Ein Jahr ohne Heike Schweitzer: Blicke zurück und Blicke nach vorn beim Gedenken im Reichstagsgebäude

Ein Jahr ohne Heike Schweitzer: Blicke zurück und Blicke nach vorn beim Gedenken im Reichstagsgebäude

Heike Schweitzer war einzigartige Wissenschaftlerin, einflussreiche Beraterin von Behörden und Politik und für viele in der Wettbewerbs-Community unersetzliche Lehrerin, geschätzte Kollegin und Freundin. Am ersten Jahrestag ihres Todes, dem 11. Juni 2025, kamen Angehörige, Wegbegleiter:innen, Kartellrechts-Prominenz und die interessierte Öffentlichkeit im Reichstagsgebäude zu einer Gedenkveranstaltung zusammen. Simon de Ridder, der bei Heike Schweitzer am Lehrstuhl gearbeitet hat, berichtet.

Zum Gedenksymposium für Heike Schweitzer hatte die Stiftung Marktwirtschaft geladen, deren wissenschaftlichem Beirat, dem Kronberger Kreis, Heike Schweitzer seit 2014 als einzige Juristin unter Ökonomen angehört hatte. Nach einer Begrüßung durch Prof. Dr. Michael Eilfort, den Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, leitete die Wirtschaftsjournalistin Dr. Ursula Weidenfeld durch den Abend, der sich in drei Grußworte und eine Podiumsdiskussion gliederte und unter dem Motto „Wettbewerb als geniales Entmachtungsinstrument“ stand.

Heike Schweitzers Rolle in Deutschland und Europa

Im ersten Grußwort des Abends skizzierte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, die Bedeutung Heike Schweitzers als politische Beraterin in Deutschland. Besonders hob er dabei die Rolle hervor, die sie bei der Modernisierung der GWB-Missbrauchsaufsicht und insbesondere der Schaffung des § 19a GWB spielte. Diese Vorschrift, so Mundt mit Verweis auf jüngst abgeschlossene Verfahren gegen Google sowie ein jüngst eingeleitetes gegen Amazon, sei im Augenblick eines der zentralen Werkzeuge des Amts. Auf Nachfrage wünschte sich Andreas Mundt von der neuen Bundesregierung, dass Kartellamt und GWB nach den wertvollen Reformen der letzten Jahre erst einmal in Ruhe mit den neu geschaffenen Instrumenten arbeiten könnten – eine Forderung, die wohl mit Heike Schweitzers Sympathie hätte rechnen können.

Andreas Mundt

Johannes Laitenberger ordnete im Anschluss vor dem Hintergrund seiner Erfahrung als EuG-Richter und ehemaliger Generaldirektor Wettbewerb diejenigen Aspekte von Heike Schweitzers Wirken ein, die sich auf EU-Ebene abspielten. Sie war vor ihrer Rückkehr nach Deutschland, wo sie zunächst in Mannheim, dann an der Freien Universität und schließlich an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig wurde, Professorin am European University Institute in Florenz. Johannes Laitenberger würdigte die „Vermittlerrolle“ von Heike Schweitzer zwischen ordoliberaler Tradition und internationalem wettbewerbspolitischen Diskurs am Beispiel dreier von ihr begleiteter Entwicklungen des EU-Wettbewerbsrechts: Erstens der Entwicklung der Rechtsprechung, in der sich „form-based“ und „effects-based approach“ von einem Gegensatz- zu einem Ergänzungsverhältnis entwickelt haben. Zweitens der Mitarbeit Heike Schweitzers am Bericht „Competition policy for the digital era“, dessen Erkenntnisse die Wettbewerbspolitik der EU-Kommission auf digitalen Märkten bis heute informieren und durch die Rechtsprechung immer wieder bestätigt werden. Und drittens das jüngere Engagement zur Verbesserung der behördlichen Durchsetzung von Art. 102 AEUV. Die Problemanalyse Heike Schweitzers in dieser Hinsicht teilend (und mit Blick auf das Motto der Veranstaltung), sagte Laitenberger: „Ein Entmachtungsinstrument, das nicht durchsetzungsfähig ist, entmachtet sich selbst.“

Johannes Laitenberger

Das ordoliberale Erbe

Für die Gastgeber sprach Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts und Sprecher des Kronberger Kreises, über die Arbeit Heike Schweitzers im Kronberger Kreis und über die von ihr 2020 am Walter Eucken Institut gehaltene 3. Franz Böhm-Vorlesung. Dort hatte sie über private Macht im digitalen Zeitalter referiert und dargestellt, dass sich wegen der besonderen Machtstellungen im Kontext der Digitalisierung der Wettbewerb als Mechanismus dezentraler Koordination selbst verändert. Feld stellte Heike Schweitzer in eine Reihe mit Franz Böhm und Ernst-Joachim Mestmäcker als Vertreterin der Idee einer „Privatrechtsgesellschaft“, der Wettbewerb als Ordnungsprinzip zugrunde liegt. Der von Heike Schweitzer in ihrer Franz Böhm-Vorlesung geschilderten Evolution der wettbewerblichen Zusammenhänge sei vor diesem Hintergrund immer mit dem klaren Kompass zu begegnen, die Funktionsfähigkeit dieser Privatrechtsgesellschaft zu gewährleisten. Diese Perspektive habe Heike Schweitzer auch in die Arbeit im Kronberger Kreis eingebracht, die von den übrigen Mitgliedern in einem bald erscheinenden Sammelband („Eine Juristin unter Ökonomen“) gewürdigt wird.

Lars Feld

Persönliche Erinnerungen

Das sich an die Grußworte anschließende Podium wurde von vier Weggefährten ergänzt: Prof. Dr. Josef Drexl (Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, München), Prof. Dr. Justus Haucap (Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied des Kronberger Kreises), Dr. Thorsten Käseberg (Leiter des Referats für Grundsatzfragen der Wettbewerbspolitik, Kartellrecht, wettbewerbspolitische Fragen der Digitalisierung im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin) und Prof. Dr. Axel Metzger (Professor für Immaterialgüterrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin).

Justus Haucap

Zu Beginn sprachen die Beteiligten dazu, was sie an Heike Schweitzer besonders geschätzt haben. Justus Haucap etwa erzählte, wie für ihn Heike Schweitzer oftmals die Erste gewesen sei, auf die er bei Fragen zuging. Für ihn machte aus, dass Heike Schweitzer – obwohl nie formell darin ausgebildet – erheblichen ökonomischen Sachverstand besaß und dass von ihr weder dumpfer Liberalismus, noch dumpfer Etatismus zu erwarten gewesen sei, sondern vielmehr ein stetiges Austarieren der besten institutionellen Lösungen. Ihr früherer Fakultätskollege Axel Metzger, der als Nicht-Kartellrechtler Heike Schweitzers Arbeit auch über das Wettbewerbsrecht hinaus (im Bereich der allgemeinen Privatrechtstheorie und der Marktöffnung in der Datenwirtschaft) würdigte, bestätigte diesen Eindruck: Bewundernswert sei gewesen, wie ergebnisoffen Heike Schweitzer gearbeitet habe und wie sehr es ihr damit stets um die beste Lösung gegangen sei.

Thorsten Käseberg

Diese Offenheit habe Heike Schweitzer auch bei der Politikberatung an den Tag gelegt, wie Thorsten Käseberg betonte. Bei ihrer Arbeit an der Studie zur Modernisierung der Missbrauchsaufsicht und in der Wettbewerbskommission 4.0 habe sie die Grenzen des Kartellrechts im digitalen Raum ausgelotet und verschoben – all das noch dazu „maximal uneitel und unprätentiös“. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, direkt eine steile These bei X rauszuhauen, vielmehr habe sie im Denken und Kommunizieren mit dem Florett gearbeitet. Beispielhaft erinnerte Käseberg daran, dass Heike Schweitzer zwar auf EU-Ebene an den Überlegungen zu einem „New Competition Tool“ mitgearbeitet habe, die Einführung eines solchen Instruments im deutschen Recht aber als Sachverständige im Wirtschaftsausschuss kritisch begleitet hat. Was Heike Schweitzers Wissenschaftskommunikation anging, hatte Josef Drexl schon zu Beginn der Veranstaltung ihre Fähigkeit gelobt, tiefe Einsichten mit einfachen Worten auszudrücken.

Josef Drexl

Wettbewerb und die Gesellschaft von heute

„Was würde Heike Schweitzer denken?“ – Mit dieser, wohl erstmals von Pablo Ibáñez Colomo als Ausdruck des akademischen Schmerzes über ihren Tod gestellte Frage, begann auf dem Podium die Diskussion über die aktuelle Rolle des Wettbewerbs und des Wettbewerbsrechts. Industriepolitische Erwägungen drohen, Wettbewerb an den Rand zu drängen. Schon während seines Grußworts hatte Lars Feld eine aus seiner Sicht „missionarische“, sich Wissen anmaßende staatliche Industriepolitik beklagt. Während die Beteiligten des Podiums freilich die grundlegende Bedeutung einer wirksamen Wettbewerbsrechtsdurchsetzung betonten, differenzierte sich das Meinungsspektrum aus: Josef Drexl etwa wies auf die neuere Innovationsökonomik hin, die vor dem Hintergrund allgemein anerkannten Transformationsbedarfs den Bedarf belege, Innovation in gewisse Richtungen zu lenken – das gelte gerade mit Blick auf die Klimakrise. Auch Axel Metzger wies – diesmal bezüglich des Umbaus der Rüstungsindustrie – darauf hin, dass Wettbewerb allein kein Allheilmittel sei. Schon zuvor hatte er dargestellt, dass dies auch Heike Schweitzers Überzeugung war: Ihre gemeinsame Arbeit zu Datenmärkten habe den „market shaping“-Ansatz der europäischen Datenstrategie zwar kritisch begleitet, aber nicht generell abgelehnt.

Axel Metzger

Von Josef Drexl wurde vor diesem Hintergrund die Diskussion angestoßen, inwieweit Wettbewerb – gerade in Abgrenzung zu industriepolitischen Maßnahmen – in der Gesellschaft überhaupt positiv wahrgenommen würde. Die Lage sei in anderen europäischen Ländern zum Teil besorgniserregend und könne sich auch in Deutschland schnell verschlechtern, da große Teile der Bevölkerung Schwierigkeiten hätten, ihren Lebensstandard beizubehalten. Auch Thorsten Käseberg diagnostizierte insoweit zumindest ein Kommunikationsproblem der im Raum anwesenden „FAZ-Community“ (von der er sich freilich nicht ausnahm): Man habe noch keine Sprache gefunden, um in der Breite der Bevölkerung die eigene Wettbewerbspolitik etwa gegen eine Vorliebe für Preiskontrollen zu verteidigen. Immerhin: Zum Abschluss des Abends konnten sich Moderatorin Weidenfeld und Präsident Mundt darauf einigen, dass wohl mehr als 2 % der Deutschen schon einmal vom Bundeskartellamt gehört haben. Dass Wettbewerb ein geniales Entmachtungsinstrument ist, darf aber ruhig noch weiter verbreitet werden.

Simon de Ridder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht und Ökonomik an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war ab 2020 zunächst studentischer und schließlich wissenschaftlicher Mitarbeiter von Heike Schweitzer.

Die Fotos in diesem Beitrag wurden freundlicherweise von der Stiftung Marktwirtschaft zur Verfügung gestellt. Das Copyright liegt bei Kay Herschelmann.

One thought on “Ein Jahr ohne Heike Schweitzer: Blicke zurück und Blicke nach vorn beim Gedenken im Reichstagsgebäude

  1. Vielen Dank für die Zusammenstellung! Sind die verschiedenen Beiträge (insb. jener von Prof. Feld) auch in veröffentlichter/gedruckter Form verfügbar?

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