SSNIPpets (34): In Vorfreude

SSNIPpets (34): In Vorfreude

Wir freuen uns. Wir freuen uns zum Beispiel auf die 10. GWB-Novelle oder auf den Beginn der Vorlesungszeit. Weil aber beides noch ein paar Tage auf sich warten lässt, freuen wir uns an dem, was bislang so an buntem Herbstlaub angefallen ist. Rupprecht Podszun hat es zusammengeharkt. Hier sind die SSNIPpets – small, but significant news, information and pleasantries – our pet project!


Sanktionen

Arndt Kirchhoff, Präsident der Metallarbeitgeber in NRW und Kartellrechtlern vielleicht noch ein Begriff vom FIW-Symposium 2012, hatte in einem gescheiten Interview in der Süddeutschen Zeitung kürzlich gesagt, es sei für manche in der Autobranche vielleicht ein bisschen viel: Mobilitätswende, Klimawende, Digitalisierung, Handelsstreit undsoweiter. Höflich verwies er dabei nicht auf die juristischen Auseinandersetzungen, die den Fahrzeugbauern zu schaffen machen. Über 430.000 Interessenten haben sich allein für die Musterfeststellungsklage beim OLG Braunschweig zum Dieselskandal gegen den VW-Konzern angemeldet, das muss man sich mal vorstellen! Daneben laufen, so heißt es in einer Meldung beim Deutschlandfunk, 60.000 weitere Verfahren, und es gebe in weiteren 40.000 Verfahren wegen Diesel ein Urteil. (Für unsere amerikanischen Freunde: Für uns ist das wirklich sehr, sehr viel und sehr, sehr neu.)

Da findet das Muster-Verfahren statt: Die Stadthalle Braunschweig © Igge, CC BY-SA-3.0

Dann ist da das Trucks-Kartell. Die Deutsche Bahn hat angegeben, dass sie 500 Mio. Euro von Daimler einklagt – für sich, die Bundeswehr und 40 weitere Unternehmen, zuständig ist das Landgericht München I. Nach einer besonderen Ausnahmevorschrift von den International Accounting Standards (37.92) hat Daimler übrigens davon abgesehen, die Rückstellungen für solche Fälle im Geschäftsbericht anzugeben – das könne die Verteidigungsposition verschlechtern.

Die Bundesregierung berät derweil den Entwurf eines Verbandssanktionenrechts, vulgo: Unternehmensstrafrechts, das mit dem ja doch recht scharfen und oft auch groben Schwert der Kriminalisierung Unternehmen Manieren beibringen will. (Merken Sie, wie Unternehmen und Manieren beibringen einfach nicht zusammenpasst? Nicht, weil Unternehmen sich per se ungezogen verhalten, sondern weil sich nicht Unternehmen verhalten, sondern die dort handelnden Personen. Q.e.d.)

Endlose Verfahren, Bußgelder, Schadensersatzforderungen und bald auch noch Strafrecht samt Legalitätsprinzip – irgendwie ist das in diesen Zeiten tatsächlich… krass ein bisschen viel. Der Augsburger Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel schreibt unter Berufung auf eine Studie von Brandon Garrett („Too big to jail“):

„Unternehmensstrafrecht als Instrument der Wirtschaftspolitik: Ausländische Unternehmen werden von US-Behörden erheblich härter behandelt als ihre amerikanischen Konkurrenten.“

Und die Deutschen, so vielleicht der Subtext?, machen mal wieder in ohnehin harten Zeiten ihren national champions größten Unternehmen das Leben schwer.


Kein Mitleid

Kartelltäter (Symbolfoto)

Aber. Mitleid mit den armen Kartelltätern bebußten Unternehmen ist fehl am Platz. Die Probleme sind hausgemacht, die deutsche Automobilwirtschaft hätte sie sich gut und gerne ersparen können. VW hat sich bislang recht achtbar größeren Zahlungen an private Autokäufer in Deutschland entziehen können. Und in den Kartellfällen werden die Unternehmen zwar in langwierige Streitigkeiten verwickelt, aber ob dabei jemals etwas herauskommt, scheint fraglich. Erst kürzlich postete Daniel von Brevern bei LinkedIn, dass man inzwischen 43 Urteile zum LKW-Kartell gezählt habe, in keinem einzigen sei aber bisher die Schadenshöhe geklärt worden. Für den Kartellschadensersatz in Deutschland ist diese gerichtliche Erfolgsquote von 0 % ziemlich repräsentativ. Man könnte das fast skandalös nennen. Oder zumindest – ein bisschen wenig.

Mitleid gibt es an dieser Stelle also erstmal nicht, aber dafür ein Schmankerl des nie um klare Worte verlegenen 1. Kartellsenats des OLG Düsseldorf. Dort hatte ein Unternehmen aus dem Schienenkartell mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag beantragt beantragen lassen, in einem Urteil den Begriff „Kartelltäter“ durch „bebußtes Unternehmen“ ersetzen zu lassen, oder wie der Senat es wunderschön formuliert: den Begriff „Kartelltäter“ zu „mortifizieren“ (Beschluss vom 5. März 2019, Az. U (Kart) 17/17). Begründung der Antragstellerin: Man habe ja schließlich nicht an einer Straftat mitgewirkt und sei mithin auch kein Kartelltäter.

Oh, oh, oh, oh, oh. Mit sowas dem 1. Senat zu kommen, ist natürlich schon hart an der Grenze des Masochismus. Das OLG schreibt zurecht, schon dem „durchschnittlichen Rechtskundigen“ sei ja nun bekannt, dass der Begriff des „Täters“ nicht aufs Strafrecht beschränkt sei, sondern auch im hier einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrecht sowie im Deliktsrecht Verwendung finde. Damit hat es natürlich nicht sein Bewenden:

„Die nicht festgestellte Strafbarkeit ändert freilich nichts daran, dass Kartelle wie das im Streitfall zu beurteilende gesetzlich verboten sind, weil sie die Institution des freien Wettbewerbs als wesentlichen Bestandteil der freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung sowie individuelle Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer gefährden und auf diese Weise regelmäßig erhebliche Schäden zum Nachteil der Gesamtwirtschaft verursachen. Diese Tatsache bedarf vorliegend der Hervorhebung, weil namentlich der hier zur Debatte stehende Antrag auf Tatbestandsberichtigung aus den vorstehend genannten Gründen Anlass zu Zweifeln daran gibt, ob die vom Bundeskartellamt gegen die Beklagte zu 3. wegen ihrer Beteiligung an dem streitbefangenen Kartell verhängte Geldbuße von immerhin 88 Mio. € für sich genommen ausreichend gewesen ist, um dieser Partei die erhebliche Schwere des durch ihre Tat verwirklichten Unrechts mit der gebotenen Eindringlichkeit zu verdeutlichen.“

Treffer versenkt.


Tax-i

Manch ein „Kartelltäter“, „bebußtes Unternehmen“ o.ä. würde wahrscheinlich wenigstens gern das Bußgeld steuermindernd berücksichtigen können. Der Bundesfinanzhof hat dazu jetzt entschieden, dass das denkbar ist – wenn der Mehrerlös abgeschöpft wird. Dafür reicht aber die Berechnung der Geldbuße anhand des tatbezogenen Umsatzes nicht aus. Ob der BFH das Kartellrecht richtig gedeutet hat, erklärt unser one and only Christian Kersting in diesem Podcast.


In eigener Sache: Ringvorlesung Kartellrecht

Es wird Winter, und Sie wissen, was das heißt: Mit dem Vorlesungsstart an der Düsseldorfer Uni geht die Ringvorlesung Kartellrecht in eine neue Runde. Wenn Sie mal donnerstags Zeit haben und first hand von den Besten, wem sonst, erfahren möchten, was in der Praxis passiert, kommen Sie bitte jeweils um 14.15 Uhr in den Seminarraum 01.21 im Gebäude 24.91, das ist die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität. Da können sogar Sie noch etwas lernen!

Flyer zur Ringvorlesung Kartellrecht

Den Auftakt macht am 10. Oktober 2019 Maria Jaspers von der EU Kommission. Sodann geht es in einem munteren Reigen durch die Themen und Kanzleien. Das Kartellamt ist natürlich auch vertreten, Sabine Sabir spricht am 31.10.2019. Alle Themen, alle Referenten finden Sie auf diesem Flyer oder auf unserer Institutswebsite! [Diese Werbung ist zulässiges self-preferencing Informationshandeln.]


Personalien

  • Die nominierten Kommissare für die von der Leyen-Kommission müssen sich noch den Fragen des Parlaments stellen, und da ist „Jagdfieber“ ausgebrochen, so heißt es. Nachdem schon zwei Bewerber „abgeschossen“ wurden, wurde auch Sylvie Goulard, die Binnenmarkt-Kommissarin, die wir hier schon einmal vorgestellt haben, harten Fragen unterzogen – sie muss jetzt noch schriftlich Fragen zu ihren Einnahmen von einem Think Tank und der Beschäftigung eines Mitarbeiters in ihrer Zeit als Parlamentarierin beantworten. (Für diejenigen unter Ihnen, die eher mit Casting-Shows als mit den Verfahren im EU-Parlament vertraut ist: Sie muss „zittern“.)
  • Während bei Goulard klar war, dass es zumindest Nachfragen geben würde, stehen die Zeichen bei Margarethe Vestager auf ein rasches Einrücken in die nächste Runde. Wer dennoch zusehen möchte: Showtime ist am 8.10.2019. Ihr neuer Kabinettschef wird Kim Jørgensen, bisher Dänemarks EU-Botschafter.
  • Paolo Gentiloni, noch so ein Kommissarskandidat (der Italiener soll Wirtschaft & Währung verantworten) hat derweil deklariert, dass er 67 Aktien an Amazon hält, deren Wert er mit €111.471,00 angibt. Süß. Mal sehen, wie er im Kommissarskollegium zum Amazon-Verfahren steht.
  • Marc van der Woude ist neuer Präsident des Europäischen Gerichts. Der Niederländer, der auch mal in der Generaldirektion Wettbewerb tätig war, folgt Marc Jaeger nach, der nicht mehr kandidierte. Van der Woude war bislang Vizepräsident – und ist natürlich Co-Namensgeber des kartellrechtlichen Telefonbuchs „Jones Van der Woude“. Das Europäische Gericht richtet übrigens erstmals Spezialkammern ein – aber nicht fürs Kartellrecht, sondern für Geistiges Eigentum und für Personalrecht.
  • Das Bundeskartellamt hat einen neuen Referatsleiter für die Digitale Ökonomie, es ist Sebastian Wismer, der auch schon in der Vergangenheit für das Amt zu solchen Themen gesprochen hat. Wir haben seine open source veröffentlichte Doktorarbeit ausgegraben. Der Mann weiß, worum es geht, denn schon in dieser 2013 bei der Uni Würzburg (Prof. Norbert Schulz) eingereichten Arbeit geht es um Strategien von Unternehmen in der Plattformökonomie.
  • Keine Personalie, aber eine Institutionalie: Das Bundeskartellamt, ist beim jüngsten GCR-Ranking erneut mit 5 Sternen ausgezeichnet worden. Das ist „Elite“. Mit den Bonnern in der 5-Sterne-Truppe: Die französischen Freundinnen und Freunde von der Autorité de la Concurrence und die US Federal Trade Commission. Schade, dass man diesen Bewertungen im Internet ja nicht trauen darf…


Nun auch BRICS

Das Digital-Kartellrecht tritt ja bald in ein neues Zeitalter, wenn der GWB-Referentenentwurf, bei uns geschätzt als Weitreichende-Wohlfahrt-durch-wirksamen-Wettbewerb-im-World-Wide-Web-Gesetz, vorgestellt wird. In diesem W7-Gesetz (Twitterhashtag: #GWB10) wird, so heißt es allenthalben, eine spannende neue Digital-Norm in § 19a GWB verankert.

Es kann sich bis zur Veröffentlichung nur noch um Tage handeln, Raphael L’Hoest hatte den Referentenentwurf bei unserem Doktorandenseminar für „Anfang bis Mitte Oktober“ in Aussicht gestellt. Am 29.10.2019 – das zur Erinnerung – stellen Thorsten Käseberg, Maja Murza und Tobias Brenner den Wurf aus dem BMWi bei uns vor. (Und diesmal klappt das auch, nachdem wir ja schon einmal schieben mussten.)

Das ist kein Albumcover von Pink Floyd, sondern das Logo des Competition Reports, um den es gleich geht.

In der Zwischenzeit empfehlen wir den Digitalisti zwei Dokumente zur Lektüre: Zum einen hat die Kommission ihre Android-Entscheidung veröffentlicht, die viele „gold nuggets“ enthält, wie das ein ausländischer Kollege so schön formulierte. Pablo Ibanez Colomo hat mit der Auswertung schon mal begonnen.

Zum anderen haben nun auch die BRICS-Staaten einen Report vorgelegt, der gerade mal 1295 Seiten hat (wir sind ehrlich gesagt noch nicht ganz durch). BRICS, das sind Brazil, Russia, India, China and South Africa; den Bericht hat eine Akademikertruppe am russischen HSE-Skolkovo-Institut um Alexey Ivanov und Ioannis Lianos koordiniert. Lianos ist in der Zwischenzeit Chef der griechischen Kartellbehörde geworden. Die Executive Summary finden Sie auf S. 30-48, und da fehlt wirklich kein Buzzword.


Aandacht, stijgende verzendkosten!

Nee. – Doch.

Am 5.9.2019 hat die niederländische Kartellbehörde, ACM, bekannt gegeben, dass sie die Übernahme des Postunternehmens Sandd durch die PostNL (in Deutschland mit Postcon aktiv) untersagt. Sandd, so die ACM, ist praktisch der einzige Wettbewerber des Incumbents PostNL, es komme zu einem Monopol bei der Postauslieferung. Einen Tag später beantragte PostNL das, was man in Deutschland eine Ministererlaubnis nennen würde nach Art. 47 des niederländischen Wettbewerbsrechts. Und Mona Keijzer, die zuständige Staatssekretärin, erklärte am 27.9.2019:

„De concentratie draagt bij aan de continuïteit van een kwalitatief hoogwaardige postdienstverlening op langere termijn, leidt tot lagere kosten, zorgt voor een betere bescherming van werknemers in de markt en dient de financiële belangen van de staat. Deze zwaarwegende algemene belangen nopen ertoe dat ik een vergunning verleen voor het tot stand brengen van de concentratie tussen PostNL en Sandd.“

Wenn ich das kurz für Sie zusammenfassen darf: Die dürfen. Wat een kaas.


Öffentlicher Rundfunk

Wo wir gerade bei ordnungspolitischen Sünden sind: Wir versuchen ja immer nachzuhalten, wo sich Ausnahmen von wettbewerbspolitischen Grundsätzen durch die Hintertür schmuggeln. Und da wollten wir noch nachtragen, dass es beim Rundfunkstaatsvertrag schon mit der vorletzten Novelle, der 21. aus dem Jahr 2018, geglückt ist, das Kartellrecht auszuhebeln. (Wenn Sie fragen, warum ich damit erst jetzt komme? Manche Songs sind eben Evergreens!)

In § 11 Abs. 4 RStV ist festgehalten, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Auftragserfüllung betraut sind. Das bedeutet im Klartext: Eingeschränkte Geltung des Kartellrechts dank Art. 106 Abs. 2 AEUV = muntere Zusammenarbeit der Sender. Das ist nicht ganz so neu, wohl aber was jetzt ausdrücklich alles dazugezählt wird:

„Die Betrauung gilt insbesondere für die Bereiche Produktion, Produktionsstandards, Programmrechteerwerb, Programmaustausch, Verbreitung und Weiterverbreitung von Angeboten, Beschaffungswesen, Sendernetzbetrieb, informationstechnische und sonstige Infrastrukturen, Vereinheitlichung von Geschäftsprozessen, Beitragsservice und allgemeine Verwaltung.“

Die Begründung dazu (S. 11-13) liest sich aus wettbewerbspolitischer Sicht auch so richtig käsig.

Ich nehme das zum Anlass für einen Hilferuf: Bitte halten Sie die Augen offen, wenn es jetzt in den Gesetzgebungsprozess für unser GWB geht. Diesmal lassen wir uns bitte keine abstrusen Sonderregeln für diese oder jene Branche in unser schönes kleines Gesetz schreiben!


Damit diese SSNIPpets nicht negativ enden, gebe ich Ihnen rasch noch diesen deutschen Evergreen (mit spanischen Untertiteln) mit – immerhin war ja gestern Tag der Deutschen Einheit. (Ja, liebe internationale Leserinnen und Leser, das ist so die Musik, die deutsche Partner in Brüssels Großkanzleien hören, wenn sie mit Form CO für heute durch sind) – schönes Wochenende!

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