Die Facebook-Entscheidung: ist jetzt alles klar?

Die Facebook-Entscheidung: ist jetzt alles klar?

Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dieser Woche bewegt die Kartellrechts-Community – und nicht nur die. Nach einer ersten Einordnung unmittelbar nach der Entscheidung von Rupprecht Podszun schreibt heute Daniela Seeliger dazu. Sie stellt klar, was der BGH klargestellt hat – und was nicht.

Die Entscheidung des Bundeskartellamts, mit der Facebook die Sammlung und Verwertung von Daten seiner Tochtergesellschaften und dritter Unternehmen für seine eigene Geschäftstätigkeit untersagt worden war, hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Das ist verständlich, ist doch damit das Geschäftsmodell nicht nur von Facebook, sondern auch anderer Internet-Größen, die sich über Webeeinnahmen finanzieren, in einem zentralen Punkt in Frage gestellt. Facebook musste sich deshalb gegen diese Entscheidung zur Wehr setzen. Das OLG Düsseldorf hat im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Untersagung des Bundeskartellamts außer Vollzug gesetzt, weil es nach nur summarischer Prüfung erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung hatte. Im Streit war dabei nicht die marktbeherrschende Stellung von Facebook auf dem Markt für soziale Netzwerke, sondern allein die Frage, ob die Zusammenführung von Nutzerdaten aus unterschiedlichen Quellen durch Facebook ohne ausdrückliche Genehmigung der Nutzer eine missbräuchliche Ausbeutung der Nutzer darstellt. Dies hatte das OLG zuvor mit vielfachen Argumenten verneint.

Der BGH hat mit dem Beschluss vom 23. Juni 2020 im Ergebnis im Sinne des Bundeskartellamts entschieden und die Untersagungsverfügung wieder in Kraft gesetzt. Bisher liegt nur eine Pressemitteilung vor. Alle nachfolgenden Überlegungen gelten deshalb immer unter dem Vorbehalt der endgültigen schriftlichen Begründung des Gerichts.

Eine eigenständige Argumentation

Die Entscheidung des BGH reiht sich in eine beachtliche Kette von Aktivitäten ein, mit denen Gesetzgeber, Wettbewerbsbehörden und Gerichte weltweit einen neuen digitalen Ordnungsrahmen für das Kartellrecht umzusetzen trachten. Juristisch ist der Beschluss des BGH insbesondere unter zwei Gesichtspunkten bemerkenswert. Sowohl auf die Argumentation des Bundeskartellamts, das auf mehr als hundert Seiten einen Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorschriften begründet hatte, als auch auf die vielfachen Argumente des OLG Düsseldorf geht der BGH nicht ein. Er begründet den Missbrauch vielmehr mit einer eigenständigen Argumentation, die weder Bundeskartellamt noch OLG zuvor so diskutiert hatten. Dies ist für den BGH in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eher ungewöhnlich.

Mindestens ebenso ungewöhnlich ist, dass der BGH mit seinem Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren praktisch die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen hat. Die klare Feststellung des BGH, es bestünden keine „ernsthaften Zweifel“ an der missbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung durch Facebook, lässt selbst für das ideenreiche OLG wenig Spielraum.

Wahlmöglichkeiten

Den Missbrauch begründet der BGH schlicht und direkt mit der fehlenden Wahlmöglichkeit der Nutzer. Auch für das Bundeskartellamt war dies ein entscheidender Gesichtspunkt. Allerdings hatte es daraus einen Verstoß gegen Datenschutzrecht (DSGVO) und daraus erst im zweiten Schritt einen Verstoß gegen Kartellrecht abgeleitet. Diese Brücke braucht der BGH nicht. Er argumentiert rein kartellrechtlich, dass die Nutzer beim Angebot eines marktbeherrschenden Unternehmens ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Modellen haben müssen. Ist dies nicht der Fall, liegt unmittelbar darin der Missbrauch. Dies ist eine Forderung, die es in dieser Form in der Missbrauchsaufsicht bislang nicht gegeben hat. Insofern reicht die Bedeutung der Entscheidung weit über den konkreten Fall Facebook hinaus.

Facebook muss Optionen eröffnen – „two roads diverged in a wood, and I – …“

Bei den Alternativen, die Facebook den Nutzern bieten muss, folgt der BGH der Argumentation des Bundeskartellamts. Allerdings beginnen hier die Fragen. Der BGH hat nicht ausgeführt, warum gerade diese beiden Alternativen, die das Bundeskartellamt behandelt hat – und keine andere Wahlmöglichkeit – den Nutzern offenstehen müssen. Er begründet auch nicht, warum die Tatsache, dass Facebook eine Wahlmöglichkeit eröffnet, den Wettbewerb beleben soll. Ferner äußert sich der BGH nicht dazu, ob die (beiden) Alternativen für den Nutzer gleichwertig sein müssen. Möglich ist, dass das Unternehmen bei der für sein Geschäftsmodell ungünstigeren Alternative ein Entgelt bzw. ein höheres Entgelt fordert. Dadurch kann die Attraktivität der Wahlmöglichkeiten beeinflusst werden. Schließlich ist offen, ob die verschiedenen Alternativen gleichrangig nebeneinander angeboten werden müssen, so dass die Nutzer sich entscheiden müssen – das wäre einem Opt-in-Modell vergleichbar – oder ob das marktbeherrschende Unternehmen ein Geschäftsmodell vorgeben darf, das die Nutzer gegebenenfalls abwählen können – das wäre einem Opt-out-Modell vergleichbar.

Klärungen

Auch wenn somit viele Fragen offenbleiben, so scheinen doch einige Streitpunkte zwischen Bundeskartellamt und OLG durch die Entscheidung des BGH ausgeräumt.

  • Dazu gehört vor allem, dass Daten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind, die für den Wettbewerb auf den Online-Märkten eine entscheidende Rolle spielen können. Für die künftige Praxis des Bundeskartellamtes ist diese Feststellung im Beschluss des BGH von besonderer Bedeutung und vielleicht ebenso wichtig wie der Ausgang des Verfahrens selbst.
  • Nicht durchgedrungen ist das Bundeskartellamt dagegen wohl mit seinem Versuch, den Verstoß gegen eine außerwettbewerbliche Vorschrift (hier: Datenschutzrecht) als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu definieren. Das ist erfreulich, weil damit eine uferlose Ausweitung des Missbrauchsbegriffs auf außerwettbewerbliche Regelungen verhindert wird.
  • Nicht durchgedrungen ist auch das OLG mit seiner Argumentation gegen die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung durch Facebook. Das gilt insbesondere für die These, ein Missbrauch liege nicht vor, weil die Wahl der Nutzer für Facebook auf einer selbstbestimmten autonomen Entscheidung beruhe; auch gebe es keine Abhängigkeit der Nutzer von Facebook, wie schon die Tatsache belege, dass den 30 Mio. Nutzern ca. 50 Mio. Nichtnutzer gegenüberstünden.

Offene Fragen

Offen ist somit im Wesentlichen noch die Frage der Kausalität zwischen der Ausbeutung und der marktbeherrschenden Stellung.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der BGH zudem einen Behinderungs­missbrauch auf dem Markt der Online-Werbung als wahrscheinlich ansieht. Auch Bundeskartellamt und OLG hatten eine Behinderung der Wettbewerber durch Facebook behandelt und unterschiedlich beurteilt, ohne die Frage zu vertiefen.

Mit dem Beschluss im Facebook-Verfahren hat der BGH die Befugnisse des Bundeskartellamts gegenüber den großen Internet-Konzernen gestärkt. Dies ist auch eines der Kern-Themen der 10. GWB-Novelle. Vor dem Hintergrund der durch Covid-19 nochmals beschleunigten Entwicklungen in der Digitalisierung sind in dem Entwurf der Novelle viele Regelungen enthalten – nicht zuletzt die Erleichterung von Kooperationen – die nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden sollten. Auch weil der BGH bei Facebook und darüber hinaus nicht alles klären kann.

Prof. Dr. Daniela Seeliger ist Partnerin bei Linklaters. Sie ist Mitglied der Kommission der Bundesregierung „Wettbewerbsrecht 4.0“ und lehrt Kartellrecht an der Martin-Luther-Universität Halle.

5 Gedanken zu „Die Facebook-Entscheidung: ist jetzt alles klar?

  1. Vielen Dank für die interessante Analyse an Frau Prof. Seeliger! Die vom BGH geforderte Wahlmöglichkeit könnte sich vielleicht so erklären, dass der BGH von Facebook nur die datenärmere Variante verlangt und die datenintensivere Variante zulässt, wenn der Nutzer freiwillig zustimmt. Dann würde der BGH keine echte Wahlmöglichkeit verlangen, sondern eine Datennutzungsobergrenze ziehen, die bei freiwilliger Zustimmung des Nutzers durchbrochen werden darf. Wie Frau Prof. Seeliger schreibt, hier bleibt das Urteil abzuwarten.

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