SSNIPpets (22): Geflutet
Der Rhein führt derzeit verdammt wenig Wasser. Aber kartellrechtlich ist eine Flut auf dem Weg, eine Flut von aufregenden Entscheidungen, die gerade in der Pipeline noch mühsam zurückgehalten werden. Und hinzu kommt all das an Lesenswertem, was sich sonst so sammelt, um E-Mail-Postfächer zu überschwemmen. Rupprecht Podszun hat ein bisschen Treibgut gesammelt – hier sind seine small, but significant news, information and pleasantries – our pet project (SSNIPpets)!
Baden gegangen
Diese Zeilen schreibe ich am 9. November 2018. Vor 100 Jahren meuterten in Kiel die Matrosen, der Kaiser dankte ab, Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht riefen Republiken aus, Kurt Eisner gründete den Freistaat Bayern, und es begann ein demokratisches Abenteuer, das als Weimarer Republik startete und… – nein, nein, keine Sorge, das Ziehen waghalsiger Parallelen zwischen Damals und Heute überlasse ich lieber verspannten Kommentatoren bestimmter Zeitungen, die meinen, Angela Merkels Rückzug von der CDU-Parteispitze sei ungefähr so etwas wie der Gang von Wilhelm Zwo nach Holland. Dabei hat der Teilrückzug von Angela Merkel einen ganz anderen Grund: Wir hatten sie in unseren letzten SSNIPpets milde dafür kritisiert, dass sie dem Kartellamt zu mehr Nachsicht bei Kartellen riet und Industriepolitik gegen Wettbewerb ausspielte. Zehn Tage später konnte sie sich nicht mehr länger im Amt halten. Manchmal macht mir der Erfolg dieses Blogs Angst. Als nächstes nehmen wir uns Donald Trump und den Brexit vor, versprochen. Impeached by D’Kart!
Baden-Baden
Nun beginnt in der CDU das, was man Wettbewerb nennt, und die Bewerber AKK, Merz und Spahn haben wohl so etwas wie ein Oligopol, auch wenn es einen Restwettbewerb mit weiteren Personen gibt. Wenn ich gelegentlich höre, das Ringen der drei Bewerber dürfe nicht zu einer Schlammschlacht ausarten und überhaupt solle es doch bitte immer schön um die Sache gehen (vielleicht sogar alternativlos), dann spüre ich darin ein Unbehagen gegen Wettbewerb, das leider tief verankert ist. Dabei ist das doch gerade der Schlüssel zum Erfolg in der Sache: ein Wettbewerb der Kandidaten, ein Pitch der Ideen! Ja, ich will wissen, wer möglicherweise der nächste Kanzler (m/d/w) wird – und die sollen sich bitte auch in einem engagierten Wettbewerb stellen.
Einer meiner studentischen Mitarbeiter meinte, er sei eingeschult worden, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Vielleicht ist heute doch der Tag, Sie darum zu bitten, ihren Kindern noch einmal ein Kernprinzip von Demokratie zu erklären: friedliche Machtwechsel. Denn mit Demokratie erklären Sie ja auch Wettbewerb. Wenn Sie sich für diese Erklärungen noch einmal kurz geistig stärken wollen, empfehle ich ein Paper von Daniel Crane, dessen Ambition er wie folgt beschreibt: „This paper examines the relationship between Nazism and monopoly through a case study of the I.G. Farben chemical cartel.“ Man muss nicht jeden Punkt in seinem Paper richtig finden, aber anregend ist es allemal – und wann, wenn nicht am 9. November, liest man mal ein solches Paper?
Dammbau
Andreas Mundt wünscht seinen Leuten weniger Arbeit. Konkret: Runter mit den hohen Anmeldezahlen. Bei der GCR Live Konferenz in Düsseldorf plädierte er für eine Reform der Aufgreifschwellen. 1200 Fälle, von denen eine Handvoll überhaupt ernsthaft geprüft wird, das ist in der Tat eine Ratio, die besser sein könnte. Weniger Anmeldepflichten in Deutschland? Ich höre Unternehmen jubeln und manche Anwälte um ihr Brot- und Butter-Geschäft fürchten. Doch in einem Nachsatz, der fast unterging im allgemeinen Oho, erklärte Mundt auch, man wolle sich gerne auch Fälle ansehen, die man bislang nicht prüfen könne – trotz der transaktionsvolumenbasierten Umsatzschwelle. Was bedeutet das? Sektoralisierte Umsatzschwellen? Ein Recht zum nachträglichen Aufgreifen? Aufgreifschwellen, die mit bestimmten materiellen Merkmalen angereichert werden? Kreativität ist Trumpf!
Als 2010 die zweite Inlandsumsatzschwelle eingeführt wurde, habe ich mir einmal Gedanken über das Design von solchen Kriterien gemacht und stieß auf drei Fundstücke, die ich jetzt noch einmal aus dem Strom der Vergangenheit rausziehe: Erstens las ich beim Bundesverfassungsgericht, dass Schwellenwerte zwar immer etwas willkürlich sind, aber plausibel und nachvollziehbar begründet werden müssen. Zweitens las ich einen Text des sehr geschätzten Wolfgang Kerber zum Design sequentieller Prüfungen. Die wesentliche Erkenntnis daraus für mich: Es muss ja nicht immer die erste Stufe sein, an der sich top oder flop entscheidet, es kann ja auch – wie es ja vielfach auch der Fall ist, Stichwort: vereinfachtes Verfahren – die nächste Stufe sanft sein, etwa indem es nur eine Anzeigepflicht gibt. Drittes Treibgut: Die Gesetzesbegründung zur Fusionskontrolle 1973. Das ist so schön (ab S. 14 ff.), das sollten Sie jedes Mal lesen, bevor Sie einen Merger anmelden (wenn Sie Anwalt/Anwältin sind) oder entscheiden (wenn Sie bei Gericht oder Behörde tätig sind).
Schwimmflügel
Als sich die GCR-Konferenz, die in den Räumen von Gleiss Lutz im Dreischeibenhaus stattfand, schon Richtung Ende neigte und die Sonne irgendwo hinter dem Feldmühleplatz im Meer versank, kam es noch einmal zu einem richtig schönen Popcorn-Moment: Lean back and enjoy! Es passierte im Panel zum Schadensersatz, das von Ellen Braun moderiert wurde. Es war ein bisschen defence-lastig besetzt, aber wer sagt denn, dass das nicht zu Diskussionen führen kann. Der Ökonom Christopher Milde fragte in zunftselbstkritischer Weise, was denn ein Richter davon halten solle, wenn der eine Ökonom zu dem Ergebnis kommt, ein Kartell habe massiven Schaden verursacht, und der andere Ökonom im selben Fall zum Ergebnis, dass der Schaden bei Null liege. Polemisch formulierte Milde das, was viele Juristinnen und Juristen heimlich ohnehin schon immer dachten: Die Ökonomen finden schon die Daten und das Modell, das zur Ansicht ihrer Seite passt. Solche parteiliche Faktensuche und Fallwürdigung ist der Juristenzunft ja nun wirklich gänzlich fremd. Wie sollten Behörden und Gerichte nun mit solchen Parteigutachten umgehen? Das Minimum, so Milde, ist: Totale Transparenz hinsichtlich Daten, Methodik, Modellierung. Ach, in Schriftform gegossen könnte das fast eine Art Manifest der ökonomischen Redlichkeit werden!
Wer eben noch versonnen aus dem 21. Stock geblickt hatte, war jetzt jedenfalls mitten in einer Diskussion, und der nächste Aufreger kam auch gleich auf den Tisch: Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in einer Entscheidung festgestellt, dass bei einem bloßen Informationsaustausch ohne Produktbezug kein Anscheinsbeweis dafür streitet, dass bestimmte Produkte kartellbetroffen sind. In dem Fall – Norma gegen Nestlé, Mars & Co. – gilt übrigens noch altes Recht. Dahinter steht die Thematik, wie ernst das ist, was als Kartell bezeichnet wird. Wenn wirklich „nur“ allgemeine Infos ausgetauscht wurden, hat das eine andere Qualität als eine glasklare Preisabsprache. Mein Eindruck war immer, dass die harte Linie beim Informationsaustausch auch der Vermutung geschuldet ist, dass das „wirklich“ im Satz zuvor auf sehr wackeligen Füßen steht. Mit Wackeligkeiten lassen sich aber keine Schadensersatzansprüche begründen – okay, Ökonomen können das vielleicht, aber wir doch nicht! [Hinweis: Wir haben diese Passage nach einem Hinweis von Kim Manuel Künstner nachgebessert – danke für die Korrektur! RP]
Hochwasserhosen
Das Kartellamt hat, etwas schneller als erwartet, den Zusammenschluss von Karstadt und Kaufhof erlaubt. Das verwundert den Gelegenheits-Shopper nicht. Abgesehen von den Premiumhäusern machten die weiten Verkaufsflächen mit etwas zu viel Personal und etwas zu viel Ware in den letzten Jahren ja doch eher nicht den Eindruck eines vibrierenden Amazon-Konkurenten. Aber Achtung!
Hier tappe ich natürlich gleich wieder in die Falle der Markteinschätzung aus persönlicher Anschauung. Das Phänomen ist auch bei Top-Kartellrechtlern durchaus verbreitet: Kaum hat man ein Produkt mal als Verbraucher selbst bezogen, sind Marktstudien verzichtbar. Man kennt die Substitute dann auch ohne SSNIP.
Dennoch darf man es natürlich schade finden, wenn es zu einer Marktkonsolidierung kommt, von der man selbst betroffen ist. Ich bin zum Beispiel Fan „neuer Mobilitätskonzepte“, wie es heute heißt, wenn man einfach von A nach B kommen will. Die Europäische Kommission hat den Zusammenschluss von car2go und DriveNow abgesegnet. BMW und Daimler legen ihre Aktivitäten mit mietbaren Sharing-Fahrzeugen zusammen, was zur Schaffung von sechs Gemeinschaftsunternehmen führt. (War mir gar nicht klar, dass das Teilen von Autos eine so komplizierte Angelegenheit ist, die sechs Joint Ventures benötigt!) Kartellrechtlich interessant sind die remedies. Ausweislich der Pressemitteilung hat die Kommission vor allem den Zugang zu Vermittlungs-Apps reguliert: Neue Car-Sharing-Provider dürfen auf der Daimler-App mitfahren, und andere App-Anbieter dürfen zu dem Propeller-Stern-Unternehmen leiten. Früher hätte ich ja gedacht, dass Car Sharing etwas mit Benzin und Motoren zu tun hat, aber heute heißt Autofahren: Zugang zu einer App kriegen.
Flaschenpost
Ach ja, weil ich kürzlich mal gefragt wurde: Darf ich das eigentlich alles hier so schreiben, was ich bei Konferenzen aufschnappe? Na klar, sonst würde ich es doch nicht tun. Manches schreibe ich auch gar nicht, obwohl ich es weiß, weil es vertraulich ist. Bei GCR aber z.B. wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „Journalisten“ im Raum sind (und Journalist ist heutzutage ja jeder mit Twitter-Zugang).
Wenn Sie aber das Bedürfnis haben, uns Informationen zu vermitteln, die wir hier veröffentlichen sollen, ohne dass Ihr Name fällt, dann denken wir mal über ein Whistleblower-Mailfach nach. „The Antitrust Leaks“, ach, ich seh uns schon beim Pulitzer-Preis! Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie das wollen und nicht immer nur Ihre Sorgen über die sicheren Server von Kommission und Kartellamt abwickeln wollen.
Schönes Wochenende!
One thought on “SSNIPpets (22): Geflutet”