Antitrust Super Tuesday

Antitrust Super Tuesday

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Zitiervorschlag: Podszun, DKartJ 2023, 47

Eine solche Massierung kartellrechtlicher Entwicklungen an einem einzigen Tag ist selten: Deutschland bekommt das „New Competition Tool“, also eine GWB-Novelle, der EuGH hat in Sachen Bundeskartellamt vs Facebook entschieden, und bei der Europäischen Kommission haben sich die Unternehmen angezeigt, die sich selbst als digitale Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act verstehen. Uff. Am 4. Juli 2023, dem Fourth of July, fand in Europa geradezu ein Antitrust Festival statt. Rupprecht Podszun hat die Ereignisse des Tages gesichtet.

Kleiner Dienstag

Der Kleine Dienstag ist ein Detektiv, er ist einer aus der Bande von Emil, jener herrlichen Ermittlerfigur, die Erich Kästner erdacht hat. Emil Tischbein waren auf der Fahrt nach Berlin von einem Ganoven namens Grundeis 140 Mark gestohlen worden. Mit einer Sonderkommission – Amtshilfe leisteten hier Gustav mit der Hupe und Pony Hütchen – jagte Emil den Täter, stellte ihn und konnte sich dabei auf Dienstag verlassen, der derweil den Telefondienst machte („Parole Emil“). Emil und die Detektive hatten qua Phantasie unbegrenzte Ressourcen und Ermittlungsmöglichkeiten. Der Dawn Raid endete in einer Bank, der Unrechtsvorteil des Grundeis wurde abgeschöpft, selbiger abgeführt und Emil von einem Journalisten namens Kästner zum Tortenessen eingeladen.

Der 4. Juli 2023 war kein kleiner Dienstag, sondern ein großer, ein Antitrust Super Tuesday geradezu, mit sämtlichen meiner Lieblingsthemen: Meta und Ministererlaubnis, ein geplatzter Knoten und geplatzte Hoffnungen.

Die größte Reform seit Ludwig Erhard

Beginnen wir mit „gezähmten Jagdhunden“, also dem Bundeskartellamt, und spulen wir zwei Tage vor: Um 18:16 Uhr am frühen Abend des 6. Juli des Jahres 2023 unserer Zeitrechnung trat der Deutsche Bundestag zusammen und stimmte in 2. und 3. Lesung einem „Paradigmenwechsel“ des Kartellrechts zu und beschloss eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – und zwar „die größte seit Ludwig Erhard“ (Staatssekretär Sven Giegold aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) auf Twitter). Der Knoten war, so hörte man, Montagnacht geplatzt: Da einigten sich die Regierungsparteien auf den finalen Gesetzeswortlaut. Der ging am Dienstag, also 48 Stunden, nicht 14 Tage vor der Beratung, den Abgeordneten zu.

Das Bundesverfassungsgericht stoppte die nun doch eher kurzfristige Beratung nicht, aber das GWB ist eben nicht das GEG, und wo keine BILD, da kein Kläger, wo kein Kläger, da kein Karlsruhe. So beschränkte sich Oppositionspolitiker Hansjörg Durz (CDU/CSU) auf einige genüssliche Spitzen (seine wettbewerbspolitischen Reden sind ohnehin, selbst wenn man in der Sache anderer Auffassung ist, on point):

„Sie sagen, Sie präsentieren hier die größte Reform seit Ludwig Erhard, aber Sie verstecken sie als wäre sie Ihnen unangenehm. (…) Grundsatzänderungen brauchen in der Demokratie breite politische Debatte.“

Und gute Gesetze brauchen auch Zeit. Das schreibe ich vor der Erkenntnis, dass ich bei dieser GWB-Novelle selbst eine Lernkurve hatte – auch einem Jura-Professor fallen nicht immer gleich bei erster Lektüre des Gesetzestextes zwischen UniRep und Fakultätsratssitzung die Punkte auf, die man noch verändern könnte. Zu meiner Lernkurve später mehr.

Bumper Sticker Material

Um das gleich klarzustellen: I’m in favour. Diese GWB-Novelle hat ja inzwischen einen polarisierenden Charakter bekommen, der das Bekenntnis herausfordert. In den USA hätten wir schon Bumper Sticker: „Bei Wettbewerbsstörung – Rettungsgasse bilden!“ oder „GWB11 – Ich bremse auch für Kartellbeamte“. Einige Äußerungen in der Debatte empfand ich in Wortwahl und Aussage etwas schrill. Aber das ist sie vielleicht, die Aufmerksamkeitsökonomie der Lobbyisten. Manche Verbände müssen sich vielleicht auch erst noch daran gewöhnen, dass auf der fast lane zu den Entscheidungsträgern im BMWK derzeit Lastenfahrräder unterwegs sind.

In der GWB-Novelle gibt es drei Themen, die Florian Wagner-von Papp hier bereits dargestellt hat: die Durchsetzung des DMA in Deutschland, die erleichterte Vorteilsabschöpfung (§ 34 GWB) und die Befugnis für das Bundeskartellamt, im Anschluss an Sektoruntersuchungen auch ohne Rechtsverstoß, nämlich bei Vorliegen einer erheblichen und fortwährenden Wettbewerbsstörung, Maßnahmen vornehmen zu dürfen – bis hin zu Entflechtungen (§ 32f GWB). Das ist auf europäischer Ebene mal als „New Competition Tool“ diskutiert worden. Das Nähere zum letzten Stand entnehmen Sie bitte dem Kleingedruckten in dieser Übersicht.

Die Big Points der Novelle

Mich hat stets verblüfft, dass der Fokus auf § 32f GWB lag, und dort auf Fragen, deren praktische Relevanz möglicherweise überschaubar bleiben wird. Wenn ich tippen sollte, was wir vor allem erleben werden, so sind das zwei Punkte, die in der Diskussion kaum eine Rolle spielten: Erstens sind die Schwellenwerte für eine verschärfte Fusionskontrolle im Anschluss an Sektoruntersuchungen in § 32f Abs. 2 GWB-neu erheblich abgesenkt im Vergleich zum bisherigen § 39a GWB. Statt 500 Mio. (Erwerber) und 2 Mio. (Target) Euro Umsatz werden künftig nur noch 50 Mio. und 1 Mio. Euro Umsatz verlangt. Meine Vermutung: Infolge von Sektoruntersuchungen wird künftig erst einmal eine erhebliche Ausweitung der Fusionskontrolle auf bestimmte Unternehmen zukommen, zumal diese einfacher durchgesetzt werden kann als alles, was sonst noch in § 32f GWB vorgesehen ist.

Der andere Big Point der Novelle ist die erleichterte Vorteilabschöpfung nach § 34 GWB, wo mit Hilfe einer beinah unwiderlegbaren Vermutung nach einem Kartellrechtsverstoß ein Unrechtsgewinn von 1 % recht lässig abgeschöpft werden kann.  Sandra Detzer (Grüne) wies in der abschließenden Debatte dankenswerterweise darauf hin, dass damit ein essentielles rechtsstaatliches Gebot verwirklicht wird – dass dem Täter nicht die Früchte seiner Tat belassen werden. Emil Tischbein und der Kleine Dienstag verstehen das ohne weiteres. Die bisherige Bundeskartellamts-Praxis sieht nach Aussagen des Amtes selbst ja anders aus: Durch die Geldbußen werde kein Unrechtsgewinn abgeschöpft, sondern lediglich die frevelhafte Tat geahndet. Aha. Die Vorteilsabschöpfung könnte ein echter game changer werden, gerade im Missbrauchsrecht, wo es in Deutschland so gut wie nie finanzielle Sanktionen (ob Bußgeld, Schadensersatz oder Vorteilsabschöpfung) gibt.

Zur Praxisrelevanz des neuen Tools

Die letzten Änderungen an § 32f GWB-neu senken die Subsidiaritätsklausel wieder etwas ab, was sehr vernünftig ist, und verstärken den Rechtsschutz, indem die Beschwerde gegen Maßnahmen des Bundeskartellamts infolge von Sektoruntersuchungen aufschiebende Wirkung hat. Sebastian Roloff (SPD), der als Berichterstatter des Parlaments fungiert hatte, dankte vom Rednerpult aus ausdrücklich dem Team des Bundeswirtschaftsministeriums um Thorsten Käseberg, das einige Nerven in diese Reform investiert haben dürfte. Und was ist nun dabei herausgekommen?

„Das [Bundeskartellamt] ist kein Tiger, den wir aus irgendeinem Käfig lassen, sondern das ist eben auch ein gut gezähmter Jagdhund“ (Verena Hubertz, SPD).

Rudelführer Andreas Mundt bemühte sich gleich im Anschluss, die Erwartungen etwas herunterzudimmen:

„Mit der Anwendung der Vorschriften werden wir uns auf neues Terrain begeben, mit vielen neuen Rechtsfragen. Das Verfahren ist sehr komplex, bietet den betroffenen Unternehmen umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten und unterliegt sehr hohen Nachweisanforderungen. Verfahren werden wohl Jahre dauern.“

Und natürlich durfte das ceterum censeo eines Behördenchefs nicht fehlen:

„Wir hoffen, dass wir dafür die notwendigen Ressourcen erhalten.“

Die Gitterstäbe des Tigerkäfigs

Mundt hat Recht. Die „größte Reform“ ever ever ever wird in der Praxis ein begrenztes Dasein führen. Und das ist auch ein wesentlicher Punkt auf meiner Lernkurve gewesen, nachdem ich mich zunächst davon hatte wegtragen lassen, welcher Paradigmenwechsel ansteht, wenn nicht mehr ein Rechtsverstoß, sondern „nur“ eine Wettbewerbsstörung zum Ausgangspunkt behördlicher Interventionen wird. Die Sektoruntersuchung plus wird wohl eher eine Rarität sein, die in den dann geprüften Fällen aber auch wirklich hilfreich sein wird. Bislang hat das Bundeskartellamt gerade mal eine Sektoruntersuchung pro Jahr abgeschlossen, wenn überhaupt. Mit den weiter erhöhten Anforderungen und der geringeren Kooperationsbereitschaft von Unternehmen bei Sektoruntersuchungen (sie müssen ja jetzt damit rechnen, dass daraus etwas folgt) wird die Zahl eher abnehmen als steigen. Von einem Tiger außer Rand und Band, der nach Lust und Laune Unternehmen reißt, kann da wirklich keine Rede sein.

Der zweite Punkt meiner Lernkurve (nachdem auch ich mir den Kopf zerbrochen hatte, wie man die Wettbewerbsstörung noch zielgenauer definiert): Die wahre Begrenzung einer extensiven Auslegung des notwendig offenen Begriffs liegt nicht in dem Auftürmen neuer materieller Merkmale (wesentlich, erheblich, besonders, fortwährend, schrecklich, übelst), sondern in einer verfahrensrechtlichen Absicherung: durch gerichtlichen Rechtsschutz, aber auch – so mein Petitum – durch eine breitere Aufstellung innerhalb des Bundeskartellamts. Es sollte nicht allein eine dreiköpfige Beschlusskammer im Amt entscheiden, dass eine Wettbewerbsstörung vorliegt und welche Maßnahmen daraufhin geboten sind. Warum nicht eine andere Beschlussabteilung „gegenprüfen“ lassen mit einem „fresh pair of eyes“? Warum nicht eine große Beschlusskammer einsetzen, unter Vorsitz des Vizepräsidenten, wie Heike Schweitzer (HU Berlin) vorschlug? Das würde die einheitliche Auslegung der vielen neuen Begriffe im Amt fördern, es wird ja nicht oft Gelegenheit dazu geben. Zudem wäre das eine weitere Absicherung, falls sich eine Beschlusskammer mal verrannt haben sollte (solche Fälle des institutionellen captures soll es angeblich geben, wenn auch natürlich nie beim Bundeskartellamt). Der Gesetzgeber hat diese Absicherung nicht vorgesehen, in der Geschäftsordnung des Bundeskartellamts wäre dafür noch Platz.

Braucht’s das überhaupt?

Als Schlüsselfrage bleibt: Gibt es Konstellationen oder Branchen, in denen das Kartellrecht derzeit nicht weiterkommt? Ich glaube schon, dass es solche Situationen einer strukturellen Wettbewerbsarmut gibt. Die Mannheimer Kollegen Martin Peitz und Jens-Uwe Franck sahen das in der Sachverständigenanhörung genauso. Selbst Heike Schweitzer, die nicht im Verdacht der Sympathien für Hipster Antitrust steht, hat in der Sachverständigenanhörung solchen Nachjustierungsbedarf bejaht. Sie würde darauf mit punktuellen Ergänzungen des GWB reagieren. Ich ziehe die Generalklausel der „Wettbewerbsstörung“ vor, damit wir nicht jedes Mal bei einem neuen Phänomen im Markt aufwendig nachsteuern müssen. Blickt man auf die bisherigen Sektoruntersuchungen und deren Ergebnisse (Tristan Rohner und ich haben das in einer Stellungnahme für den Bundestag einmal zusammengefasst, siehe hier Seite 11f.) ahnt man: Ja, das könnten wirklich Bereiche sein, wo ein kleiner Wettbewerbsimpuls hilfreich wäre.

Kurzum: Das Bundeskartellamt kann künftig mit sehr hohen Hürden in erheblich verkrusteten Märkten für etwas Belebung sorgen. Man kann das wegen der generalklauselartigen Formulierung kritisch sehen. Man könnte das Bundeskartellamt noch stärker verfahrensrechtlich restringieren, damit es nicht exekutiv übergriffig wird. Man kann auch argumentieren, dass in solchen Fällen eher der Gesetzgeber eingreifen soll (was für Wettbewerbsfreundinnen und -freunde freilich oft ein counterfactual ist, das sie mit gemischten Gefühlen sehen werde).

Eher überspitzt, um es einmal vorsichtig zu sagen, scheint mir demgegenüber folgende Kritik:

„Die vorgesehenen Änderungen werden den Wettbewerb dämpfen und damit tendenziell zu höheren Preisen führen“ (Stefan Genth, Geschäftsführer des Handelsverbands HDE).

Vielleicht erschließt sich mir die Logik, dass ein wettbewerbsbelebender Eingriff den Wettbewerb dämpft, aber auch nach längerem Nachdenken – Stichwort Lernkurve. Sollte das nicht der Fall sein, schiebe ich die Erkenntnis der HDE-Leitung darauf, dass der offenbar im HDE tonangebende große Lebensmittelhandel sich vielleicht selbst als kartellbehördlichen Kandidaten für mehr Wettbewerb sieht. Immerhin hat die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag (S. 37) angedeutet.

Nach der GWB-Novelle ist vor…

Was den Koalitionsvertrag angeht, so hatte Gerald Ullrich (FDP) in der Bundestagsdebatte noch eine kleine Überraschung parat. Man habe ja jetzt den Koalitionsvertrag eigentlich übererfüllt, er gehe daher davon aus, dass es in dieser Legislaturperiode keine weitere GWB-Novelle geben werde. Darf das Team Giegold erst einmal den Griffel fallen lassen? Not so sure – ich sehe im Koalitionsvertrag noch einige Punkte, die mit § 32f GWB jedenfalls nicht erledigt sind: Integration von Nachhaltigkeit, Befugnisse für den Verbraucherschutz, Reform der Ministererlaubnis. Ach, es bleibt auch in der nächsten Staffel spannend!

Beim Tortenessen

Vermutlich gönnt man sich seitens der beteiligten Personen aus Ministerium und Bundestag gleichwohl erst einmal ein Stück Torte auf dem Ku’damm, so wie Emil und die Detektive nach erledigter Arbeit. Dafür noch drei kleine Sahnehäubchen:

  • Minister Dr. Habeck ist ja kein Historiker, aber immerhin promovierter Literaturwissenschaftler. Er hatte in der Debatte gesagt: „Mütter und Väter der wirtschaftspolitischen Ordnung der Bundesrepublik“ hätten das GWB als Grundgesetz der Marktwirtschaft verfasst. Auch unter dem Eindruck eines bemerkenswerten Editorials zum Thema „feministisches Kartellrecht“ in der Zeitschrift NZKart von Katrin Gaßner und Thomas Lübbig stellt sich mir die Frage: Gab es Mütter der wirtschaftspolitischen Ordnung der Bundesrepublik? Bislang schien mir der Freiburger Kreis eher männlich dominiert. Aufklärung erbeten!
  • Zur Ministererlaubnis hat die Süddeutsche Zeitung am Super Tuesday Folgendes berichtet: Im letzten Ministererlaubnis-Verfahren Miba/Zollern war die Freigabe an eine Investitionsauflage geknüpft: Den Beteiligten wurde aufgegeben, in das Gemeinschaftsunternehmen in Deutschland EUR 50 Mio. zur Verwirklichung des Gemeinwohlgrundes „Know-how und Innovationspotential für Energiewende und Nachhaltigkeit“ zu investieren. Laut SZ soll diese Auflage teilweise dadurch erfüllt worden sein, dass das Joint Venture der Muttergesellschaft Unternehmen abgekauft hat. Oh. Genauere Aufklärung dieser Gemeinwohlaffäre: Leider minus, wegen Geschäftsgeheimnissen.
  • Am Super Tuesday fuhr auch noch das neue Gutachten der Monopolkommission ins Ziel. Kernaussage: Die Deutsche Bahn muss aufgespalten werden. Das ginge sogar ohne Rückgriff auf § 32f GWB, da der Eigentümer passenderweise der Gesetzgeber selbst ist. Die Mopoko hat das zünftig mit der Headline „Time to GO“ überschrieben, eine Aufforderung, die manche wohl gern auch an das Management der Deutschen Bahn richten, die aber leider ab und zu auch von der Deutschen Bahn an seine Kunden gerichtet wird (dann in der Variante: Time to WALK/FLY/DRIVE/USESCHIENENERSATZVERKEHR).

EuGH: Mega Mega META

Anderes Thema. Der Europäische Gerichtshof hat in der Causa, die diesen Blog seit Jahren beschäftigt, gerichtet. Die Entscheidung, eine Antwort auf die Vorlagefragen des OLG Düsseldorf im Facebook-Fall des Bundeskartellamts, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Große Kammer des EuGH (15 Richterinnen und Richter!) unter Vorsitz des Präsidenten Koen Lenaerts wollte offenbar ein Zeichen setzen. Kartellrechtlich lag im Prinzip auf der Hand, was der EuGH nun aber noch einmal in aller Deutlichkeit ins Stammbuch all jener schreibt, die weiterhin das Kartellrecht in Isolation betreiben wollen:

„Wie u. a. die Kommission hervorgehoben hat, sind der Zugang zu personenbezogenen Daten und die Möglichkeit ihrer Verarbeitung zu einem bedeutenden Parameter des Wettbewerbs zwischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft geworden. Daher würde der Ausschluss der Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten aus dem rechtlichen Rahmen, den die Wettbewerbsbehörden bei der Prüfung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung zu berücksichtigen haben, die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung verkennen und die Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts in der Union gefährden.“ (Rn. 51)

EuGH, Rs. C-252/21, Rn. 51

Dass sich die Wettbewerbsbehörden, wenn sie Datenschutz prüfen, dann mit den Datenschutzbehörden abstimmen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Nicht selbstverständlich ist, dass der EuGH schon einmal selbst subsumiert, wie das im konkreten Fall abgelaufen ist – manch einer erinnert sich vielleicht noch an die bohrenden Fragen in der mündlichen Verhandlung, als das Kartellamtsteam (Jörg Nothdurft, Konrad Ost, Irene Sewczyk und Julia Topel) immer wieder darlegen musste, wann man genau mit welcher Datenschutzbehörde was kommuniziert habe. Die Antworten scheinen überzeugt zu haben: Das Bundeskartellamt scheint „seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den betreffenden nationalen Aufsichtsbehörden und der federführenden Aufsichtsbehörde erfüllt zu haben.“ (Rn. 61)

Die datenarme Variante

Das Prüfkonzept des Bundeskartellamts wird gegen Ende der EuGH-Entscheidung nochmals bestätigt. Bei einem marktbeherrschenden Unternehmen könne es zu einem klaren Ungleichgewicht zwischen Plattform und Nutzer kommen. Und weiter:

„Daher müssen diese Nutzer die Freiheit haben, im Zuge des Vertragsabschlusses die Einwilligung in bestimmte Datenverarbeitungsvorgänge, die für die Erfüllung des Vertrags nicht erforderlich sind, einzeln zu verweigern, ohne dazu gezwungen zu sein, auf die Nutzung des vom Betreiber des sozialen Online-Netzwerks angebotenen Dienstes vollständig zu verzichten, was bedingt, dass ihnen, gegebenenfalls gegen ein angemessenes Entgelt, eine gleichwertige Alternative angeboten wird, die nicht mit solchen Datenverarbeitungsvorgängen einhergeht.“

EuGH, C-252/21, Rn. 150

Die Berichterstatterin, die italienische Richterin Lucia Serena Rossi, hat offenbar den Kommentar zum Digital Markets Act gelesen. Nach Art. 5 Abs. 2 DMA i.V.m. Erwägungsgrund 37 muss der Nutzer die spezifische Wahl haben, eine Variante auszuwählen, die mit wenigen persönlichen Daten auskommt. Das gilt dann, by the way, nicht nur für Facebook oder Instagram, sondern für alle zentralen Plattformdienste, die vom DMA erfasst sind – welche das sind, dazu sogleich. Die Google-Websuche gehört jedenfalls dazu.

Dienst am Datenschutz

Moment, werden nun die Kenner sagen, wenn die Einwilligung auch schwierig sein mag, gibt es ja doch noch die Möglichkeit anderer Erlaubnistatbestände, um Daten zu sammeln! Korrekt. Hier entfaltet aber die EuGH-Entscheidung erst recht ihren Charme. Die Düsseldorfer Richter, die das Verfahren vorgelegt hatten, hatten sich ja nach der Auslegung von Art. 6 und 9 DSGVO erkundigt, und damit haben sie den Datenschutzrechtlern einen ersehnten großen Dienst erwiesen. Was der EuGH hier statuiert, hat disruptives Potential für die Digitalökonomie. Die Anforderungen für die Erhebung von Daten, die unter Art. 9 DSGVO fallen, also besonders sensible Daten, werden streng formuliert. Beispiel: Wer eine queere Website aufruft und daraufhin in die Werbevermarktungskategorie „queer“ einsortiert wird, wird vermutlich Opfer einer Datenschutzverletzung – es sei denn, die Person hat auf Basis einer expliziten Information in voller Kenntnis der Sachlage ausdrücklich zuvor eingewilligt. Nach meiner datenschutzrechtlichen Laienwertung in der Parallelsphäre dürften diese Anforderungen in der Praxis eher selten erfüllt werden.

Und das gilt auch für die Tatbestände des Art. 6 DSGVO, der ja mehrere Ausnahmen vorsieht. Jede denkbare Rechtfertigung, die Meta im Verfahren vorgebracht hatte, um die Datenzusammenführung zu rechtfertigen, wird abgebürstet. So fällt etwa die Abwägung der berechtigten Interessen nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO von Nutzer und Plattform bei der Finanzierung zugunsten des Datenschutzes aus: Es sei davon auszugehen, dass die Interessen und Grundrechte des Nutzers das Interesse des Plattformbetreibers an Personalisierung von Werbung und damit Finanzierung des Dienstes überwiegen würden (Rn. 117). Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle Instagram-Nutzer diesem Votum anschließen würden, wenn sie vor der Wahl stehen, ihre Daten umfassend preiszugeben oder etwas für Insta zu bezahlen – aber bislang stehen sie ja vor dieser Wahl auch noch nicht. Das ist ein Datenschutzrecht mit Klauen und Zähnen!

Weitere Runden

Die EuGH-Entscheidung ist ein klarer Punktsieg für das Bundeskartellamt. Es wäre unverständlich, wenn das Kartellamt jetzt nicht endlich vom Meta-Konzern radikale Schritte verlangen würde. Immerhin haben nun BGH und EuGH die vollziehbare Entscheidung aus dem Jahr 2019 abgesegnet. Die in einer Medienmitteilung im Juni vorgelegte erste Umsetzungsmaßnahme – die Einrichtung von individuell steuerbaren Nutzerkonten – dürfte nicht genügen, vor allem nicht, wenn sie hinter einigen Klicks irgendwo im Einstellungsmenü versteckt ist. Das Amt kann sich aber natürlich auch noch einmal ein Jahr lang Zeit lassen. Dann greift Art. 5 Abs. 2 DMA und die dann nie umgesetzte Facebook-Entscheidung des Bundeskartellamts wird als bedeutsame Fußnote in dessen Gesetzgebungsgeschichte eingehen.

Der kleine Dienstag übrigens, der aus Emil und die Detektive, wurde im Film von Hans-Albrecht Löhr gespielt, der die Rolle erhielt, nachdem er Erich Kästner, dem Buch-Autor, Fanpost geschickt hatte. Darin stand der unverwechselbar schöne Satz: „Es war ein knorkiges Buch.“ Der EuGH-Entscheid verdient das Prädikat „knorkig“ auf jeden Fall auch.

DMA: The Seven

Am Super Tuesday wurde bekannt, welche Unternehmen sich als Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA) verstehen. Es sind gerade einmal sieben Unternehmen. Die 7 Zwerge? Die glorreichen Sieben? Die sieben Todsünder? Neben den üblichen Verdächtigen, also Apple, Amazon, Meta, Alphabet und Microsoft zählen auch ByteDance (TikTok) und der Überraschungskandidat Samsung dazu. Nicht gelistet: Booking.com, Airbnb, Spotify, Oracle, Netflix, SAP, Vivendi, Zalando, Paypal, Zoom, Salesforce, D-Kart, Uber, Verizon – und wer noch alles so durch diverse Listen geisterte. Von 10, 15, 20 Gatekeepern war zwischenzeitlich die Rede. Nun sind es im ersten Anlauf also nur 7.

Wie ist das zu deuten? Ich habe drei Lesarten im Angebot:

  1. Seifenblasen-Variante. Bei der Gatekeeper-Bestimmung zählen vor allem quantitative Kennzahlen: 7,5 Mrd. Euro Umsatz oder durchschnittliche Marktkapitalisierung von 75 Mrd. Euro, mindestens 45 Mio. monatlich aktive Endnutzer und mindestens 10.000 jährlich aktive gewerbliche Nutzer, das alles in drei aufeinander folgenden Geschäftsjahren. Ist da manches, was groß tut im Internet, doch nur eine Seifenblase, die bei genauer Betrachtung der Zahlen platzt? Hype, Hype.
  2. Teetrinker-Variante. Alle, die sich nicht gemeldet haben, müssten von der Kommission benannt werden. Das ist aufwendig. Das DMA-Team dürfte schon mit sieben Gatekeepern gut ausgelastet sein. Sollte es also zumindest hier oder da einen rechtlichen Zweifel geben, ob man wirklich die Kriterien erfüllt, könnte man sich erst einmal zurücklehnen, abwarten und Tee trinken: Soll die KOM mal kommen. Das würde in eine Strategie fallen, die Pessimisten ohnehin für den DMA erwarten – kein streberhaftes Compliance-Mitwirken, dadurch Überforderung der Kommission, die für ein echtes konfrontatives Vorgehen kaum ausgerüstet ist.
  3. Fünferkreis-Variante. Die Benennung umfasst neben dem gruseligen Aufsteiger TikTok und dem Kandidat, der aus dem Dunkel kam, Samsung, die bekannten fünf GAFAMs. Auf sie richtet sich das Augenmerk ja eigentlich auch seit Beginn der Internetkritik. Und vielleicht hatten die Kritiker immer recht: Das Internet wird letztlich von diesen Unternehmen betrieben – und die anderen, die sich an den Rändern der fünfköpfigen Hydra des fünfköpfigen Monopolblocks herumtreiben, sind eben doch keine Infrastrukturanbieter der Digitalökonomie.

Welche dieser Lesarten zutrifft und was die Kommission daraus macht, ist offen. Vielleicht ist es auch sehr gut, dass sie sich erst einmal auf die Top7 konzentrieren kann und nicht gleich mit einer Vielzahl von Unternehmen herumschlagen muss.

Wir wissen, dass wir nichts wissen

Was aber schon gewiss ist: Die Transparenz ist gering, die Prognosefähigkeiten der Think Tanks sind mau. Dass die Gatekeeper-Meldungen zur Überraschung wurden, zeigt eigentlich, wie wenig über diese seit Jahren im Fokus stehenden Unternehmen noch immer bekannt ist. Samsung ist in der Hinsicht übrigens ein interessantes Beispiel. Auch am Tag danach wusste noch keiner so recht, welche zentralen Plattformdienste Samsung eigentlich erbringt. Verdacht: Die akademisch geprägte Elite, die sich mit Big Tech-Kritik befasst, nutzt eben keine Samsung-Handys und kennt sich daher dort nicht aus (sie laufen übrigens mit Android, es gibt aber einen eigenen Samsung App Store und Browser). Sollte etwa der uralte Vorwurf doch zutreffen, dass sich enforcers und policy-makers am ehesten in ihre eigenen Alltagsprobleme, also in ihre iPhone-Lock-ins, eindenken können?

Der Meta-Konzern hat übrigens sein neues Features „Threads“ erst einmal nicht in Europa ausgerollt. Threads soll laut Politico „a poor man’s version of Twitter circa 2011“ sein. Copy & Paste zählt ja zu den Stärken von Meta. Twitter hat jedenfalls schon Schritte eingeleitet, um sich gegen die Nachahmung seines Dienstes zu wehren, wie auf, nun ja, Twitter nachzulesen ist. Dass der Meta-Konzern in der Lage ist, dank Kopplung an Instagram sofort mit einer relevanten Nutzermasse ins Twittergeschäft einzusteigen, spricht Bände. Das Mastodon weint stille Tränen hinter seinem großen Rüssel.

Der Grund für die Zurückhaltung mit dem neuen Feature in der EU liegt aber wohl in den Digital- und Darenschutzregeln, auch wenn die Irische Datenschutzbehörde, die mit Meta in Kontakt war, sich – surprise – nicht entgegengestellt hat. Wirkt die europäische Digitalregulierung also und bewahrt uns vor einem neuen nervigen Social Media-Kanal? Wer’s bedauert (etwa wegen fehlendem Wettbewerb für Mikrobloggingdienst Twitter), sei getröstet: Sie haben ja Makrobloggingdienst D’Kart! Nicht nur an einem kleinen Dienstag, sondern an jedem Tag der Woche unter www.d-kart.de.

Schönes Wochenende!

Prof. Dr. Rupprecht Podszun ist Co-Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Editor dieses Blogs.

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