SSNIPpets (28): Von fremden Ländern und Menschen

SSNIPpets (28): Von fremden Ländern und Menschen

Kommissarin Vestager gönnt uns nach der Europawahl eine Atempause. Sie antichambriert in eigenen Angelegenheiten, die Kartellrechtsdurchsetzung ist also für einige Tage aufgeschoben. Das gibt Rupprecht Podszun die Möglichkeit, den viel zu hoch gewachsenen Papierstapel auf seinem virtuellen Schreibtisch durchzusehen. Hier sind seine SSNIPpets – small but significant news, information and pleasantries – unser pet project!


Marktbeherrschung

Zwei Beobachtungen zur Europawahl, weil da ja ein Wettbewerb stattgefunden hat: Mehrere Parteien werben auf dem Markt für politische Ideen um das knappe Gut Stimme. Meine erste Beobachtung bezieht sich auf die Marktanalyse durch die Medien. Das wesentliche Thema in der Berichterstattung war die neue marktbeherrschende Stellung der Grünen in Deutschland. Zwar reichen die 20,5 % nicht für die Marktbeherrschungsvermutung des § 18 Abs. 4 GWB. Dennoch gilt, dass die Grünen jetzt „auf Jahre hinaus nicht zu besiegen“ seien, wie es Franz Beckenbauer einst in ganz ähnlichem Zusammenhang sagte. Und Greta wird EU-Kommissionspräsidentin. Oder wenigstens Margreta.

Irritierend an dieser Bewertung ist freilich, dass andere Phänomene bei der Marktanalyse unter den Tisch gefallen sind. Die Europapolitik-Nachfrager in den ostdeutschen Regionalmärkten beispielsweise verwiesen die Grünen überwiegend auf den 5. Platz und machten in Sachsen und Brandenburg die AfD zur stärksten Kraft. Zu dieser deutsch-deutschen Teilung habe ich wesentlich weniger gehört als zum „generation gap“. Dass aber in der Darstellung der Marktlage bedeutende Phänomene plötzlich keine Rolle mehr spielen – das ist nun wirklich nichts Neues für uns alte Marktabgrenzer.


Razzle-dazzle, Rezo-dezo

Beobachtung 2 zur Europawahl: Ich bin so sehr in meinem #Plattformökonomiekartellrechtstunnel, dass ich bei Rezos Video „Die Zerstörung der CDU“ vor allem an die dahinterstehenden Marktmechanismen denke. Rezo ist ja nicht der Junge von nebenan, der zufällig vor eine Videokamera geraten ist und mal seine Meinung sagt, sondern ein erfolgreicher Unternehmer, der allerdings ein etwas ungewohntes Produkt im Angebot hat: sich selbst. Sein Unternehmen wird vermarktet von der Ströer Gruppe, dem „mit Abstand größten Außenwerbevermarkter“ (Bundeskartellamt 2017) und „führenden inländischen Online-Vermarkter“ (Bundeskartellamt 2015). Das Rezo-Video läuft bei Youtube, einem Unternehmen der Google Alphabet-Gruppe. Nun hat Rezo mit dem Video unmittelbar kein Geld verdient (die Monetarisierung hatte er für dieses Video abgeschaltet), dafür aber mächtig für den Video-Supermarkt geworben, und bei Ströer und Youtube wird man sich ob des Erfolgs des Clips die Freudentränen aus den Augen gewischt haben. So weit, so gut, aber dennoch bemerkenswert: Drei in ihren jeweiligen Märkten sehr erfolgreiche Unternehmen mischen sich sehr polarisierend in die Politik ein.

Annegret Kramp-Karrenbauer (battle name: AKK) hat auf diese Herausforderung nach weit verbreiteter Auffassung unbeholfen reagiert. Ihr Ruf nach Regeln darf schon als „Die Zerstörung der CDU – Teil 2“ gelten. Das ist allerdings unfair. Regeln für Medien? Gibt es und sind unumstritten. Sorge vor der Vermischung von wirtschaftlichen und politischen Interessen? Bitte!

Spätestens seit Youtube für eine (für meinen Geschmack überzogene) Kampagne gegen die Urheberrechtsrichtlinie Influencer eingespannt hat, sollte klar sein, dass die Informations- und Meinungsmacht von Google, Facebook and the like durchaus ein Thema sein darf. Ich fürchte insbesondere, dass die Rolle des Algorithmus bei Plattformen – und damit die Einflussmöglichkeit des Plattformbetreibers – nach wie vor unterschätzt wird. Es ist weder zufällig, noch objektiv, noch neutral, welche Clips Youtube in heavy rotation zeigt oder was im Facebook- oder Twitter- oder LinkedIn-Stream auftaucht. Der Algorithmus ist nach einer wirtschaftlichen Logik gesteuert. Kleine Änderungen können massive Auswirkungen haben.

Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine Erkenntnis, die die Kommission in Google Shopping zum Ausgangspunkt eines wichtigen Missbrauchsverfahrens machte. Nun nutzen wir ja Google und Facebook nicht nur fürs Shopping, sondern auch fürs Thinking. Auch bei dem, was wir Information oder Meinungsbildung nennen, greift der Algorithmus, d.h. die Vermarktungslogik des Operators. Das ist nicht per se schlimm oder verboten. Aber darüber nachzudenken lohnt. Josef Drexl, Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb (full disclosure: er ist mein verehrter akademischer Lehrer), hat das schon 2016 getan. Er hat in einem Paper „the market for political ideas“ analysiert. Sein Ergebnis: Es braucht Regeln. Wenn Sie die E-Mail-Adresse von AKK haben, leiten Sie ihr das bitte weiter.


In eigener Sache

Meist verlinken wir hier ja auf Texte und Videos von anderen und machen so für diese Werbung. (Oh, Sie wissen noch gar nicht, dass wir verlinken? Manche Wörter in diesen SSNIPpets sind farbig unterlegt, da können Sie draufklicken, dann landen Sie irgendwo anders. Es ist ein zartes Blassgrün, nach dem Sie Ausschau halten müssen, etwa bei dem Wort „Blassgrün“). Heute machen wir Werbung in eigener Sache, natürlich nur im Sinne sachlicher, geradezu objektiver Information.

Also zunächst zur wichtigsten, aufregendsten und schönsten Veranstaltung des kartellrechtlichen Jahreskalenders: Unser Institut für Kartellrecht veranstaltet im September das 3. Offene Doktorandenseminar. Wenn Sie schon einmal dabei waren, wissen Sie: Das ist unendlicher Spaß! Zwei Tage lang treffen sich kartellrechtliche Doktorandinnen und Doktoranden aus dem ganzen deutschen Sprachraum in Düsseldorf. Im offiziellen Programm wird über Doktorarbeiten diskutiert, es gibt eine Case Study mit den Düsseldorfer Praktikern, und es finden Gespräche mit prominenten Kartellrechtlern statt. Was im inoffiziellen Programm passiert, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn Sie Doktoranden kennen, machen Sie sie bitte darauf aufmerksam – zum Beispiel auf diese Seite zum Doktorandenseminar.

Und weil wir gerad dabei sind: Fabiana di Porto, eine italienische Kollegin, und ich haben ein Buch herausgegeben mit 19 Beiträgen von Wissenschaftlern aus aller Welt zum Missbrauch von Marktmacht. Es heißt „Abusive Practices in Competition Law“, ist bei Edward Elgar erschienen und mir scheint nach genauer sachlicher Prüfung, dass dieses Buch das wahrscheinlich beste ist, das jemals gedruckt wurde. Ich würde ihm fünf von fünf Sternen geben. Ich mache nur deshalb nicht, weil ich sonst fürchte, in den Sog der neuesten Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts zu geraten.


In der Höhle des Löwen

Genug Eigenlob! Wobei, wir haben noch gar nichts über das *****-Highlight der letzten Woche gesagt. Dürfen wir eigentlich auch nicht wegen einer Art Non-Disclosure Agreement. Aber ach…! Das Ibiza-Video wurde ja auch veröffentlicht, manche Sachen sind einfach zu wichtig, um sie geheim zu halten. In einem Gesprächskreis, den Christian Kersting und ich veranstalten, war BGH-Richter Peter Meier-Beck zu Gast, und er redete in Düsseldorf (!) zum BGH-Urteil Schienenkartell. Das hatte ja für einiges Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt weil das hiesige OLG eine Art Urteilsbesprechung vorgenommen hatte. Über den Abend in Düsseldorf wird es einen kurzen Bericht in der WuW geben, den ich hiermit schon einmal antease. Und ich verrate Ihnen eine Erkenntnis des Abends: Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums ließen vorsichtig durchblicken, dass man sich für die 10. GWB-Novelle auch noch die eine oder andere Klarstellung/Ergänzung zum Kartellschadensersatzrecht vorstellen könne.


Solche Länder…

Aus Kolumbien wird Folgendes berichtet: Beim Jahrestreffen des International Competition Networks (ICN) hat der kolumbianische Staatspräsident Iván Duque eine superstarke Rede gehalten und dem kolumbianischen Kartellamt Superintendencia Industria y Comercio den Rücken gestärkt. In der Tat ist das, was auf Twitter als Ausschnitt aus der Rede verfügbar ist, ziemlich estupendo. Ein Augenzeuge kommentierte das mit den Worten: „Das ist ja in solchen Ländern selten und daher umso wichtiger!“

V.l.n.r.: Margarita Matos Rosa (Portugal), Alejandra Palacios Prieto (Mexiko), Andrey Tsyganov (Russia), Johannes Laitenberger (EU), Andreas Mundt (Germany), Ivo Sergio Gagliuffi (Peru), Skaidrite Abrama (Latvia), Reiko Aoki (Japan). Leider nicht erkennbar ist die Vertreterin aus Zambia. Foto: O.W/BKartA

Ich würde anfügen: Es wäre auch erfreulich, wenn deutsche Spitzenpolitiker in einem solchen Englisch so engagiert über Kartellrecht sprechen könnten… Andreas Mundt wurde übrigens als Chairman des ICN wiedergewählt. Und der kann natürlich auf Englisch engagiert über Kartellrecht reden. Un hombre que tiene mucha labia auch im kolumbianischen TV!


Zuständigkeitskarussell

Übrigens hat es in Mundts Behörde ein Zuständigkeitskarussell gegeben: Birgit Krueger, bislang Leiterin der Grundsatzabteilung, tauscht den Job mit Silke Hossenfelder, die bislang die 9. Beschlussabteilung geleitet hat. Mit dem Wechsel werden im Bundeskartellamt auch einige Zuständigkeiten hin- und hergeschoben, betroffen sind die 4., 5. und 9. Beschlussabteilung. Letztere soll Sonderzuständigkeiten für App-Stores erhalten. Denken Sie bitte daran, wenn Sie die nächste Anmeldung einreichen.


Anwaltszulassung

Auch für andere dreht sich das Karussell. Oder auch nicht. Oder jedenfalls ist unklar, in welche Richtung… Genau, wir sprechen vom Brexit: Trevor Soames, Anwalt in Brüssel, hat in seinem LinkedIn-Feed ein Schreiben des Registrars des General Court der EU veröffentlicht, das ihm Anfang April zuging. Inhalt:

„Pursuant to Article 19 of the Statute of the Court of Justice (…) parties such as the one you represent must be represented by a lawyer authorised to practise before a court of a Member State or of another State which is a party to the Agreement on the European Economic Area. Taking into considerations recent developments, it cannot be entirely excluded that the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland…”.

Den Rest können Sie sich denken: Soames wird aufgefordert, eine entsprechende Lizenz vorzulegen oder mit seinem Mandanten zu besprechen, wie es weitergehen soll im Fall eines harten Brexits. Der Registrar schließt mit den Worten: „It is naturally with some regret that I draw this matter to your attention”. Nuff said.


Enjoy and taste

Wie hoch eine Geldbuße beim Verstoß gegen EU-Kartellrecht ausfällt, ist ja eine klare Sache: Man nimmt den Bußgeldrechner, tippt die wesentlichen Parameter ein, dann wirft die Maschine eine Zahl aus, die in der Regel einige Nullen hat. Das ist ja alles ganz klippklar und eindeutig in den Bußgeldleitlinien festgelegt, nicht wahr?

Nein, sagt Generalanwalt Evgeni Tanchev im Fall C-39/18 P. In den Leitlinien gibt es zum Beispiel in Ziffer 37 eine Abweichungsmöglichkeit, von der die Kommission auch mal Gebrauch macht. Zum Beispiel im zugrundeliegenden Rechtsstreit. (Das ist ja ohnehin so eine Leitlinien-Krankheit, dass die Behörden, die angeblich Rechtssicherheit bieten wollen, sich immer wieder noch ein Hintertürchen offen halten…). In dem Verfahren, in dem Tanchev gegutachtet hat, schaut sich derzeit der EuGH die Entscheidung des EuG an, das die Entscheidung der Kommission aufgehoben hatte, mit der diese Absprachen bei Yen-Zinsderivaten geahndet hatte.

Die ICAP-Gruppe war bebußt worden und hatte dagegen geklagt. Das EuG fand es u.a. nicht genügend, wie die Geldbuße begründet war. Tanchev schlägt jetzt in dieselbe Kerbe: Das EuG-Urteil stelle zu Recht fest, dass die Kommission zu wenig begründet habe, wie sie auf die Geldbuße kommt. Eine allgemeine Versicherung, man habe schon alles richtig gemacht, genüge leider nicht, schreibt er in Ziff. 75 seiner Opinion. Richtig süffig ist dann die Fußnote 15 dazu:

„The Commission’s desired outcome would be for the fine calculation to be a sort of Coca-Cola formula, which the parties and the EU Courts can enjoy and ‘taste’, but are expected to accept as being secret, simply believing the Commission’s ‘assurances’ that it has been applied correctly and without any discrimination in a case such as this one where there is a risk of unequal treatment between two facilitators in a cartel.”

Das Kartellbußgeld – die braune Prickelbrause des freien Wettbewerbs.

Nur ein klein bisschen mäkelnd sei hiermit eingewendet, dass die Unkalkulierbarkeit der Kartellgeldbuße einen Teil ihres Abschreckungscharmes ausmacht. Wenn ich (wie beim Verkehrsdelikt) mit dem Bußgeldrechner ausrechnen kann, was mich mein Kartell nach der Aufdeckung kostet, ließe sich das ja schön einpreisen.


Süßer Abschluss

Welches ist das älteste moderne Kartellrecht der Welt? – Eben nicht. Der Sherman Act of Antitrust ist von 1890, aber schon ein Jahr zuvor hatten die Kanadier, diese Musterschüler der amerikanischen Nordhalbkugel, so etwas gemacht: Am 2.5.1889 wurde „An Act for the Prevention and Suppression of Combinations formed in restraint of Trade“ verabschiedet. Das ist 130 Jahre her, und da man die Feste feiert, wie sie fallen, wurde das im Canadian Competition Bureau gefeiert.

Matthew Chiasson’s Foto der Kreation von Sarah Magee. Ja, das kann man essen.

Wie feiert man das? Natürlich mit einem Wettbewerb, einer Office Cake Competition. Matthew Chiasson, Senior Economist im Bureau, hat ein Foto gemacht, das die Kreation seiner Kollegin Sarah Magee zeigt. Titel dieses kulinarischen Kunstwerks: „Shining a light on the competition act“. Welch ein Traum aus Schokolade und anderem süßen Zeug. Eigentlich zu schön um reinzubeißen, aber auch hier gilt: Enjoy and taste!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert