Compliancesysteme als mildernder Umstand? Neues vom BGH

Compliancesysteme als mildernder Umstand? Neues vom BGH

Verstöße gegen das Kartellrecht sind extrem teuer. Es liegt daher im Interesse der Unternehmen, solche Verstöße zu vermeiden – auch wegen einer potentiellen Organhaftung. Aus diesem Grund werden Compliancesysteme eingerichtet, die auf die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere von Kartellrechtsverstößen, gerichtet sind. Sind diese Systeme erfolgreich und verhindern tatsächlich Rechtsverstöße, so hat sich der betriebene (erhebliche) Aufwand gelohnt. Was aber, wenn es trotz eines teuren Compliancesystems zu Kartellrechtsverstößen gekommen ist? War dann alles umsonst?

Vertrauen ist schlecht, Kontrolle ist schlimmer?

Für die Praxis lautet die Antwort vielfach ja. Die europäische Kommission und das Bundeskartellamt sind der Auffassung, dass sich Compliancesysteme nicht bußgeldmindernd auswirken. Die etwas simplistische Begründung lautet: der begangene Kartellrechtsverstoß zeige ja, dass das Compliancesystem unzureichend gewesen sei. Diese Auffassung ist immer wieder auf Kritik gestoßen (Vgl. nur Gehring/Kasten/Mäger, Unternehmensrisiko Compliance?, CCZ 2013, 1). In der Tat vermag sie so nicht zu überzeugen. Denn natürlich lassen sich Rechtsverstöße nie sicher vermeiden. Die Einrichtung eines – ernst gemeinten – Compliancesystems zeigt aber immerhin, dass das betreffende Unternehmen eine rechtstreue Einstellung hat. Dies sollte bei der Bußgeldbemessung jedenfalls dann berücksichtigt werden, wenn der Kartellrechtsverstoß nicht von der Unternehmensspitze ausging. Die Schuld eines solchen Unternehmens ist geringer als die eines Unternehmens, welches keinerlei Anstrengungen unternommen hat, Kartellrechtsverstöße zu vermeiden. Dennoch wird das Bestehen eines Compliancesystems nicht bußgeldmindernd berücksichtigt (bzw., was identisch wäre, das Fehlen eines Compliancesystems nicht bußgelderhöhend). Im Gegenteil: ein Compliancesystem kann sich nachteilig auswirken, weil es als ein Indiz für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit gewertet wird, wodurch es zu einer konzernweiten Haftung für das Bußgeld kommen kann (EuGH, Urt. v. 18.7.2013, Rs. C-501/11 P – Schindler Holding u.a. / Kommission, Rn. 113 f.).

Fine, fine, fine!

Ganz grundsätzlich stehen die Rechtsprechung und auch der Gesetzgeber sämtlichen Ideen skeptisch gegenüber, welche das Bußgeldaufkommen verringern könnten: nach der Rechtsprechung des EuGH besteht im Kartellrecht keine Möglichkeit, sich auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum zu berufen (EuGH, Urt. v. 18.6.2013, Rs. C-681/11 – Schenker & Co. AG, dazu Kersting, WuW 2013, 845). Privilegierungen für den Kronzeugen beim Kartellschadensersatz erfolgen ausschließlich zulasten der Geschädigten. Eine teilweise Rückzahlung bereits gezahlter Bußgelder im Hinblick auf später geleisteten Schadensersatz ist nicht vorgesehen, obwohl Bußgelder auch gewinnabschöpfend wirken sollen. Art. 18 Abs. 3 der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) sieht die Möglichkeit einer Bußgeldminderung insofern nur vor, wenn eine Schadensersatzzahlung infolge eines Vergleichs geleistet wird, bevor die Wettbewerbsbehörde die Verhängung einer Geldbuße beschließt. Es ist geradezu symptomatisch, dass der deutsche Gesetzgeber auf eine ausdrückliche Umsetzung dieser (engen) Regelung verzichtet hat (dazu Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie durch die 9. GWB-Novelle, WuW-Onlinebeitrag vom 15.8.2016 WuW 1211285, L1 (L11) (Druckfassung WuW 2016, 394 (399)). Die Liste lässt sich fortsetzen: im Bußgeldrecht wird eine Konzernhaftung etabliert, um die sogenannte Wurstlücke zu schließen. Gleichzeitig wird aber auf die durch die Richtlinie gebotene Einführung einer auch zivilrechtlichen Konzernhaftung verzichtet (siehe nur Kersting, WuW 2016, 329). Die grundsätzlich vorgesehene und auch verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Abzugsfähigkeit von Kartellgeldbußen wird in der Praxis dadurch erschwert, dass Geldbußen stets pauschal ein ausschließlich ahndender Charakter beigemessen wird und sogar die Auffassung vertreten wird, ein Abzug sei europarechtlich verboten (dazu Drüen/Kersting, Steuerrechtliche Abzugsfähigkeit von Kartellgeldbußen des Bundeskartellamts, 2016).

Der BGH eilt zur Rettung?

Möglicherweise ist jetzt allerdings etwas Bewegung in die Diskussion gekommen. Der 1. Strafsenat des BGH (BGH, Urt. v. 9.5.2017, 1 StR 265/16, BeckRS 2017, 114578) hat unter dem Vorsitz des Kartellrechtssenatsmitglieds VorsRiBGH Dr. Rolf Raum in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Bestechung bei Rüstungsgeschäften die Auffassung vertreten, dass bei der Bußgeldbemessung sowohl das Bestehen eines Compliancesystems als auch die nachträgliche Einrichtung eines solchen zu berücksichtigen seien. Die betreffende Randziffer 118 des Urteils ist knapp und verdient eine wörtliche Erwähnung:

„Im Hinblick auf die Höhe der gemäß § 30 Abs. 1 OWiG neu zu bemessenden Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, die Vorschriften des § 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG in den Blick zu nehmen, nach denen die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen worden ist, übersteigen soll. Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss (vgl. Raum in Hastenrath, Compliance – Kommunikation, 2. Aufl., S. 31 f.). Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“

Eine schöne Fassade soll nicht vor Strafe schützen

Ob dieser Anstoß aus dem Steuerrecht und dem Strafrecht ausreicht, um auch im Kartellrecht festgefahrene Wege zu verlassen ist freilich ungewiss. Zu hoffen ist es allemal. Dabei geht es natürlich nicht darum, Unternehmen hinter den (womöglich potemkinschen) Brandmauern eines Compliancesystems Schutz vor Kartellverfolgung zu gewähren. Es geht nicht um einen Verzicht auf Bebußung, sondern um eine bloße Minderung des Bußgelds. Letztlich geht es um eine schuldangemessene Bebußung. Rechtspolitisch ist es auch durchaus wünschenswert, Anreize für die Etablierung von Compliancesystemen und ihre fortlaufende Verbesserung zu setzen. Gerichtsentscheidungen, welche für eine Bußgeldreduzierung auch die Tauglichkeit von Compliancesystemen zu bewerten haben würden, könnten dabei helfen, Standards für eine Best-Practice bei Compliancesystemen zu entwickeln und durchzusetzen.

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