
Wolfgang Kirchhoff: Vom Brüsseler Großkanzleipartner zum Vorsitzenden des BGH-Kartellsenats
Am Bundesgerichtshof kommt es zu einer bedeutsamen Personalie: Prof. Dr. Wolfgang Kirchhoff tritt in den Ruhestand. Als Vorsitzender des Kartellsenats in Karlsruhe darf er als ranghöchster deutscher Kartellrichter gelten. Eine Würdigung von Prof. Dr. Daniel Zimmer.
Das Adjektiv einzigartig wird zu Recht nur selten verwendet – denn was ist schon das Einzige seiner Art? Mit Blick auf die Berufstätigkeit von Professor Wolfgang Kirchhoff ist es aber berechtigt, von einer einzigartigen Karriere zu sprechen.
Nach einem in Bonn, Lausanne und Freiburg absolvierten Rechtsstudium und dem erfolgreichen Abschluss des juristischen Vorbereitungsdienstes ist Wolfgang Kirchhoff mit einer Arbeit über die kartellrechtliche Beurteilung vertikaler Vertriebsverträge in München zum Dr. jur. promoviert worden. Anschließend war er während rund fünfzehn Jahren in Düsseldorf und Brüssel als Rechtsanwalt tätig, von 1996 an als Partner einer führenden internationalen Sozietät.
Dann begann die zweite Karriere von Wolfgang Kirchhoff: Im Jahr 2004 wählte ihn der Richterwahlausschuss des Bundes zum Bundesrichter. Von November 2004 an gehörte er zunächst dem vorwiegend für das Patent-, aber auch das Vergaberecht zuständigen X. Zivilsenat des BGH an. Im Januar 2007 wechselte er in den I. Zivilsenat, in dem er bis August 2019 vorwiegend mit dem Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht sowie dem Schiedsverfahrensrecht befasst war; zugleich gehörte er während dieser Zeit dem Kartellsenat an. Von September 2019 an war Prof. Dr. Kirchhoff stellvertretender Vorsitzender des Kartell- und XIII. Zivilsenats, nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Peter Meier-Beck übernahm er im Mai 2022 den Vorsitz.

Durchblättert man allein die Leitsatzentscheidungen, die in dieser Zeit gefällt wurden, wird deutlich, wie sehr vor allem das Kartellschadensersatzrecht durch den Kirchhoff-Senat geprägt wurde. Allein drei Mal entschied der Senat zum LKW-Kartell mit Leitsatzentscheidungen (LKW-Kartell III-V), hinzu traten Fälle wie Stahl-Strahlmittel, Schlecker und Die Freien Brauer. Auch der vieldiskutierte Fall Kartellrecht im Schiedsverfahren wird in Erinnerung bleiben. In Kirchhoffs Amtszeit fallen zudem die ersten Entscheidungen, die der Kartellsenat nach § 19a GWB getroffen hat. Hier musste der Senat für sich eine neue Aufgabe definieren. Der Gesetzgeber hatte bei der GWB-Novelle 2021 in § 73 Abs. 5 GWB vorgesehen, dass in diesen Digital-Fällen die Düsseldorfer Beschwerdeinstanz übersprungen wird und der Kartellsenat somit Tat- und Rechtsfragen zu klären hat.
Während seiner gesamten Berufstätigkeit war Wolfgang Kirchhoff in beeindruckender Weise publizistisch aktiv: er verfasste eine große Zahl von wissenschaftlichen Publikationen, mit einem Schwerpunkt in dem Rechtsgebiet, das ihn offenbar am meisten interessierte: dem Kartellrecht. Zudem wurde er ein gefragter Vortragender. So schloss sich den beiden ersten Karrieren zwanglos eine dritte an: diejenige eines Lehrenden und Wissenschaftlers. In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen und seiner Lehrtätigkeit ernannte die Universität Bonn Wolfgang Kirchhoff im Jahr 2017 zum Honorarprofessor.
Auch über die genannten Tätigkeiten hinaus ist Wolfgang Kirchhoff im Wettbewerbs- und Kartellrecht bemerkenswert präsent und aktiv. So verantwortet er als Mitherausgeber die Geschicke der Fachzeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb. Und als Präsident der Association of European Competition Law Judges organisierte er im Mai 2024 eine große internationale Konferenz in Berlin, über die in D’Kart berichtet wurde.
Ende März 2025 tritt Wolfgang Kirchhoff am Bundesgerichtshof in den Ruhestand. Noch in den letzten Wochen seiner aktiven Richtertätigkeit konnte er wichtige Entscheidungen verkünden, u. a. zur Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung von Apple für den Wettbewerb und zu den Grenzen der Zulässigkeit von Verhaltenszusagen in der deutschen Zusammenschlusskontrolle (Telekom/EWE). Die Studienvereinigung Kartellrecht veranstaltet zu seinen Ehren ein wissenschaftliches Symposium.
Wer ihn kennt, weiß, dass sein Ausscheiden aus dem Justizdienst nicht gleichzusetzen ist mit einer Beendigung seines Engagements im Kartellrecht. Wolfgang Kirchhoff hat bereits angedeutet, weiterhin in Lehre und Wissenschaft tätig sein zu wollen. So können sich alle, die ihn kennen und schätzen, darüber freuen, auch in Zukunft die Gelegenheit zur Diskussion und zum fachlichen Austausch mit ihm zu haben. Ad multos annos!
Der Autor Daniel Zimmer ist Professor für Wirtschaftsrecht und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics an der Universität Bonn.