Conference Debriefing (37): 6. Offenes Doktorandenseminar

Conference Debriefing (37): 6. Offenes Doktorandenseminar

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Zitiervorschlag: Bukpiev/Zwilling, DKartJ 2023, 67-70

Auch dieses Jahr lud das Institut für Kartellrecht (IKartR) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum kartellrechtlichen Doktorandenseminar. Am 11. und 12. September versammelten sich zahlreiche Namen aus der Kartellrechts-Community für einen fachlichen Austausch. Doktorandinnen und Doktoranden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz schwärmten voller Vorfreude nach Düsseldorf, wo sie ein spannendes Programm erwartete. Karl Bukpiev und Moritz Zwilling berichten.

Der erste der beiden Tage begann dabei direkt mit einem Highlight: Nach einigen (bei dem Wetter vielleicht zu) warmen Begrüßungsworten der Gastgeber Rupprecht Podszun und Christian Kersting sprach Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, über aktuelle Entwicklungen in der Wettbewerbspolitik. Themen gibt es genug, „wir machen ja inzwischen mindestens zwei GWB-Novellen pro Legislaturperiode“, sagte Mundt nicht ganz ohne skeptischen Unterton. Besonders beschäftigen ihn die Verfahren nach § 19a GWB, der deutschen Gatekeeper-Norm. Die neue Dimension dieser Verfahren zeige sich schon daran, dass erstmals in der Geschichte des Bundeskartellamts einzelne Unternehmen eigenen Beschlussabteilungen zugewiesen wurden. Andernfalls wäre die eigentlich für Werbemärkte zuständige B6 wohl kollabiert. Aus der 10. GWB-Novelle sei § 59 GWB noch hervorzuheben – die geänderten Auskunftspflichten von Unternehmen seien „revolutionär“ (wenn auch bloß als Angleichung ans europäische Recht gedacht). Zur 11. GWB-Novelle, die noch im Bundesrat liegt und dort am 29. September 2023 auf der Agenda steht, äußerte sich Mundt eher zurückhaltend. § 32f GWB, der heftig diskutierte „Paradigmenwechsel“, stelle wohl „die hohe Kunst der Gesetzgebung im Jahr 2023“ zur Schau. Der Präsident des Kartellamts spielte damit auf Länge und Komplexität der Norm an. Für die 12. GWB-Novelle, die noch in dieser Legislaturperiode kommen soll, erwartet Mundt eine Angleichung des deutschen Rechts an Art. 210a GMO (die große Agrar-Ausnahme) und möglicherweise ein neues Eingriffskriterium für die Fusionskontrolle, um Fälle wie Facebook/Kustomer besser lösen zu können. Es erfordert keine prognostischen Fähigkeiten, um zu wissen: Das birgt weiteren Diskussionsstoff. Nicht wenige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich nach dem Vortrag einen Einstieg beim Bundeskartellamt vorstellen. „Sie stehen auf der Kommandobrücke des Amazon Marketplace!“, warb Mundt. Dass er ein offener und packender Erzähler ist, ist kein Geheimnis. 

Andreas Mundt nimmt von Christian Kersting eine Heinrich-Heine-Tasse entgegen.

Life is a pitch

Was sich wohl nicht alle Anwesenden vorstellen konnten, war, dass sie nicht nur als Konsumenten („Verbraucher“ sozusagen) zum Seminar gekommen waren. Sich bloß hinzusetzen und berieseln zu lassen – das war nicht möglich. Bei dem folgenden Programmpunkt, dem wheel of fortune, waren sie nämlich selbst gefragt:  Auf der Bühne drehte sich ein digitales Glücksrad mit den Namen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die geloste Person musste durfte eine Minute lang zu einem beliebigen Thema vortragen – ganz nach dem Motto „life is a pitch“. Bei der Ankündigung dieses Programmpunktes wollten so manche schon den Rückweg antreten, doch die Türen waren versperrt. Zudem gab es für jeden Bühnenvortrag auch eine Belohnung: Man durfte sich eine Dissertation vom Nomos-Verlag mitnehmen, um sich schon einmal ein Bild davon zu machen, wie denn das eigene Werk ausgedruckt aussehen könnte. Letztlich erwies sich das, was viele zunächst als wheel of torture wähnten, als hochamüsante Interaktion. Spätestens jetzt war das Eis gebrochen. 

Rupprecht Podszun dreht am das Rad

Doktorandengespräche 1. Runde

Nach diesem gelungenen Einstieg war es Zeit, sich dem Herzstück des Seminars zu widmen: den Doktorandengesprächen. Den ersten Doktorandenvortrag des Tages hielt Martin Haufe von der Goethe-Universität Frankfurt. Haufe beschäftigt sich in seinem Dissertationsprojekt mit der Funktion des Marktmissbrauchsverbots beim Schutz des Wettbewerbs im Binnenmarkt gegenüber dem Handeln von außerhalb seiner Grenzen stammenden wirtschaftlichen Akteuren. In seinem Vortrag arbeitete Haufe zunächst heraus, dass in der neuen EU-Verordnung über wettbewerbsverzerrende Subventionen aus Drittstaaten (VO (EU) 2022/2560) noch erhebliche Schutzlücken bestehen. Haufe argumentiert, dass diese Schutzlücken unter anderem durch eine erweiterte Auslegung des Tatbestands der marktbeherrschenden Stellung in Art. 102 AEUV verringert werden könnten. Parallel dazu referierte Christian Dohmen aus Düsseldorf zur kartellrechtlichen Bewertung typischer Vermarktungsmodelle im Sportübertragungssektor. Der Vortrag begann mit einem Überblick über die gängigen Vermarktungsmodelle der ausschließlichen Zentral- und Exklusivvermarktung sowie deren wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Dohmen erörterte unter anderem, warum das (noch) geltende Alleinerwerbsverbot sein kartellrechtliches Ziel verfehle. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, was denn eigentlich der relevante Markt sei und ob zwischen dem Spiel des SV Elversberg gegen den HSV einerseits und dem Erstligaspiel Bayern München gegen den BVB eine Austauschbarkeit bestehe.

Christian Dohmen zu Vermarktungsmodellen im Sportübertragungssektor

Doktorandengespräche 2. Runde

In der zweiten Runde der Doktorandengespräche stellte Johannes Kruse von der Universität Münster seine – bereits erfolgreich verteidigte – Dissertation zum Thema „Ökonomik vor Gericht“ vor. In dieser behandelte er die wenig erfolgreichen Versuche von Unternehmen, mit eigenen ökonomischen Gutachten den 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf von der Rechtswidrigkeit einer Behördenentscheidung zu überzeugen. Der Befund: Die beigebrachten ökonomischen Gutachten fanden nur wenig Anklang beim sog. Kühnen-Senat, in dessen Akten Kruse umfassend Einsicht nehmen konnte. Abschließend legte Kruse zudem einige Grundsätze dar, durch die der Versuch eines ökonomischen Sachvortrags in der Zukunft größeren Erfolg haben könnte. 

In der Diskussion zeigte sich Begeisterung für die Fragestellungen und insbesondere die gewählte Methodik der Arbeit. Standsicher stellte sich Kruse den Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum. Allzu lange müssen Interessierte bis zum Erscheinen des fertigen Buchs wahrscheinlich nicht mehr warten.Im anderen Raum sprach einer der beiden Autoren dieses Beitrags, Moritz Zwilling, von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf über das Thema „Unternehmensidentität als Haftungsgrund im europäischen Wettbewerbsrecht“. Der Vortrag reihte sich in die aktuelle und wirtschaftlich höchst bedeutsame Diskussion über den Unternehmensbegriff und die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit ein. Kein Wunder, dass Christian Kersting, Koryphäe auf diesem Gebiet, für eine lebhafte Diskussion sorgte.

Kamingespräch, Thementalks, Promotionspreis und Abendprogramm

Nach einer kurzen Pause erwartete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sodann schon das nächste Highlight. Linsey McCallum, stellvertretende Generaldirektorin in der DG COMP, war der zweite Stargast und stellte sich für unser traditionelles Kamingespräch zur Verfügung. Es sei an dieser Stelle nur so viel gesagt: Das Gespräch war für alle Anwesenden so bereichernd, dass auch die mehrfachen Versuche einer Videoplattform, die durch einen Gatekeeper betrieben wird, das digitale Lagerfeuer im Großformat durch Werbeeinblendungen zu ersetzen, nicht davon ablenken konnten. Der Rest bleibt im schönen Haus der Universität – beim Kamingespräch sollen sich die Gäste frank und frei äußern dürfen, was McCallum auch tat, ohne dass sie gleich fürchten müssen, dass jedes Wort bei Politico MLex D’Kart zur Schlagzeile hochgejazzt wird.

Linsey McCallum und Rupprecht Podszun auf einer Wellenlänge

Weiter ging es mit den Thementalks: Es wurden Gruppen gebildet, die sich an den Themengebieten der jeweiligen Dissertationsprojekte orientierten. Im lockeren Austausch miteinander diskutierten die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre Thesen und Arbeitsweisen mit einigen gewinnbringenden Erkenntnissen. Wie man eine gute Dissertation im Kartellrecht verfasst, bleibt natürlich – trotz aller Tipps – letztlich ein Mysterium. 

Pünktlich um 19 Uhr stand schon der letzte Programmpunkt an: die Verleihung des Promotionspreises im Bereich Kartellrecht. Dieser von Herbert Smith Freehills gestiftete Preis ging in diesem Jahr an Dr. Tristan Rohner für seine Arbeit zu Art. 102 AEUV und der Rolle der Ökonomie. Die Lobrede hielt der Doktorvater Rupprecht Podszun höchstpersönlich und hob dabei insbesondere den hohen wissenschaftlichen Anspruch des nun Promovierten an sich selbst hervor.

Der Doktorvater, der Preisträger sowie Dr. Florian Huerkamp und Dr. Marcel Nuys von Herbert Smith Freehills (v.l.n.r.)

Nach diesem geistig nährreichen Tag wurde es Zeit, sich auch physisch zu stärken: Diese Aufgabe übernahm dankenswerterweise die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Nach einer kurzen Fahrt vom Schadowplatz auf die richtige andere Rheinseite, nach Oberkassel, also zur „rive gauche von Düsseldorf“, wie Dr. Thomas Lübbig in seiner launigen Dinner Speech anmerkte, wurden die dringend notwendigen Erfrischungen gereicht.

Tag 2

Der zweite Tag des Doktorandenseminars wurde eingeleitet durch die Case Studies, bei denen die Doktorandinnen und Doktoranden in sechs gleich großen Gruppen anspruchsvolle kartellrechtliche Sachverhalte durchdringen mussten.  Die Coaches für die Teams kamen aus der Düsseldorfer Anwaltschaft: Prof. Dr. Thomas Lübbig, Dr. Kathrin Gaßner und Dr. Ole Schley von Freshfields Bruckhaus Deringer, Dr. David-Julien dos Santos Goncalves von Linklaters, Christian Horstkotte von Mayer Brown, Dr. Martin Raible von Gleiss Lutz und Beatrice Stange, LL.M. von Heuking Kühn Lüer Wojtek teilten ihre Expertise für den anschließenden Show-Teil: In Verhandlungssimulationen vor hochkarätig besetzten Panels (u.a. mit Dr. Gerhard Klumpe vom LG Dortmund) mussten sich die Teams unangenehmen Fragen stellen. Die Anwälte genossen es sichtlich, in der Rolle von ungeduldigen Finanzvorständen oder hartnäckigen Schiedsrichtern den Nachwuchs zu grillen.

Bei den Case Studies waren die Doktorandinnen und Doktoranden selbst gefragt.

Doktorandengespräch 3. Runde

Im Anschluss an das Mittagessen wurde einigen Doktoranden erneut die Gelegenheit gegeben, ihre Projekte zu präsentieren. Den ersten Doktorandenvortrag des Tages hielt Daniel Madari von der Wirtschaftsuniversität Wien zum Thema „Gesellschafterrechte und Kartellverbot“. Madari diskutierte die Frage, ob das Kartellverbot der Ausübung von Gesellschafterrechten entgegensteht und wenn ja, inwiefern. Ausgehend von zwei jüngeren, diese Frage im konkreten Fall verneinenden Urteilen des österreichischen Obersten Gerichtshofs schilderte er anschaulich seine anderslautende These. Demnach könne die Ausübung von Gesellschafterrechten sehr wohl als Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise dem Kartellverbot unterfallen und müsse demgemäß auch im Grundsatz den kartellrechtlichen Vorgaben entsprechen. 

Daniel Madari über Gesellschafterrechte und Kartellverbot

Zeitgleich trug Till Seyer von der Universität Mannheim zum Thema „Beratungsschreiben, Comfort Letter und Vorsitzendenschreiben“ vor. Im Rahmen seines Vortrags warf Seyer insbesondere die Probleme auf, die sich aus den Spannungen zwischen den rechtlichen Interessen Dritter und einem Vertrauensschutztatbestand zugunsten der agierenden Unternehmen, der durch die behördlichen (informellen) Aussagen über die kartellrechtliche Zulässigkeit bestimmter Praktiken veranlasst wurde, ergeben.

Letzter Vortrag

Den letzten Vortrag des Tages hielt Kashayar Biria von der Universität Hamburg. Biria behandelt in seiner Dissertation die Rechtmäßigkeit des Erlasses von extraterritorialen Sanktionen und von deren Umsetzung in der Europäischen Union am Beispiel der SWIFT-Sanktionen gegen den Iran. Das Thema weist neben den kartellrechtlichen Fragestellungen einen starken völkerrechtlichen Schwerpunkt auf. In seinem Vortrag wies Biria neben der aufwändigen Begründung für die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV insbesondere auf die Frage hin, ob der Ausschluss iranischer Banken mit Geschäftssitzen in der Europäischen Union vom SWIFT-Verfahren unter das Missbrauchsverbot fallen und ob diesbezügliche Rechtsverstöße z.B. aufgrund eigener unternehmerischer Interessen oder aufgrund einer von staatlicher Seite hervorgerufenen Einflussnahme gerechtfertigt sein könnten.

Die Verabschiedung

Christian Kersting und Rupprecht Podszun verabschieden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Das Abschiedswort widmeten Christian Kersting und Rupprecht Podszun den studentischen Mitarbeiterinnen Nadia Aglan und Anna Kronenberg, um ihnen ihren Dank für die Organisation, die Betreuung und die reibungslose Durchführung eines gelungenen 6. Offenen Doktorandenseminars des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf auszusprechen. 

Die Verfasser Karl Bukpiev und Moritz Zwilling sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht bei Prof. Dr. Kersting LL.M. (Yale) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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