auch noch gemahnt, es möge bitte nur das noch gesagt werden, was nicht ohnehin in den Schriftsätzen stehe. 

Das ist natürlich ein Killerargument: Es fällt schwer zu glauben, dass es noch Dinge gibt, die in diesem Verfahren noch nicht schriftsätzlich thematisiert wurden. Steinvorth (der in Düsseldorf vermisst wird, seit er 2020 nach Hamburg wechselte) wäre aber natürlich kein Anwalt, wenn er sich von solchen Bemerkungen einschüchtern ließe. Mit fast schon norddeutscher Gelassenheit macht er daher noch einmal die Punkte, die er wohl für wesentlich hält. Als er eine Korrektur zur Sachverhaltsdarstellung anbringt, fällt ihm Richter Breiler ins Wort: „Im Votum steht’s, ich muss hier aber eine gedrängte Fassung präsentieren.“

Der Vorsitzende

Das Votum bezieht sich auf Fall VI Kart 7/23 [V] – Heinrich Bauer Verlag KG gegen Bundeskartellamt. Nach nicht einmal einer Stunde ist die „gedrängte Fassung“ dieses spannenden medienkartellrechtlichen Falles durch, gerade so, als würde der 1. Kartellsenat heute noch am Fließband Verhandlungen erledigen müssen, um irgendwie das Tagespensum schaffen zu können. 

Vorsitzender Richter Breiler hat Alexandra Poling-Fleuß und Ursula Mis-Paulußen an seiner Seite. Ich erlebe ihn erstmals auf der Richterbank, er ist ein stattlicher, großgewachsener Mann. Höchst seriös, Lesebrille. Aus seinem Gesichtsausdruck lässt sich nicht schließen, was er von dem denkt, was gerade gesagt wird. Die Verhandlung beginnt er mit einem gestrengen Hinweis: Wer vor diesem Senat erscheinen will, sollte doch vorher bitte mitgeteilt haben, wer kommt. So haben es aber nicht alle Parteivertreter gehalten. Also müssen noch Namen und deren Schreibweise mühsam im Protokoll notiert werden.

Die Hinterköpfe

Diese Namen gehören zu den – aus Zuschauerbanksicht – zahlreichen seriös frisierten Hinterköpfen mit schwarzen Roben oder doch zumindest gedeckter Kleidung. Hält man den Blick hoch, zur Richtertribüne, könnte man übersehen, dass im Raum A208 des Oberlandesgerichts Düsseldorf vieles gedrängt ist: Die leider erforderlichen dicken Regenmäntel und die großen Aktenkoffer stapeln sich in den Ecken des holzvertäfelten Raums, und auch die Zuschauerbänke sind recht gut gefüllt, überwiegend mit jungen Leuten aus den beteiligten Häusern und meiner Kartellrechtsvorlesung. Einziger Blickfang im Raum ist die große blau-weiß etikettierte Glasflasche mit Mineralwasser, die die Anwältin Donata Beck selbstbewusst vor sich auf den Tisch gestellt hat. Beck ist mit Ulrich Klumpp und Annika Witte Paz für die Partner der Fusion da, die heute in Frage gestellt wird.

Der Fall

Wenn man von der dunklen Kleidung schließen würde, hier würde etwas zu Grabe getragen, wäre das ein Fehlschluss, im Gegenteil: Hier wird die Geburt einer Anzeigenvermarktungsmaschine abgesegnet. Die Funke Mediengruppe beteiligt sich an einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Burda Verlag, BCN heißt das Baby. Burda und Funke, das sind große Namen der Medienwelt, die immer noch stark im Printgeschäft aktiv sind. BCN vermarktete bislang das sogenannte „Werbeinventar“, also die Anzeigenplätze, für Burda und die Klambt-Gruppe. Nun soll auch das Marketing für die Medien von Funke dazukommen. Wettbewerber wie der jetzt klagende Heinrich Bauer Verlag, der Axel Springer Verlag oder Wort & Bild sind not amused. Das Bundeskartellamt hatte in einer aufwändigen Entscheidung (186 Seiten) die Fusion freigegeben und die Kooperation nicht beanstandet (Aktenzeichen V-31/22, 16.3.2023).

Als ich erstmals von dem Fall hörte, schossen mir zwei Gedanken durch den Kopf: Erstens dachte ich an die Ausnahme in § 30 Abs. 2b GWB. Wir hatten diese Norm ja eingeführt, um der lieben Presse ihre Wünsche zu erfüllen. Sie sollte eine Ausnahme vom Kartellverbot erhalten für eine „verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit, soweit die Vereinbarung den Beteiligten ermöglicht, ihre wirtschaftliche Basis für den intermedialen Wettbewerb zu stärken“. Schon damals hatten wir diskutiert, welche Rückwirkungen dieses gesetzgeberische Bekenntnis zur Kooperation der Verlage für die Fusionskontrolle haben würde. Den Gedanken konnte ich in diesem Fall aber getrost zur Seite schieben: 

„Die geplante gemeinsame Vermarktung von Anzeigen als verlagswirtschaftliche Kooperation wäre zwar im Grundsatz nach § 30 Abs. 2b GWB von der Anwendung des § 1 GWB ausgenommen. Vorliegend ist allerdings angesichts der Höhe der Umsätze mit Kunden aus dem EU-Ausland von einer Berührung des zwischenstaatlichen Handels auszugehen und somit der Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV eröffnet.“ (Entscheidung des BKartA, Rn. 17)

Klar, wenn zwei Branchengrößen wie Burda und Funke gemeinsame Sache machen, wird das nach europäischem Recht geprüft, da helfen die Geschenke der deutschen Politik nicht viel. Das kann man sich mal für die 12. GWB-Novelle vormerken.

Werbung im Zeitalter von Big Tech

Der zweite Gedanke war: Kann eine solche Kooperation wirklich ein Problem darstellen, wenn es doch so offensichtlich ist, dass die Werbeumsätze ins Internet abwandern? 

Vielleicht war ich etwas voreingenommen, hatte ich doch kurz zuvor einen Vortrag von Martin Andree gehört, der das Buch „Big Tech muss weg“ geschrieben hat, eine Losung, die mir grundsätzlich nicht unsympathisch ist. Medienwissenschaftler Andree geht davon aus, dass auf „redaktionelle Medien“ (damit meint er solche, die mit einer ordentlichen Redaktion arbeiten und nicht einfach Inhalte Dritter abspielen) bis 2029 weniger als 25 % Anteil an der Medienlandschaft entfallen wird. Dann wäre ein negativer Tipping Point überschritten, so Andree. Game Over für die klassischen Medien – wenn es nicht zu einem großen Umsteuern kommt: „Big Tech muss weg“.

In der ganzen Verhandlung vor dem OLG: Kein Wort zu Big Tech. Kein Wort dazu, dass Meta pro Jahr über 100 Mrd. Dollar Werbeerlöse einstreicht oder Alphabet über 200 Mrd. Dollar. (Allerdings muss Google ja ungefähr ein Drittel seiner Erlöse aus Werbung bei Google Search an Apple abtreten, wie wir aus dem Google Trial just erfahren haben…) Nur zum Vergleich: Hubert Burda Medien machte 2022 mit allen Konzerngeschäften Umsätze in Höhe von 2,92 Mrd. Euro. Fressen die digitalen Intermediäre die Werbeumsätze der geliebten deutschen Verlage also systematisch auf?

Doch wie dramatisch die Zahlen für die deutschen Publisher derzeit sind, ist nicht ganz so klar, wie man meinen könnte. Und auch die kartellrechtliche Marktabgrenzung ist nicht so schlicht, dass man Keyword-Advertising bei Google und eine Anzeige im TV-Blättchen Prisma ohne Weiteres gleichsetzen könnte. 

Das Bundeskartellamt macht nüchtern seine Arbeit, und die geht so: „Wir schauen auf die Leute“, erklärt Berichterstatter Dirk Möller vom Kartellamt, der den Fall ermittelt hat. Was er damit sagen will: Die Leistungen müssen nach den bekannten Kriterien für die Nachfrager (vulgo: die Leute) substituierbar sein, entsprechend werden ganz ohne Hype die Märkte abgegrenzt. 

SuperIllu, SuperBranche

Wer beim Bundeskartellamt arbeitet, kann Glück oder Pech haben mit seinen Branchen. Der Job, den Möller hier erwischt hatte, dürfte zu den angenehmeren zählen (wobei, ganz sicher, die Fusionskontrolle bei dentalen Fräsmaschinen (aktueller Fall: B3-107/23) oder Güllegrubbern (B5-129/23) macht auch Freude!). Im vorliegenden Fall durfte die Beschlussabteilung V sich in Zeitschriften vertiefen und abgrenzen, wer was liest und wer wo inseriert. Allein Burda gibt 150 Zeitschriften heraus (darunter Langen BunteSuperIlluTV Spielfilm), Funke derer 38 (z.B. HörZuTV-Digital und Bild der Frau). 

Bis zu dieser Verhandlung war mir ehrlich gesagt verborgen geblieben, wo im deutschen Print-Markt das Zäpfchen abgeht die Musik spielt, welches eine Cash Cow dieser Unternehmen ist, eine Perle der publizistischen Zunft, das, wofür wir die Pressefreiheit lieben und achten: Es sind die „Apothekenkundenzeitschriften“ (Richter Breiler: „Entschuldigung, aber das Wort ist echt ein Zungenbrecher.“) Als ich nach der Verhandlung am OLG dieses Segment näher studieren wollte, stellte ich fest, dass an jenem Mittwoch die Apotheken in Düsseldorf bestreikt wurden, sodass meine Marktuntersuchung vorerst ausfallen musste. Am Tag darauf lernte ich dann, dass es in Apotheken, was mir bislang entgangen war, ein eigenes Regal mit kostenlosen Zeitschriften, Info-Broschüren und Flyern gibt, das sich vor dem Regal mit Beinwellwurzel-Fluidextrakten wirklich nicht verstecken muss.

Seine Flamme heißt Karina

Leserinnen und Leser werden sich erinnern, dass sie Apothekenmagazine schon als Kinder kannten – immerhin hingen, zumindest in meiner Kindheit, die süßen Tierposter aus der medizini in allen Klassenzimmern (Medizini gibt es noch immer, im Novemberheft steckt ein ganz süßer junger Steinbock!). Medizini gehört zur Apotheken Umschau (Verlag Wort & Bild), jener Zeitschrift, für die das Bundeskartellamt eine Auflage von 7,4 Millionen angibt und die mit 69 % der Werbeumsatzerlöse in diesem Segment marktführend ist. Ich bin als Schriftleiter der eigentlich nicht minder interessanten Zeitschrift „Wirtschaft und Wettbewerb“ (WuW) quasi vom Fach und erblasse vor Neid. Die Zahl der im Impressum der Apotheken Umschau angegebenen Redakteurinnen und Redakteure (habe bei 50 aufgehört zu zählen) übersteigt die der WuW (3 bei sehr großzügiger Zählung) um ein Vielfaches. Vielleicht sollte die WuW doch auch junge Leser/innen mit Tierpostern anfüttern und den gestandenen Leser/innen ein Interview mit Thomas Gottschalk bescheren? (Wussten Sie eigentlich, dass Gottschalk mit einer Controllerin namens Karina aus Baden-Baden zusammen ist, die ihn zu einem singenden Schamanen geschleift hat, obwohl er nicht „an diese ganzen Ausräucherungs- und Yoga-Weisheiten“ glaubt? Ich lernte das bei meiner Marktuntersuchung!)

Gesundheitspräparate und/oder Versandhandel 

Im Umfeld des redaktionell hochwertigen Contents werben Unternehmen, die offenbar wenig Ausweichmöglichkeiten haben. In der Kartellamtsentscheidung heißt es zur Abgrenzung der Werbemärkte:

„Die Ermittlungen des Bundeskartellamtes im vorliegenden Fall und in den jüngeren Verfahren der letzten vier Jahre bestätigen, dass aus Sicht der Werbetreibenden keine Austauschbarkeit zwischen den verschiedenen Mediengattungen besteht. Die Ermittlungen haben aber durchaus gezeigt, dass die befragten Kunden verschiedene Mediengattungen buchen (…).“ (Rn. 148)

Es gebe auch keinen Gesamtanzeigenmarkt Print. Unterschieden wird zwischen Zeitungen und Zeitschriften. Im hier relevanten Segment der Publikumszeitschriften stellt das Amt fest:

„Die Ermittlungen haben vorliegend gezeigt, dass im Hinblick auf werbliche Schwerpunkte in verschiedenen Zeitschriftenkategorien Cluster von Anzeigenkunden existieren. Es zeigt sich, dass Anzeigenkunden aus den Bereichen „Gesundheitspräparate“ und/oder „Versandhandel“ in den Kategorien TV-Programmzeitschriften, TV-Supplements, Regenbogenpresse und  Apothekenzeitschriften besonders relevante Kundengruppen sind (b). Die Netto-TKP [Tausenderkontaktpreis] dieser Zeitschriftenkategorien gebieten zumindest keine Zuordnung zu unterschiedlichen Märkten (c); die vier Zeitschriftenkategorien sind zudem auch aus Kundensicht hinreichend austauschbar (d), so dass die Annahme eines einheitlichen Anzeigenmarkts gerechtfertigt ist. Die begrenzte Angebotsumstellungsflexibilität rechtfertigt ebenfalls keine weitere Abgrenzung des relevanten Marktes (e).“ (Rn. 203)

Das heißt: Wer für Kautabletten gegen Lippenherpes oder Ginkgo-Pillen gegen Gedächtnisverlust werben will, braucht die älteren Damen einer bestimmten Einkommengsruppe, die eher nicht den SPIEGEL lesen [ich zitiere aus der Verhandlung]. Die Werbetreibenden entscheiden sich zum Beispiel zwischen FreizeitRevue (Regenbogenpresse), myLife (Apothekenkundenzeitschrift) oder FunkUhr (TV-Zeitschrift). Die gehören also in einen Markt. Bei dieser Marktabgrenzung (zu eng, so die Zusammenschlussbeteiligten; zu weit, so die Konkurrenz) kommt es zu einer Marktführerschaft von BCN. 

Keine Untersagung

Dies ist ein Fall mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen. Das erschließt sich schon bei der Lektüre der zusammenfassenden Würdigung des Amtes:

„Der relevante Anzeigenmarkt ist oligopolistisch geprägt (aa), jedoch nicht wettbewerbslos (bb). Obwohl potenzieller Wettbewerb kaum eine Rolle spielt (cc) und der Markt nicht monopsonistisch geprägt ist (dd), wird BCN durch den Zusammenschluss zwar zum Marktführer, ohne jedoch eine einzelmarktbeherrschende Stellung zu erlangen (ee). Ebenfalls ist trotz Erfüllung der gesetzlichen Vermutungsschwellen keine Entstehung einer kollektiv marktbeherrschenden Position zu erwarten (ff). Die Prüfung von unilateralen, horizontalen Effekten jenseits der Marktbeherrschung (so genannter „SIEC“-Test) offenbarte Anhaltspunkte für die Gefahr einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs. Im Ergebnis hat sich diese Gefahr nach den durchgeführten Ermittlungen jedoch nicht hinreichend klar manifestiert (gg).“ (Rn. 307)

Ein Oligopol, ein neuer Marktführer, Anhaltspunkte für Gefahren – und doch keine Untersagung. Kein Wunder, dass Bauer kämpft. Zum Dreh- und Angelpunkt in den 54 Minuten vor dem Kartellsenat wird das Pfeildiagramm in Rn. 255 der Amtsentscheidung. Dort wird visualisiert, welche „Substitutionsketten“ wirken. Substitutionsketten, dear students, liegen vor, wenn zwar Produkt A und Produkt C nicht austauschbar sind, wohl aber beide jeweils mit Produkt B. Dann kann die Substitutionsmöglichkeit über B dazu führen, dass alle drei Produkte demselben sachlichen Markt zugeordnet werden (siehe Rn. 57 der Leitlinien zur Marktabgrenzung von 1997). So sieht es das Amt auch hier: Apothekenkundenzeitschriften haben eine gewisse Substitution mit der Regenbogenpresse, diese hat wiederum einen gewissen Substitutionseffekt auf TV-Zeitschriften, also alles eins. Irene Sewczyk, die Leiterin der Beschlussabteilung, erklärt noch einmal sehr anschaulich, wie man zu diesen Ketten gekommen sei. Irgendwo, so sagt sie, müsse man dann natürlich den Cut machen. Ja. Marktabgrenzung ist eben nicht nur Empirie, sondern hat auch ein Gran normative Wertung in sich.

Keine Beanstandung

Der Senat hält fest, es spreche einiges dafür, dass das nicht zu beanstanden ist und nichts Wesentliches übersehen wurde. Die vom Amt genannten Gesichtspunkte sprächen auch dagegen, dass die Marktanteile hier zu problematisch sind. Ein gap case für den SIEC-Test liege nicht vor, ein solcher komme nur in Betracht, wenn eine oligopolistische Struktur gegeben sei und nicht-koordinierte Effekte im Raum stünden.

Der Heinrich-Bauer-Verlag sieht da einiges anders, wie Rechtsanwalt Steinvorth (angereist mit Associate Jan-Hendrik Fitzl) in gebotener Gedrängtheit vorträgt. Bei den Ausführungen zum SIEC-Test lässt auch Ludger Breuer aus der Prozessabteilung des Bundeskartellamts ganz sanft durchblicken, dass der Senat sein Wording vielleicht noch anpassen könnte. Der SIEC-Test sei ja noch ein „zartes Pflänzchen“, formuliert Breuer. Es scheint mir übrigens in dieser Verhandlung, dass Breuer in Sachen Wortgewandtheit, Sprechtempo und der feinen Prise Ironie seinem Vorgesetzten Jörg Nothdurft, Plädoyer-Star des Amtes, nicht in viel nachsteht.

Das Ermessen ist gelesen

Nur einmal verrutscht Breuer ein Ausdruck, als er von „Zwangsarbeit“ spricht, die dem Kartellamt aufgenötigt werden könnte. Das liegt natürlich sowohl dem Gericht als auch jedem wohlmeinenden Beobachter fern, der weiß, wie sehr die Beamten in Bonn rackern (und welche Konnotation der Begriff „Zwangsarbeit“ hat). Hintergrund ist folgender: Die Klägerin hatte nicht nur die Freigabeentscheidung angefochten sowie die Untersagung oder jedenfalls Neuverbescheidung des Fusionsantrags gefordert. Sie hatte sich auch gegen eine separate Vermarktungsvereinbarung gewendet und wollte das Amt verpflichten, diese nach Art. 101 AEUV zu untersagen. Dabei hat das Amt doch ein Ermessen! Eine gerichtliche Pflicht zum Tätigwerden wäre laut Breuer „Zwangsarbeit“ gewesen. In seiner Stimme schwingt sehr hörbar ein indigniertes „tststs“ mit. Immerhin könne die Klägerin ja im Wege des private enforcement vor Gericht ziehen und eine Unterlassungsverfügung gegen diese Vermarktungsvereinbarung erwirken. In der Sache dürfte Breuer Recht haben, dass es einen solchen Anspruch nicht gibt. Das OLG hat derartige Ansinnen jedenfalls immer wieder abgelehnt.


Die Beiträge von D’Kart, jetzt gut lesbar und zitierfähig im DKartJ: http://d-kart-journal.hhu.de/


Nach dem Kartellamtsteam darf noch kurz Donata Beck das Wort für BCN ergreifen, sie sieht „immense Austauschbeziehungen“ wirken und reibt Bauer rein, dass das Unternehmen selbst Teil einer ähnlichen Vermarktungskooperation und ohnehin Marktführer hier und dort sei. Nach ihren kurzen Bemerkungen (der Vorsitzende hatte schon einen prüfenden Blick auf die Uhr an der Wand geworfen) muss sie die große blau-weiße Wasserflasche vor sich gar nicht anrühren. Das BCN-Team mit den Inhouse-Counsels Maximilian Preisser (Burda) sowie Carsten Bronny und Eva Heneweer (Funke) kann sich beruhigt zurücklehnen. Gerald Mai und Christoph Vaske, ihre Kollegen vom Heinrich-Bauer-Verlag, haben heute keinen Scoop für ihre Blätter gelandet.

Der Senat tuschelt noch kurz, dann wird das Datum der Verkündung auf den 6. Dezember 2023 festgelegt. Es lässt sich ahnen, wie das ausgehen wird. Als Richter Breiler die Verhandlung zu BCN geschlossen hat und die Prozessbeteiligten Shake-hands gemacht haben, switchen sie ihre Handys wieder an. Dort können sie eine Medienmitteilung lesen, die das Bundeskartellamt gerade versendet hat: Das Amt sieht in der Zusammenarbeit von OpenAI und Microsoft keinen Fall für die deutsche Fusionskontrolle.

Disclaimer: Ich musste die Verhandlung hier in gedrängter Fassung präsentieren.

Prof. Dr. Rupprecht Podszun hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf inne.

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