SSNIPpets (15) – heute ohne Rücktritt

SSNIPpets (15) – heute ohne Rücktritt

Das Wochenende kommt. Und also haben wir wieder in den Nachrichten der letzten Zeit gestöbert, um unseren geneigten Leserinnen und Lesern den Übergang ins Wochenende zu erleichtern. Wer sich schon Sorgen machte, wo die SSNIPpets in den letzten Wochen blieben – Rupprecht Podszun hat nicht seinen Rücktritt erklärt. Das hat ja nicht einmal Jogi Löw! Hier sind die SSNIPpets – small, but significant news, information and pleasantries – our pet project.

 

We shall never surrender

Unter den Nicht-Rücktritten der Woche fällt zumindest einer positiv auf: Malgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichts, des Sad Najwyzszy, in Polen, das als Kassationsgericht u.a. auch für Kartellrecht letztinstanzlich zuständig ist, weigert sich, ihren Posten aufzugeben, obwohl weil es die Regierung so vorgesehen hat. Sie sperrt sich damit gegen die Erosion des Rechtsstaats bei unseren Nachbarn. Die Europäische Kommission hat gegen Polen nach 2017 ein weiteres Verfahren eingeleitet, und müssten wir uns nicht mit Fußball-WM und einer verquasten Asylrechtsdebatte beschäftigen, würden sich ja vielleicht auch deutsche Juristinnen und Juristen vernehmlicher empören.

 

Gekommen, um zu bleiben

Bei unserem Covermodell in diesen SSNIPpets Nils Wahl, dem Generalanwalt, stellt sich die Situation etwas anders dar: Er könnte eigentlich noch 2018 sein Amt aufgeben, aber er darf nicht, sondern muss geduldig sein. Der Grund: Der estnische Kandidat für seine Nachfolge ist leider bei der Nominierung durchgefallen – es fehlte wohl an der erforderlichen 20-jährigen Arbeitserfahrung, möglicherweise auch an Französisch-Kenntnissen, ganz genau weiß man das nicht. Es bestätigt aber den Verdacht, dass es bei der Besetzung der Generalanwaltsstellen doch auch um Qualität geht. Nils Wahl, der nun etwas länger im Amt bleibt, war bei uns in Düsseldorf zu Gast, und verfestigte den Eindruck, dass er ein sharp mind ist. Thema des Abends im einschüchternd-pompösen Plenarsaal des Oberlandesgericht Düsseldorfs war die Coty-Entscheidung, die ja deutsche Unternehmen immer noch sehr beschäftigt. Der Abend fand unter Chatham House Rules statt, sodass hier leider nichts Spannendes berichtet werden kann – aber immerhin das vielleicht schon: Wahl kam ganz schön ins Schwitzen, und das lag nicht nur an den hohen Temperaturen.

 

Bremsen mit Rücktritt

Wir kennen und schätzen unsere Kartellrichterinnen und –richter, sie sind allesamt von ruhigem Gemüt, ziehen auch beim abwegigsten Anwaltsvortrag keine Augenbraue hoch und verstecken unter der Robe das, was man Emotion nennt. Nur manchmal platzt der von einer weißen Krawatte eigentlich gut geschnürte Kragen, so geschehen im Kartellsenat des Bundesgerichtshofs, wo das Team Limperg, Grüneberg, Bacher, Sunder und Deichfuß jetzt folgenden Satz abzeichnete:

„Die Rechtsmittelführerin wird auf Folgendes hingewiesen: Die vorstehend ausgeführte Rechtslage ist der Rechtsmittelführerin aus einer Vielzahl von Verfahren vor dem Bundesgerichtshof bekannt. Der Kartellsenat wird daher in Zukunft vergleichbare offensichtlich unzulässige, substanzlose oder rechtsmissbräuchliche Eingaben nicht mehr verbescheiden. Der Senat muss es nicht hinnehmen, durch sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazitäten bei der Erfüllung seiner Aufgaben behindert zu werden“ (EnZB 9/18 – Danke an Benjamin Franz für den Hinweis!)

Aijaijaijaijaijaijaijaiiiiiiiii. Leider konnte nicht ermittelt werden, um welche Substanzlosigkeit es in dieser EnWG-Sache für den Kartellsenat ging. Wer sich bei dieser Chuzpe verwundert den Kopf kratzt: Damit nutzt der Senat nur die Möglichkeiten aus, die ihm das BVerfG gegeben hat – und ist damit nicht allein, wenn man sich die Beschlüsse des I. Zivilsenats oder 5. Strafsenats anschaut. Ich könnte über die sinnentleerte Inanspruchnahme von Arbeitskapazitäten einiges schreiben, durchaus auch aus eigener Erfahrung. Leider schweigt sich aber der Beschluss des BVerfG über die Arbeitskapazitäten von Hochschullehrern aus.

Der BGH hat seine Kapazitäten aber im Berichtszeitraum auch sinnstiftend genutzt. So hat er zum Beispiel dem Rechtsfrieden einen großen Gefallen erwiesen, indem er den jahrelang erbittert geführten Streit um die Rundholzvermarktung für beendet erklärte (KVR 38/17). Die Entscheidung des Bundeskartellamts gegen die anmaßenden Einmischungen des baden-württembergischen Forsts in die private Wirtschaft hätte, so der BGH, nicht ergehen dürfen: Das Bundeskartellamt hätte das Verfahren, das schon einmal mit Verpflichtungszusagen abgeschlossen war, nämlich nicht wieder aufmachen dürfen. Kein Wort zur Frage „Privat vor Staat“, kein Wort zu der Ausnahme in § 46 Bundeswaldgesetz, an die das OLG Düsseldorf als Vorinstanz noch herrlich die Axt angelegt hatte. Mit dieser Rundholz-Entscheidung des BGH müssen weniger Bäume sterben, denn die Zeitungen in Baden-Württemberg, die sich in schöner Regelmäßigkeit über den Kahlschlag des Amtes echauffiert hatten, können sich jetzt das Papier für solche kartellrechtlichen Ausführungen sparen.

 

Kein Rücktritt vom Rücktritt

Die Monopolkommission hat ihr Hauptgutachten vorgelegt. Ich bin ein bisschen enttäuscht vom Titel. Bei Gutachten der Monopolkommission hatte ich immer die Freude daran mir vorzustellen, wie das Gremium auf den letzten Metern noch überlegt, wie man das bunte Potpourri an wettbewerbsökonomischen und -rechtlichen Melodien wohl unter einer Überschrift zusammenbinden könnte. Dabei waren immer wieder herrliche Programmsätze herausgekommen: „Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor!“ (2006) etwa oder „Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden!“ 2016 dann hieß das Hauptgutachten nur: „Wettbewerb 2016“, und ich ahnte, wie Herr Wambach und Frau Westerwelle in der Schlussberatung über etwas Griffigeres stritten, bis Herr Nöcker mit Rücktritt aus der Monopolkommission drohte, wenn jetzt nicht – und dann rief Herr Kühling: „Nennen wir es doch einfach „Wettbewerb 2016“!“ Frau Kollmann murmelte noch „das ist aber wenig programmatisch“, aber Frau Scholl und Herr Holthoff-Frank hatten da bereits das OK zum Druck gegeben und so hieß das 20. Hauptgutachten „Wettbewerb 2016“. Aus dieser geradezu prosaischen Kargheit des Titels scheint nun eine Regel zu werden: Das 21. Hauptgutachten trägt den Titel „Wettbewerb 2018“.

Nun ja, don’t judge a book by its cover, wie es in der Rocky Horror Picture Show heißt.

In der Öffentlichkeit wurde vor allem wahrgenommen, dass die Monopolkommission vor algorithmenbasierter Kollusion warnt. Das kann man als regelmäßiger Konferenzbesucher ja kaum mehr hören, aber hörenswert ist der in diesem Zusammenhang gemachte Vorschlag, dass Verbraucherverbände kartellrechtliche Sektoruntersuchungen anregen können sollten, und dass bei Nichtdurchführung das Amt eine besondere Begründungspflicht hat. Andere Themen sind die Ordnung der Apothekenmärkte angesichts des Online-Handels und ein durch und durch begrüßenswertes Ablehnen der Ausnahmeritis (etwa beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk). Die audiovisuellen Medien werden auch noch einmal gesondert gewürdigt – wegen der zunehmenden Konvergenz.

Die Kurzfassung macht übrigens schon den Mund wässrig für die ausführlichere Lektüre des Teils zur kartellbehördlichen Praxis und zu den Änderungen, die im Zuge der 9. GWB-Novelle vorgenommen wurden. Heftiges Kopfnicken bei mir z.B. was die Kritik an der Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Ministererlaubnis angeht und große Neugier auf die Ausführungen zu „schleichenden Übernahmen“, problematischen Prozessvergleichen und Innovationswettbewerb.

 

Zurücktreten von der Bahnsteigkante

Gespannt war ich auch auf die Feststellungen zur Konzentration. Die Monopolkommission hat ja eigentlich den Auftrag, Machtballungen in Deutschland frühzeitig zu identifizieren. Das war jedenfalls der Gründungsimpuls, und so ziert jedes Hauptgutachten eine Erhebung über die 100 größten Unternehmen in Deutschland. Die Monopolkommission schaut sich dafür die „nach inländischer Wertschöpfung 100 größten deutschen Unternehmen“ an. Ob dieser Maßstab (der seit Beginn der Berichterstattung verwendet wird) der Sache in einer finanzgetriebenen, global verflochtenen Wirtschaft gerecht wird, sei dahingestellt – alle Konzepte zur Erfassung der Konzentration haben ihre Schwächen. Die Top 3 im Jahr 2016 waren nach diesem Maßstab – wie schon 2014 – VW, Daimler und BMW. (Die Liste macht recht plastisch, wie sehr Deutschland, Diesel hin oder her, ein Autoland ist. Aufsteiger der Saison ist Schaeffler – von Platz 30 auf Platz 9 in zwei Jahren, ein kometenhafter Aufstieg, der Dieter-Thomas Heck in der ZDF-Hitparade zum Applaudieren gebracht hätte!)

Mich interessiert das vor allem deshalb, weil in einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zum Fall Bayer/Monsanto durch einen Antrag der GRÜNEN die Frage aufgeworfen wurde, wie es um die Konzentration steht. Im Saatgutsektor verfestigen die Zusammenschlüsse der jüngsten Zeit den Eindruck, dass da nur noch vier Player die Ernährungswirtschaft der Zukunft in ihren Händen halten. In den USA ist die Diskussion in vollem Gange, und dort ist sie gekoppelt mit der Frage nach der wachsenden Ungleichheit in der Gesellschaft. Thomas Piketty, der mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ja die Ungleichheitsfrage salonfähig gemacht hat, ist im Kartellrecht angekommen. Während die Zahlen in den USA eindeutig auf eine stärkere Konzentration hinweisen, ist das für Deutschland nicht erkennbar, so die Monopolkommission.

Grund zur Entwarnung? Njet. Chefökonom Tommaso Valletti hat eine spannende Präsentation dazu veröffentlicht. Bottom Line: Konzentration in EU steigt zwar nicht, ist aber hoch – und wir müssen was tun. Die Monopolkommission gibt auch keinen Freifahrtschein für die Konzentrationskontrolle. Sie sieht auch in Deutschland einen Anstieg von Preisaufschlägen und eine zunehmende Verflechtung durch indirekte Minderheitsbeteiligungen.

 

Rücki zücki

Weil wir gerade bei den USA waren: Die Untersagung von AT&T/Time Warner ist nicht durchgekommen. Das wissen Sie. In der Washington Post hat Steven Pearlstein die Entscheidung sehr lesenswert auseinandergenommen, und für einen Moment träumte ich, sowas würde ich auch in deutschen Zeitungen geboten bekommen, wenn Amt oder Gerichte einen Kartellrechtsfall entschieden haben. Aber dann fiel mir ein, dass eine solche Analyse ja nur bei falschen Entscheidungen funktioniert. Und die haben wir ja in Deutschland nicht.

 

Rück – Seit – Ran

In Entscheidungen des U.S. Supreme Courts darf man sich ja gelegentlich selbst eine Meinung über richtig und falsch bilden – nämlich dann, wenn die Richter ihre unterschiedlichen Ansichten darlegen. Eindrucksvolles Anschauungsmaterial liefert die jüngste Entscheidung zu American Express. Die Mehrheit entschied in einer 5:4-Entscheidung, dass American Express nicht kartellrechtswidrig handelte, als es Händler verpflichtete, Kunden nicht zu ermuntern, andere Kreditkarten zu nutzen (deren Nutzung für die Händler günstiger gewesen wäre).

Warum die Entscheidung uns noch lange beschäftigen wird: Kreditkartenmärkte sind Plattformmärkte. Und also hat die Entscheidung das Potenzial, die Anwendung des Kartellrechts auf mehrseitige Märkte zu prägen. So erklärt sich die vehemente dissenting opinion von Justice Stephen Breyer, der um die Anwendung des Kartellrechts fürchtet, wenn – wie er der Mehrheit unterstellt – Wettbewerbsbeschränkungen durch Gegenleistungen auf einer anderen Marktseite gerechtfertigt werden. Die Mehrseitigkeit der Plattform sei keine Rechtfertigung für Wettbewerbsbeschränkungen.

„Nothing in antitrust law, to my knowledge, suggests that a court, when presented with an agreement that restricts competition in any one of the markets (…), should abandon traditional market-definition approaches and include in the relevant market services that are complements, not substitutes, of the restrained good.“

Lesen Sie mal mindestens die Analyse hier oder hier oder den Bericht der NY Times.

 

Berückend

Vor vielen Jahren, da war ich noch Referendar, schrieb ich einmal in eine Urteilsvorlage für meine verehrte Richterin, das Internet werde „von zahlreichen Beobachtern primär als “Werbekanal” angesehen“ (AG Dachau, NJW 2001, 3488). Der Satz brachte mir damals eine Menge Ärger ein, obwohl er doch so wahr war. Um Ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen, mache ich also noch ein bisschen Werbung für unsere aktuellen Produkte.

Das Institut für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf macht Sachen. Erstens haben Christian Kersting, Hans Jürgen Meyer-Lindemann und ich eine Stellungnahme zum Leitfaden zur Transaktionsvolumenschwelle beim BKartA eingereicht. Zweitens richten wir die Summer School on European Business Law mit aus. Drittens gibt es im September wieder unser deutschlandweites Doktorandenseminar, das im vergangenen Jahr viel Spaß gemacht hat. Sie können unsere Stellungnahme ja mal zur Kenntnis nehmen und die Hinweise auf Summer School und Doktorandenseminar an Ihre Kinder, Mitarbeiter/innen und die jungen Leute von gegenüber, die im Sommer auf dem Balkon viel zu laut quatschen, weitergeben.

Und jetzt: Zurücktreten vom Bildschirm bitte und ins Wochenende fliegen!

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