Conference Debriefing (43): 7. Offenes Doktorandenseminar
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Zitiervorschlag: Kümmel/Zwilling, DKartJ 2024, 55-58
Während die langen Abendstunden in den Büros allmählich wieder mehr von den künstlichen Deckenleuchten als von warmen Sonnenstrahlen geprägt werden, traf sich die deutschsprachige Kartellrechtsdoktorandengemeinschaft mittlerweile zum 7. Mal in der Düsseldorfer Innenstadt, um Kontakte zu pflegen und sich über ihre Fortschritte bei der sonst einsamen Schreibarbeit auszutauschen. Leon Kümmel und Moritz Zwilling berichten über ein spannendes Doktorandenseminar des Instituts für Kartellrecht.
Alle Jahre wieder
Mit einem spannenden Programm lud das Institut für Kartellrecht der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum offenen Doktorandenseminar ein. Die Direktoren des Instituts Prof. Dr. Christian Kersting LL.M. (Yale), Prof. Dr. Rupprecht Podszun und Jun-Prof. Dr. Jannik Otto organisierten mit tatkräftiger Unterstützung von Anna-Lena Rech und Moritz Hörnig ein Seminar mit spannenden Themenvorträgen und hochkarätigen Gästen.
Doktorandengespräche Runde 1
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Professoren Christian Kersting und Rupprecht Podszun wurde das im vergangenen Jahr eingeführte (Un-)Glücksrad zur großen Überraschung der Doktoranden erneut an die Wand geworfen. Wer ausgewählt wurde, durfte einen einminütigen Impulsvortrag zu seiner aktuellen Forschung halten. Nervös zitterten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und hofften, dass ihr Name nicht derjenige sein wird, der eingeblendet wird, wenn das Rad zum Stillstand kommt. Grund zur Sorge gab es jedoch nicht. Schließlich bot das Glücksrad die Chance, neue Ideen mit dem Publikum zu teilen (wie wir erfahren haben, liest eh so gut wie niemand mehr, sodass die eigenen Ideen nur dann gehört werden, wenn man darüber erzählt). Anschließend ging es dann auch mit dem los, weswegen viele Doktoranden die Reise nach Düsseldorf angetreten sind: Die Doktorandengespräche.
Felix Beckmann (HHU Düsseldorf) sprach dabei über seine empirische Untersuchung der jüngeren Zusagenpraxis der Europäischen Kommission und deckte im Zuge dessen verschiedene Missstände der Verwaltung auf. So würden weder Verbraucher- noch Eigeninteressen der fusionierenden Unternehmen hinreichend gewürdigt. Und auch die gewählten Abhilfemaßnahmen seien vielfach ungeeignet, um langfristig einen hinreichenden Wettbewerb zu gewährleisten.
Nebenan berichtete Anna Isfort (Bucerius Law School) von ihren Überlegungen zu den Vorteilen von Massenschiedsverfahren. Auf eine Liste von Nachteilen der bilateralen Anspruchsdurchsetzung folgte eine lange Liste von Vorteilen des Masseklageverfahrens. Insbesondere die Schiedsgerichtsbarkeit könne gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit Vorteile aufweisen, die die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen erleichtern könnten. In der anschließenden Diskussion stellte sie sich souverän den kritischen Fragen des Publikums.
Doktorandengespräche Runde 2
Unterbrochen werden konnte die euphorische Diskussion zu den beiden Dissertationsvorhaben nur durch die Anmerkung, dass die nächste Runde bevorstehe. Direkt im Anschluss bot sich die Chance für gleich drei Doktoranden, das Publikum von ihrem Forschungsvorhaben zu überzeugen und sich den interessierten Fragen zu stellen.
Eine neue Herausforderung stellte sich auch für das Publikum. Zum ersten Mal mussten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich zwischen drei parallel stattfindenden Doktorandengesprächen entscheiden. Viola Pless (TU München) sprach über „ad tech“-Märkte und dem Verfahren der EU-Kommission gegen Google im Bereich der Online-Werbetechnologie. Nebenan sprach Marvin McConvey (Universität Frankfurt am Main) über seine Untersuchung zu Menschenrechtsimplikationen für das Beweismaß im Marktmachtmissbrauch. Eine Etage darunter stellte Nils Imgarten (Uni Göttingen) seine Ideen zur Frage der gerichtlichen Kontrolle von Beurteilungsspielräumen der Europäischen Kommission vor.
Wie es sich für Kartellrechtler gehört, verbot sich natürlich eine Absprache zwischen den Doktoranden, welcher Vortrag denn am spannendsten sei und wessen Publikum somit am größten sein müsste. Absprachen gab es nur zwischen den Autoren des Beitrags, um einen Einblick in jedes Thema gewähren zu können. Wir können berichten: Alle Vorträge des gesamten Seminars waren gleich lohnenswert, sodass der Qualitätswettbewerb keinen Sieger hervorbringen konnte (nach unserem offiziellen Wissen gab es natürlich auch keinen Preiswettbewerb).
Viola Pless gab einen Überblick über die Funktionsweise der „ad-tech”-Märkte und deckte dabei auf, dass besonders marktmächtige Unternehmen, die auf mehrseitigen Plattformmärkten agieren, unter Umständen einen Marktmachtmissbrauch begehen. Das zeige sich auch an den umfangreichen „ad-tech“-Verfahren der Kommission. In ihrem Vortrag deckte die Referentin sowohl dogmatische Fragestellungen in Art. 102 AEUV als auch Abhilfemaßnahmen für potenzielle Verstöße ab.
Zeitgleich sprach Marvin McConvey über die menschenrechtlichen Implikationen für das Beweismaß beim Marktmachtmissbrauch. Der Referent wies darauf hin, dass die Frage nach dem erforderlichen Beweismaß in rein europäischen Verfahren noch ungeklärt ist. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob das Kartellrecht als Strafrecht oder Verwaltungsrecht qualifiziert wird. Dabei hat die Wahl des Beweismaßes erhebliche Auswirkungen auf die Verfahrensdauer und die Durchsetzungseffizienz von Machtmissbrauchsfällen. McConveys Lösungsvorschlag zielt daher auf einen Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Unschuldsvermutung und dem Bedürfnis nach effektiver Rechtsdurchsetzung ab.
Nils Imgarten stellte in seinem Vortrag die bestehenden Fragen hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen der Europäischen Kommission vor. Er zeigte die noch immer offene Frage des Prüfungsmaßstabs von Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen der Kommission auf. Er überzeugte das Publikum mit seinen Ideen der Maßstabsbildung. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass im Anschluss auf die angekündigte Pause fast verzichtet wurde, um weiter Ideen auszutauschen.
Themen-Talks
Nach zwei Runden Doktorandengespräche bedurfte es jedoch einer kurzen Pause, in der die Eindrücke der vorherigen Diskussionen weiter erörtert wurden. Danach ging es mit den Thementalks weiter. Da im vollgesteckten Programm nur in den kurzen Pausen Zeit vorhanden ist, sich über andere als die vorgetragenen Themen auszutauschen, bot sich nun die Möglichkeit, in kleinen Gruppen Gleichgesinnte zu finden, die man zuvor noch nicht durch Zufall beim Kaffee gefunden hatte. In den Selbsthilfegruppen Kleingruppen nutzten die Doktoranden die Gelegenheit, um konkrete und allgemeine Fragestellungen zu besprechen, für die sonst in der einsamen Doktorandenhölhle des Schreibtischs keine Möglichkeit besteht.
Vortrag von Carel Maske
Mit Spannung erwartet wurde natürlich der erste Gast der zweitägigen Veranstaltung. Am Montagnachmittag erzählte Carel Maske aus seiner Praxis. Maske ist bei Microsoft für Kartellrecht und digitale Regulierung in der EMEA-Region zuständig (Europe – Middle East Asia).
Co-Gastgeber Jannik Otto hatte Maskes Dissertation zur räumlichen Marktabgrenzung herausgesucht – inzwischen sind die global players fast weltweit aktiv. Maske war bei Microsoft an Bord gekommen, als die „mother of digital antitrust battles“, der große Microsoft-Fall zum Schnittstellenzugang, noch lief. Jetzt ist KI das Mega-Thema. In einer nahezu unbeschreiblichen Entwicklung erstreckt sich die Anwendung von Künstlicher Intelligenz in stetig neue Felder des alltäglichen Lebens. Dahinter steht vor allem eine gigantische Rechenkapazität, in die Microsoft massiv investiert. Klarheit besteht auch, dass die klassischen Instrumente des Wettbewerbsrechts große Schwierigkeiten bereiten, die dynamische Entwicklung zu bewältigen.
Maske war ein perfekter Sparringpartner, etwa bei der Frage, wann ein Bundling von Produkten vorliegt. Eins ist klar: Das Doktorandenseminar schaffte es beispielhaft, den erforderlichen Austausch zwischen (junger) Kartellrechtswissenschaft und der Unternehmensperspektive zu ermöglichen.
Doktorandengespräche Runde 3
Sodann ging es über zur letzten Runde der Doktorandengespräche. Als letzte in der Reihe bestand für Philipp Loser (UZH Zürich) und Johannes Schröder (Fernuni Hagen) zu fortgeschrittener Stunde die schwierige Aufgabe, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren Dissertationsthemen zu überzeugen. So viel sei gesagt: In zwei spannenden Vorträgen gelang es, das Publikum nicht nur wach zu halten, sondern es mit Begeisterung den sehr interessanten Erörterungen der beiden Doktoranden lauschen zu lassen.
Philipp Loser sprach in einem vollbesetzen Seminarraum über die im Vortrag von Carel Maske zuvor angesprochenen Fragen der Interoperabilität in der Digitalwirtschaft. Aus einer intradisziplinären Betrachtung zeigte er seine Überzeugungen auf, wie sich bestehende Interessenkonflikte bei fehlender Interoperabilität auflösen lassen. In seiner Forschung geht es um nicht weniger als die Frage, wie Unternehmen und ihre jeweiligen Produkte zusammenarbeiten müssen. Anhand aktueller Fälle erläuterte er auch für Doktoranden, die sich sonst erfolgreich vom Bereich der Digitalwirtschaft fernhalten konnten, anschaulich, wie die offenen Fragen aus rechtlicher Sicht zu beantworten sind.
In der zweiten Etage sprach Johannes Schröder über die wettbewerbsrechtlichen Probleme, die mit nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zwischen einem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer entstehen können. Denn Wettbewerbsverbote werden in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig gehalten. Dabei sei empirisch nachweisbar, dass Wettbewerbsverbote Innovationen verhindern könnten. Hilfsweise werden daher kartellrechtliche Mittel vorgestellt, durch die eine ausufernde Verbotspraxis in Individualverträgen eingedämmt werden könnten.
Dissertationspreis
Ein weiterer Höhepunkt war die Verleihung des Dissertationspreises, den Herbert Smith Freehills stiftet. Geprägt von dem Wunsch vieler Doktoranden, nun auch endlich mal fertig zu werden und eventuell für ihre Arbeit ausgezeichnet zu werden, gratulierten sie den diesjährigen Preisträgern Severin Stratmann und Jonas Weller. Zum ersten Mal wurden gleich zwei Doktoranden der Institutsdirektoren ausgezeichnet. Hintergrund ist, dass beide jeweils zur Frage des common ownership (oder auch „indirekte Horizontalverflechtungen“) forschten. Jonas Weller, gerade mitten im 2. Staatsexamen, wurde virtuell zugeschaltet. Beide Doktoranden sind – auf ganz unterschiedliche Weise – zum selben Ergebnis gekommen: Common ownership ist nicht das große Thema, zu dem es in der Wissenschaft hochgeschrieben wurde. Dass etwa BlackRock an zahlreichen Unternehmen Beteiligungen hält, führt nicht zu Abstimmungen dieser Unternehmen untereinander. Für die hoffnungsvollen Doktoranden war die Preisverleihung die Vergewisserung: Man braucht sich nicht davor fürchten, dass noch andere über das gleiche Thema schreiben. Der einzige Nachteil: Womöglich muss man sich das Preisgeld, das Rechtsanwalt Dr. Florian Huerkamp mitbrachte, teilen.
Kamingespräch mit Fiona Scott Morton
Ein weiteres Highlight des Abends war das Kamingespräch (ohne Kamin) mit der Wettbewerbsökonomin Fiona Scott Morton von der Yale University, das eine ganze Bandbreite von spannenden ökonomischen Themen abdeckte. Denn Scott Morton sprach unter anderem über die Bedeutung der Konsumentenwohlfahrt und das Verhältnis zur Resilienz von Lieferketten, über die Tiefen der Verhaltensökonomie, über die Bedeutsamkeit einer verständlichen Wissenschaftskommunikation und über das Verhältnis von Wettbewerbs- und Industriepolitik. Im Zuge dessen entstand eine lebhafte Diskussion, in welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Doktorandenseminars auch die Erkenntnisse aus ihrer bisherigen Forschung einbringen konnten.
Dabei ließ sich Scott Morton auch auf Fragen ein, die mit einem zwinkernden Auge gestellt wurden. So gestand sie z.B., was sie am meisten und am wenigsten an Juristen schätzt. Sie ließ auch durchblicken, dass man selbst an der Yale University niemals unterschätzen dürfe, wie schlecht die Studentinnen und Studenten auf die Inhalte der jeweiligen Vorlesungseinheit vorbereitet seien. Eindrucksvoll: Wie die US-Ökonomin, die sich auch im EU-Recht bestens auskennt, bei jeder Antwort prägnant und verständlich eine klare Aussage auf den Punkt brachte.
Case Study
Gestärkt vom abendlichen Essen bei der Kanzlei Glade Michel Wirtz, trafen die Doktoranden am Dienstag erneut im Haus der Universität am Schadowplatz ein. Nach Verzehr der ein oder anderen Tasse Kaffee galt es, das kartellrechtliche Wissen der Doktoranden zusammenzubringen und die Aufgabenstellung der Case Study zu bewältigen. Wie in den vergangenen Jahren hatte die Düsseldorfer Anwaltschaft einen fiktiven Sachverhalt zusammengetragen, der die unterschiedlichsten Fragen des Kartellrechts betrifft. Den Lead bei der Ausarbeitung hatte Prof. Dr. Thomas Lübbig von Freshfields übernommen, der sich in Sachen Kreativität und Anspielungen mal wieder nicht lumpen ließ.
In kleinen Gruppen, gecoacht von Düsseldorfer Top-Anwältinnen und -Anwälten, galt es nun, die aus Sicht der jeweiligen Parteien bestehenden Interessen und Argumente ausfindig zu machen und sich auf eine Verhandlungssituation vorzubereiten. Die wettbewerbsrechtlichen Herausforderungen der Plattformökonomie bot den Doktoranden die Möglichkeit , ihre Fähigkeiten in simulierten Verhandlungen vor einem eigens für die Case Study geschaffenen Ombudsgremium der Wettbewerbsbehörde, dem Vorstand eines vermeintlichen Rechtsverletzers oder einem frankophonen Vice President eines Prozessfinanzierers unter Beweis zu stellen. Wie in den vergangenen Jahren schaffte es die Düsseldorfer Anwaltschaft, die praktischen Probleme der anwaltlichen Beratung nahezubringen. In gelassener Stimmung durfte dabei natürlich auch die ein oder andere humorvolle Anmerkung in der Diskussion nicht fehlen.
Abschluss
Den Abschluss fand das Seminar beim Mittagessen in der Kanzlei Gleiss Lutz. Dies war zumindest in räumlicher Hinsicht der Höhepunkt – es ging noch auf die Terrasse des Dreischeibenhauses. Bei zahlreicher Kost und Getränk bot sich die letzte Gelegenheit, den direkten Austausch wahrnehmen zu können, bevor die Doktoranden wieder mit neu gefundener Motivation an die Schreibtische zurückkehrten.
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das spannende Seminar und hoffen, auch im nächsten Jahr wieder so anregende Gespräche erleben zu dürfen. Ein ganz herzliches Dankeschön gilt an dieser Stelle den Kanzleien Glade Michel Wirtz für die Bereitstellung eines großzügigen Abendessens und Gleiss Lutz für die Versorgung am Dienstagmittag. Ein herzlicher Dank gilt auch der Düsseldorfer Kartellrechtscommunity, die das Seminar durch ihre Teilnahme an der Case Study tatkräftig unterstützt hat. Auf dem Bild zu sehen sind: Jannik Otto (HHU), Christian Kersting (HHU), Christian Horstkotte (Mayer Brown), Ole Schley (Freshfields), Beatrice Stange (Heuking), Giulia Weeber (Linklaters), Christian Karbaum (Glade Michel Wirtz), Gerhard Klumpe (LG Dortmund), Carsten Grave (Linklaters), David dos Santos Goncalves (Linklaters), Thorsten Mäger (Hengeler), Rupprecht Podszun (HHU) und Martin Raible (Gleiss Lutz).
Die Autoren Leon Kümmel und Moritz Zwilling sind wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale). Dort forschen sie zu Fragen des europäischen Wettbewerbsrechts.