GWB10: Geplante Änderungen im Kartellbußgeldrecht
Der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle sieht neben einer Modernisierung der Missbrauchsaufsicht, einer partiellen Überarbeitung der Vorschriften zur Fusionskontrolle und einigen Nachschärfungen im Kartellschadensersatzrecht auch erhebliche Änderungen im Kartellbußgeldrecht vor. Rechtsanwalt Dr. Maximilian Janssen stellt einige der wichtigsten geplanten Neuerungen in diesem Bereich vor. Die Ausführungen beziehen sich auf die Entwurfsfassung des Referentenentwurfs vom 07.10.2019, 18:14 Uhr (verfügbar zum Download hier).
Neustrukturierung der §§ 81 ff. GWB
Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1 sieht der Referentenentwurf (RefE) eine grundlegende Neustrukturierung der §§ 81 ff. GWB vor. Der bisherige § 81 GWB soll entflochten und in mehrere Einzelvorschriften überführt werden. Aufgeteilt wird das überarbeitete Kapitel in die Abschnitte „Bußgeldvorschriften“ (§§ 81 bis 81g), „Kronzeugenprogramm“ (§§ 81h bis 81l) und „Bußgeldverfahren“ (§§ 81m bis 86).
Auskunftsverlangen im Kontext von Bußgeldverfahren
Erhebliche Änderungen werden sich aus den neuen Vorschriften zu Auskunftsverlangen ergeben. Im Ausgangspunkt sieht § 59 RefE vor, dass die Kartellbehörde die Erteilung von Auskünften und Herausgabe von Unterlagen verlangen kann. Die Vorschrift soll über den neuen § 81m RefE auch in Bußgeldverfahren entsprechend Anwendung finden.
Die Verpflichtung erstreckt sich auf alle Informationen und Unterlagen, die dem Unternehmen oder der Unternehmensvereinigung zugänglich sind. Das Unternehmen (genauer: der Inhaber oder Vertreter) ist verpflichtet, dem Verlangen nachzukommen. Das Verlangen muss verhältnismäßig sein und darf den Adressaten nicht zum Geständnis einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung zwingen. Damit soll künftig auch für das Verfahren vor dem Bundeskartellamt der Standard gelten, der von der europäischen Rechtsprechung für unternehmensgerichtete Auskunftsverlangen der Kommission entwickelt wurde (vgl. Orkem/Kommission, EuGH, Rs. 374/87, Slg. 1989, 3283).
Die Begründung zum RefE stellt klar, dass ein uneingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht entsprechend § 55 StPO, wie es § 59 Abs. 5 GWB bisher für die als Vertreter des Unternehmens zur Auskunft verpflichtete Person vorsieht, mit diesen Vorgaben nicht vereinbar ist. Zum Schutz der natürlichen Person ist lediglich vorgesehen, dass eine Offenbarung von Tatsachen, die geeignet sind, eine persönliche Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, nur verlangt werden kann, „wenn die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert oder nicht zu erwarten ist“. Dies soll wiederum dann nicht gelten, wenn lediglich eine kartellrechtliche Ordnungswidrigkeit droht und das Bundeskartellamt eine Nichtverfolgungszusage abgibt. Wegen der Selbstbelastungsfreiheit natürlicher Personen wird eine Verwendung der Auskünfte in einem sanktionsrechtlichen Verfahren gegen sie zu ihrer Disposition gestellt. Adressaten von Auskunftsverlangen können aber auch natürliche Personen sein (§ 59 Abs. 4 RefE), die sich dann jedoch auf § 55 StPO berufen können, sofern auch hier nicht wieder lediglich eine kartellrechtliche Ordnungswidrigkeit droht und eine Nichtverfolgungszusage existiert.
Ob und inwieweit von den erweiterten Möglichkeiten zum Stellen von Auskunftsverlangen insbesondere auch im Bußgeldverfahren Gebrauch gemacht wird, liegt im Ermessen der zuständigen Kartellbehörde. Bei der Ausübung dieses Ermessens soll, so die Gesetzesbegründung, die Behörde auch berücksichtigen, „inwieweit zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten im Verhältnis zum Unternehmen mit dem Nachteil einer eingeschränkten Verwertbarkeit gegenüber den natürlichen Personen belastet sind“.
Zur effektiven Durchsetzung der Befugnisse wird die Erweiterung der Bußgeldtatbestände in § 81 RefE beitragen. Wer nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ein Auskunftsverlangen beantwortet bzw. Unterlagen herausgibt, handelt ordnungswidrig (§ 81 Abs. 2 Nr. 6 RefE).
Man darf gespannt sein, wie die Kartellbehörden ihr Ermessen bei einer Umsetzung der geplanten Regelung ausüben werden. Gerade Grenzfälle einer möglichen Strafbarkeit dürften für Kontroversen sorgen. Dies nicht zuletzt, weil man erstens neben § 298 StGB möglicherweise auch weitere strafrechtliche Vorschriften (§ 263 StGB, § 266 StGB usw.) im Blick haben kann, anderseits nach § 55 StPO die sichere Erwartung einer Verfolgung nicht erforderlich ist, sondern es auf die bloße Gefahr einer Verfolgung ankommt. Die Schwelle des Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs. 2 StPO ist jedenfalls denkbar niedrig.
Neuerungen bei den gesetzlichen Zumessungskriterien
Eine der zentralen Neuerung ist die Überarbeitung der gesetzlichen Kriterien zur Bußgeldzumessung. Die neue Vorschrift des § 81d RefE enthält Zumessungskriterien, die bislang zum Teil in § 81 Abs. 4 S. 6 GWB geregelt sind. Durch die nicht abschließende Benennung weiterer Kriterien in § 81d Abs. 1 S. 2 RefE wird die Bußgeldbemessung durch weitere heranzuziehende Umstände konkretisiert.
Der tatbezogene Umsatz
Gesetzgeberisches Ziel ist eine weitgehend harmonisierte Systematik. Hintergrund ist, dass nach Einlegung von Rechtmitteln die Gerichte – mangels Bindung an die Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts – bei Anwendung der gesetzlichen Zumessungskriterien zu anderen Ergebnissen kommen als das Bundeskartellamt. Dass die Fälle, in denen das OLG Düsseldorf die Geldbußen teils drastisch erhöht hatte, sich gehäuft hatten, wurde zunehmend kritisch rezipiert. Zu Recht, denn der „Systemwechsel“ bei der Bußgeldberechnung nach Rechtsmitteleinlegung führt dazu, dass Großunternehmen davor zurückschrecken, den Rechtsweg zu beschreiten. Vor Gericht gilt allein die gesetzliche 10%-Grenze. Dass das Bundeskartellamt in Anwendung seiner Bußgeldleitlinien von einer fallbezogenen Obergrenze ausgehen kann, die deutlich unter der gesetzlichen 10%-Grenze liegen kann, war und ist für die Gerichte rechtlich irrelevant. Für Unternehmen bedeutet die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbeschied daher mitunter nicht weniger, als aktiv für eine Vervielfachung der Bußgeldobergrenze zu sorgen. Dass die Entscheidungsträger davor zurückschrecken, liegt auf der Hand.
Vor diesem Hintergrund sieht der RefE als eine zentrale Neuregelung vor, dass der tatbezogene Umsatz zum gesetzlichen Zumessungskriterium aufgewertet werden soll. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung und für sich genommen zu begrüßen. In der Vergangenheit hatte das OLG Düsseldorf mitunter schon explizit auf den tatbezogenen Umsatz abgestellt (vgl. Az. 2 Kart 1/17 (OWi) – „Tapetenkartell“). Auch sieht das geltende Recht bereits jetzt in § 81b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB vor, dass der tatbezogene Umsatz Gegenstand von Auskunftsansprüchen sein kann.
Künftig soll also die Größenordnung der mit der Zuwiderhandlung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Umsätze (= tatbezogener Umsatz) eine gesetzlich verankerte Orientierungshilfe für die Beurteilung der Schwere der Tat darstellen. Insbesondere im Fall von eher geringfügigen Taten von Großkonzernen wird die Berücksichtigung eines vergleichsweise geringen tatbezogenen Umsatzes im Verhältnis zum Gesamtumsatz die Festlegung von tat- und schuldangemessenen Geldbußen erleichtern.
Jedoch ist der Schritt in die richtige Richtung eher klein. Da eine echte „Mathematisierung der Zurechnung“ durch Gerichte ausscheidet, bleiben Rechtsmittelverfahren mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, die der RefE nicht zu beseitigen vermag. Das Kernproblem einer möglichen Vervielfachung der Bußgeldobergrenze bleibt weiter bestehen. Dem neuen Zumessungskatalog fehlt es an Verbindlichkeit. Denn es handelt sich nur um eine Aufzählung von Umständen, die in Betracht kommen können (nicht müssen). Außerdem soll eine Schätzung des tatbezogenen Umsatzes möglich sein. Schließlich enthält die Begründung des RefE denkbar weitgehende Ansätze zur Beantwortung der Frage, was eigentlich als Bestandteil des tatbezogenen Umsatz anzusehen ist (unter Umständen auch Produkte mit mittelbaren Zusammenhang zum Verstoß; Umsätze außerhalb des Zuwiderhandlungszeitraums; bei planwidrigem Tatverlauf erfolgt eine hypothetische Betrachtung des geplanten Tatverlaufs). Eine harmonisierte Systematik erreicht der Gesetzentwurf damit nur im Ansatz. Die gerichtliche Zumessung bleibt mit erheblichen Rechtssicherheiten verbunden.
Positives Nachtatverhalten
Ein weiteres neues Zumessungskriterium ist in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 6 RefE vorgesehen. Ein positives Nachtatverhalten soll sich bußgeldmildernd auswirken. Darunter können, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, auch getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung weiterer entsprechender Zuwiderhandlungen fallen (zum Beispiel im Falle von hinreichend effektiv ausgestalteten Compliance-Maßnahmen).
Auch dies ist ein Schritt in die richtige Richtung und eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklung in diesem Bereich. So hat der BGH bereits 2017 die bußgeldmildernde Wirkung eines Compliance-Systems anerkannt (Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16). Auch der Entwurf zum Verbandssanktionengesetz verfolgt einen ähnlichen Ansatz (vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 6 RefE VerSanG).
Aber auch hier geht der Entwurf – jedenfalls in der Begründung – sogleich wieder in eine Richtung, die nicht unwidersprochen bleiben kann: Eine mildernde Berücksichtigung entsprechender Maßnahmen soll voraussetzen, dass das Unternehmen aktiv bei der Aufklärung der Tat kooperiert hat. Dies überzeugt nicht. Die unternehmerische Entscheidung, keinen aktiven Beitrag zur Tataufklärung zu leisten, kann nicht obligatorische Voraussetzung eines positiven Nachtatverhaltens durch Verbesserung eines effektiven Compliance Management Systems sein. Ein Unternehmen kann sehr wohl einerseits ein laufendes Bußgeldverfahrens schon für sich genommen zum Anlass nehmen, ein Compliance System zu schaffen bzw. zu optimieren und damit seinen unbedingten Wille zur Rechtstreue zum Ausdruck bringen, anderseits aber im laufenden Bußgeldverfahren von seinem Recht Gebrauch machen, nicht aktiv an der eigenen Überführung mitzuwirken (zum Beispiel schlichtweg, weil es die Rechtslage anders bewertet als die Verfolgungsbehörde).
Sich nicht dem „Unterwerfungsritual“ zu unterziehen, macht für sich genommen Compliance-Bemühung in Folge eines Bußgeldverfahrens nicht weniger effizient oder glaubhaft. Festzustellen in der Praxis ist vielmehr, dass mitunter Unternehmen und Mitarbeiter entgegen ihrer eigenen Überzeugung mit dem Bundeskartellamt kooperieren, allein aus wirtschaftlichen Erwägungen. Solche Phänomene stellen eher die Glaubwürdigkeit von Compliance in Frage als die bloße Wahrnehmung prozessualer Rechte.
Absolute Verjährung in Rechtsmittelverfahren
Eine weitere zentrale Veränderung sieht § 81g Abs. 4 S. 2 RefE vor. Demnach soll eine Verlängerung der absoluten Verjährung in Fällen gelten, in denen die Entscheidung Gegenstand eines bei einer gerichtlichen Instanz anhängigen Verfahrens ist. Die Verlängerung der Frist tritt mit Anhängigkeit des gerichtlichen Verfahrens ein, also mit Übersendung der Akte an das Oberlandesgericht. Es handelt sich insoweit um eine Abweichung von § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG.
Zur Begründung wird im Entwurf auf die Besonderheiten kartellrechtlicher Verfahren abgestellt, die besonders zeitaufwendig und nicht mit allgemeinen Ordnungswidrigkeiten zu vergleichen seien. Eine absolute Verjährung drohe, so die Gesetzesbegründung weiter, trotz einer zügigen Verfahrensführung der Verfolgungsorgane. Nach Erlass eines regelmäßig umfassend begründeten Bußgeldbescheids und der Einleitung des gerichtlichen Bußgeldverfahrens wäre im Übrigen die Erwartung der Betroffenen, dass während des laufenden gerichtlichen Verfahrens die absolute Verjährung eintritt, nicht schutzwürdig.
Diese geplante Neuregelung ist sehr problematisch. Es erscheint bereits fraglich, ob die Gefahr von Verjährungen wirklich so groß ist, wie es im Entwurf anklingt. In der jüngeren Vergangenheit hat es nur ein bedeutsames Bußgeldverfahren gegeben, in dem das Gerichtsverfahren aufgrund des Prozesshindernisses der absoluten Verjährung eingestellt wurde: der Fall „Carlsberg“. Dieses Verfahren war jedoch dadurch gekennzeichnet, dass der Senat den im Bußgeldbescheid erhobenen Vorwurf einer Preisabsprache für nicht nachgewiesen angesehen hat und lediglich von einem deutlich länger zurückliegenden Informationsaustausch ausgegangen war (wegen eines erfolglos gebliebenen, abgeschlossenen Versuchs der Koordinierung einer Preiserhöhung). Kurzum, es war nicht der Zeitablauf im Verfahren, sondern der fehlende Nachweis des primär vorgeworfenen Verhaltens, der in diesem Einzelfall zur absoluten Verjährung geführt hatte.
Abgesehen davon ist die geplante Neuregelung vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bedenklich. Eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren ist, dass eine Gerichtshandlung innerhalb einer angemessenen Frist verhandelt wird. Dies ist jetzt schon häufig nicht der Fall, da – anders als der Gesetzgeber wohl meint – eine zügige Verfahrensführung aufgrund der Überlastung der Justiz nicht möglich ist. Aus vergangenen StPO-Reformen ist bereits hinlänglich bekannt, dass der Gesetzgeber bedauerlicherweise eher Verfahrensrechte von Beschuldigten beschneidet als notwendige neue Ressourcen in der Justiz zu schaffen.
Die geplante Gesetzesänderung hätte bei lebensnaher Betrachtung eine Reihe von gravierenden Folgen: Erstens würde bei drohender absoluter Verjährung das Zwischenverfahren nicht mehr seiner gesetzlichen Aufgabe gerecht. Denn es droht die Gefahr, dass die Generalstaatsanwaltschaft zur Vermeidung eines Prozesshindernisses die Akten ohne ausreichende inhaltliche Überprüfung an das OLG Düsseldorf versenden könnte. Weiter wäre zu befürchten, dass sodann – in Folge der Aushebelung der absoluten Verjährungsfrist ab Anhängigkeit – viele Jahre bis zum Beginn der Hauptverhandlung vergehen könnten. Auch Hauptverhandlungen selbst könnten erheblich länger dauern, da keine Notwendigkeit für eine straffe Durchführung mit eng getakteten Sitzungsterminen bestünde.
Folge von alldem wären Fälle, in denen nach Tatbeendigung weit über zehn Jahre vergehen würden, ohne dass ein erstinstanzliches Urteil ergangen wäre. Dies wiegt umso schwerer, da die Gerichte und Verfolgungsbehörden dazu tendieren, den Zeitpunkt der Tatbeendigung möglichst weit nach hinten zu rücken. Ganz abgesehen davon muss man sich die Frage stellen, welchen Beweiswert Aussagen von Zeugen haben, die vor Gericht über Sachverhalte berichten sollen, die weit über zehn Jahre zurückliegen.
Dies alles führt zur Frage, ob eine „nachdrückliche Pflichtenmahnung“, wie es im Ordnungswidrigkeitenrecht heißt, bei einem so großen Abstand zwischen Tat und Ahndung überhaupt verhältnismäßig wäre. Es ist zu bezweifeln, dass eine Ahndung eines 20 Jahre zurück liegenden, ordnungswidrigen Verhaltens überhaupt noch einen präventiven Effekt haben kann. Und schließlich bestehen auch Bedenken in Hinblick auf die Subjektstellung des Betroffenen, für den es keinen eindeutig bestimmbaren Zeitpunkt gäbe, ab dem die Vorwerfbarkeit aufgrund einer „fiktiven Aussöhnung mit der Gesellschaft“ entfallen würde.
Gesetzliche Verankerung des Kronzeugenprogramms
Das Kronzeugenprogramm ist, inhaltlich sehr ähnlich wie in der Bonusregelung, in den §§ 81h bis 81l RefE ausgestaltet. Besonders bemerkenswert ist, dass der Gedanke der sogenannten faktischen bzw. partiellen Immunität Eingang in die gesetzlichen Vorschriften finden soll.
§ 81k Abs. 3 RefE lautet wie folgt: „Übermittelt ein Antragsteller als Erster stichhaltige Beweise, die die Kartellbehörde zur Feststellung zusätzlicher Tatsachen heranzieht und zur Festsetzung erkennbar höherer Geldbußen gegenüber anderen Kartellbeteiligten verwendet, so werden diese Tatsachen bei der Festsetzung der Geldbuße gegen den Antragsteller, der diese Beweise vorgelegt oder im Falle eines Antrags zu seinen Gunsten umfassend daran mitgewirkt hat, nicht erschwerend berücksichtigt.“
Da bislang die Praxis des Bundeskartellamts zur faktischen Immunität wenig transparent war, ist die geplante Neuregelung wegen der Erhöhung von Rechtssicherheit grundsätzlich zu begrüßen. In der Begründung wird konkretisiert, welche Fallkonstellationen der Gesetzgeber im Blick hat: Es reicht nicht aus, wenn der Antragsteller bloß anderweitig belegbare Tatkomplexe ergänzt, sondern die stichhaltigen Beweismittel müssen sie sich auf klar abgrenzbare Teile der Tat beziehen („beispielsweise erhebliche neue Tatzeiträume oder neue Regionen von signifikanter Größe“). Stichhaltigkeit bedeutet, dass die Beweise den Nachweis der zusätzlichen Tatsachen aus sich heraus ermöglichen, ohne dass weitere Beweismittel ergänzend herangezogen werden müssen. Zwar werden die zusätzlichen Tatsachen beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht erschwerend bei der Bußgeldzumessung gegen den vortragenden Antragsteller berücksichtigt, jedoch werden sie auch in dessen Bußgeldbescheid zu Grunde gelegt.
Dr. Maximilian Janssen ist Anwalt in der Kanzlei Wessing & Partner und seit dem Wintersemester 2019/2020 Lehrbeauftragter der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Vorlesung zum “Kartellsanktionsrecht”).
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