Konzernumsatz: Kartellrecht sollte nicht immer Vorbild sein
D’Kart feiert heute eine kleine Premiere: Normalerweise schreiben hier ja Kartellrechtler/innen aus dem Institut für Kartellrecht der Heinrich-Heine-Universität und manchmal auch aus dem DICE. Heute aber präsentieren wir den ersten Gastbeitrag. Das Thema: Die Anknüpfung an den Konzernumsatz bei der Bußgeldverhängung. Die macht Schule in anderen Rechtsgebieten. Rechtsanwalt Christian Bürger hat dazu einige drängende Fragen.
Art. 23 VO 1/2003 hat viele Kinder bekommen. Einen individuellen Bußgeldrahmen, der sich am Konzernumsatz orientiert, gibt es nun auch beim Datenschutz, der Geldwäsche, der Marktmissbrauchsverordnung und dem Versicherungsvertrieb. Die deutsche Variante, der § 81 GWB, hat zwar den Segen des BGH, aber noch nicht die höchsten Weihen des Bundesverfassungsgerichts erhalten. Höchste Zeit (und eigentlich viel zu spät) mal wieder ein paar einfache Fragen zu stellen:
1. Der Konzernumsatz lässt sich relativ leicht ermitteln. Aber: Hat der Konzernumsatz irgendetwas mit der Schwere der Zuwiderhandlung zu tun? Gibt es einen diesen Blog lesenden Ökonomen, der erklären kann, weshalb gerade allein der Konzernumsatz (und nicht z.B. EBIT(DA)) die geeignete Größe ist, um die Leistungsfähigkeit oder die Ahndungsempfindlichkeit von Unternehmen oder gar einzelner Konzerngesellschaften zu bestimmen?
2. Wenn die 10%-Grenze eine Obergrenze und nicht eine Kappungsgrenze ist, gibt es eine Obergrenze. Aber: Kann diese wirklich den vom BGH geforderten „unverzichtbaren Orientierungsrahmen für die richterliche Abwägung“ bereitstellen? Wieso muss sich dann das Bundeskartellamt mit seinen Leitlinien einen eigenen Rahmen zur Orientierung im Orientierungsrahmen basteln?
Von Obergrenze und Konzernmutti
3. Im Kartellrecht ist das Unternehmen (sprich: die wirtschaftliche Einheit) Adressat der Verhaltensnorm. Da ist es konsequent auf dessen Umsatz (sprich: Konzernumsatz) abzustellen. Aber: Bei der Geldwäsche oder dem Datenschutz richten sich die Verhaltensnormen an eine juristische Person oder Personenvereinigung, nicht an das kartellrechtlich definierte Unternehmen. Kann ich trotzdem auf den Konzernumsatz abstellen (siehe auch 4 und 5)? Ist durch das Abstellen auf den Konzernumsatz wirklich die Gefahr von konzerninternen Umstrukturierungen gebannt? Oder brauche ich zur Lösung dieser Problematik nicht sowieso eine Haftung der Konzernmutter, wie die viel zitierte „Wurstlücke“ zeigt?
4. Bei einer Kappungsgrenze macht es Sinn auf das Jahr vor der Behördenentscheidung abzustellen (wenn man den Konzernumsatz als geeignete Größe für die Leistungsfähigkeit und die Ahndungsempfindlichkeit ansieht, siehe 1.). Aber: Ist das Jahr vor der Behördenentscheidung auch das richtige Jahr für die Bestimmung der Obergrenze? Sollte die Konzernmutter durch ihr Verhalten nach der Tat den Orientierungsrahmen für den Richter/Beamten durch den Kauf einer Unternehmenssparte erhöhen und durch deren Verkauf verringern können? Ja hat dann sogar die Tochtergesellschaft einen Schadensersatzanspruch gegen die Muttergesellschaft, wenn diese nach Bekanntwerden des beendeten Verstoßes der Tochter, aber vor Behördenentscheidung durch einen großen Unternehmenskauf die Geldbuße der Tochter erhöht?
5. Anders als im EU-Recht soll im deutschen Recht das letzte Jahr vor der Behördenentscheidung nicht nur für den Gesamtumsatz, sondern auch für die Struktur des Unternehmens und der wirtschaftlichen Einheit maßgeblich sein (vgl. Vollmer in: MüKo-Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2015,§ 81 GWB Rn. 135a). Bei den neuen Bußgeldrahmen, die sich an juristische Personen richten, scheint dies auch der Fall zu sein. Richtig ist, dass so eine einfache Ermittlung des Umsatzes möglich ist.
Aber: Ist damit nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet? Erwirbt ein großer Konzern ein Start-up, nachdem dieses eine Zuwiderhandlung begangen hat, aber bevor eine Behördenentscheidung ergangen ist, soll das tatsächlich zu einem Vertausendfachen des Orientierungsrahmens führen? Kann ich den Bußgeldrahmen dadurch minimieren, dass ich die Tätergesellschaft einfach an eine natürliche Person verkaufe? Oder ist das mit der Notwendigkeit eines Orientierungsrahmens vom BGH und dem BVerfG gar nicht so ernst gemeint gewesen und der Richter kann sich aussuchen, welcher Orientierungsrahmen am besten passt?
6. Das Kartellrecht soll andere Rechtsgebiete befruchten. Aber: Muss es ausgerechnet der individuelle umsatzbezogene Bußgeldrahmen sein?
Der Autor Dr. Christian Bürger ist Rechtsanwalt bei GÖRG Rechtsanwälte in Köln.
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