Conference Debriefing (40): Studienvereinigung Kartellrecht Arbeitssitzung 2023

Conference Debriefing (40): Studienvereinigung Kartellrecht Arbeitssitzung 2023

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Zitiervorschlag: Weichbrodt, DKartJ 2023, 112-116

Am 7. Dezember 2023 fand in Bonn die alljährliche Arbeitstagung der Studienvereinigung Kartellrecht statt. Auch dieses Jahr ging es wieder um die großen und kleinen Probleme des Wettbewerbsrechts, um Rückblicke und Reformen, aber auch um Landliebe und Lokalpresse. Rechtsanwalt Johannes Weichbrodt berichtet.

 

Traditionen gehören zu Weihnachten wie der Stern auf der Tanne. Verlässlich kommt dann die Familie zum Fest zusammen. Das Essen ist wie immer, auch wenn einem einzelnen Jungspund, der nach jüngst erfolgtem Berufseinstieg offenbar neben Meilen auch Parker-Punkte zu sammeln gedenkt, der Wein nicht mundet („Mit sowas würde sich meine Haushaltshilfe nicht mal die Zähne putzen.“). Der Onkel darf in großer Runde wieder etwas sagen, das nicht wirklich so richtig zum Thema passt. Und die selbsternannte Jugend im mittleren Alter reist insgeheim vor allem deshalb an, um am Vorabend mit Freunden von früher an der Bar über Zeiten zu sinnieren, in denen sie noch wirklich jung waren. Am Festtag dann lauscht man der Jahresrevue des Familienoberhaupts, um sich anschließend vor weihnachtlich-knallroter Deko im angeregten Diskurs der eigenen intellektuellen Großartigkeit zu versichern. Ein wunderbares Fest – mit frappierender Ähnlichkeit zur alljährlichen Zusammenkunft der Kartellrechtsfamilie:

 

Mein Bier, dein Bier

Vorhang auf für die Jahrestagung der Studienvereinigung Kartellrecht (StudV) in Bonn. Eröffnet wurde die Sitzung mit einer sogenannten Townhall, zu der sich um 8:30 Uhr nur eine Handvoll Hardcores eingefunden hatten. Den Regionalvertretern der StudV wurde pflichtschuldig für ihre Dienste gedankt, worauf sie für weitere zwei Jahre ohne Wahl im Amt bestätigt wurden. Der kartellrechtliche Frühling hat den demokratischen Wind offenbar noch nicht bis auf die unteren Führungsebenen geweht – aber bekannt und bewährt ist ja nicht nur im Verwaltungsrecht ein schöner Grundsatz. Dem zu dieser unchristlichen Stunde ebenfalls unentschuldigt noch nicht anwesenden Autor wurde aus informierten Kreisen als einzige Wortmeldung gemeldet, jemand habe gebeten, dass nächstes Jahr dafür Sorge getragen werden möge, dass die Bar am Vorabend (s.o.) nicht bereits um 22:30 schließt. Dann muss auch niemand darüber fachsimpeln, ob eiskaltes Thekenbier mit mäßig gekühltem Kölsch von der Rezeption austauschbar ist.  

 

Nach kurzer Begrüßung durch den Vorsitzenden Ingo Brinker spielte dann der Main Act des Tages, Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt, wie erwartet vor vollem Haus sein diesjähriges Best Of-Album aka „Jahresbilanzpressekonferenz„. Erstaunlich, wie es diesem Mann gelingt, ein 74 Seiten starkes Manuskript der Grundsatzabteilung in knapp einer Stunde unter das kartellrechtliche Volk zu bringen. 

 

Greatest Hits of 2023

Zunächst warf er einen Blick zurück auf das vergangene Jahr und die Praxis des Amtes in schwierigen weltpolitischen Zeiten. In allen Bereichen sei die Bonner Behörde sehr aktiv gewesen. Beispiel Kartellbekämpfung: man habe für Wettbewerb bei der Wartung von Radpanzern gesorgt (wichtig – siehe „schwierige weltpolitische Zeiten“). Beispiel Marktmachtmissbrauch: Einleitung eines Verfahrens gegen einen namhaften Brausehersteller (fuzetea et al.).  Beispiel Zusammenschlusskontrolle:  Theo macht jetzt Landliebe. In diesem Zusammenhang war zu erfahren, dass es in der Beschlussabteilung Milchreis-Aficionados mit so klarer Markenbindung gebe, dass sie beinahe einen eigenen Markt für Landliebemilchreis definiert hätten. Ähnlich leidenschaftliche  Marktdefinitionsdiskussionen habe es laut Mundt zuletzt beim berühmten Harzer Käser gegeben (Fun-Fact: 0,6% der deutschen Haushalte waren 2008 „exklusive Verwender von Sauermilchkäse“ – war das damals eine Brigitte-Diät?). 

 

Die 11. Geige

Das Amt habe „nicht nach der Novelle gerufen“ sagte Mundt. So fühlt sich das wohl an, wenn man (kurz vor) Weihnachten statt der Carrera-Bahn eine Geige bekommt, die man jetzt bitte spielen möge. Insbesondere das neue Instrument des § 32f GWB (Maßnahmen nach Sektoruntersuchung) steht im Mittelpunkt der am 7. November 2023 in Kraft getretenen 11. GWB-Novelle. Die Regelung besagt, dass das Bundeskartellamt auch ohne einen Verstoß gegen Kartellrecht feststellen zu können, Maßnahmen (bis hin zur Entflechtung) gegen Unternehmen treffen darf. Das kann man sich in etwa so vorstellen, als beschlagnahmte die Polizei ein Fahrrad nicht deshalb, weil der Radler über Rot gefahren ist, sondern einfach, weil der verdammt nochmal so aussieht, wie einer, der ständig über Rot fährt. 

Präsident Mundt machte allerdings nicht den Eindruck, als sehe er das Amt bald allzu viel auf dieser Geige fiedeln. Dazu fehle schlicht das Personal: 20 neue Stellen habe man beantragt, keine habe man bekommen, es fehlten mindestens 10% der Planstellen. Ähnliche Sorgen hatte er auch schon im Juni dem Bundestag in diesem Zusammenhang gemeldet. Welche Märkte könnte man sich angesichts der knappen Ressourcen da genauer ansehen?  Paketdienste, die Veranstaltungsbranche, auch regulierte Märkte. 

 

Nach der Novelle ist vor der Novelle

Dann gab der Präsident einen Ausblick auf die 12. GWB-Novelle, deren Konsultationsverfahren einen Tag vor Inkrafttreten der 11. Novelle begann, insbesondere auf die Nachhaltigkeitsthemen und den Verbraucherschutz. Das Amt nimmt zur Kenntnis, dass sich das BMWK nachhaltigen Wettbewerb auf die Fahnen geschrieben hat und auch die neuen Horizontalleitlinien der EU-Kommission ESG-Kooperationen adressieren. Beim Thema Verbraucherschutz, der durch die Novelle gestärkt werden soll, erzählte Herr Mundt von seiner kafkaesken, mehrtägigen Telefon-Odyssee, um einen Flug zu stornieren, die ihn über verschiedene Callcenter bis nach Phoenix, Arizona, geführt habe. Auf dem Portal könne man alles machen – nur nicht stornieren. Diese Story wird einige daran erinnert haben, wie Herr Mundt mal ein Hotelzimmer nicht zu einem günstigeren Preis vor Ort verlängern konnte als auf einer Buchungsplattform. Der Rest ist (Kartellrechts-) Geschichte.  Flugbuchungsportalbetreibern darf wohl geraten sein, sich schonmal nach geeignetem Rechtsbeistand umzusehen.

Die Pläne, die Aufgreifschwellen für die Zusammenschlusskontrolle weiterabzusenken, heißt das Amt nicht gut. Letztes Jahr habe das Amt weniger als 800 Anmeldungen geprüft, ein Rückgang von 40%. Eine weitere Absenkung sei keine Entlastung für den Mittelstand, sondern spiele nur den Großen in die Karten. (Puhhh – ein Stoßseufzer der Erleichterung ging durch den Saal voller Menschen, die ihren Wein (s.o.) u.a. mit dem Schreiben von Zusammenschlusskontrollanmeldungen verdienen). 

 

Digital Cartel Busters

Dann streifte der Präsident in seiner kurzweiligen Rede noch eine Reihe weiterer Themen, die immer gehen: Deutsche Bahn („Nein, die Bahn wird nicht zerschlagen, auch wenn die Bild das sagt, aber ein bisschen mehr Wettbewerb wäre schön.“); dieses Internet, von dem jetzt alle reden (Apple, Amazon, und Google – Verfahren anhängig) und – natürlich – Digitalisierung. So hätten 50% der Kollegen auf eAkte umgestellt (werden Bonner Aktenwagen bald eBay als „Vintage Barwagen“ fluten?). IT-basiertes Marktscreening scheint das Ding der Stunde zu sein. Leider wollte sich der oberste Kartellverfolger auch auf Nachfrage nicht in seine digitale Trickkiste schauen lassen. Die Behörde braucht zusehends solche ominösen High-Tech Tools wie aus der Requisite von Minority Report auch deshalb, weil Kronzeugenanträge weiter abnehmen (2023 waren es immerhin 14): Nur noch weniger als 50 % der Verfahren gehen auf sie zurück.

Abschließend berichtete Herr Mundt kurz vom International Competition Network, als dessen Vorsitzender er im Amt abermals bestätigt wurde (er versichert „zum letzten Mal“, aber das sagen Präsidenten ja oft). Dort werden derzeit so diverse Themen wie Competition & Agriculture/Food (Federführung Kenia) und AI besprochen. Letzteres sei auch gerade drei Tage lang beim Treffen der Wettbewerbsrechts-Arbeitsgruppe der G7 in Tokyo Thema gewesen (u.a. der Microsoft/OpenAI Deal). An dieser Stelle blickte womöglich der Partner, der am Vorabend noch tiefbesorgt berichtet hatte, sein HON-Circle Status stehe auf der Kippe („Corona-Nachwehen“), neidisch zum Podium hoch. Der Mundt, der kommt echt noch rum.

 

 

SIECen und Verlieren

Im Anschluss an Herrn Mundt durfte Thomas Wessely (Freshfields) erläutern, warum er im Verfahren CK Telecoms zu Unrecht „mit wehenden Fahnen untergegangen“ (Eigenwerbung) sei. Der Fall war ein klassischer 4-3 Merger im Bereich Mobilfunk. Im Kern ging es um die Frage, ob durch den Zusammenschluss ein Significant Impediment of Effective Competition (SIEC) begründet würde. Herr Wessely wies auf eine Reihe von Unzulänglichkeiten in der Beweisführung und Argumentation von Kommission und EuGH hin. Letztlich drohe mit der aktuellen Rechtsprechung eine völlige Konturlosigkeit des SIEC-Tests. Teil des SIEC-Tests ist, ob durch den Zusammenschluss eine „wichtige Wettbewerbskraft“ wegfällt. Mit der EuGH-Rechtsprechung ist nun nicht mehr erforderlich, dass sich die wichtige Wettbewerbskraft von anderen Wettbewerbern abhebt. Damit sei also eine „wichtige Wettbewerbskraft“ nicht mehr nur der nächste oder übernächste Wettbewerber, sondern in der Tat sogar auch der entfernteste Wettbewerber. Es sei darüber hinaus ausreichend, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung nur „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ sei – was angesichts der erheblichen Eingriffsintensität problematisch sei, so Wessely. 

Linda Gratz (E.CA Economics) ergänzte die Ausführungen in ihrem Vortrag aus ökonomischer Sicht, insbesondere hinsichtlich der mangelnden Berücksichtigung von ganz erheblichen Effizienzen durch die Kommission, die der Zusammenschluss gebracht hätte. Dem hielt Prof. Daniel Zimmer (Uni Bonn) entgegen, dass zweifelhaft sei, ob Fixkostenersparnisse an die Verbraucher weitergegeben würden.

Wenig überraschend begrüßte Silke Hossenfelder vom Bundeskartellamt die Entscheidung; das EuG habe den SIEC-Test unanwendbar gemacht. Das habe der EuGH geradegerückt. Im Oligopol seien nun mal alle Wettbewerber wichtig. Böte sich da der Einfachheit halber nicht an, GWB und FKVO entsprechend zu ergänzen: „Zusammenschlüsse in Märkten mit weniger als fünf Anbietern sind verboten.“? 

 

Schiri, wir wissen, wo dein Urteil vollstreckt wird

Der für viele im Saal etwas missliche Rückgang von Zusammenschlusskontrollverfahren (s.o.) lässt neue Betätigungsfelder attraktiv erscheinen – zum Beispiel als kartellrechtliche hired gun in internationalen oder nationalen Schiedsverfahren. Denn wie Stefan Ohlhoff (WilmerHale) in seinem Vortrag prägnant darstellte, wird die kartellrechtliche Beratung vor Schiedsgerichten nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Basaltsteinbruch-Entscheidung immer wichtiger. Dabei stellen sich eine Reihe interessanter Rechtsfragen, beispielsweise ob jeder Verstoß gegen deutsches Kartellrecht zugleich einen Verstoß gegen den ordre public darstellt (ne, nur die dicken Dinger) und wie sich eine weitreichende Überprüfung durch ordentliche Gerichte mit Gänse-Fond mit dem Verbot der revision au fond verträgt (nur die dicken Dinger). Schließlich droht ein positiver Schiedsspruch wertlos (aber keinesfalls kostenlos) zu werden, wenn er nicht vollstreckt werden kann. Dieses relevante Risiko ist bereits im nationalen und internationalen Schiedsverfahren zu berücksichtigen. Denn entscheidend ist was hinten, also ganz hinten (bei der Vollstreckung) rauskommt. Der Vorsitzende Richter am BGH Prof. Wolfgang Kirchhoff unterstrich die Wichtigkeit des Kartellrechts im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit noch einmal. und Dazu herrsche im BGH mittlerweile Einigkeit („da passt kein Blatt zwischen die Senate“). Das dürfte für die Anwesenden aus Wissenschaft (aka expert witnesses) und Anwaltschaft gleichermaßen eine gute Nachricht gewesen sein.

 

Rascheln im kartellrechtlichen Blätterwald

Zum Abschluss gab Donata Beck (Oppenländer) einen Überblick die neuesten Entscheidungen im Bereich der Pressefusionen – just am Tag zuvor hatte das OLG Düsseldorf die Kartellamtsfreigabe der Kooperation von BCN und Funke bestätigt. „Zurückhaltend, kritisch, fokussiert“ sei die Praxis des Amtes in diesem Bereich. Wegen der besonderen Bedeutung des Pressewesens für die demokratische Willensbildung sind die Aufgreifschwellen in diesem Bereich wesentlich niedriger. Hier handelt es sich bekanntlich um klassische zweiseitige Märkte (Leser / Anzeigen) und auf beiden Seiten ist die Bestimmung der relevanten Märkte nicht ganz einfach. Sind etwa Print- und online-Ausgaben derselben Zeitung demselben Markt zuzurechnen? Tatsächlich grenzt das Amt sehr kleinteilig ab. Der Berichterstatter aus dem Bundeskartellamt bestätigte, dass man wegen der Wichtigkeit einer vielfältigen Presselandschaft genau hinsehe, gerade um auf kommunaler Ebene eine linientreue Haus- und Hofberichterstattung zu verhindern. Allerdings wäre es angesichts der wirtschaftlichen Nöte, in denen sich gerade regionale oder lokale Printmedien befinden, sicherlich sinnvoll, Kooperationen sowohl im redaktionellen als auch im Vermarktungsbereich offener gegenüberzustehen. Konsolidierungen seien unvermeidbar, gerade auf der lokalen Ebene, so Frau Beck.

Am Ende ergriff noch einmal Ingo Brinker das Wort und verabschiedete alle in eine entspannte Vorweihnachtszeit. Wie immer war es ein rundum erfüllender Tag der Diskurse und Denkanstöße mit einer gehörigen Portion geradezu familiärer Verbundenheit zwischen denen, die dem Kartellrecht verbunden sind. 

 

Dr. Johannes Weichbrodt, LL.M. (King’s College London) ist Rechtsanwalt und Partner bei Mayer Brown, Düsseldorf.

Fotos vom Treffen hat Adrian Deuschle zur Verfügung gestellt.

 

In unserem AI Antitrust Advent Calendar war das Treffen der Studienvereinigung auch Thema. Alle Türchen hier.

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