Zwischen Freiheit und Macht: Daniel Zimmer über die Zukunft des Wettbewerbsrechts

Zwischen Freiheit und Macht: Daniel Zimmer über die Zukunft des Wettbewerbsrechts

Der blaue Saal im „Haus zur lieben Hand“ ist gut gefüllt, als Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts, das Publikum begrüßt. Es ist ein besonderer Abend: Die sechste Franz-Böhm-Vorlesung steht an – eine Veranstaltung, die sich innerhalb weniger Jahre einen festen Platz im Kalender jener gesichert hat, die an der Schnittstelle von Ökonomie und Recht denken. Denn diese Interdisziplinarität ist das Herzstück der Franz-Böhm-Vorlesung: Sie bringt wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Perspektiven ins Gespräch – mit einem Fokus auf das Thema Wettbewerb. Ein Thema, so leitet Feld ein, das auch die Freiburger Schule besonders umtrieb: Die Begrenzung privater Macht durch Wettbewerb war für sie ein konstitutives Anliegen.

Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts, erinnert zur Begrüßung an die Freiburger Schule.

Die Idee auf die Vorlesungsreihe, so Feld, gehe auf das ehemalige Institutsmitglied Wernhard Möschel zurück. Im Geiste von Walter Eucken, Hans Grossmann-Doerth und Franz Böhm solle sie das interdisziplinäre Erbe fortschreiben. Themen wie die Begrenzung privater Macht und die Stärkung des Wettbewerbs bildeten den inhaltlichen Kern dieser Tradition – ein Anliegen, das in Zeiten globaler Unsicherheiten kaum aktueller sein könnte. Dass diese Themen im Zentrum stehen, ist kein Zufall: Das Walter Eucken Institut versteht sich als unabhängiges wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut, das wissenschaftliche Exzellenz und klares ordnungspolitisches Profil mit wirtschaftspolitischer Relevanz verbinden will.

Feld zählt die prominenten Redner der vergangenen Franz-Böhm Vorlesungen auf, von Ernst-Joachim Mestmäcker, über Christoph Engel, Heike Schweitzer, Jürgen Kühling und Tom Ginsburg, Schwergewichte auf dem Gebiet der Wettbewerbsökonomie und des Wettbewerbsrechts also. In diese Reihe darf sich dieses Jahr Professor Daniel Zimmer einreihen. Darüber sichtlich erfreut, begrüßt Zimmer die Gäste: Es sei ihm eine besondere Freude, hier in Freiburg seine Vorlesung halten zu dürfen. Er betont, in Freiburg, denn er dürfe über ein Thema sprechen, das besondere Bezüge hat zu der idyllischen Stadt im deutschen Südwesten. Nicht nur, weil hier seine akademischen Ahnen Walter Eucken und Franz Böhm wirkten, sondern weil von Freiburg aus der Gedanke einer freiheitlichen Ordnung durch Wettbewerb in die Welt getragen wurde. Aber dazu später mehr.

Zunächst gibt Feld einen Blick auf Zimmers beeindruckende Karriere: Studium in Mainz, Lausanne, Göttingen, LL.M. in Los Angeles, Promotion, Habilitation, Professuren in Bochum und Bonn, Vorsitz der Monopolkommission. Feld stellt Zimmer aber nicht nur als einen angesehenen Wettbewerbsrechtler vor, sondern als pointierten Denker, der in der akademischen Welt ebenso zuhause ist wie im öffentlichen Diskurs. Wer erinnere sich nicht, so Feld, an „Zimmers Paukenschlag“, wie die FAZ 2016 titelte, nachdem Zimmer seinen Rücktritt als Vorsitzender der Monopolkommission bekannt gab. Der Auslöser: Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erteilte die Ministererlaubnis für die umstrittene Edeka-Tengelmann-Fusion und ignorierte damit Bundeskartellamt und Monopolkommission. Ein Paukenschlag, der eben nicht nur juristische Kreise aufhorchen ließ. Und dann sei da noch Zimmers ganz eigene intellektuelle Handschrift, etwa zu finden in seinem Buch „Weniger Politik! Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht“. Daran, so Feld schmunzelnd, erkenne man den liberalen Juristen, der die liberale Gesellschaftsordnung in den Vordergrund rückt. Große Leseempfehlung also!

Unter Applaus überlässt Feld nun Zimmer die Bühne.

Wer war dieser Franz Böhm?

Zimmer beginnt mit einer Würdigung Franz Böhms, dessen erster Aufsatz „Das Problem der privaten Macht“ aus dem Jahr 1927 heute aktueller denn je erscheint. Schon damals formulierte Böhm, so Zimmer, welche Aufgabe der staatlichen Wirtschaftspolitik zukommen sollte. Böhm zufolge müsse eine Privatrechtsordnung geschaffen werden, in der weder übermächtige Unternehmen noch Verbände oder Arbeitnehmervertretungen das freie Spiel der Kräfte unterdrücken können. Zimmer schildert Böhms Biografie mit Verve: ein Sohn des badischen Kultusministers, der im ersten Weltkrieg diente, ein Jurist, der früh und stetig dem Nationalsozialismus widerstand – und nach dem Krieg ein zentraler Architekt des deutschen Kartellrechts wurde. Ja mehr noch (Zimmer zitiert den Rechtshistoriker Michael Stolleis), Böhm sei eine der markantesten Gestalten der frühen Bundesrepublik gewesen. Sein Lebensthema – so Stolleis – war die rechtsstaatliche Begrenzung wirtschaftlicher Macht bei gleichzeitiger Wahrung des freien Wettbewerbs. Gemeinsam mit Walter Eucken und Hans Grossmann-Doerth habe Böhm dieses Leitmotiv in die Praxis umgesetzt – im Rahmen dessen, was später als Freiburger Ordoliberalismus bekannt wurde.

Dabei war Böhm nicht nur akademisch tätig, sondern auch politisch hochwirksam. Von 1953 bis 1965 gehörte er dem Bundestag als direkt gewählter CDU-Abgeordneter an und prägte in dieser Funktion maßgeblich die Entwicklung des deutschen Kartellrechts. Sein wohl größter politischer Erfolg, so Zimmer, war die Durchsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1957. Das Gesetz markiert – trotz politischer Kompromisse – einen ordnungspolitischen Erfolg, der eng mit den Ideen der Freiburger Schule verknüpft ist. Böhm gilt daher bis heute als eine Schlüsselfigur der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik und (Zimmer zitiert noch immer Stolleis) als eine der wenigen Personen, die Wissenschaft und Politik in Personalunion so überzeugend verbunden haben – und auf diese Weise vielleicht den größten Beitrag zur Etablierung eines modernen Kartellrechts im Nachkriegsdeutschland geleistet haben.

Franz Böhm und das Kartellrecht

Das GWB wurde in einer Zeit eingeführt, so Zimmer, in welcher sich zwei konkurrierende Ansätze, wie Wettbewerb gedacht werden kann, gegenüberstanden: ergebnisoffen oder ergebnisorientiert. In der ergebnisoffenen Sichtweise – der klassisch ordoliberalen Perspektive – sei Wettbewerb ein Prozess, dessen Ausgang offen ist. Wichtig sei allein, dass er frei und fair abläuft.

Diese prozessorientierte Sicht auf Wettbewerb – dass es nicht auf ein bestimmtes Ergebnis ankommt, sondern auf faire Spielregeln – sei tief im Denken der ordoliberalen Schule verwurzelt. Zimmer erinnert daran, wie stark dieser Gedanke das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen beeinflusst hat. Aus ordoliberaler Perspektive, so Zimmer weiter, bedarf die individuelle Handlungsfreiheit – ein zentrales Element jeder funktionierenden Wettbewerbsordnung – eines doppelten Schutzes: sowohl gegenüber staatlicher Einflussnahme als auch gegenüber übermäßiger wirtschaftlicher Macht privater Akteure. Manche sprächen deshalb zuweilen von der „Doppelgesichtigkeit“ des Ordoliberalismus. Dabei gehe es jedoch nicht darum, mit dem Kartellrecht gezielt Märkte zu steuern oder bestimmte Ergebnisse zu erzwingen. Vielmehr sei es das Ziel, durch den Schutz der individuellen Freiheit den Wettbewerb als offenen, dynamischen Prozess überhaupt erst zu ermöglichen. Gerade dieser Gedanke sei, wie Zimmer betont, nicht nur in das GWB eingeflossen, sondern habe auch in der parallelen Stärkung der europäischen Wettbewerbsregeln in den 1950er-Jahren eine zentrale Rolle gespielt.

Im Gegensatz dazu steht die ergebnisorientierte Sicht: Wettbewerb soll bestimmte, politisch erwünschte Resultate erzielen – etwa niedrige Preise, technische Innovation oder soziale Gerechtigkeit. In diesem Zusammenhang verweist Zimmer auf den US-amerikanischen Ökonom John Maurice Clark, auf welchen das Konzept der Workable Competition zurückgeht. Dem Workable Competition-Ansatz liege die Vorstellungzugrunde, dass sich bestimmte wirtschaftspolitisch gewünschte Resultate gezielt herbeiführen ließen – vorausgesetzt, man greift an der richtigen Stelle an: bei den Marktstrukturen.

Nach Zimmer bildet die theoretische Basis dieses Ansatzes das sogenannte Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigma (Structure-Conduct-Performance), das in den 1950er- und 60er-Jahren die wettbewerbspolitische Debatte dominierte. Die Prämisse: Wer bestimmte Marktergebnisse erzielen will, muss an den Marktstrukturen ansetzen. Zimmer erinnert die Zuhörenden daran, dass sich auch die Chicago School of Antitrust Analysis dieser Ergebnisorientierung verschrieben hat. Dort gelte wirtschaftliche Effizienz als oberstes Ziel, insbesondere die Maximierung der Verbraucherwohlfahrt. Und: Viele Phänomene, die anderswo als problematisch gelten – etwa steigende Marktkonzentration – erscheinen hier als Ausdruck ökonomischer Rationalität. Mehr Konzentration könnte also lediglich ein Ausdruck von Effizienz durch Skalenerträge sein.

Wettbewerb zwischen Recht und Politik

Dann kommt Zimmer zu dem, was den Saal besonders zum Nachdenken bringt: die Frage nach der normativen Grundlegung des Wettbewerbsrechts. Und diese ist, wie Zimmer zeigt, keineswegs eine rein technische. Dass das GWB etwa – wie wir gelernt haben ein Kind des ordoliberalen Nachkriegskonsenses – in §1 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen untersage (wie auch das europäische Recht), mache deutlich, dass Wettbewerb hier nicht Mittel zum Zweck ist, sondern als Wert an sich zu schützen sei: als Prozess mit gewissen strukturellen Voraussetzungen. Auch die EU-Kommission sei lange von einem solchen ergebnisoffenen Wettbewerbsverständnis ausgegangen.

Doch bleibt das auch so? Zimmer verweist auf die Zäsur Ende der 1990er-Jahre, als die Europäische Kommission ihre Wettbewerbspolitik neu justiert habe. Wettbewerb sei nun nicht mehr Selbstzweck, sondern auch Instrument zur Förderung der Konsumentenwohlfahrt, so der neue Kurs aus der Generaldirektion Wettbewerb. Für Zimmer ist das eine klare Zielverschiebung: weg von Struktur, hin zu Wirkung.

Aber durfte die Kommission das überhaupt? Diese Frage stellt Zimmer nicht nur rhetorisch, sondern mit juristischer Schärfe. Die Auslegung des Unionsrechts obliege nicht der Kommission, sondern dem Europäischen Gerichtshof. Und tatsächlich: In der Rechtsprechung des EuGH, so Zimmer, lasse sich eine gewisse Beharrung auf dem strukturorientierten Wettbewerbsverständnis erkennen – so etwa im British Airways-Urteil von 2007. Der Gerichtshof bekräftigte dort, dass nicht nur konkrete Verbraucherschäden, sondern auch Eingriffe in die Wettbewerbsstruktur untersagt sein können. Dennoch sei laut Zimmer inzwischen eine Öffnung für ökonomische Argumentation erkennbar: Die Kommission müsse sich zunehmend mit Beweisen und Theorien der Unternehmen selbst auseinandersetzen.

Von Nachhaltigkeit bis „excessive bigness“: Das Wettbewerbsrecht im Spiegel der Zeit

Als aktuelle Trends identifiziert Daniel Zimmer Nachhaltigkeit, Plattformen und Fairness.

1. Nachhaltigkeit und Kartellrecht – passt das zusammen?

Der Klimawandel, so Zimmer, sei die Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Das allein rechtfertige schon die Frage, ob das Kartellrecht künftig nicht aktiver zur Lösung beitragen sollte. Doch hier wird es kompliziert: Was tun, wenn Unternehmen sich zusammentun, um z. B. umweltfreundlichere Produkte zu bauen – die dadurch teurer werden – ohne dass der individuelle Verbraucher direkt profitiert?

Zimmer legt den Finger in die Wunde: Wer ist eigentlich der am Gewinn beteiligte Verbraucher?

Zimmer bringt ein hypothetisches Beispiel: Autohersteller beschließen gemeinsam, Filter einzubauen, die Stickstoffemissionen senken. Eine klassische Beschränkung des Wettbewerbs, die für die Nachfrager wenig „klassischen“ Nutzen ergibt – außer fürs Klima.

In den herkömmlichen Denkkategorien, so Zimmer, komme man damit nicht weiter. Er verweist auf die niederländische Wettbewerbsbehörde ACM, die mit traditionellen Dogmen breche: Sie argumentiere, dass das eigentliche Problem womöglich beim Konsumenten liegt, dessen Nachfrage umweltschädliches Verhalten fördere. Die Folge ist ein Perspektivwechsel – weg vom individuellen Preisvorteil, hin zum kollektiven Nutzen. Zimmer ist der Meinung, dass die EU-Kommission mit den Horizontalleitlinien 2023 nachgezogen hat, in denen „kollektive Vorteile“ zumindest in engen Grenzen anerkannt werden können. Nachhaltigkeit wird kartellrechtsfähig, so Zimmer. Vielleicht.

2. Die Übermacht der digitalen Plattformunternehmen

Die zweite Entwicklung betrifft Amazon, Google, Meta & Co. – also die üblichen Verdächtigen mit den tiefen Taschen und weiten Netzen. Auch hier habe sich eine neue Denkrichtung im Kartellrecht etabliert, welche die Netzwerkeffekte des plattformbasierten Monopolkapitalismus in den Fokus nimmt. Der vielzitierte Aufsatz Amazon’s Antitrust Paradox von Lina Khan habe einen Stein ins Rollen gebracht. Amazon – so Khans These – habe ganze Märkte monopolisiert, gerade durch niedrige Preise. Ein Kartellrecht, das auf niedrige Verbraucherpreise setze, habe hier den Blick für die Monopolbildung verloren. Die Klagen in den USA gegen Big Tech und der Digital Markets Act (DMA) in der EU seien die Antworten darauf. Der DMA habe dahingehend einen Paradigmenwechsel im Kartellrecht eingeleitet, dass die in den 1990er Jahren etablierte Fixierung auf ein einziges Ziel – das Verbraucherwohl im Sinne möglichst niedriger Verbraucherpreise – als nicht mehr tragfähig angesehen werde. Spätestens mit dem Aufkommen großer marktbeherrschender Plattformen stoße dieses Preisparadigma an seine Grenzen. Denn was, wenn der Dienst bei Google oder Instagram nur scheinbar „kostenlos“ ist? Die wahren Kosten – etwa in Form der Preisgabe personenbezogener Daten – sind oft unsichtbar, schwer quantifizierbar und für Nutzer kaum nachvollziehbar. Und während Endnutzer ihre Daten bereitwillig abtreten, geraten gewerbliche Anbieter – etwa Online-Händler – auf der anderen Seite der Plattform zunehmend unter Druck. Sie sind abhängig von der Plattform und zahlen teils überzogene Werbegebühren, um überhaupt sichtbar zu bleiben. Und die Rechnung? Die lande am Ende doch wieder beim Verbraucher. Nur eben durch die Hintertür.

3. Fairness reloaded – mehr als eine Floskel?

Zimmer bringt schließlich einen dritten, fast altmodisch klingenden Begriff ins Spiel: Fairness. Ganz neu ist die Idee nicht. Schon Art. 102 AEUV spricht von der Verhinderung „unfairer“ Preise und die kartellrechtliche Freistellung verlangt, dass Verbraucher einen „fair share“, wie es im Englischen heißt, am Effizienzgewinn erhalten sollen. Das ist die klassische Verteilungsfairness – wer bekommt wie viel? Doch Zimmer erinnert: Fairness meint nicht nur das Ergebnis, sondern auch das Verhalten. Verhaltensfairness also. Wenn sich Plattformen unfair gegenüber ihren Nutzern oder Geschäftspartnern verhalten, könne auch das ein Fall fürs Kartellrecht sein. Genau hier setze der DMA an, so Zimmer. Er verpflichte große Plattformbetreiber zu fairem Verhalten. Nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern auch gegenüber gewerblichen Nutzern. Und damit wird klar: In digitalen Ökosystemen sind alle Marktseiten schutzbedürftig. Der DMA breche also mit der Preisfixierung früherer Jahrzehnte – und rücke das Prinzip Fairness wieder ins Zentrum der Wettbewerbspolitik.

Und wie geht’s weiter mit der Wettbewerbspolitik, Herr Zimmer?

Um die Zukunft des Kartellrechts zu beleuchten, wagt Zimmer einen Blick über den Atlantik. Dort stehen sich heute zwei Denkschulen gegenüber: Post-Chicago und das New Brandeis Movement.

Die Post-Chicago-Schule baut auf der traditionellen Chicago School auf, nimmt aber Abschied von manchen überholten ökonomischen Annahmen. Sie räumt etwa ein, dass Marktversagen auch bei vermeintlich effizienten Strukturen auftreten kann – und, dass reine Preisanalysen oft zu kurz greifen. Kurzum: Mehr ökonomische Realität, weniger Theorie-Dogmatismus.

Ganz anders das New Brandeis Movement. Es ist benannt nach US-Richter Louis Brandeis, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts vor den Gefahren übergroßer Unternehmensmacht warnte. Für Brandeis war „excessive bigness“ nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch ein politisches. Großkonzerne, so das Argument, könnten demokratische Prozesse unterwandern, Regulierung aushebeln und sich über Staaten hinwegsetzen. Ein Szenario, das in der Ära globaler Tech-Giganten erschreckend aktuell wirkt. Zimmer sieht hier Parallelen zur ordoliberalen Schule – auch sie warnt traditionell vor dem politischen Einfluss marktbeherrschender Unternehmen. Dass der Brandeis-Gedanke inzwischen Einfluss auf zentrale Positionen in der US-Wettbewerbsbehörden genommen hat, ist mehr als nur eine akademische Fußnote: Es könnte, so Zimmer, ein Fingerzeig für eine umfassendere Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik sein – auch in Europa.

Wettbewerb als das „genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“

Zum Ende seiner Vorlesung zitiert Zimmer – noch einmal –Böhms Erstlingswerk „Das Problem der privaten Macht“ von 1927. Freiheit kann auf Märkten nur existieren, wenn Macht gebrochen wird. Böhms Formel: Freiheitssicherung durch Freiheitsbeschränkung sei die Devise.Ein scheinbarer Widerspruch – der aber laut Zimmer bei Böhm keiner ist; schon bei Kant ende die Freiheit des Einzelnen dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Das ist die Legitimation des Kartellrechts.

Der „Geniestreich“ Böhms, so Zimmer, liege darin, wie diese Macht gebrochen werden soll: nicht primär durch zentrale Planungsbehörden, nicht durch Preiskontrollen, sondern durch das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“, wie Böhm es einst formulierte, – den Wettbewerb. Dazu brauche es starke staatliche Rechtsvorschriften, die Unternehmen dazu zwängen, sich so zu verhalten als hätten sie keine Macht.

Was hätte Böhm wohl zu aktuellen Entwicklungen auf der anderen Seite des Atlantiks gesagt? Etwa zur Szene, in der ein Elon Musk, der reichste Unternehmer der Welt, vom derzeit mächtigsten Politiker der Welt „in sein Schloss, pardon, in sein Weißes Haus“ (Zitat Zimmer) eingeladen wird und großzügige Vollmachten erhält? Böhm hat für eine Trennung zwischen Staat und Wirtschaft plädiert, die im 19. Jahrhundert, mit der Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit, begonnen habe. Unternehmer mussten sich seither nicht mehr beim Staat legitimieren, sondern am Markt behaupten. Doch was, fragt Zimmer, wenn diese Trennung heute wieder aufgeweicht wird? Wenn es zur Allianz zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht kommt? Franz Böhm, so meint er, hätte darin wohl eine Rückkehr zu vorkonstitutionellen Verhältnissen gesehen – eine Zeit, in der die Trennung von Staat und Wirtschaft noch gar nicht durchgesetzt war. Der Wettbewerb – als Ordnungselement, als Korrektiv, als Freiheitsgarant – droht, unter die Räder zu geraten. Zimmer schließt mit einem Zitat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz warnte: Als Demokrat macht es mir größte Sorge, wenn eine kleine unternehmerische Elite die Macht, die Mittel und den Willen hat, einen wesentlichen Teil der Spielregeln liberaler Demokratien neu zu bestimmen.“

Daniel Zimmer hat nicht nur ein anspruchsvolles Thema souverän entfaltet, sondern deutlich gemacht, wie Wettbewerbsrecht in Zeiten politischer Unruhe als verlässlicher Kompass dienen kann. Langer Applaus.

Julia Braun, M.Sc., ist Forschungsreferentin am Walter Eucken Institut und Doktorandin an der Universität Freiburg. Ihre Dissertation wird von Prof. Dr. Lars P. Feld betreut.

2 thoughts on “Zwischen Freiheit und Macht: Daniel Zimmer über die Zukunft des Wettbewerbsrechts

  1. Vielen Dank für den schönen Bericht! Franz Böhm hätte sicher einiges zu sagen gehabt zu den politischen Entwicklungen in den USA und in Europa zum Mission Brief von Kommissarin Ribera, dem Draghi-Report und vielem mehr. Leider hat man den Eindruck, dass seine Stimme (und die des Ordoliberalismus insgesamt) heute zu wenig gehört wird. Die Franz-Böhm-Vorlesungsreihe leistet deswegen einen wichtigen Beitrag zum Diskurs – und der vorliegende Bericht zur Verbreitung dieses Beitrags.

  2. Ein wunderbar geschriebener Bericht. Ganz herzlichen Dank, Frau Braun! Da kann man sich ja nur auf das Erscheinen Ihrer Dissertation freuen.

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