Competition 4.0

Competition 4.0

In Berlin hat die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 ihre Vorschläge zur Reform des EU-Wettbewerbsrahmens an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier übergeben. Aufgabe der Expertengruppe war es, konkrete Empfehlungen zu geben, wie das EU-Recht angepasst werden kann. Lucas Gasser war für D’Kart bei der Pressekonferenz und gibt einen ersten Überblick über den deutschen Beitrag zum Eurovision Competition Contest.

Es ist fast ein Jahr vergangen, seit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am 20.09.2018 die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 eingesetzt hat. Die berufenen Expert:innen unter dem Vorsitz von Martin Schallbruch, Heike Schweitzer und Achim Wambach bekamen den Auftrag, bis zum Herbst 2019 Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts zu erarbeiten. Pünktlich an dem Tag, an dem Ursula von der Leyen in Brüssel die Nominierten für ihr zukünftiges Kommissionskabinett vorstellte, lieferte nun die interdisziplinär besetzte Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 ihre Ergebnisse in Form eines 85 Seiten langen Berichts an Altmaier ab.

EU statt GWB, konkret statt abstrakt

Wie im Laufe der Vorstellung dieses Berichts mehrfach betont wurde, hatte die Arbeit dieser Kommission keinen unmittelbaren Bezug zur anstehenden 10. GWB-Novelle. So wurde den Vorsitzenden – nach eigenen Aussagen – auch aufgegeben, in der Pressekonferenz nicht über die 10. GWB-Novelle zu sprechen. Immerhin verriet Heike Schweitzer, dass die zuständigen Referent:Innen des Ministeriums bei den Sitzungen der Kommission zugegen gewesen seien und eifrig mitgeschrieben hätten.

Peter Altmaier, ganz dynamisch.

Schweitzer, Professorin an der HU Berlin, hat bekanntlich erst vor wenigen Monaten (gemeinsam mit Jacques Crémer und Yves-Alexandre de Montjoye) als Special Advisor von Margarethe Vestager einen Bericht über das Wettbewerbsrecht im Digitalzeitalter abgeliefert. Der Antrieb für den neuerlichen Bericht liegt in dem Umstand begründet, dass Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 den EU-Ratsvorsitz übernehmen wird, wofür einige konkrete Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen benötigt werden. Der vorliegende Bericht der Expertenkommission soll demzufolge vorzeichnen, woran die neue Europäische Kommission dann arbeiten wird. Der Bericht aus Berlin wird an einigen Punkten konkret, die im Bericht für Brüssel lediglich als Problembereich identifiziert wurden.

Der Auftrag

In der Auftragsbeschreibung machte Minister Altmaier noch recht unumwunden klar, worum es eigentlich gehen soll: „Europas Stellung und Wettbewerbsfähigkeit im Bereich digitaler Märkte […] und damit zugleich den ökonomischen und gesellschaftlichen Wohlstand“ zu sichern und zu bewahren. Angesichts der Übermacht amerikanischer und chinesischer Plattformunternehmen im digitalen Bereich soll also das europäische Wettbewerbsrecht modernisiert, sowie dessen rechtliche Grundlagen im Digitalbereich „harmonisiert und zusammengeführt“ werden. Heike Schweitzer fasste es sinngemäß so zusammen, dass einerseits noch immer die Zähmung von Google, Amazon & Co. ausstehe und andererseits aber auch die europäische Digitalwirtschaft gefördert werden müsse, um an die etablierten Giganten aufzuschließen. Die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 hat sich dabei selbst zum Ziel gesetzt, langfristige und nachhaltige Lösungen zu präsentieren. Inhaltlich bildeten sich dabei drei Themenblöcke, die jeweils von einer Arbeitsgemeinschaft unter der Leitung einer der Vorsitzenden bearbeitet wurden. VWL-Professor Achim Wambach, der auch Vorsitzender der Monopolkommission ist, und seine Gruppe nahmen sich der digitale Plattformen an. IT-Experte Martin Schallbruch, früher in der Bundesregierung tätig, beschäftigte sich mit seinem Team mit der Rolle von Daten. Heike Schweitzer kümmerte sich um „den Rest“.

Herausgekommen sind 22 Empfehlungen, die zum Teil – im Falle der Umsetzung – als tatsächlich sehr weitgehend und vor allem auch konkret beschrieben werden können. Sechs Kategorien lassen sich unterscheiden.

1: Anpassung der Marktabgrenzung

Die Expertenkommission schlägt vor, die Praxis der Marktabgrenzung zu konkretisieren. Demnach soll die Europäische Kommission die aus dem (vordigitalen) Jahr 1997 stammende Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes überarbeiten. Ergänzend soll eine separate Mitteilung über die Marktabgrenzung und Marktmachtfeststellung bei digitalen Plattformen veröffentlicht werden. Das Bundeskartellamt hat diesbezüglich sowohl seine als auch die Praxis der Kommission in einem Arbeitspapier des Think Tank Internet bereits im Jahr 2016 zusammengefasst. Insofern hätte die Kommission bereits eine Vorlage für die Ausführung der Empfehlung der Expertenkommission.

Ist das Kunst oder kann das weg?
Der blueprint für ein digitales Wettbewerbsrecht – in print.

2: Handhabung von Daten

Der Zugang zu Daten, so die Expertenkommission, ist eine Quelle von Innovations- und Wettbewerbschancen. Allerdings seien Überlegungen, wie sie insbesondere von der SPD in einem „Daten-für-alle“-Gesetz angedacht werden, bisher noch nicht ausgereift. Eine sektorübergreifende Regelung könne zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht in Aussicht gestellt werden. Empfohlen wird aber eine Rahmenrichtlinie mit Grundsätzen, unter welchen Bedingungen Nutzern erlaubt werden soll, Dritten Zugang zu ihren Nutzerkonten zu verschaffen. Vorbild ist hier die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie (PSD II), die es Kontoinhabern ermöglicht, anderen Zugang zum Konto zu geben.

Die Expertenkommission schlägt ansonsten vorsichtigere Schritte vor. Der weitgehendste wäre dabei wohl die Einrichtung von Datentreuhändern, die für die Betroffenen die Datenbereitstellung managen. Obwohl die von Martin Schallbruch in der Pressekonferenz verlautbarten Ideen für derartige Institutionen schon ziemlich konkret klangen, empfiehlt die Kommission in dem Bericht lediglich die Untersuchung von „Möglichkeiten der Einrichtung“.

Die konkreteren Empfehlungen beziehen sich auf die Nutzung und Bereitstellung von Daten des öffentlichen Sektors. So sollen beispielsweise Daten, die die öffentliche Hand im Rahmen der Daseinsvorsorge erhält, auch Dritten zur Verfügung gestellt werden (Open Data). Hierfür empfiehlt die Expertenkommission die Erarbeitung einer Datenstrategie auf europäischer Ebene, die ein Konzept zur sektorübergreifenden Sammlung, Nutzung und Bereitstellung von Daten des öffentlichen Sektors, den sog. Public Sector Information, vorgibt. In Deutschland solle eine Institution wie das „Open Data Institute“ eingerichtet werden.

Einen Seitenhieb Richtung Datenschutzbehörden gibt es auch noch: Die Zersplitterung der Datenschutzaufsicht in den Ländern soll zugunsten einer zentralen Behörde aufgehoben werden.

3: Stärkere Kontrolle marktmächtiger etablierter Plattformen

In Bezug auf die stärkere Zähmung marktmächtiger etablierter Plattformen schlägt die Expertenkommission („mehrheitlich“) die Schaffung einer europäischen Plattform-Verordnung vor – und natürlich eine fact-finding-mission zu „marktübergreifenden Marktverschlussstrategien in der digitalen Ökonomie“. Um in den Adressatenkreis der geplanten Verordnung zu fallen, sollen zusätzlich zum Marktbeherrschungskriterium auch absolute Mindestumsätze oder -nutzerzahlen erreicht werden müssen. Damit soll wohl sichergestellt werden, dass wirklich nur Google, Amazon & Co. von der Verordnung erfasst werden.

Die Verordnung soll im Kern drei Verhaltensregelungen für Plattformen vorgeben:

Zunächst geht es um ein Selbstbegünstigungsverbot im Verhältnis zu Drittanbietern. Diese Regelung betrifft sogenannte Hybrid-Plattformen, die die Plattformvermittlungsleistung sowohl anbieten als auch selbst in Anspruch nehmen. Bestes Beispiel dafür ist Amazon, die einerseits den Amazon Marktplatz betreiben und andererseits aber auch als Händler von bestimmten Waren tätig werden. Auch das von der Kommission kürzlich eröffnete Verfahren gegen Amazon dreht sich um diese Problematik. Es steht dabei der Vorwurf im Raum, dass Amazon die eigene Händlertätigkeit auf dem Amazon-Marktplatz bevorzugt, indem sich Amazon bei der Auswahl des sogenannten BuyBox-Händlers selbst favorisiert. In der am 11.07.2019 in Kraft getretenen P2B-Verordnung wird von digitalen Plattformen verlangt, dass sie derartige Auswahl- und Rankingprozesse offenlegen. Der Vorschlag der Expertenkommission geht über dieses Transparenzgebot hinaus und würde konkrete Anforderungen an den Auswahl- und Rankingprozess stellen.

Darüber hinaus soll die Plattform-Verordnung die Adressaten verpflichten, die Portabilität der Nutzer- bzw. Nutzungsdaten in Echtzeit und in einem interoperablen Datenformat zu ermöglichen, sowie die Interoperabilität mit Komplementärdiensten zu gewährleisten. Achim Wambach erörterte dies anhand des Beispiels von Routenplanern und Musikstreamingdiensten. Wenn man sein Auto wechselt, sollte es von einem Tag auf den anderen möglich sein, auf Informationen wie zuletzt angesteuerte Ziele und ähnliches auch im neuen Auto (von einem anderen Hersteller) zugreifen zu können. Gleiches soll für die eigenen Playlists gelten. Ein Wechsel der Anbieter soll nicht zum Verlust dieser führen. Und das ganze eben in einer Geschwindigkeit, die keine spürbare Übergangszeit zur Folge hat.

Vorstellung des Berichts in Berlin mit Minister Altmaier (am Pult). Rundherum die Mitglieder der Expertenkommission (v.l.n.r.): Bernd Langeheine (Cleary Gottlieb), MdB Hanjörg Durz (verdeckt), Jens-Peter Schneider (Uni Freiburg), Gerhard Wagner (HU Berlin), Peter Altmaier, Martin Schallbruch (ESMT Berlin – verdeckt), Heike Schweitzer (HU Berlin), MdB Matthias Heider, Achim Wambach (Monopolkommission), Daniela Seeliger (Linklaters), Monika Schnitzer (LMU München). Es fehlen Wolfgang Kirchhoff (BGH) und MdB Falko Mohrs.

Schließlich sollen die etablierten Plattformen verpflichtet werden, alternative Streitbeilegungsverfahren für Streitigkeiten über Inhalte und Gegenstände, die über die Plattform angeboten werden, einzurichten. Es geht dabei in erster Linie um Fragen der Verantwortung für Pflicht- und Rechtsverletzungen von Nutzern einer Plattform. Denn eine allgemeine Eigenhaftung der Plattformen lehnt die Expertenkommission ab. Sie bezieht sich in ihrem Bericht explizit auf mögliche Verletzungen des geistigen Eigentums und solche Inhalte, die über die Grenze der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit hinausgehen. Mit der Einrichtung von Streitbeilegungsstellen auf etablierten Plattformen könnte nach Ansicht der Kommission der Gefahr der Zensur in Form eines Overblockings entgegnet werden. Die wettbewerbliche Relevanz ergibt sich nach den Ausführungen in dem Bericht insbesondere daraus, dass marktbeherrschende Plattformen als Regelsetzer gegenüber den Nutzern auch eine „besondere Verpflichtung“ zur Sicherstellung eines unverfälschten Wettbewerbs zwischen den Nutzern haben.

Die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 hat neben den Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Kontrolle marktbeherrschender Plattformen auch zwei Unterlassungsempfehlungen abgegeben. Es geht dabei um die Fusionstätigkeiten etablierter Plattformen. Gegenwärtig rät die Expertenkommission zum einen davon ab, die Aufgreifschwellen der FKVO zu reformieren – etwa in Richtung einer transaktionsvolumenbasierten Schwelle wie in Deutschland. Zum anderen solle auch von der Einführung eines Systems der (zusätzlichen) ex-post-Kontrolle von Zusammenschlüssen derzeit abgesehen werden. Dabei hatte die Expertenkommission den systematischen Aufkauf von innovativen Start-Ups durch etablierte Plattformen im Blick, deren wettbewerbliche Relevanz erst im Nachgang zu einer Fusion deutlich wird („killer acquisitions“). Beobachtung und Berichte an Rat und Parlament sollen vorerst genügen.

Jedoch empfiehlt die Expertenkommission schon jetzt die Entwicklung von Leitlinien, die die Anwendung des SIEC-Tests beim Kauf von innovativen Start-Ups durch etablierte Plattformen konkretisieren sollten. Dabei müssten „datenbasierte, innovationsbasierte und konglomerate Schadenstheorien“ besondere Beachtung finden.

4: Rechtssicherheit für Kooperationen

Die Expertenkommission kam nach der Anhörung vieler europäischer Digital-Unternehmen zu der Einschätzung, dass die Schaffung von Rechtssicherheit in puncto Kooperationen im digitalen Bereich – wie zum Beispiel in Form des Datenpoolings – in den nächsten Jahren eine Priorität der EU-Kommission sein muss. Dazu empfiehlt die Expertenkommission die Einrichtung eines freiwilligen Anmeldeverfahrens bei der EU-Kommission, in dessen Rahmen Unternehmen digitale Kooperationen auf Unbedenklichkeit prüfen lassen können und innerhalb einer kurzen Frist eine rechtsverbindliche Entscheidung darüber erhalten. Damit schlägt die Expertenkommission eine zumindest teilweise Rückkehr zu dem System der Freistellungsverfahren vor, das mit der Einführung der VO 1/2003 eigentlich aufgegeben wurde. Wie auch die Expertenkommission ausführt, ist dieses Vorhaben wohl nur mit einer erheblichen personellen Aufstockung der Generaldirektion Wettbewerb zu stemmen.

5: Empfehlungen für Änderungen im Verfahrensrecht

Im Verfahrensrecht schlägt die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 keine legislative Veränderung vor. Zur Diskussion stand eine Reform der einstweiligen Maßnahmen (Art. 8 VO 1/2003). Statt einer Rechtsänderung fordert die Expertenkommission die EU-Kommission auf, den Einsatz derartiger Maßnahmen zukünftig proaktiv im Einzelfall zu prüfen. Heike Schweitzer würdigte in diesem Zusammenhang das Vorgehen der Kommission im Verfahren gegen den US-Chiphersteller Broadcom. Die EU-Kommission bringt in diesem Verfahren einstweilige Maßnahmen ins Spiel, da sie befürchtet, dass ein späterer Beschluss aufgrund der Schnelllebigkeit der betroffenen Märkte „ins Leere“ gehen könnte.

6: Empfehlungen für institutionelle Veränderungen

Auch über institutionelle Anpassungen hat sich die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 Gedanken gemacht. Daraus ergaben sich zwei Empfehlungen. Die erste zielt auf die bessere Abstimmung und Koordinierung der verschiedenen Politikbereiche der EU-Kommission ab. Dazu soll beim Generalsekretariat ein so bezeichnetes Digital Markets Board eingerichtet werden.

Darüber hinaus soll eine EU-Agentur für die Begleitung der Digitalisierung der Märkte (Digital Markets Transformation Agency) befristet eingerichtet werden. Sie soll das Digital Markets Board unterstützen und Informationen über Marktentwicklungen sowie technische Entwicklungen sammeln und aufbereiten. Zudem soll diese Agentur ein Netzwerk der entsprechenden mitgliedstaatlichen Einrichtungen aufbauen und koordinieren.

Die nächsten Schritte

Der Veröffentlichung bzw. dem Inkrafttreten von Leitlinien, Mitteilungen und Verordnungen geht in aller Regel ein langfristiger Konsultations- bzw. Gesetzgebungsprozess voraus. Auch und vor allem die Einrichtung einer EU-Agentur dauert. Zusammenfassend ist also nicht damit zu rechnen, dass die Empfehlungen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 allzu schnell umgesetzt werden können. Nichtsdestotrotz liefern die ambitionierten Empfehlungen zumindest jetzt schon – wenn auch nur psychologische – Rückendeckung für die Generaldirektion Wettbewerb in den laufenden Verfahren gegen Google und Amazon.

Lucas Gasser ist Doktorand bei Professor Rupprecht Podszun und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht (Professor Tobias Lettl) an der Universität Potsdam.

2 Gedanken zu „Competition 4.0

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