Conference Debriefing (34): Arbeits!sitzung der Studienvereinigung Kartellrecht

Conference Debriefing (34): Arbeits!sitzung der Studienvereinigung Kartellrecht

Am 8. Dezember traf sich die Studienvereinigung Kartellrecht zur Arbeitssitzung in Bonn. Das traditionelle Zusammentreffen der Anwältinnen und Anwälte mit Wettbewerbs-Prominenz aus dem nahen Bundeskartellamt und auch dem fernen Berlin stand in diesem Jahr im Zeichen der Reformprojekte. Rechtsanwalt Dr. Sascha Dethof berichtet.

„Arbeitssitzung“, „heute wird gearbeitet“, „dies wird eine wirkliche Arbeitssitzung sein“ – der Vorsitzende Ingo Brinker (Gleiss Lutz) machte direkt in seiner Einleitung klar, dass er bei der Bonner Arbeitssitzung der Studienvereinigung Kartellrecht Leistung erwartete. Die Fluchtwege Türen wurden vergeschlossen, die Bühne war bereitet für den Präsidenten. Das Interesse war nach den Corona-Jahren groß, die Kollegen zum Wein beim Lunch wiederzusehen, die aktuellen Themen des Kartellrechts zu diskutieren: 400 Anmeldungen und 200 Teilnehmer online, ja, die Studienvereinigung tagte hybrid. Glückwunsch für die tadellose Organisation!

Mundts Jahresbilanzpressekonferenz

Traditionell begann Präsident Andreas Mundt den Tagungsteil mit seiner Rede, die er launig als „Jahresbilanzpressekonferenz“ bezeichnete. Wie immer führte er mit Verve durch das umfangreiche und immer breitere Œuvre der Behörde. Er begann mit der Kartellverfolgung, hier gehe es wieder aufwärts. Zuletzt gab es ja keine Durchsuchungen wegen der Wirkung der besseren Compliance-Programme   der deutlich zurückgegangenen Anzahl an Kronzeugenanträgen der Corona-Zeit. In diesem Jahr rückte die Behörde bisher zu 11 Durchsuchungen in 5 eigenen Fällen und 6 Fällen für andere nationale Behörden und die Kommission aus. Das Bußgeldaufkommen falle bisher „mau“ aus, nur € 20 Mio. Die Kartellverfahren haben aber weiter höchste Priorität, entsprechend müsse dafür gesorgt werden, dass man wieder mehr Kronzeugenanträge bekomme. Hier müsse mehr Drive reinkommen. Möglichkeiten zivilrechtlicher Privilegierungen der Kronzeugen wurden ja etwa auf dem CLF Forum zwischen ihm und Prof. Christian Kersting am 7. Nov. in Düsseldorf diskutiert. Zur weiteren Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit operiere das BKartA weiter mit Screening- und Monitoring-Tools. Marktdaten sollen also zur Aufdeckung von Kartellen ausgewertet werden. Weitere Details zur Funktionsweise der Tools nannte Mundt wenig überraschend leider nicht. 

In der Fusionskontrolle wurden in diesem Jahr 800 Fälle geprüft gegenüber 950 Fällen im Vorjahr. Die Zahl nimmt also weiter ab, wie von der Behörde erhofft und erwartet. Präsident Mundt ging auch auf die neue Praxis der Europäischen Kommission zu Art. 22 FKVO ein: Damit könne die Kommission, bei „exzessiver Auslegung“, praktisch jeden Fall an sich ziehen. Auf Nachfrage, wie sich das BKartA künftig positionieren werde, vermied der Präsident Aussagen – wohl auch um keine Anrufe aus Brüssel zu provozieren. Die Behörde habe das Recht, aber nicht die Pflicht, einen Antrag auf Verweisung an die Kommission zu stellen. Man darf wohl erwarten, dass die Behörde die Möglichkeit weiter restriktiv handhabt.

Digitale Kraftakte

Das Wettbewerbsregister sei nun seit einem Jahr in Betrieb und es funktioniere! Bisher habe es 5.000 Mitteilungen, 4.000 Eintragungen und 120.000 Abfragen gegeben. Im Rahmen der Selbstreinigung seien bisher 11 Anträge auf vorzeitige Löschung gestellt worden. Dazu hätten sich die Leitlinien der Behörde bewährt. Man konnte eine gewisse Erleichterung spüren, denn – so Präsident Mundt – zum ersten Mal habe das BKartA Leitlinien vor einer entsprechenden Entscheidungspraxis erlassen. 

Er verwies nicht ohne Stolz auf die Leistung der Behörde bei diesem „digitalen Kraftakt“ und forderte direkt auch eine Modernisierung der Kommunikation durch die Anwälte: „Senden Sie uns keine Faxe! Nutzen Sie beBPo!“ Die zahlreichen ratlosen Gesichter im Plenum (hatte er einen Hund gerufen?) legitimierten den Aufruf. 

Mit dem Verbraucherschutz verband Präsident Mundt den bekannten Wunsch der Behörde, hier mehr Durchsetzungsbefugnisse zu erhalten. Die derzeitige 11. GWB Novelle wird diesen Wunsch wohl nicht erfüllen, möglicherweise aber die 12. Novelle. Eine Stärkung des Verbraucherschutzes hatte das BMWK dafür bekanntlich bereits angekündigt. 

Zur Digitalwirtschaft ging er auf die Verfügungen gegen die GAFAs zur Begründung der Adressateneigenschaft nach § 19a GWB ein. Diese seien nun zum Teil rechtskräftig. Herr Mundt verwehrte sich gegen die Aussagen eines „Professors aus Düsseldorf“, diese Verfahren seien doch „no-brainer“. Wen Herr Mundt damit ansprach, war zu offensichtlich konnte nicht aufgeklärt werden. Den Gang von Amazon zum BGH nahm er sportlich, eine Klärung der Anforderungen durch den BGH sei sicher hilfreich (es sei denn der BGH sieht die Sache ebenfalls als no-brainer an). 

Die Gretchenfrage bei § 19a GWB sei die künftige Umsetzung im Verhältnis zum DMA. Er gehe hier von einer friedlichen Koexistenz aus, denn faktisch werde der DMA bereits jetzt bei der Anwendung von § 19a GWB berücksichtigt. Insbesondere sei der DMA durch den Zuschnitt auf bestimmte Verhaltensweisen nicht so flexibel im Hinblick auf neuartige Verhaltensweisen wie § 19a GWB. 

Hinsichtlich der Diskussion zu möglicherweise divergierenden und parallelen Entscheidungen verwies er auf das prominenteste Beispiel booking.com. Selbst diese Entscheidungen seien nicht widersprüchlich gewesen, sondern das BKartA habe die Sache nur strenger beurteilt. Es sei übrigens derzeit eine Vorlage aus den Niederlanden beim EuGH anhängig zur Bewertung einer engen Bestpreisklausel als notwendige Nebenabrede.

ESG und SIEC

Mundt ging außerdem noch kurz auf die Themen Nachhaltigkeit und ESG ein. Die Notwendigkeit eines kartellrechtlichen Ausnahmebereichs in der Landwirtschaft in Art. 210a GMO bezeichnete er als fragwürdig, man sei auf die Leitlinien der Kommission gespannt. Zur Diskussion um hohe Mineralölpreise und Preissteigerungen im LEH verwies er auf die bisher schnellste Sektoruntersuchung und unterstrich, dass das BKartA keine Preissetzungsbehörde sei. Das hätte dieses Plenum sicher nicht in Frage gestellt, ist aber wohl eher als Aussage an die Allgemeinheit gegen die landläufige Meinung, das BKartA müsse da was tun, gedacht.

Nachfragen zur Bedeutung des SIEC-Testes, weil doch das BKartA sich dennoch in der Regel auf die Marktbeherrschung beziehe, wurden durch hunderte Handys gestört. Nein, keine Durchsuchung während der Studienvereinigung und verzweifelte Mandanten, die ihre Anwälte nicht erreichen. Der bundesweite Probealarm dröhnte los. Einige Teilnehmer wurden erst durch Nachzügler gewarnt. Gut für Lacher aber diskriminierend!

Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB-E

Der zweite Themenblock betraf die künftige Vorteilsabschöpfung nach der 11. GWB Novelle. Das Co-Referat von Christian Steinle (Gleiss Lutz) und Florian Schmidt-Volkmar (Oppenländer) wurde von Thorsten Mäger (HengelerMueller) mit bekannt subtilem Humor moderiert. 

Die Vorteilsabschöpfung ist bisher ein „Ladenhüter“. Das BMWK selbst schreibt: 

„Dieses Instrument besteht auch jetzt schon, wurde aber aufgrund hoher Hürden bislang noch nie genutzt.“

Das stimmt nur fast. Die Referenten selbst führten an: Seit 2005 habe das BKartA keine einzige Verfügung erlassen, auch die Landeskartellbehörden nicht mit Ausnahme der Landeskartellbehörde Hessen im Jahr 2015 / 2016 zum Preismissbrauch im Bereich der Wasserversorgung in Hessen. Davon hängt derzeit ein Fall vor dem BGH und einer vor dem OLG Frankfurt. Andreas Mundt hatte schon davon gesprochen, § 34 GWB in der aktuellen Fassung sei „totes Recht“. Die Hürden seien derzeit zu hoch. Jörg Nothdurft vom Bundeskartellamt steuerte bei, dass das BKartA mal eine Hausdurchsuchung erlitt vom Bundesrechnungshof besucht wurde. Das BKartA durfte sich rechtfertigen, warum es von der Möglichkeit, die Unternehmen nach § 34 GWB noch mehr zu schröpfen auch mit einer Abschöpfung des Vorteils zu belegen, keinen Gebrauch mache. Er hat leider nicht ausgeführt, ob das BKartA ordnungsgemäß Checklisten für den Fall einer Hausdurchsuchung in der eigenen Compliance Dokumentation bereithält.

Die 1%-Vermutung

Nun hat der Gesetzgeber „Großes“ vor: Das Verschuldenserfordernis wurde gestrichen. Außerdem werde künftig die Vermutung gelten, dass ein Unternehmen mit dem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1% seiner Inlandsumsätze mit dem Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat, das mit dem Kartellrechtsverstoß in Zusammenhang steht. Andreas Mundt hatte das „pragmatisch“ genannt.

Zwar kann die Vermutung widerlegt werden, allerdings kritisieren die Referenten, dass die Widerlegung einem gesunden Unternehmen unmöglich sei, da sie ausscheide, wenn das Unternehmen auch mit anderen Produkten Gewinn erwirtschaftet habe. Steinle kritisiert, dass hier nicht mit ökonomischen Gutachtenschlachten über Jahrzehnte hinweg Instrumenten gearbeitet werden könne. Der Gesetzgeber hat offenbar erkannt, dass das BKartA die zu erwartenden Gutachten mit vorhandenen Kapazitäten nicht wird bewältigen können. 

Zur Wiederbelegung der Kronzeugenregelung wurde der interessante Vorschlag unterbreitet, auch den Kronzeugen von der Vorteilsabschöpfung freizustellen. Es bleibt abzuwarten, ob dieser aufgegriffen wird.

Die Referenten kritisierten auch, dass die Abgrenzung im Gesetzentwurf, dass die 1% Vermutung nur bei Kartellrechtsverstößen gelte und nicht etwa im Bereich des Kartellschadensersatzes, möglicherweise nicht funktioniere. Denn im Rahmen der Schadensschätzung könne nun mal der anteilige Gewinn berücksichtigt werden.

Es bleibt hier abzuwarten, ob die Richter, die ja derzeit im Rahmen der Schätzung des Kartellschadens nach § 287 ZPO im Wust der widerstreitenden Ökonomengutachten nach Schätzgrundlagen suchen, hier auf diese Regelung zugreifen werden. So hörte man auch folgendes Zitat im Rahmen des Vortrags: 

„1% ist nicht schlecht, für mich als Jurist ist die Ökonomie immer so kompliziert.“

Professor Christian Kersting plädierte dann auch gleich in einer Wortmeldung dafür, die Vermutung auch im Kartellschadensersatz anzuwenden. Es könne wohl kaum sein, dass sich der Staat eine Vermutung gönne, sie aber den Opfern vorenthalte. Jörg Nothdurft wies darauf hin, dass sich das BKartA nicht für diese Änderung des Rechts eingesetzt habe. Ein Blick in die Kristallkugel gibt künftigen Kartellanten Hoffnung, „nur“ ein Bußgeld zu erleiden. 

Bei Störungen des Wettbewerbs… § 32f GWB-E

Moderiert von Daniela Seeliger (Linklaters) wurde das Finale von Thorsten Käseberg, Leiter des Referats Wettbewerbspolitik im BMWK, eingeläutet. Er bedankte sich zunächst für die Stellungnahme der Studienvereinigung Kartellrecht zur GWB-Novelle. Zum weiteren Zeitplan: Die Novelle werde am 21.12. im Kabinett und dann „zeitnah“ im parlamentarischen Prozess beraten, ein Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens sei im März/April möglich. 

Käseberg erläuterte die Neuregelung des § 32f GWB-E. Die Behörde soll künftig im Anschluss an eine Sektoruntersuchung Eingriffsbefugnisse erhalten, das heißt, das BKartA soll konkrete Maßnahmen zur Abstellung festgestellter erheblicher Wettbewerbsstörungen anordnen können. Was eine „Störung des Wettbewerbs“ sei, werde in § 32 Abs. 5 GWB-E der Rechtssicherheit zuliebe definiert. Für die neuen Befugnisse werden klare Verfahrensdauern festgelegt: Für die Sektoruntersuchung und die damit verbundenen Befragungen der Teilnehmer auf den betroffenen Märkten sowie die Datenerhebungen und -analysen sind maximal 18 Monate vorgesehen. Die darauf folgende mögliche Phase der Anordnung von Maßnahmen soll ebenfalls maximal 18 Monate dauern. Die Maßnahmen reichen bis zur Möglichkeit der Entflechtung von Unternehmen. Herr Käseberg verwehrte sich gegen die Bezeichnung als „Paradigmenwechsel“.

Kartellamtspräsident Mundt hatte in seinem Vortrag versprochen, dass die Behörde die Instrumente mit größtem Respekt einsetzen werde. Welche Märkte das BKartA hier im Blick habe, wollte er auch auf Nachfrage nicht enthüllen. Es sei aber nicht sicher, dass das BKartA an dieselben Märkte denke wie die Politik. Es könnte etwa um Märkte gehen, die unter dem Radar der Fusionskontrollvorschriften zu stark konsolidiert seien. 

Abschluss mit Ackermann

Nach dem „Bericht aus Berlin“ nahm sich Professor Thomas Ackermann (LMU München) des Themas an. Und ja, ein Raunen im Rund, er verwendete Slides. Und ja, ein weiteres Raunen, der Entwurf sei noch nicht sauber ausgearbeitet. Unter dem Titel „Die wettbewerbliche Generalklausel in § 32f GWB-E“ ging es mit Herrn Ackermann in die Tiefe. Unions- und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen zum Start, heute war eine Arbeitssitzung, daran sei erinnert.

Zum Tatbestand merkte er an, dass die Störung des Wettbewerbs als Voraussetzung des Eingriffs noch unklar sei. Die Liste der Sollkriterien in § 32f Abs. 5 GWB-E sei oft wettbewerblich ambivalent. Er schlug vor, eine Störung des Wettbewerbs nicht weiter auszulegen als den SIEC-Test. Zu den Abhilfemaßnahmen struktureller Art merkte er an, dass bei einer Entflechtung die volle Entschädigung geboten sei, soweit der unter Zwang erzielte Kaufpreis nicht ausreiche. Bei verhaltensorientierten Maßnahmen stellten sich besondere Probleme, etwa fehle – anders als bei § 32 GWB – bei § 32f Abs. 3 GWB-E eine Zuwiderhandlung als natürlicher Anknüpfungspunkt. Daher sei bereits die Eignung eines Verhaltensgebots oder -verbots oft fraglich. Im Anschluss wurde noch ein Streitgespräch zur Thematik geführt, dem der Autor leider nicht beiwohnen konnte.

Die Sitzung im Kameha-Hotel war insgesamt wieder eine gelungene Veranstaltung. Es ging – entsprechend der Vorgaben des Vorsitzenden – um die Arbeit, es gab aber auch wieder die Gelegenheit zum Austausch in den Pausen. Der Termin gab „vorweihnachtlich ein schönes Gefühl“, um noch einmal Andreas Mundt zu zitieren.

Dr. Sascha Dethof ist Rechtsanwalt und Partner bei Fieldfisher in Düsseldorf.

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