Furman Report: Ein digitales Kartellrecht Ihrer Majestät

Furman Report: Ein digitales Kartellrecht Ihrer Majestät

Während das Vereinigte Königreich einem #HardBrexit entkommen will und sich mit einer #Brextension anfreundet, wurde am 13. März 2019 der Abschlussbericht des „Digital Competition Expert Panel“ unter Leitung von Jason Furman, dem ehemaligen Chefökonom unter Barack Obama, veröffentlicht. Die Briten legen damit zum Teil weitreichende Vorschläge für ein neues Digitalkartellrecht vor. Adrian Deuschle hat den Furman Report gelesen.

Wie steht es denn um die Digitalwirtschaft?

Im ersten Kapitel werden die Geschäftsmodelle von Online-Plattformen, insbesondere die Unentgeltlichkeit der Dienstleistungen für die Verbraucher und die Wichtigkeit von Daten für dieses Geschäftsmodell dargestellt.

Das ist nicht besonders neu, gehört aber dazu. Übrigens: Das Expert Panel, das dem Report den schönen Titel „Unlocking digital competition“ gegeben hat, setzt sich zusammen aus Harvard-Professor James Furman, Cambridge-Professorin Diane Coyle, Amelia Fletcher, Professorin an der University of East Anglia, Professor Andrew McAuly, Experte für IT-Ökonomie von der Uni Nottingham, und Professor Philip Marsden (CMA, Bank of England, College of Europe), der sich auf Twitter als „Antitrust Marathoner, Competition Flaneur“ ausweist und natürlich für seine Kritik am Hipster Antitrust bekannt ist.

Die zunehmende Machtkonzentration auf den Märkten für Online-Suche, Social Media, digitale Werbung, Handybetriebssysteme, sowie der digitalen Ökonomie im Allgemeinen stellt wohl das größte Problem dar. Verantwortlich dafür sind Skaleneffekte, der Vorteil der Marktführer durch die generierten Datenmengen, direkte und indirekte Netzwerkeffekte, die begrenzte Möglichkeit von multi-homing und die deep pockets der großen Player. Die meisten dieser Merkmale treten nicht nur in der digitalen Ökonomie auf, aber ihre dortige Kombination führt zu einer Konzentration auf einige dominante Marktteilnehmer. Allerdings ist die digitale Ökonomie auch schneller und flexibler Markt, sodass Wettbewerb um den Markt zu guter Qualität, niedrigen Preisen und Innovationen führen könnte. So wie damals Facebook MySpace, Google Yahoo und Apple Nokia verdrängt haben, könnte den Marktbeherrschern auf den Tech-Märkten die ständige Ablösung durch innovative Start-Ups drohen.

Werden die Marktanteile von MAGAF also bald von allein wieder schwinden?

Das ist laut Bericht unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu den frühen Marktführern auf dem Tech-Markt haben sich die Bedingungen verändert. Dafür sprechen schon die Dauer und das Ausmaß der Vorherrschaft von MAGAF. Zudem hatte die Sammlung von Nutzerdaten früher einen geringeren Stellenwert und das Ökosystem war ein anderes. Nokia hatte damals noch keinen Appstore, bei dem das Unternehmen 30 % der generierten Umsätze vereinnahmen konnte. Außerdem haben die Unternehmen angeblich eine „Killzone“ geschaffen, in der alle innovativen Unternehmen, deren Geschäftsmodelle MAGAF bedrohen, einfach aufgekauft oder aggressiv vom Markt verdrängt werden.

Was da wieder alles in die Höhe geschossen ist!
Ach, London.

Die Konzentration hat laut Report viele negative Auswirkungen für Verbraucher und für Unternehmen auf nachgelagerten Märkten. Auch wenn den Verbrauchern teilweise „kostenlose“ Leistungen angeboten werden, so zahlen sie diesen Preis zunächst mit der unwirksamen Einwilligung in die Nutzung sämtlicher Daten und dann mit höheren Preisen auf anderen Märkten (wenn die Unternehmen mehr Geld für Werbung ausgeben, schlägt sich das in den Verkaufspreisen ihrer Produkte nieder, die letztlich von den Verbrauchern bezahlt werden). Etwas differenzierter sind die Auswirkungen auf Innovationen zu betrachten. Der Aufkauf durch die „big five“ mag für viele Start-Ups lukrativ sein und sie zu Innovationen ermuntern. Allerdings führen die „killer acquisitions“ dazu, dass nur bestimmte Innovationen gefördert werden. Nämlich Innovationen, die den Status quo lediglich ergänzen. Diese haben wahrscheinlich den höchsten Payoff, während grundlegende disruptive technische Erneuerungen allerhöchstens aufgekauft werden, um dann stillgelegt zu werden.

Wie soll das UK-Kartellrecht für die digitale Ökonomie aussehen?

Der Bericht stellt zunächst ein Defizit auf Ebene der Fusionskontrolle fest. So haben die MAGAF im letzten Jahrzehnt global über 400 Übernahmen getätigt, davon 250 in den letzten fünf Jahren. Keine dieser Übernahmen wurde bei der CMA freiwillig angemeldet (im Vereinigten Königreich müssen Zusammenschlüsse nicht angemeldet werden). Nicht eine Übernahme wurde in dieser Zeit verboten oder wenigstens unter Auflagen genehmigt. Die CMA überwacht alle nicht angemeldeten Übernahmen und hat in 30 Fällen eine Überprüfung in Betracht gezogen, aber alle Übernahmen in Phase 1 genehmigt, zuletzt geschehen bei der Übernahme von Waze durch Google (Motorola Mobility). So sieht jedenfalls keine wirksame Verhinderung von „killer acquisitions“ aus.

An der Aufgreifschwelle von Fusionskontrollverfahren liegt dies jedenfalls nicht. Das UK fährt hier eine zweigleisige Strategie: Zum einen können Verfahren aufgenommen werden, wenn das zu übernehmende Unternehmen einen gewissen Umsatz erreicht; zum anderen wenn die Unternehmen nach der Fusion einen Marktanteil von mindestens 25 % auf dem britischen Markt erreichen. Durch den „share of supply test“ bleibt das Kriterium relativ flexibel, wodurch das UK einer der wenigen EU-Mitgliedstaaten war, unter deren Regime Facebook/Whatsapp hätte aufgegriffen werden können. Eine dem § 35 Abs. 1a Nr. 3 GWB vergleichbare Regelung muss also nicht eingeführt werden. Vielmehr soll das CMA in Zukunft die Überprüfung von Übernahmen auf digitalen Märkten priorisieren. Außerdem sollen Digitalunternehmen mit einem „strategischen Marktstatus“ (dazu gleich mehr) verpflichtet werden, der CMA alle geplanten Übernahmen anzumelden. Zudem sollen die Merger Assessment Guidelines, zuletzt 2010 aktualisiert, überprüft und an das digitale Zeitalter angepasst werden.

Und was ist mit den theories of harm in der Fusionskontrolle?

Um eine Übernahme zu verhindern, muss das CMA ein „substantial lessening of competition“ feststellen. Eine solche Wettbewerbsminderung muss danach wahrscheinlicher sein als keine Einschränkung des Wettbewerbs. Dieser Nachweis gestaltet sich in der Praxis sehr schwierig. Laut dem Bericht ist dieser Test nicht dazu geeignet, killer acquisitions in Zukunft effektiv zu verhindern. Der Furman Report schlägt einen neuen „balance of harms approach“ vor, der nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Auswirkung auf den Wettbewerb gewichtet, sondern auch das Ausmaß der möglichen Einwirkung auf den Wettbewerb. Wenn es also nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Wettbewerb eingeschränkt wird, aber die Einschränkung, sofern sie denn eintritt, den Wettbewerb sehr stark beschränken würde, könnte eine Übernahme trotzdem untersagt werden. Das wäre also restriktiver und flexibler.

Unlocking digital competition!
Das Cover des Furman Report.

Am Beispiel der Übernahme von Instagram durch Facebook, die damals in Phase 1 genehmigt wurde, zeigt der Bericht wie dieses neue Tool wirken könnte. Damals war es vielleicht nicht wahrscheinlicher, dass die Übernahme den Wettbewerb einschränkt, aber wenn Instagram sich als ein zukünftiger Konkurrent entwickeln sollte, hätte die Übernahme eine besonders starke Einwirkung auf den zukünftigen Wettbewerb gehabt. (Dies alles macht der Bericht selbstverständlich, ohne die alte Entscheidung zu kritisieren und ohne eine konkrete Voraussage zu geben, wie der Fall mit dem neuen Approach zu entscheiden wäre.)

Als Alternative wird noch die Einführung einer widerleglichen Vermutung angeführt, wonach jede Übernahme durch große digitale Firmen als antikompetitiv eingestuft wird, solange nicht das Gegenteil nachgewiesen wird. Durch die widerlegliche Vermutung hätte man den schwarzen Peter des ökonomischen Nachweises erstmal zu den Internetgiganten geschoben. Das wäre ein krasser Systemwechsel – und wohl zu radikal. Ein Rückgriff auf den von der EU-Kommission genutzten SIEC-Test wird von dem Bericht abgelehnt, da auch auf der EU-Ebene ein Defizit von digitalen Übernahmen bestehe und der Test keinen wesentlichen Vorteil zum jetzigen Test habe.

Soviel zur Fusionskontrolle. Und was ist mit Missbrauchs- und Kartellrecht?

Hier geht es vor allem darum, das Kartellrecht schneller zu machen. So sollen einstweilige Maßnahmen erleichtert werden. Die Befugnis dazu hat die CMA schon lange und 2014 wurde diese sogar ausgeweitet. Allerdings fristet diese Befugnis, wie auch § 32a GWB und Art. 8 VO 1/2003, eher ein Schattendasein. Der Bericht schlägt vor, in Zukunft häufiger Gebrauch von dieser Befugnis zu machen. Als wesentlicher Grund für die fehlende Anwendung wird die rechtliche Verpflichtung, den Unternehmen im Falle einer einstweiligen Maßnahme Zugang zu fallrelevanten Informationen zu gewähren, gesehen. Dazu soll dieser Zugang auf die nötigsten Informationen reduziert werden. Wenn dies unter dem geltenden Recht nicht geht, soll die Rechtslage angepasst werden.

Zudem sollen die Einspruchsrechte eingeschränkt werden. Nach geltendem Recht gibt es laut Bericht einen Anreiz, Einspruch gegen die Entscheidungen der CMA einzulegen, da eine vollständige Überprüfung der Entscheidung („full merits review“) in der Beschwerdeinstanz möglich ist. Diese Beschwerdemöglichkeit soll in Zukunft auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften, wesentliche Fehler tatsächlicher oder rechtlicher Art und die Angemessenheit der Entscheidung begrenzt werden. Außerdem schlägt der Bericht vor, konsequent Verstöße gegen das Verbraucherrecht auf digitalen Märkten zu sanktionieren und den Einsatz von Algorithmen und maschinellem Lernen zu überwachen. Weiterhin wird eine Marktstudie auf dem digitalen Werbemarkt vorgeschlagen.

Wird es eine Reform des Gesetzes geben?

Der Bericht geht einen anderen Weg. Vorgeschlagen wird die Einführung einer pro-kompetitiven „Digital Markets Unit“. Der Bericht geht davon aus, dass traditionelles Kartellrecht zwar wichtig ist für den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft, seine Wirkungen aber durch seine ex post-Wirkung begrenzt sind. Das Kartellrecht sei zu langsam, und beziehe sich immer nur auf spezifische Einzelfälle. Der Bericht verfolgt daher einen Ansatz, der nicht erst auf Missbrauch reagiert, sondern ex ante Voraussetzungen schafft, die einen solchen verhindern.

Dazu soll die neue Einheit einen Katalog führen mit allen Firmen, die einen „strategischen Marktstatus“ haben. Darunter fallen dominante Plattformen, die aufgrund ihrer Marktmacht die Kontrolle über den Zugang zu ihrer Plattform haben und in der Lage sind, besonders hohe Margen zu verlangen. Im Kern soll die Einheit drei Funktionen übernehmen. Zunächst soll sie einen Verhaltenskodex für Unternehmen mit „strategischem Marktstatus“ erarbeiten. Dieser Kodex soll mit den Plattformunternehmen und allen beteiligten Interessenkreisen zusammen erarbeitet werden. Die Bußen bei einem Verstoß gegen diese Regeln sollen „extrem hoch“ sein, damit sie auch wirklich das Verhalten der großen Plattformen beeinflussen können. Die Einhaltung des Verhaltenskodexes soll von der neuen Markteinheit überwacht und durchgesetzt werden. Anhand einer Case Study, nachgebildet dem Google Shopping Fall der Europäischen Kommission, zeigt der Bericht, wie die neue Einheit den Verhaltenskodex umsetzen würde.

Welche Funktionen hat die Einheit noch?

Darüber hinaus soll die Einheit dafür sorgen, dass von den Plattformen die Portabilität persönlicher Daten gewährleistet wird – vom Facebook-Profil über den Whatsapp-Chatverlauf bis zur Amazon-Kaufhistorie. Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass die großen Plattformen ihren wertvollen Datenschatz den Nutzern freiwillig zur Verfügung stellen. Dieses Recht gewährt nicht einmal die DSGVO (die ja vermutlich ohnehin den großen Plattformunternehmen zu Gute kommt, da kleine innovative Start-Ups sich jetzt an Spielregeln halten müssen, die noch nicht in Kraft waren, als die großen Plattformen geboren wurden. Das würde auch erklären, warum jetzt sogar in Kalifornien mit dem CCPA eine der DSGVO vergleichbare Regelung eingeführt wird). Zudem könnte die technische Umsetzung der Datenmobilität unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards und der Einhaltung aller Rechtsvorschriften Schwierigkeiten bereiten.

Die Regierung soll freiwillige Projekte wie das Data Transfer Project von Google, Microsoft und Twitter fördern, aber gleichzeitig in anderen Bereichen vergleichbare bzw. noch schnellere und ambitionierte Aktionen verwirklichen. Als positives Beispiel für solche Aktionen wird das von der CMA eingeführte Open Banking System angeführt.

Außerdem soll die digitale Einheit dafür sorgen, dass Open Standards wie http, SMTP oder IMAP gefördert und ausgebaut werden. In diesem Ökosystem sollen Wettbewerb und Innovationen wieder florieren. Aus diesem Grund soll die digitale Einheit die Nutzung von Open Standards vorschreiben können, wenn diese in der konkreten Situation zu dem besten Marktergebnis führen. Die Einheit soll zudem ein Werkzeug bekommen, um die Datenschätze der großen Unternehmen für Drittanbieter zu öffnen. Damit sollen die Markteintrittsbarrieren und die Bottleneck-Position der Marktbeherrscher angegriffen werden. Dieser Eingriff steht den Behörden aber als signifikanter Eingriff in den Wettbewerb nur als letztes Mittel zur Verfügung.

Welche institutionelle Stellung soll die „Digital Markets Unit“ einnehmen?

Um die genannten Funktionen voll ausüben zu können, muss die Einheit neu etabliert und mit eigenen Kompetenzen ausgestattet werden. Für den institutionellen Rahmen werden verschiedene Varianten vorgeschlagen. Zum einen eine völlig neue unabhängige Behörde, mit eigenen Rechten, maximaler Unabhängigkeit und Fokus auf die digitale Ökonomie. Alternative könnte man die Unit auch Ofcom oder CMA unterstellen. Schließlich wird eine rechtlich unabhängige Tochtergesellschaft der CMA oder Ofcom mit eigenem Vorstand und CEO vorgeschlagen. Die Entscheidung soll die Regierung treffen. Alle 3-5 Jahre soll die Einheit einen Statusbericht über die Märkte und die Unternehmen mit strategischer Marktposition erstellen.

Das UK wird also MAGAF jetzt allein in die Knie zwingen?

Nein. Die Machtkonzentration in der Digitalwirtschaft ist ein globales Problem. Deshalb braucht es zusätzlich auch eine internationale Agenda. Daher sollte sich die Regierung an weltweiten Initiativen beteiligen, in denen Kartellbehörden ihre Methoden austauschen und ein gemeinsames Vorgehen entwickeln. Die verschiedenen Jurisdiktionen sollten dabei verglichen, bewertet und gegebenenfalls an die digitale Ökonomie angepasst werden. Dabei sollten die bestehenden flexiblen Kompetenzen zur Durchführung von Marktstudien und Untersuchungen beworben werden, damit auch andere Länder von der Einführung dieser Befugnisse profitieren können. Zudem sollte sich das UK dafür einsetzen, dass Patentrechte nicht auf Bereiche der digitalen Ökonomie ausgeweitet werden, wo sie bisher nicht anwendbar waren. Das drohende „Patentdickicht“ könnte in der Digitalwirtschaft Märkte verschließen und Innovationen hemmen. Die oben dargestellte Open Markets Unit sollte genutzt werden, um pro-kompetitive ex ante Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs international zu verbreiten.

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