Nachgeschenkt: Bierkartell (da capo)

Nachgeschenkt: Bierkartell (da capo)

Hello again! Die Beteiligten im Bierkartell treffen sich wieder vor Gericht. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hatte eine weitere Runde spendiert, indem er 2020 einen Freispruch des OLG Düsseldorf in diesem Fall aufgehoben hatte. Nun müssen andere Richter des Oberlandesgerichts die Sache aufrollen. Rupprecht Podszun, der hier schon über das erste Verfahren geschrieben hatte, hat den neuerlichen Prozessauftakt verfolgt.

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„Wir sind neu! Unbefangen fangen wir wieder an!“, rief der Vorsitzende Richter Ulrich Egger etwa eine halbe Stunde nach Beginn der Verhandlung aus. So richtige Aufbruchstimmung wollte im Saal BZ5 des OLG Düsseldorf allerdings nicht aufkommen. Wäre es üblich, in Gerichtsverhandlungen wild dazwischen zu rufen, hätte von der linken Seite bestimmt jemand hereingepöbelt: „Aber wir halt nicht!“ Auf der linken Seite des Saals (von den Zuschauerstühlen aus gesehen) saßen allerdings lauter soignierte Herren, die – wie sich später zeigen sollte – durchaus scharfe Bemerkungen loslassen können. Die richten sie aber lieber gegen die rechte Seite als gegen die Richterbank, von der einiges abhängt.

Aushang am Saal BZ5 im Oberlandesgericht Düsseldorf.

Einiges hat hier mehrere Nullen – es geht um ein 62-Mio.-Euro-Bußgeld, das das Bundeskartellamt gegen die Carlsberg Brauerei (Holsten, Astra, Duckstein u.a.) verhängt hat. Ein wesentlich kleineres Bußgeld gegen den damaligen Geschäftsführer Wolfgang Burgard steht auch zur Verhandlung. Bis auf Carlsberg hatten alle Brauereien kurz vor Beginn des ersten Bierkartell-Prozesses ihre Geldbußen akzeptiert und Einsprüche zurückgezogen. Carlsberg blieb standfest und wurde zunächst belohnt: Wegen Verfolgungsverjährung hatte der 4. Kartellsenat des OLG Düsseldorf unter Manfred Winterscheidt am 3. April 2019 einen Freispruch ausgeschenkt. Doch der BGH hob diese Entscheidung auf und verwies zurück an einen anderen Senat des OLG Düsseldorf. Das war ernüchternd für das im ersten Anlauf siegreiche Team (und vielleicht auch für den nun befassten 6. Kartellsenat). Und so wird man in den kommenden Monaten einiges doppelt sehen.

In der Wiederholungsschleife

Der Ausruf des Senatsvorsitzenden Dr. Ulrich Egger ereignete sich bei der Besprechung eines Problems, das in Gestalt eines kleinen Verfahrensthemas das große Unbehagen mit diesem Prozess auf den Punkt bringt. Nennen wir es den „Restorff-Effekt“ (auch wenn damit in der Psychologie eigentlich etwas anderes bezeichnet wird). Der Restorff-Effekt des Bierkartell-Verfahrens knüpft an die Stellung von Zeugen an: Darf ein Prokurist der Nebenbetroffenen der Verhandlung beiwohnen, auch wenn er noch als Zeuge vernommen werden soll? Eigentlich soll das nicht der Fall sein, aber dieser Prokurist, Matthias Restorff, Justiziar der Carlsberg-Brauerei, hat all das schon einmal gehört, was mutmaßlich ein zweites Mal aufgeführt wird – er war auch im ersten Prozess im Saal. Er soll offenbar im Laufe dieser Hauptverhandlung noch zu Compliance-Maßnahmen gehört werden, aber er soll auch für seinen Arbeitgeber das Verfahren verfolgen. Der Senatsvorsitzende hat Zweifel: „Wenn ich nach mehreren Monaten Hauptverhandlung einen Zeugen vernehme, der die ganze Zeit dabei war…“ – Egger lässt den Satz unbeendet. Die Anwälte: „Aber er war doch schon im Verfahren bei Winterscheidt dabei!“ Das ist des Pudels Kern: Die Beteiligten links und rechts stecken in einer Wiederholungsschleife. Sie haben schon 27 Verhandlungstage vor dem 4. Kartellsenat unter Manfred Winterscheidt zugebracht, davor haben sie beim Bundeskartellamt berichten müssen – und davor haben sich die Ereignisse, um die es jetzt erneut geht, auch in der Realität zugetragen. Oder auch nicht. Neu und unbefangen sind im Saal nur die Richter; neben Egger sind dies Stefan Rubel als Berichterstatter und Vera Spiecker als Beisitzerin.

Soll man Restorff also vielleicht doch im Raum bleiben lassen? Rechtsanwalt Jürgen Wessing, ein Urgestein in der Szene der Wirtschaftsstrafverteidiger, deklariert in einem Moment der Stille gegenüber dem Senat: „Herr Schmitt meint, Sie könnten gestatten.“ Wessing, Profi, sagt das in einem Tonfall, als habe er soeben einen Anruf von Gott erhalten, der Restorffs Verbleib abgesegnet habe. Für einen kurzen Moment scheint auch Vorsitzender Egger ungläubig zu zweifeln, ob es nicht außer dem BGH doch noch eine Autorität über seinem Senat gibt, nämlich Herrn Schmitt. Aber dann ist wohl doch nur Bertram Schmitt gemeint, der den StPO-Kommentar Meyer-Goßner weiterführt. Wessings Manöver verfängt nicht, aber das Gericht findet eine kommode Lösung: Restorff wird nächste Woche im Prozess vernommen.

Der Beginn einer anstrengenden Reise

33 Verhandlungstage hat der Senat bis Ende November terminiert. Das wird eine aufwändige Reise, und Egger ist der Reiseleiter. Er ist sehr freundlich, sehr zugewandt gegenüber allen Beteiligten an diesem ersten Prozesstag. Er müht sich wie ein motivierender Lehrer vor einer lustlosen Gruppe Schüler, die jetzt ins Museum müssen, obwohl sie viel lieber mit einem Sixpack am See chillen würden. Als Ulrich Quack, Verteidiger des ehemaligen Carlsberg-Geschäftsführers, sehr höflich anfragt, ob er denn für alle Termine aus Berlin anreisen müsse („in diesen Zeiten“), schaut Egger so als wolle er sagen: Ich weiß doch, Uli, aber wir kriegen die Zuschüsse für die Kursfahrt doch nur, wenn wir auch Kulturprogramm machen. Nur: In diesem Museum waren alle schon einmal – außer den Richtern.

Zum Auftakt des Bierkartells kommt auch ein Kameramann von RTL.

Das Kulturprogramm beginnt mit der Verlesung des Bußgeldbescheids von 2014 durch Dr. Jan Steils, Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft. Neben ihm sitzt Markus Rauber vom Bundeskartellamt, dahinter Andrea de Lagaye de Lanteuil. Ihre Berufsbezeichnung „Staatsanwältin beim Bundeskartellamt“ lässt aufhorchen. Bei der Anwesenheitsfeststellung stolpert Egger aber eher über die korrekte Aussprache des Nachnamens: „Hatte nur zwei Jahre Französisch“, murmelt er. Das Kartellamt hat kurz und knackig formuliert. Kernvorwurf: Carlsberg war verwickelt in das Bierkartell der großen Pils-Brauereien. Ausgangspunkt dafür soll ein Treffen am 12.3.2007 in einem Hamburger Hotel „am Rande der Internorga“ gewesen sein. (Diese Wendung – „am Rande der Internorga“ – fällt so oft, dass für Kartellrechtler die Gastromesse Internorga wahrscheinlich stets nur noch „am Rande“ relevant ist.)

Der Vorsitzende stellt klar, dass das auf den Bußgeldbescheid folgende OLG-Urteil durch den BGH-Beschluss vom 13.7.2020 (Az. KRB 99/19) aus der Welt sei, und er schaut bei dieser Feststellung die acht Damen und Herren auf den Besuchersitzen durchdringend an. Er verwendet dabei den Blick, den Professoren manchmal haben, wenn sie Studierende davor warnen, das Abstraktionsprinzip zu missachten: Wer das nicht kapiert, soll in der Hölle schmoren.

Der Preis des Rechtsstaats

Dann wird der 37-seitige BGH-Beschluss verlesen. Stefan Rubel liest als erster, nach der Hälfte löst der Vorsitzende ihn ab. Rubel macht das richtig gut! Man hört ihm gern zu, er betont so, dass man den Ausführungen wunderbar folgen kann. Ohnehin hat diese Richterbank eine sympathische Ausstrahlung. Richterin Spiecker hüllt sich nicht in die Teilnahmslosigkeit einer gelangweilten Beisitzerin, wie man das sonst gelegentlich sieht. Sie geht mit, lacht auch einmal, wenn es passt. Die drei wollen als Team jetzt ein Verfahren bewältigen, um das sie sich nicht gerissen haben und das für alle Beteiligten eigentlich eine Zumutung ist, aber das wollen sie sich um keinen Preis anmerken lassen. Die Anwälte für Carlsberg – erschienen ist neben Quack und Wessing auch dessen Kollege Maximilian Janssen – müssen hoffen, dass ihnen im Wiederholungsspiel nochmals so ein Coup gelingt wie beim ersten Mal. (Das Unternehmen ist neben der Kanzlei Wessing übrigens Baker & McKenzie treu geblieben, obwohl ja ein Teil des dortigen Teams zu Mayer Brown gewechselt ist.) Für das Bundeskartellamt steht ein wichtiger Bußgeldbescheid auf dem Spiel. Und in den Zeugenstand werden in den kommenden Wochen aktuell tätige und ehemalige Top-Manager der Getränkeindustrie treten, die all das schon einmal hinter sich gebracht haben und sich nun an ein Treffen „am Rande der Internorga“ und anschließende bilaterale Kontakte erinnern sollen, was alles inzwischen vierzehn Jahre zurückliegt.

Die Verlesung des BGH-Beschlusses ist sichtbarer Ausdruck eines irrsinnigen Aufwands für den Rechtsstaat. Der fragt eben nicht nach Zeit, Kosten und Sinn eines solchen Wiederholungsspiels. Die Beteiligten dürften bereits jedes Komma des jetzt zeitraubend verlesenen Beschlusses dreimal gewendet haben. Sie könnten nun Candy Crush spielen, aber sie nehmen die Würde des Ortes eben doch ernster als Ministerpräsidenten ihre Corona-Konferenzen. E-Mails checken geht übrigens auch nicht so recht: Der Empfang ist lausig in diesem Trakt des OLG. Selbst die Journalisten haben die BGH-Entscheidung vorab durchgearbeitet und mit verschiedenen Farben markiert – zugegeben, es handelt sich um zwei kartellrechtliche Profis, dpa-Korrespondent Erich Reimann und Hanno Bender von der Lebensmittel-Zeitung.

Die Journalisten Hanno Bender (l.) und Erich Reimann – Stammgäste in OLG-Kartellverfahren.

Jedenfalls nicht dreistellig?

Nach einer kurzen Pause kommt doch so etwas wie ein Knüller:  Richterin Spiecker verliest den Vermerk einer Vorbesprechung, die am 13.4.2021 „von 10:01 bis 11.15 Uhr“ stattgefunden hat. Für die Beobachter ist dies ein willkommener Einblick in das, was sich in den nächsten Wochen entfalten wird. Einen Deal hat es dabei nicht gegeben, die Auffassungen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Beweislage sei dünn, wird Rechtsanwalt Quack zitiert, der offenbar digital zugeschaltet war (wenigstens einmal). Egger hat in der Besprechung erkennen lassen, dass das Treffen „am Rande der Internorga“ entscheidend sein dürfte. Auch die Verjährungsfrage ist für ihn offenbar noch nicht vom Tisch. Und dann: Ein Bußgeld im dreistelligen Millionenbereich – wie zuletzt von der Staatsanwaltschaft im Prozess gefordert – sei nicht denkbar.

So zeichnet sich ab, dass all die Manager in ihren Gedächtnissen kramen werden müssen, um zu rekonstruieren, was „am Rande der Internorga“ (im Folgenden: aRdI) passiert ist. Beim Bundeskartellamt, das den Fall mit Hilfe von Bonusanträgen schloss (AB InBev ging ohne Bußgeld aus dem Verfahren), ist der Eindruck entstanden, dass sich die Brauerei-Chefs dort entschlossen haben, eine Preisabstimmung vorzunehmen: 1 Euro pro Kasten rauf. Anfang 2008, so schreibt es das Bundeskartellamt im Fallbericht, „kam es in Deutschland wiederum zu einer fast flächendeckenden Preiserhöhung bei Flaschen- und Fassbier.“ Rechtsanwalt Wessing stellt die Sache später anders dar: Das Treffen aRdI sei „eine Laberrunde, die nichts voranbrachte“ gewesen.

Geselliges Beisammensein

Als unbefangener Beobachter, der naiv an das Wettbewerbsprinzip glaubt, verblüfft ja immer wieder die Geselligkeit von Unternehmensvertretern, für die es offenbar selbstverständlich ist, sich mit der Konkurrenz zu treffen, statt diese im Wettbewerb anzugehen. „Compliance“ schien auch im fünfzigsten Jahr nach der Einführung des Kartellrechts noch ein Fremdwort aRdI. Andererseits: Das Hotel in Hamburg am Gänsemarkt schaut gut aus, in der Bar dort wird heutzutage Radeberger und Duckstein ausgeschenkt. Da trifft man sich gern, vielleicht auch, um gegen die Katerstimmung in der Branche anzukämpfen: Der Bierkonsum sank 2007, die Kosten stiegen, bei manchen Vorständen machten die Konzernmütter Druck. Als Entschuldigung für eine alkoholselige Kartellverbrüderung taugt das freilich nicht.

Die Vorgaben des BGH

Ohne das Treffen aRdI wäre der Kartellrechtswelt eine interessante BGH-Entscheidung entgangen. Das sahen die Richter um den Vorsitzenden Peter Meier-Beck offenbar ähnlich; die Entscheidung ist zum Abdruck in BGHSt vorgesehen worden, was nicht die Regel ist. Der erste Leitsatz lautet:

„Der Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ist zweigliedrig; er verlangt neben einem Abstimmungsvorgang (Fühlungnahme) eine tatsächliche Verhaltensweise im Sinne einer praktischen Zusammenarbeit auf dem Markt, das heißt ein konkretes Marktverhalten in Umsetzung der Abstimmung. Typisches Mittel einer verbotenen Abstimmung ist der Austausch von Informationen über wettbewerbsrelevante Parameter mit dem Ziel, die Ungewissheit über das zukünftige Marktverhalten des Mitbewerbers auszuräumen.“

2019: Auftakt zur ersten Verhandlung zum Bierkartell im OLG – prä-Corona.

Dazu bietet der BGH einige Klarstellungen, was eine Abstimmung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV ist. Letztlich ist es der Informationsaustausch, der so oft im Kartellrecht Schwierigkeiten bereitet: Ist das schon eine Abstimmung? Der BGH stellt hier keine besonders hohen Anforderungen. Der 4. Kartellsenat des OLG Düsseldorf habe die Anforderungen überspannt. Der Austausch wettbewerbssensibler Informationen, das sei eben eine typische Fühlungnahme, die für eine Abstimmung genüge. Eine „Koordinierungserwartung“ müsse nicht damit einhergehen. Das ist ganz im Sinne der hier vertretenen strengen Auffassung, dass es sich nicht ziemt, mit Wettbewerbern zu „labern“. Auch ein Informationsaustausch, der „am Schluss offen“ endet, ist eine solche Fühlungnahme.

Die Umsetzung und deren Nachweis

Im zweiten Schritt allerdings verlangt der BGH eine Umsetzung in Form eines kausal herbeigeführten konkreten Marktverhaltens. Verlangt wird „ein dem Abstimmungsvorgang nachgelagertes Verhalten auf dem relevanten kartellbefangenen Markt […], was die bloße Kommunikation zwischen Unternehmen nicht erfasst.“

Labern dürfen sie also miteinander. Bleibt es beim Informationsaustausch ohne jegliche Folgen, liegt kein Verstoß gegen Kartellrecht vor, so schreibt es der BGH explizit:

„Soweit das Oberlandesgericht angenommen hat, der auf eine kartellrechtswidrige Vereinbarung gerichtete „Koordinierungsversuch“, der in dem Treffen vom 12. März 2007 zu sehen sei, erfülle für sich gesehen die Tatbestandsmerkmale der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV und § 1 GWB, weist das Urteil einen dem Betroffenen und der Nebenbetroffenen nachteiligen Rechtsfehler auf (§ 301 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).“

Wie so oft, wird dieser heikle Punkt durch Nachweisfragen überlagert. Denn natürlich zählt es zum „ökonomischen Erfahrungswissen, dass ein Unternehmen Kenntnisse über beabsichtigtes oder erwogenes Marktverhalten eines Wettbewerbers in der Regel bei der Bestimmung des eigenen Marktverhaltens berücksichtigt“ (BGH). Alles andere wäre unrealistisch. Aber wie weitgehend folgt daraus eine Vermutung, gar eine Pflicht zum Gegenbeweis für die Unternehmen, die über Preise gesprochen haben?

Vorsicht, Schuldprinzip! Der BGH führt aus, dass nach dem Schuldgrundsatz die volle tatrichterliche Überzeugung erforderlich ist; Abstriche davon sind nicht zu machen. Aber es gebe eine Indizwirkung, was immer das dann wieder genau bedeutet, und diese „umso mehr, wenn – wie hier – Wettbewerber, nachdem sie ein koordiniertes Vorgehen besprochen haben, zeitnah zueinander gleichartige Verhaltensweisen an den Tag legen.“

Eine weitere Schaumkrone Blume dieses Verfahrens ist, dass sich das Marktverhalten offenbar nachlesen lässt. Regierungsdirektor Rauber kündigt Urkundsbeweis mit Hilfe der Fachzeitschrift „inside Getränke – die Infoquelle der Getränkewirtschaft“ an. Nach Lesart des Bundeskartellamts wurde die Preisabstimmung in aller (Fach-)Öffentlichkeit kommuniziert. Informationsaustausch am Limit.

Wer dabei war

Das ist das knifflige Rätsel, das den drei Richtern nun gestellt ist: Sind sie – nach der Beweisaufnahme – davon überzeugt, dass sich der Informationsaustausch in Carlsbergs Preisgestaltung niederschlug?

Wer die Cecilienallee von Süden zum OLG (hier hinter den Bäumen verborgen) befährt, wird von Claudia Schiffer derzeit aufgefordert, Gefangene zu machen.


Wessing & Co. wollen das dem Gericht noch etwas schwieriger machen. Wessing, der übrigens auch Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist, macht ein „Opening Statement“ nach § 243 Abs. 5 S. 3 StPO, das es in sich hat. Er stellt in Frage, dass Wolfgang Burgard von Carlsberg überhaupt bei dem Treffen aRdI anwesend war. Spätere Kontakte in kleinerer Besetzung sind womöglich nicht besonders gut dokumentiert, was dazu führen würde, dass der Vorwurf auf wackligen Beinen stehen würde. Wessing legt sich gar nicht fest. Der Satz „Burgard war nicht anwesend“ fällt nicht. Wessing weiß, worauf es ankommt: Lässt es sich beweisen?

Burgard macht natürlich keine Einlassungen zur Sache. Man würde jetzt gern einmal höflich an seinem braunen Sakko zupfen und fragen: Wo waren Sie denn am 12.3.2007? Hatte man bis zu diesem Zeitpunkt noch eine gewisse Freude an der juristischen Kärrnerarbeit des Strafrechts, folgt nun die Frustration. Was, wenn sich Burgard wirklich nicht einmal mehr selbst erinnert? Durchaus nachvollziehbar wäre es ja, es ist lange her und Treffen unter konkurrierenden Brauereidirektoren scheinen ja nichts ungewöhnliches zu sein.

Ein schwerer Vorwurf

Ob die Verteidigungsstrategie aufgeht, hängt an den Aussagen, die Manager anderer Brauereien schon einmal in Bonusanträgen und Settlement-Dokumenten gemacht haben. Sie führten dazu, dass Carlsberg jetzt vor Gericht steht. Wessing behauptet, das Bundeskartellamt habe „zumindest unbewusst“ das Aussageverhalten beeinflusst. Es wird ungemütlich im Saal von Dr. Egger, der doch um eine gute Stimmung bemüht war.

Wessing wörtlich:

„Es gab nachweislich nicht protokollierte Hilfestellungen. Betroffene sind auch unter Druck gesetzt worden. Sie haben in Bonusanträgen und beim Settlement Dinge angegeben, die sie selbst nicht wahrgenommen haben.“

Solche Vorwürfe sind wohl nötig, wenn es um eine Millionen-Geldbuße und um den Sieg in einem Wiederholungsspiel geht, das man einmal triumphal gewonnen hatte. Einen Moment lang darf man der Frage nachhängen, für wen Wessings Ansage eigentlich ehrabschneidender ist: für die Ermittler des Bundeskartellamts, die sich nach seiner Ansicht über grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien hinweggesetzt haben? Oder ist es peinlicher für die vernommenen Spitzenmanager, die mit ihren Top-Anwälten an der Seite offenbar von Beamten in Bonn so weichgekocht wurden, dass sie am Ende einfach irgendwas unterschrieben haben? Kartellamtsvertreter Rauber weist den Vorwurf zurück. „Lupenrein“ und „blitzsauber“ seien die Verfahren geführt worden, davon werde sich das Gericht überzeugen können.

Erste Gelegenheit dazu hat das Gericht nach der Mittagspause. Es ist ein Freitag, 14.00 Uhr, Christof Vollmer, der das Verfahren beim Bundeskartellamt geführt hat, soll an diesem Nachmittag aussagen. Es geht schon wieder los.

Weitere Beiträge in unserem Blog zum „Bierkartell“ finden Sie hier (eine Einschätzung von Rupprecht Podszun vor dem ersten Prozessauftakt am OLG), hier (zur Entscheidung im 1. Verfahren), hier (über eine Veranstaltung der Studienvereinigung zu Verwerfungen des Bußgeldrechts von Laura Delgado Pazos), hier (über Reformen im Bußgeldrecht von Maximilian Janssen) sowie hier (Thomas Wostry über Ermittlungsbefugnisse).

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4 Gedanken zu „Nachgeschenkt: Bierkartell (da capo)

  1. Was mir Gedanken macht: Der Trend zu langen Verfahrensdauern im Kartellrecht setzt sich fort. Was sich bspw. beim Facebook-Verfahren zeigt, gilt leider auch hier. Wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir gerade im Bußgeldbereich kürzere Verfahrensdauern erreichen können. Wer momentan in diesem Bereich aktiv ist, braucht Ausdauer und ein gutes Gedächtnis.

  2. Die erste Entscheidung des OLG Düsseldorf zum Vorwurf des abgestimmten Verhaltens auf Basis der Vorgaben der Carlsberg-Entscheidung des BGH folgt am 8. September im Bierkartellverfahren Teil II – es ist wieder der 4. Senat am Zug. Lessons learned? Der Grundsatz „in dubio pro reo“ muss künftig in der Praxis deutlich mehr Gewicht haben. Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen trotz jahrelanger Ermittlungen gegen Vorwürfe verteidigen müssen, die keine klare Grundlage haben. Das gilt ganz besonders für den sehr weitreichenden Vorwurf des abgestimmten Verhaltens.

  3. Großartiger Text. Gerne mehr!!

    @Paul Mey: Es gilt hier, was auch sonst überall gilt: Wenn die Ausstattung stimmt, werden die Verfahren kürzer. Alles andere ist Augenwischerei.

  4. Danke für diese amysante Darstellung des doch nicht unkomplzierten Verfarhens. Sie haben mir damit die Stimmung an einen verregneten Nachmittag gerettet.

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