Miba/Zollern: Neuauflage der Ministererlaubnis?

Miba/Zollern: Neuauflage der Ministererlaubnis?

Vor wenigen Tagen überraschten die Medien damit, dass sie eine schon etwas ältere Ausgabe des Bundesanzeigers auswerteten. Dort hatte man eine brisante Entdeckung gemacht: Es liegt wieder ein Antrag auf Ministererlaubnis vor. Das ist für jeden Kartellrechtler aufregend, erst recht für den Bundeswirtschaftsminister. Maximilian Konrad schaut sich die Sache genauer an.

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Es ist wieder so weit. Auftritt: Ministererlaubnis. In unregelmäßigen Abständen erscheint die fusionsrechtliche Ministererlaubnis wie der deus ex machina auf der Bühne des Kartellrechts. 2002 E.on/Ruhrgas. 2002/2003 Tagesspiegel/Berliner Verlag. 2016 Edeka/Tengelmann. Und jetzt, 2019, Miba/Zollern. Die Fusion passt wie die Faust aufs Auge zur „Nationalen Industriestrategie 2030“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

Was ist passiert?

Zwei Mittelständler, die österreichische Miba AG und die baden-württembergische Zollern GmbH & Co. KG, wollen ihre Geschäftsbereiche für Gleitlager zusammenlegen. Kombinierter Jahresumsatz: 300 Millionen Euro. Das Bundeskartellamt hat die Fusion im Januar 2019 untersagt, da es eine Behinderung des Wettbewerbes in den Märkten für hydrodynamische Gleitlager für Großmotoren bei Schiffen, Lokomotiven und Stromaggregaten bejahte. Um die Fusion dennoch realisieren zu können, haben die beiden Unternehmen nun eine Ministererlaubnis nach § 42 GWB beantragt, um so die Entscheidung des Bundeskartellamts auszuhebeln.

Wie geht es weiter?

Bevor der Bundeswirtschaftsminister nach § 42 GWB entscheidet, ob er die Fusion durch eine Ministererlaubnis genehmigt, muss die Monopolkommission bis Ende April ein Sondergutachten darüber erstellen, ob gesamtwirtschaftliche Vorteile oder ein überragendes Interesse der Allgemeinheit die Wettbewerbsbeeinträchtigungen überwiegen.

Wenn der Bundeswirtschaftsminister vom Votum der Monopolkommission abweichen möchte, muss er dies nach dem in Reaktion auf das Verfahren Edeka/Tengelmann neu geschaffenen § 42 Abs. 1 S. 4 GWB explizit begründen.

Ob dies einen nennenswerten Effekt auf seine Entscheidung haben wird, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit hatte der Bundeswirtschaftsminister auch ohne § 42 Abs. 1 S. 4 GWB keine großen Probleme damit, sich mit einer eigenen Begründung über das Votum der Monopolkommission hinwegzusetzen.

Ebenfalls neu sind die Leitlinien zum Verfahren der Ministererlaubnis. Auch diese wurden in Reaktion auf das Verfahren Edeka/Tengelmann eingeführt und sollen durch Fristenregelungen und Transparenz das Verfahren beschleunigen und die Verfahrensfehler verhindern, die in der Vergangenheit (E.on/Ruhrgas, Edeka/Tengelmann) bereits zur formellen Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis geführt haben. Ob der Ausschluss geheimer Hinterzimmergespräche damit geglückt ist, wird die Öffentlichkeit wahrscheinlich nie erfahren. 

Wovon hängt die Entscheidung des Ministers ab?

Des Pudels Kern ist das Gemeinwohl. Nur dann, wenn gesamtwirtschaftliche Vorteile oder ein überragendes Interesse der Allgemeinheit, kurz das Gemeinwohl, die Wettbewerbsbeeinträchtigungen überwiegen, ist die Ministererlaubnis zu erteilen (§ 42 Abs. 1 GWB).

Industrial policy vs competition
Wird Peter Altmaier (links) die 5. Beschlussabteilung aus Andreas Mundts Behörde überstimmen?

Der Bundeswirtschaftsminister entscheidet dabei nicht als Politiker nach politischen Mehrheitsverhältnissen, sondern nach § 48 GWB als Kartellbehörde allein nach dem Gemeinwohl. Bei der Ministererlaubnisentscheidung handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung, sprich wenn die Voraussetzung „Gemeinwohl“ gegeben ist, muss der Minister die Erlaubnis zwingend erteilen, umgekehrt sie zwingend versagen. Ihm steht kein freier Ermessensspielraum zu.

Seit der spektakulären Entscheidung des OLG Düsseldorf im Verfahren Edeka/Tengelmann ist zudem geklärt, dass die Auslegung des Rechtsbegriffs Gemeinwohl als Tatbestandsvoraussetzung der vollen gerichtlichen Nachprüfbarkeit unterliegt.

Aber was ist denn nun das Gemeinwohl?

Das ist das Problem. Niemand weiß genau, was das Gemeinwohl ist. Und das obwohl die Ministererlaubnis der schwerwiegendste und weitreichendste Eingriff der Politik in das Recht der Wirtschaft ist, bei dem noch dazu die beteiligten Unternehmen meist versuchen, erheblichen Einfluss auf den Minister zu nehmen.

Schon die Gesetzesbegründung lässt den Leser ratlos zurück. Die dort genannten „staats-, wirtschafts- oder gesellschaftspolitische[n] Gründe“ (BT-Drs. VI/2520, S. 31) sind denkbar unbestimmt. Es fällt schwer, sich einen Grund vorzustellen, der sich nicht hierunter subsumieren lässt.

Die Praxis der Monopolkommission, des Bundeswirtschaftsministers und die kartellrechtliche Literatur helfen nur kaum weiter. Auch hier fehlt es an einer abstrakten Methode zur Bestimmung des Gemeinwohls.

Im Wesentlichen wird mit einer Kasuistik der in der Vergangenheit anerkannten Gemeinwohlgründe gearbeitet. Diese Gründe sind äußerst vielfältig: Die Sicherung der Energieversorgung, der Erhalt von Arbeitsplätzen, der Klima- und Umweltschutz, die Sicherung technischen Know-Hows und die medizinische Versorgung sind nur einige von ihnen. Problem dieser Kasuistik ist jedoch, dass sie inkonsistent ist. Was einmal anerkannt worden war, galt teils schon wenige Jahre später nicht mehr, und umgekehrt.

Ein weiteres Problem dieser Kasuistik ist zudem, dass sie die Abwägungsfrage, ob einem bestimmten Gemeinwohlziel oder dem Schutz des Wettbewerbs Vorrang einzuräumen ist, nicht beantwortet. Die entscheidende Frage bleibt damit offen und der Willkür des Bundeswirtschaftsministers überlassen.

Diese Unklarheit liegt in der Natur des Gemeinwohlbegriffs begründet. Einer demokratischen Gesellschaft ist das Gemeinwohl niemals von außen vorgegeben, sondern stets zur Bestimmung im Diskurs aufgegeben. Die autoritäre Festlegung des Gemeinwohls als Wahrheitsfrage von oben ist hingegen Merkmal von Absolutismus und Totalitarismus.

In einer demokratischen Gesellschaft existieren eine Vielzahl völlig unterschiedlicher, aber grundsätzlich gleichwertiger Gemeinwohlvorstellungen, die miteinander im Wettstreit liegen. Erst durch einen gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess kann eine Annäherung daran stattfinden, was das Gemeinwohl im Einzelfall ist.

Für die Ministererlaubnis ist eine solche Bestimmung des Gemeinwohls durch einen öffentlichen Diskurs jedoch impraktikabel. Zu groß sind die damit verbundenen Unsicherheiten, zu groß die Missbrauchsmöglichkeiten.

Grunddilemma ist daher, dass das Gemeinwohl zwar ein wichtiger staatsphilosophischer Begriff ist, er aber auf Tatbestandsebene nicht rechtssicher und eindeutig bestimmbar ist. Für jetzt muss die Praxis dennoch mit ihm arbeiten und behilft sich daher mit der oben dargestellten Kasuistik.

In der Vergangenheit wie auch heute war und ist aber unklar, wie die entscheidende Abwägung zwischen anderen Gemeinwohlzielen und dem Schutz des Wettbewerbs vorzunehmen ist.

Welche Gemeinwohlgründe machen die Antragsteller geltend?

Die Antragssteller berufen sich, nach allem, was wir bislang wissen, darauf, dass ohne die Fusion ein Technologieverlust und ein Transfer von Forschungs- und Produktionswissen nach Asien drohe. Die Umsätze seien auf Grund der schwachen Schiffahrtsbranche rückläufig, zugleich stiegen die Forschungs- und Entwicklungskosten für neue Technologien wie Windräder. Um gegenüber der Konkurrenz aus Asien bestehen zu können, sei Größe entscheidend. Ohne die Fusion drohe der Verlust von Arbeitsplätzen.

Diese Argumentation passt wie die Faust aufs Auge zur „Nationalen Industriestrategie 2030“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und seinen gemeinsam mit Frankreich entwickelten Plänen zur Schaffung einer Ministererlaubnis auf europäischer Ebene. So könnte dieser Fall, und das macht ihn so brisant, zur Blaupause für die Prüfung der sog. „China Defence“ werden. Kurz gesagt geht es Altmaier und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire um eine aktive staatliche Industriepolitik, mit der nationale und europäische Champions geschaffen werden, die der sonst übermächtigen Konkurrenz aus Asien die Stirn bieten können. Dieser Gedanke klingt bereits in § 42 Abs. 1 S. 2 GWB an, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit als potentiellen Gemeinwohlgrund explizit benennt.

Das Bundeskartellamt berücksichtigt bei seiner Entscheidung jedoch bereits jetzt den Wettbewerb auf einem weltweiten Markt, wenn es denn einen weltweiten Markt gibt, und nicht nur verschiedene regionale Märkte existieren. Wenn der Bundeswirtschaftsminister nun auf einen internationalen Wettbewerb abstellt, den es so gar nicht gibt, opfert er Innovationen, Effizienz und die Interessen von Verbrauchern und Kunden für eine ungewisse Zukunftsvision. Denn es ist gerade der Wettbewerb, der für Innovationen sorgt und sicherstellt, dass Effizienz- und Preisvorteile an die Kunden und Endverbraucher weitergegeben werden. Eine Genehmigung der Fusion droht daher, die Kosten des Wettbewerbsverlustes auf die Endverbraucher umzulegen.

Entscheidend ist daher, dass diese Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch andere Gemeinwohlziele aufgewogen wird, was wieder zum Problem der Bestimmung des Gemeinwohls zurückführt. Zum Arbeitsplatzargument ist dabei anzumerken, dass dieses bei jedem Ministererlaubnisverfahren ins Feld geführt wird, aber eigentlich nie greift: typischerweise kostet eine Fusion durch Rationalisierungen Arbeitsplätze und sichert sie nicht. Besonders bedenklich ist vorliegend zudem, dass unsicher ist, ob die Fusion überhaupt geeignet ist, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, da das Bundeskartellamt dies offenbar verneint haben muss.

Wie sieht es mit der gerichtlichen Kontrolle aus?

Fragen wir es ganz offen: Wird es wieder so ein Aufsehen geben wie bei Edeka/Tengelmann, als das OLG Düsseldorf den damaligen Bundeswirtschaftsminister ausbremste? Wahrscheinlich nicht.

In Reaktion auf Edeka/Tengelmann ist in § 63 Abs. 2 S. 2 GWB die Beschwerdebefugnis gegen die Ministererlaubnis von der Verletzung in eigenen Rechten abhängig gemacht worden.

Chancengleichheit im Wettbewerb und die Hoffnung auf eine bessere Marktstellung vermitteln jedoch keine subjektiven Rechte. De facto scheint die gerichtliche Kontrolle der Ministererlaubnisentscheidung damit abgeschafft zu sein (vgl. Podszun/Kreifels in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 14). Dies offenbart ein fragwürdiges Verhältnis der Exekutive zur Gewaltenteilung und zum System der checks and balances.

Möglicherweise gelingt es dem OLG Düsseldorf aber im Wege der Rechtsfortbildung, die Beschwerdebefugnis von Konkurrenten doch zu bejahen (so sich ein klagewilliger Konkurrent findet). Für den Schutz des Wettbewerbs vor rechtswidrigen Ministererlaubnisentscheidungen ist dies jedenfalls zu wünschen.

Und nun?

Abwarten. Da die gerichtliche Kontrolle der Ministererlaubnis wohl de facto abgeschafft ist, bleibt zu hoffen, dass das Fusionsverfahren Miba/Zollern genügend öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, um eine umfassende Erörterung der Vor- und Nachteile der Fusion zu ermöglichen. Wenn schon die Gerichte den großen Handlungsspielraum des Ministers nicht mehr kontrollieren können und dürfen, so liegt es an Medien und Öffentlichkeit, ein wachsames Auge auf das Gemeinwohl zu haben und als Kontrollinstanz zu fungieren.

Wer den Schutz des Wettbewerbs, aber auch den Begriff des Gemeinwohls ernst nehmen möchte, muss darauf achten, sich nicht einer irrationalen Angst vor einem übermächtigen China hinzugeben, sondern bei den Fakten zu bleiben.

Dr. Maximilian Konrad, MSc (LSE) ist angestellter Rechtsanwalt in einer auf die zivilrechtliche Revision spezialisierten Kanzlei in Karlsruhe. Er wurde 2018 bei Prof. Dr. Rupprecht Podszun an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema „Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis“ promoviert. Die Dissertation erscheint im Herbst 2019 bei Duncker & Humblot.  

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