SSNIPpets (29): Das Kind braucht einen Namen

SSNIPpets (29): Das Kind braucht einen Namen

In der Pfingstwoche ist Deutschland immer so ein bisschen im Urlaubsmodus – erst recht, wenn das Wetter ist, wie es ist. Rupprecht Podszun allerdings passt bei jeder Witterung auf wie ein Luchs, auf dass uns die schönsten Meldungen des Kartellrechts nicht untergehen. Heute nimmt er in seinen SSNIPpets eine Auslobung vor, sprich: Es gibt etwas zu gewinnen! Lesen Sie selbst – und machen Sie mit. Hier sind die SSNIPpets – small but significant news, information and pleasantries – unser pet project!

There is an English translation of this text. You may find it by clicking the flag!

Die Rehabilitation des Brett Kavanaugh

Brett Kavanaugh ist bei uns auf Bewährung. Sie erinnern sich: Das ist der US-Supreme Court-Richter, der vor seiner Berufung bezichtigt wurde, vor vielen Jahren grob zu einer Frau gewesen zu sein. Das konnte nicht erwiesen werden, sein Verhalten bei der dazugehörigen Befragung im Senat war aber eine solche Mischung aus nervender Larmoyanz, kindischer Rechthaberei und unflätiger Aggressivität, dass zivilisierte Kontinentaleuropäer nur denken konnten: Gosh! Richter am Supreme Court wurde er dennoch, auf Trumps Gnaden, und jetzt hat er ein Urteil gesprochen.

Und dieses Urteil ist richtig gut! Kavanaugh brachte u.a. Ruth Bader Ginsburg und Stephen Breyer hinter sich (die dissenting opinion – es war eine 5:4-Entscheidung – formulierte der andere Trump-Nominee Neil Gorsuch). Hintergrund der Sache Apple v Pepper ist das Verhalten von Apple, 30 % (!) der Einnahmen von App-Anbietern zu verlangen, wenn diese Apps auf dem iPhone zur Verfügung stellen. Dagegen hat sich eine Class Action formiert, die Apples Preispolitik für eine Kartellrechtsverletzung hält: In einem Wettbewerbsmarkt wäre es Apple nicht geglückt, so die Argumentation, eine solche Abgabe durchzusetzen, der Preis für Konsumenten ist daher überhöht. Sie verlangen Schadensersatz.

Apple v Pepper oder: Die Entdeckung des Ausbeutungsmissbrauchs

Die Frage, über die der Supreme Court zu entscheiden hatte, war: Haben die Endverbraucher überhaupt Standing für eine solche Klage oder können, wie es der Präzedenzfall Illinois Brick aus dem Jahr 1977 nahelegt, nur die App-Anbieter dagegen klagen? Kavanaugh & Co. sagen:

“A claim that a monopolistic retailer (here, Apple) has used its monopoly to overcharge consumers is a classic antitrust claim.”

Daran haben wir nie gezweifelt. Und Kavanaugh fährt fort, indem er wie selbstverständlich den Monopolisierungstatbestand in section 2 Sherman Act zitiert. Ich rieb mir bei Lektüre der Entscheidung kurz die Augen, denn bei mir hatte sich bislang der Eindruck festgesetzt, in den USA werde der Ausbeutungsmissbrauch in erster Linie als Verirrung derjenigen Europäer angesehen, die noch Reste sozialistischen Plandenkens im Kopf haben. Vielleicht sollte ich mehr auf oberste Richter statt auf chicagoisierte Professoren hören.

Ohne viel Federlesens wird dann auch noch die Grundlage gelegt, um Apple Marktmacht zuzuweisen:

“By contract and through technological limitations, the App Store is the only place where iPhone owners may lawfully buy apps.”

Etwas später in der Entscheidung heißt es relativ unumwunden: Apple ist gegenüber Verbrauchern Monopolist, gegenüber App-Entwicklern Monopsonist.

Immerhin: Lob für die Anwälte

Dürfen die Verbraucher also klagen? – Natürlich! Es liest sich so, als müsse er kleinen Kindern zum hundertsten Mal erklären, warum sie an apple a day essen müssen (keeps the doctor away!). Aber für diesen Erkläraufwand gibt es auch einen Grund, nämlich gute Anwälte auf Apples Seite:

“All of that seems simple enough. But Apple argues strenuously against that seemingly simple conclusion (…)”.

Strenuously, ich habe es noch einmal nachgesehen, heißt tüchtig, eifrig, anstrengend, energisch. Das darf man wohl als Kompliment für die Jungs von Latham Watkins ansehen, die Apple in dieser Sache vertreten. Genutzt hat es am Ende nichts:

“We decline to green-light monopolistic retailers to exploit their market position in that way. We refuse to rubber-stamp such a blatant evasion of statutory text and judicial precedent.”

Starke Worte. Der Fall geht zurück in die Instanzen, es ging ja erst einmal nur um das Standing. Wie das so ist, die dissenting opinion liest sich auch gut, und das ist vielleicht gar kein Wunder, denn letztlich handelt es sich beim App Store um eine Plattform, mit der wir uns halt konzeptionell immer noch schwer tun. Mit Kavanaugh aber tun wir uns jetzt ein klitzekleines bisschen leichter.

Silicon Valley in Hab-Acht-Stellung

Die Luft im Silicon Valley wird, kartellrechtlich gesehen, ohnehin dünner. Google bietet offenbar inzwischen ein Auswahlmenü an, um den Forderungen der EU-Kommission nachzukommen. Die Behörden in den USA, nicht nur die Gerichte, werden kritischer. FTC und DoJ sollen offenbar kartellrechtliche Untersuchungen vornehmen. Da wir bei den USA aber derzeit nicht so ganz genau wissen, wo wir dran sind, wenden wir uns lieber einem Hort der Stabilität und Zuverlässigkeit zu: dem Vereinigten Königreich.

Die britische Premierministerin hat in einer Rede zur Eröffnung der London Tech Week angekündigt, den spannendsten Vorschlag aus dem Furman Report umzusetzen. Der Furman Report, über den Adrian Deuschle hier berichtet hat, ist der britische Bericht zur Ordnung des Wettbewerbs in digitalen Zeiten. Und die Autoren hatten eine Digital Markets Unit vorgeschlagen – eine institutionelle Lösung zur Umgehung der zahlreichen materiellen Unklarheiten. Die soll kommen, sagt, nun ja, Theresa May.

Merkel und das Prüfungsraster der Fusionskontrolle

Die deutsche Regierungschefin hat sich auch zum Kartellrecht geäußert. Und zwar beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Das war kein einfacher Termin für die Kanzlerin, Wirtschaftspolitik gilt ja eh nicht als ihre Lieblingsmaterie, BDI-Präsident Dieter Kempf ging sie frontal an, und dann musste Merkel auch noch den Namen der estnischen Staatspräsidentin aussprechen, wobei sie gleich nachschob, dass sie hoffe, sie habe den Namen Kaljulaid „einigermaßen ausgesprochen“.

(Ein Schelm wer denkt, dieser Einschub (hier bei Minute 7:30) könnte vielleicht einen kleinen Subtext haben im Sinne von: Wer ist das nochmal, die estnische Staatspräsidentin? Immerhin hatte Frau Kaljulaid kürzlich dem Spiegel ein Interview gegeben, in dem sehr greifbar wurde, wie weit Estland in Sachen Innovation und Digitalisierung ist…)

Die Kanzlerin
Freude: Angela Merkel beim 20-jährigen Jubiläum der BNetzA (D’Kart-Archivbild).

Nun aber Merkel zum Kartellrecht:

„Ich komme noch einmal zurück zu den europäischen Champions und der Frage – und da stimmen wir ja auch wieder überein –, wie unser Wettbewerbsrecht in Europa ausgerichtet ist. Wenn die Marktbetrachtung so bleibt, wie sie ist, und wenn weiter jeder potenzielle Wettbewerber gefragt wird, ob er es gut findet, wenn sich zwei andere zusammenschließen, und das Urteil dieses Wettbewerbers den Ausschlag gibt und anschließend gesagt wird, es hätte ja noch kein außereuropäisches Interesse an einem bestimmten Sektor gegeben und das würde in den nächsten fünf Jahren auch nicht passieren, dann wundert man sich manchmal, wie die Urteilsfindung stattfindet.“

Es geht natürlich um die Untersagung von Siemens/Alstom, und es geht um China. Fun fact: Merkels ökonomischer Berater Lars-Hendrik Röller fand noch 2006 in einem Paper, das er mit Tomaso Duso und Damien Neven verfasste:

„In particular, there is no support in our data for the claim that “the Commission listens too much to competitors, at the expense of consumer interests”.“

Laitenbergers Jobwechsel

Aufmerksame Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, dass wir ein Faible für Johannes Laitenberger haben, den Generaldirektor Wettbewerb der Kommission. Die nächste Nachricht vermelden wir daher mit einem weinenden und einem lachenden Auge: Laitenberger wechselt ans Europäische Gericht. (Alfred Dittrichs Amtszeit endet. Mit Laitenberger kommt als weitere deutsche Vertreterin Gabriele Steinfatt, bislang OVG Bremen, ans EuG.)

Panel with the most powerful man in competition policy.

Laitenbergers Abschied aus der Wettbewerbswelt zum 1.9.2019 ist bedauerlich. Unser Eindruck von außen: Als „General“ managt er die Generaldirektion effizient, vertritt die Sache des Wettbewerbs nüchtern, aber engagiert, und hält Augenmaß bei der Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips. Auf den ersten Blick wirkt Laitenberger, von dem es heißt, er sei einer der drei mächtigsten Deutschen in Brüssel, wie der gestrenge deutsche Jurist, aber wer ihn öfter erlebt, kennt seinen Schalk und seine Herzlichkeit. Schade, dass er geht, aber – und insofern haben wir auch ein lachendes Auge – beim EuG braucht’s auch kundige Leute.

Mitmachen! Mitgewinnen!

Jetzt zu einem Wettbewerb, zu einer Competition: In Berlin ist es ja üblich geworden, neuen Gesetzen einen knalligen, verkaufsförderlichen Titel zu verpassen: „Gute-Kita-Gesetz“, „Starke-Familien-Gesetz“, „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. So ne Sachen halt. Die Politik erkennt die Kraft des Framings. Man kann das kritisieren. Man kann das für kindisch halten. Man kann in allgemeinen Kulturpessimismus ausbrechen.

Aber wir nicht. Wir sind Pragmatiker, wir nehmen, was kommt, etwas anderes kriegen wir ja auch gar nicht. Gesucht wird daher ein Name für unser nächstes Gesetz, also das, was wir in altmodischer Gewohnheit als „10. GWB-Novelle“ apostrophieren. Der Referentenentwurf ist in intensiver Vorbereitung. Aber „10. GWB-Novelle“ in der Tagesschau, das hat einfach wenig appeal. Wer soll sich dafür begeistern können? Datt Kind braucht einen marktfähigen Namen! Und da zählen wir auf Sie, liebe Leserinnen und Leser:

Bitte schreiben Sie einen Namensvorschlag für die 10. GWB-Novelle als Kommentar unter diesen Post oder senden Sie uns eine Mail an team(at)d-kart.de!

Es gibt etwas zu GEWINNEN: Für den besten Vorschlag setzen wir ein kartellrechtliches D’Kart-T-Shirt aus. Jede/r kann mitmachen. Es entscheidet die D’Kart-Fachjury. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Auf geht’s!

Und noch ein Hinweis: Der Vorschlag „Fairer-Wettbewerb-Gesetz“ ist schon vergeben – unter diesem Label läuft die Einschränkung von Abmahnungen im UWG.

Car-tell

Sie wissen ja, dass es den Verdacht gibt, dass Mitarbeiter/innen der deutschen Autohersteller, darunter BMW und Daimler, über Jahre in so vielen Gremien zusammensaßen, dass sie gar keine Zeit mehr dafür hatten, eigenständig innovativ zu sein. Wir Wissenschaftler haben dafür vollstes Verständnis: Unsere Forschungen werden ja in erster Linie lahmgelegt, indem wir bloggen in mehr oder weniger sinnlose Gremiensitzungen verpflichtet werden. Aber das ist ein anderes Thema.

BMW erinnerte zum Abschied von Daimler-Chef Dieter Zetsche (Turnschuhe, Walross-Schnurrbart) daran, wie herzlich kompetitiv das Verhältnis der beiden Unternehmen ist. Verflogen ist all der Ärger über Kronzeugenanträge und solche Kleinigkeiten. Wettbewerb, das ist der Motor der deutschen Autoindustrie. Schauen Sie selbst! Ich hab gelacht.

Schönes Wochenende – und viel Erfolg bei unserer Knalliger-Gesetzesname-Auslobung!

11 Gedanken zu „SSNIPpets (29): Das Kind braucht einen Namen

  1. „Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig“-Gesetz bietet sich an. Wobei „Schiller-Act“ als germanisierte Version des Sherman Acts sicher auch machbar wäre.

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